Kommentar von Helmut Frenzel
15. Januar 2016. – Ein Ende der Schönfärberei ist in Sicht. Das neue Einkaufscenter am Lippetor startet mit Leerständen. Sechs Wochen vor dem geplanten Eröffnungstermin ist ein Fünftel der Verkaufsfläche unvermietet, das gab der Center Manager nun bekannt. Ist das der Paukenschlag, den er Anfang Januar angekündigt hatte? Wohl kaum. Denn dass es so oder so ähnlich kommen würde, war für jeden vorhersehbar, der seine fünf Sinne beisammen hat.
Vermietung kam in den letzten Monaten nicht voran
Immerhin, die Nachricht stutzt den Projektentwickler auf Normalmaß. Sie räumt auf mit dem überheblichen Auftreten Herbert Krämers und seiner unseriösen Informationspolitik. Schon kurz nachdem er 2010 das Gelände am Lippetor gekauft hatte – damals ging es noch um eine Verkaufsfläche von 10.000 Quadratmetern – , prahlte er damit, dass 50 bis 60 Prozent der Verkaufsfläche schon vermietet seien. Die Filialketten, die sich in dem von ihm errichteten Shopping Center in Bergisch-Gladbach niedergelassen hatten, warteten nur darauf, alsbald in das Dorstener Pendant einziehen zu dürfen. Wer so hoch reizt, der hat es schwer, neue Erfolge zum Stand der Vermietung zu vermelden. Seit längerem zieht sich das Thema wie Kaugummi. Bei der Grundsteinlegung im November 2014 gab Krämer bekannt, „weit mehr als 70 Prozent“ der Verkaufsfläche seien vermietet. Als im September des vergangenen Jahres der Richtkranz hochgezogen wurde, verkündete er, mittlerweile seien es 80 Prozent. Und jetzt heißt es, es seien „mehr als 80 Prozent“. Das kann nur bedeuten, dass es in den letzten Monaten nicht mehr gelungen ist, Mieter zu finden – wenn man den früheren Angaben denn Glauben schenkt. Den bescheidenen Vermietungsstand der Öffentlichkeit mitzuteilen überließ Krämer bezeichnenderweise seinem Center Manager.
Dass es bei der Vermietung ernsthafte Schwierigkeiten gibt, dafür sprechen auch andere Anzeichen. Seit einigen Wochen kursieren Gerüchte, dass Einzelhändler in der Innenstadt angesprochen und ihnen attraktive Konditionen angeboten wurden, wenn sie in das Mercaden umziehen. Krämer hatte zwar immer beteuert, dass er das nicht machen wird, um die Innenstadt nicht zu schwächen; aber unter dem Druck der drohenden Leerstände gibt es offenbar keine Rücksichten mehr. Noch ein anderer Punkt lässt aufhorchen. Kaufland wird eine Fläche von 5.000 Quadratmetern belegen. Aus Fachkreisen ist zu hören, dass die Supermarktkonzerne Quadratmeterpreise von höchstens 10 Euro akzeptieren. Ihre Rolle als Ankermieter und Frequenzbringer lassen sie sich teuer bezahlen. Die niedrige Quadratmetermiete ist aber nicht kostendeckend. Wenn wie im Falle Kaufland 40 Prozent der Verkaufsfläche mit einem Supermarkt belegt sind, dann ist die Wirtschaftlichkeit des Projekts insgesamt in Frage gestellt. Dass sich das Mercaden-Management trotzdem darauf einlässt, zeigt, wie groß die Not ist.
Für unabdingbar gehaltene Flächengröße wird zur Hypothek
Aber es ist noch immer das kleinere Übel. Ein zur Eröffnung nicht voll vermietetes Einkaufscenter ist so ziemlich das Schlimmste, was dem Betreiber widerfahren kann. Denn damit fällt die Erfolgsgeschichte gleich zu Beginn in sich zusammen, an der doch der Projektentwickler so lange gestrickt hat. Manche Beobachter halten das für den Anfang vom Ende. Das Palais Vest in Recklinghausen hält dazu eine bittere Lektion bereit: es scheint kaum möglich, unvermietete Verkaufsflächen nach der Eröffnung noch an den Mann zu bringen. Die Zahl der Einzelhandelsbetriebe hat sich dort seit der Eröffnung nicht erhöhen lassen, sondern im Gegenteil leicht verringert. Ein nicht bekannter Anteil der Verkaufsfläche steht nach wie vor leer.
Dass das Mercaden mit 12.500 Quadratmetern Verkaufsfläche so groß werden musste, wurde nicht damit begründet, dass es in Dorsten einen entsprechend hohen Bedarf gäbe. Für ein kleineres Center ließen sich Geldgeber nicht finden, hieß es, und: die Wirtschaftlichkeit sei nicht gegeben. Also baute man ein größeres. So einfach ist das. Offenbar interessierte es niemanden, ob man für die unverhältnismäßig große Fläche auch Mieter finden würde. Und wieder einmal ist eine Landesbank beteiligt: diesmal ist es die Hessisch-Thüringische Landesbank, die das aus den Fugen geratene Vorhaben finanziert. Als wenn Dorsten noch nicht genug schlechte Erfahrungen mit Landesbanken gemacht hätte. Jetzt also hat Dorsten ein überdimensioniertes Einkaufscenter, dessen theoretisch gegebene Wirtschaftlichkeit durch die Mieterstruktur und den drohenden Leerstand gefährdet ist. Toll.
