Von Helmut Frenzel
7. September 2017. – In der bevorstehenden Sitzung des Schulausschusses am 11. September 2017 steht die Beschlussfassung über den künftigen Standort der St. Agatha-Grundschule am Voßkamp auf der Tagesordnung. Das Schulgebäude ist stark sanierungsbedürftig und muss hinsichtlich des Raumangebots an die heutigen Erfordernisse angepasst werden. Außerdem geht der Schulentwicklungsplan davon aus, dass die Schülerzahl von zuletzt 260 bis zum Schuljahr 2024/25 auf 330 steigt, wodurch sich der Raumbedarf zusätzlich vergrößert. In der Vorlage zur Sitzung stellt die Verwaltung drei „Möglichkeiten“ zur Wahl: (1) Errichtung eines Neubaus am bisherigen Standort Voßkamp, (2) Verlagerung an den Nonnenkamp und Übernahme des Gebäudes der Geschwister-Scholl-Hauptschule, deren Ende besiegelt scheint, und (3) Verlagerung zur Marler Straße und Einzug in die Gebäude der ehemaligen Johannesschule und Astrid-Lindgren-Schule, die aktuell leer stehen. Diese drei „Möglichkeiten“ haben jede für sich Vor- und Nachteile und sind mit verschieden hohen Kosten verbunden. Die Vorlage der Verwaltung vermittelt den Eindruck, dass der Ausschuss frei ist in seiner Entscheidung. Das ist aber nicht der Fall. Die Beschlussvorlage weist eine Schieflage auf, in der die Option Verbleib am Standort Voßkamp massiv benachteiligt wird. Sie fällt als realistische Wahlmöglichkeit faktisch aus.
Verwaltung plant den Verkauf der nicht mehr benötigten Schulstandorte
Das hat folgenden Grund: Nach dem beschlossenen Auslaufen der Geschwister-Scholl-Hauptschule werden zwei der drei Schulstandorte Voßkamp/Nonnenkamp/Marler Straße leer stehen. Eine Nachfolgenutzung durch die Stadt ist nicht in Sicht. Die Verwaltung beabsichtigt daher deren Verkauf. Bleibt die Agathaschule am bisherigen Standort Voßkamp, stehen die Standorte Nonnenkamp und Marler Straße zur Disposition; zieht sie um zum Nonnenkamp, trifft es die Standorte Marler Straße und Voßkamp, und zieht sie zur Marler Straße, stehen die Standorte Voßkamp und Nonnenkamp zum Verkauf. Das hat Auswirkungen auf die Bilanz und Ergebnisrechnung der Stadt. Die folgende Tabelle zeigt die Werte für Gebäude und Grundstücke, mit denen die einzelnen Schulstandorte in den Büchern der Stadt stehen, sowie die erwarteten Verkaufserlöse.
Die Buchwerte differieren stark. Je später die Grundstücke gekauft und die Gebäude errichtet wurden, desto höher liegen sie. Die älteste der drei Schulen ist die Agathaschule; sie hat folglich mit 1,1 Millionen Euro den niedrigsten Buchwert. Die jüngeren Schulen Nonnenkamp und Marler Straße weisen demgegenüber mit 5,1 Millionen Euro (Nonnenkamp) und 4,1 Millionen Euro (Marler Straße) sehr viel höherer Buchwerte auf.
Nur die Immobilie am Voßkamp verspricht einen Veräußerungsgewinn
Den Buchwerten sind die erwarteten Erlöse im Falle eines Verkaufs gegenübergestellt. Abhängig von Größe und Lage differieren auch die Verkaufserlöse stark. Die Tabelle zeigt, dass die Erlöse für die beiden Standorte Nonnenkamp und Marler Straße den Buchwert der Immobilie nicht erreichen und jeweils ein Verlust entsteht: 1,6 Millionen Euro für den Nonnenkamp und 1,3 Millionen für die Marler Straße. Nur für den Voßkamp übersteigt der Verkaufserlös den Buchwert und es entsteht ein Veräußerungsgewinn von 1,1 Millionen Euro. Nun kommt es also darauf an, welcher künftige Standort für die Agathaschule beschlossen wird. Mit dieser Entscheidung wird zugleich festgelegt, welche beiden Standorte verkauft und welche Verluste realisiert werden. Die bilanziellen Auswirkungen für die Stadt stellen sich so dar:
Die vorstehende Tabelle enthält eine eindeutige Aussage: Bleibt der Standort Voßkamp erhalten, – der einzige, der beim Verkauf einen Veräußerungsgewinn verspricht -, entsteht der Stadt beim Verkauf der Grundstücke am Nonnenkamp und an der Marler Straße ein Verlust von 2,9 Millionen Euro. Dieser ist zwar ein Buchverlust und nicht mit einem Geldabfluss verbunden, aber er geht in die Ergebnisrechnung der Stadt ein und mindert das Eigenkapital. Dieses ist derzeit mit 1,1 Million Euro negativ und die Stadt überschuldet. Die Veräußerungsverluste würden, wenn sie nicht durch andere Erträge ausgeglichen werden können, das negative Eigenkapital noch erhöhen. Damit besteht das Risiko, so die Verwaltung, dass der Abbau der Überschuldung bis 2021 verfehlt wird.
Erhalt des Standorts wird mit Veräußerungsverlusten belastet
Im Kostenvergleich der drei „Möglichkeiten“ rechnet die Verwaltung die Veräußerungsverluste durch die Grundstücksverkäufe jeweils demjenigen Standort zu, der als künftiger Standort für die Agathaschule gewählt wird. Das trifft den Standort Voßkamp hart, denn die Veräußerungsverluste der Immobilien am Nonnenkamp und an der Marler Straße sind mit zusammen 2,9 Millionen Euro hoch. Damit scheidet der Voßkamp als künftiger Standort der Agathaschule von vornherein aus. Umgekehrt werden die beiden anderen Standorte begünstigt, weil ihnen der Buchgewinn der Immobilie am Voßkamp zugerechnet wird. Es stellt sich die Frage, ob diese Art der Zurechnung angemessen ist. Die Veräußerungsverluste bei der Vermarktung der anderen beiden Schulstandorte sind nicht durch die Agathaschule und deren Verbleib am Voßkamp verursacht. Die Ursache liegt im Rückgang der Schülerzahlen begründet und daraus folgend in der Schließung von Schulen, zuletzt der bevorstehenden Schließung der Geschwister-Scholl-Hauptschule. Wenn die Agathaschule nicht saniert werden müsste, würde sie ohne Frage ihren Standort behalten und niemand käme auf die Idee, ihr die Kosten der Schließung anderer Schulen anzulasten. Die Veräußerungsverluste sind der Preis für die Schließung von Schulen, den die Stadt zu tragen hat. Die Agathaschule hat damit nichts zu tun und deswegen sind die Veräußerungsverluste aus den Kostenvergleichen herauszunehmen.
Fairer Kostenvergleich nur, wenn Verluste außen vor bleiben
Hinzu kommt: die Veräußerungserlöse aus dem Verkauf der Immobilien am Nonnenkamp und an der Marler Straße – im Vergleich der Standorte mit 6,4 Millionen Euro an der Spitze – würden nicht dem Erhalt des Standorts Voßkamp zufließen. Das Geld flösse richtigerweise ohne Zweckbindung in den allgemeinen Haushalt. Sofern noch Darlehen auf den Grundstücken lasten, müssten diese getilgt werden. Der restliche Erlös könnte zur Rückführung der Überziehungskredite der Stadt genutzt werden. Die Investitionen für einen Neubau am Voßkamp würde die Stadt dagegen mit langfristigen Krediten finanzieren, so steht es auch in der Beschlussvorlage für den Schulausschuss. Das ist eine übliche Form der Finanzierung langfristiger Investitionen und nicht zu beanstanden.
Erst wenn die Zurechnung der Veräußerungsverluste zurückgenommen wird, bleibt der Standort am Voßkamp eine realistische Option. Nur dann steht der Weg offen für eine faire Kostenbetrachtung der drei „Möglichkeiten“ und für die Bewertung des Für und Wider. Den Standort Voßkamp im Rennen zu halten scheint mehr als angebracht. Es gibt gute Gründe, die Agatha-Grundschule in den Grenzen der Altstadt zu halten. Neue Argumente hat zuletzt der Pastor der Kirchengemeinde St. Agatha vorgebracht.