Befürworter haben das Projekt wider besseres Wissen durchgezogen
Die Wenigen, die sich von der allgemeinen Euphorie nicht haben anstecken lassen und ernst zu nehmende Argumente gegen die Größe des Mercaden vorbrachten, wurden als notorische Bedenkenträger, als Schwarzseher, Kritikaster und Querulanten ausgegrenzt. Auf der politischen Bühne hatten sie keine Stimme. Die Verweise auf die Einzelhandelsgutachten der CIMA, die Schrumpfung und Alterung der Wohnbevölkerung und damit der Kaufkraft, die seit langem bekannte Schließung der Zeche Auguste Victoria in Marl mit dem Verlust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen und den daraus folgenden Auswirkungen auf die Kaufkraftentwicklung in der ganzen Region, das Vordringen des Online-Handels und nicht zuletzt die Schwächung der Kaufkraft durch die Sparmaßnahmen der überschuldeten Gemeinden – all das wurde weggewischt. Mit solchen Argumenten konfrontiert lautete die Antwort von Ratsmitgliedern: die Politik will das Projekt. Da sind Argumente unerwünscht. Das Projekt wurde als alternativlos hingestellt.
Belebung der Innenstadt?
Die Ansiedlung eines neuen Einkaufscenters schafft keine Kaufkraft. Folglich geht es nur um die Umverteilung der vorhandenen Kaufkraft durch Verdrängungswettbewerb. Und weil das so ist, werden per Saldo auch keine neuen Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang geschaffen. Die Arbeitsplätze, die im Mercaden entstehen, werden anderswo wegfallen. Dieses Wissen hat nicht verhindert, dass die Befürworter des überdimensionierten Projekts Hochkonjunktur hatten. Die Behauptung des Projektentwicklers Herbert Krämer, das Mercaden werde die Innenstadt beleben, wurde willig angenommen. Krämer sprach mit Bedacht immer nur von „Belebung“ der Innenstadt, und nicht davon, dass die Geschäfte der Einzelhändler in der Innenstadt besser gehen werden. Er tat es aus gutem Grund. Denn das von ihm beauftragte und bezahlte Verträglichkeitsgutachten enthält – immerhin – klare Aussagen zu den zu erwartenden Umsatzverlusten des innerstädtischen Einzelhandels. Aber davon wollte niemand etwas hören, weder die Vertreter der Kaufmannschaft noch Stadtspitze und Ratsmitglieder. Wenn Krämer nach Besprechungen in Dorsten nach Hause fuhr, muss er im Auto herzlich über die leichtgläubigen Dorstener gelacht haben, die ihm seine Beteuerungen abkauften, ohne seine eigensüchtigen Motive wahrzunehmen, die alleine auf die Durchsetzung seiner unternehmerischen Interessen gerichtet waren. Dieser Mann hat nur den Erfolg seines Projekts im Sinn. Die zu erwartenden Leerstände im Mercaden werden den Wettbewerbsdruck auf den städtischen Einzelhandel noch verschärfen. Die Wirklichkeit holt die Akteure ein.
Tja, kenne mich ein wenig aus mit Handelsimmobilien. Hier nur kurz:
> Einkaufszentrum (EKZ) ohne echte Ankermieter (Textil/Elektronik)
> mit 12.500 qm zu klein, um Kunden aus dem Umland zu locken.
> In Dorsten schon einiges an Leerstand…
> Lt. Dorstener Zeitung sind BONITA und Bijou Brigitte neu im EKZ, ergo zwei weitere Leerstände in der Fußgängerzone (FGZ).
> Kaufland-Kunden mit Tiefkühlprodukten sind Fahrkunden, besuchen nur in Minderheit die FGZ.
> Dass jetzt kurz “vor zwölf” Mieter aus der FGZ “rausgekauft” werden ist nicht unüblich…
Am Ende: Erhöhter Leerstand in der FGZ und ein nicht funktionierendes EKZ.
Siehe Recklinghausen heute in der Kunibertistraße und Holzmarkt…
Einfach zu viel, bei sinkender Einwohnerzahl, und rückläufigem Konsum…
Vielen Dank für Ihre sorgfältige und mutige Berichterstattung. Es ist schon erstaunlich, dass ein solches Projekt in einer schrumpfenden Stadt ohne einen Ersatz für die Zechenarbeitsplätze (und damit deren Kaufkraft) angegangen wird. Das Ganze in Zeiten, in denen immer mehr Handel über das Internet abgewickelt wird und es schon deutlichen Leerstände in der Innenstadt gibt. Es bleibt zu fragen, ob eine Aufwertung der Innenstadt nicht deutlich effektiver (und preiswerter) mit einem ‘Lippewiesen-Park’ anstelle dieses klobigen Betonklotzes zu machen gewesen wäre. Hier scheint wieder einmal (siehe Atlantis Debakel, Spekulationsgeschäfte…) das Wunschdenken über die Realität gesiegt zu haben.