Neubau am Voßkamp treibt die Kosten in die Höhe
Der Vergleich der unmittelbar mit der Herrichtung des jeweiligen Standorts verbundenen Kosten ohne Zurechnung der Veräußerungsverluste zeigt dieses Bild:
Die mit Abstand höchsten Kosten werden für die Herrichtung des Standorts am Voßkamp ausgewiesen: 14,4 Millionen Euro. Der Umzug der Agathaschule an einen der beiden anderen Standorte kostet weniger als die Hälfte. Das ist alleine dem Umstand geschuldet, dass bei Verbleib der Agathaschule am Voßkamp die Maximallösung in Form eines Neubaus vorgesehen ist. An den anderen Standorten ist lediglich eine Sanierung der vorhandenen Gebäude geplant. Die Folgekosten liegen im Falle eines Neubaus nicht so viel höher, dass diese „Möglichkeit“ schon deswegen untragbar wäre. Aber es bleibt das Faktum, dass ein Neubau um gut 7 Millionen teurer ist als der Umzug an einen der beiden anderen Standorte.
Es gibt Lösungen für den Standort Voßkamp unterhalb eines Neubaus
Wenn Schulausschuss und Rat dem Mehraufwand für einen Neubau nicht zustimmen und wenn die Befürworter des Standorts Voßkamp den Verbleib der Grundschule in der Altstadt für wichtiger halten als die optimalen Bedingungen, die ein Neubau bietet, dann müssen sie anstelle eines Neubaus auch eine Sanierung in Betracht ziehen. Die Beschlussvorlage enthält dazu folgenden Hinweis: Eine Untersuchung des Bauzustands der Agathaschule hat ergeben, dass ein Sanierungsbedarf von 5,3 Millionen Euro besteht und für zusätzlichen Raumbedarf weitere 1,6 Millionen Euro benötigt werden, der Gesamtfinanzbedarf für diese Option also etwa 6,9 Millionen Euro beträgt. Bei diesem Ansatz liegt die Herrichtung des Standorts Voßkamp auf gleicher Höhe mit den anderen Standorten. Dabei müsste in Kauf genommen werden, dass nicht alle Anforderungen an die Raumstruktur erfüllt werden können. Offenbar gibt es aber auch noch andere Lösungen: die Bewertungsmatrix der energo GmbH enthält zwei Varianten für die Sanierung des Standorts Voßkamp mit Kosten von 10,1 beziehungsweise 11,9 Millionen Euro.
Entscheidung über den Standort ist nicht nur eine Frage des Geldes
Allerdings haben die Vertreter der Agathaschule, so steht es in der Vorlage für den Schulausschuss, eine “bloße Sanierung” der Schule abgelehnt, weil so die Anforderungen an einen modernen Schulstandort nicht erfüllt werden könnten. Wenn keine Bereitschaft zu Kompromissen besteht und an der Maximalforderung eines Neubaus festgehalten wird, dann wird das voraussichtlich das schnelle Ende der Agathaschule am Voßkamp bedeuten und die Schule wird zum Nonnenkamp umsiedeln. Damit wäre jedenfalls das erreicht, was sich die Verwaltung wünscht. In der Sitzungsvorlage heißt es dazu: „Unter Abwägung aller Kriterien sowie aller Vor- und Nachteile ist die Verwaltung der Auffassung, dass der Umzug der Agathaschule zum Nonnenkamp (Möglichkeit 2) die geeignetste Lösung ist.“ – Nicht zufällig ist das die Lösung, die die Ergebnisrechnung und die Bilanz der Stadt am wenigsten belastet. Aber die Standortentscheidung über Verbleib oder Verlegung der St.- Agathaschule ist nicht nur eine Frage des Geldes. Bei ihrer Entscheidung dürfen die Ausschussmitglieder auch durchaus den Geldsegen berücksichtigen, der sich nach der Bundestagswahl über die Schulen ergießen wird.
Quelle: Vorlage der Verwaltung zur Sitzung des Schulausschusses am 11. September 2017, Drucksache Nr. 185/17 vom 21. August 2017. – Eigene Berechnungen.
Es stellt sich allerdings noch eine weitere Frage: Wenn die Buchwerte für für die Standorte Nonnenkamp und Marler Straße so deutlich über den erwarteten Verkaufserlösen liegen, könnte dies die Notwendigkeit einer außerplanmäßigen Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Wert implizieren. Da es somit unabhängig davon, ob diese Standorte veräußert werden oder nicht, zu einer Ergebnisbelastung kommt, kann die Standortentscheidung etwas losgelöster von den Auswirkungen auf die Ergebnisrechnung der Stadt getroffen werden.