Von Wolf Stegemann
Vorbemerkung: Die Welt war und ist gerade auch in unseren Tagen voller Kriege und Kriegshandlungen. In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. Print- und Funkmedien haben dieses Thema aufgegriffen, Kunst- und Foto-Ausstellungen werden eingerichtet, Vorträge gehalten und neue Bücher veröffentlicht. Historiker sagen, dass der Erste Weltkrieg das grausame Fanal für den weitaus grausameren Zweiten Weltkrieg war. Immer wieder wird herausgestellt, dass im Ersten Weltkrieg – im Gegensatz zum Zweiten Krieg – Kriegshandlungen kaum in Deutschland stattfanden. Das stimmt. Allerdings fanden frühere Kriege immer wieder auf deutschem Boden statt, vor allem der grausame Dreißigjährige Krieg. Kriege sind immer tödlich und unnötig, ob sie in Afrika oder am Hindukusch geführt werden, auf dem Balkan oder sonst wo in der Welt. Und dann müssen sich die Angehörigen der Bundeswehr-Toten in Afghanistan fragen, für was und für wen ist unser Sohn, unser Vater unser Freund eigentlich dort gestorben?
Dorsten war wegen seiner Grenzlage und dem strategisch wichtigen Übergang über die Lippe auf eigenem Gebiet in viele Kriege und kriegerische Unruhen, Kampfhandlungen, Durchzüge und Einquartierungen verstrickt. Viermal wurde in diesen Zeiten die Lippebrücke von ab- und durchziehenden Truppen zerstört. Die Städter und die Bauern der Dörfer rundum mussten immer wieder Quartiere, Roggen für Brot, Hafer und Heu für die Pferde, Wagen, Zug- und Schlachtvieh, Leinen zur Uniformen, Holz zur Feuerung und zum Festungsbau stellen und Geld zur Löhnung der fremden Soldaten zahlen.
Bisheriger Schlusspunkt eines Krieges im eigenen Land ist das Jahr 1945
Der Graf von Kleve überfiel die Stadt 1301 und riss die Mauern nieder. Dorsten musste ungeschützt mehrmals gegen Überfälle des umliegenden Adels, besonders gegen Hermann von Merfeld 1382 kämpfen. Es folgten die Hussitenkriege 1419 bis 1436 und die Soester Fehde 1444 bis 1449 mit Durchzügen. Im Truchsessischen Krieg (auch Kölner Krieg genannt, 1583 bis 1589) wurde Dorsten mehrmals belagert. Während des Spanisch-Niederländischen Kriegs (1595 bis 1609) plünderten beide Heere und ließen sich versorgen, im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) hatte Dorsten zuerst eine kaiserliche Besatzung, dann von 1633 bis 1641 eine hessische, danach durch Eroberung der Stadt wieder eine kaiserliche und zum Schluss eine schwedische. Während der Raubzüge Ludwigs XIV. (1672 bis 1679) erschien der französische General Turenne im Vest (zweiter Raubkrieg 1668 bis 1697). Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1714), im Polnischen Erbfolgekrieg (1733 bis 1735), im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 bis 1748) sowie im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) hatte Dorsten stets unter Einquartierungen und Lieferungen von Fourage sowie hohen Erpressungen zu leiden. Es schlossen sich die Französischen Revolutionskriege (1789 bis 1801) an, die Napoleonischen Kriege (1802 bis 1815), dann die Spartakisten-Unruhen (1919) und die Besetzung durch die Rote Ruhrarmee (1920), die in Kämpfen mit dem Freikorps wieder vertrieben wurden. Von 1923 bis 1925 besetzten Belgier die Stadt. Die Bombardierung und Besetzung am Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 durch die Engländer setzte mit der fast totalen Zerstörung der Altstadt den Schlusspunkt.
Truchsessischer Krieg (1583 bis 1589)
Der „Truchsessische Krieg“ war ein primär zwischen kurkölnischen und bayerischen Truppen ausgetragener Konflikt. Er wird auch als „Kölner Krieg“, „Kölnischer Krieg“ oder als „Truchsessische Wirren“ bezeichnet. Der Krieg vereitelte den Versuch, das Erzbistum Köln in ein erbliches, protestantisches Herzogtum zu verwandeln. Anlass des Krieges war der Glaubenswechsel des Kölner Erzbischofs und Kurfürsten Gebhard Truchseß von Waldburg-Trauchberg, der Dorstens Landesherr war. Er proklamierte die Gleichberechtigung der Konfessionen, stellte den Kölner Domherren das Bekenntnis frei und wurde daraufhin der Verletzung des Geistlichen Vorbehalts (einer Regelung des „Augsburger Religionsfriedens“) bezichtigt. Nach seiner Heirat mit der evangelischen Gräfin Agnes von Mansfeld wurde Gebhard am 2. Februar 1583 als Erzbischof abgesetzt und am 1. April 1583 von Papst Gregor XIII. exkommuniziert. 1588 schickte er Truppen nach Dorsten, um die katholisch verbliebene Stadt einzunehmen, was misslang.
Spanisch-Niederländische Krieg (1595 bis 1609)
Im März 1584, im Dezember 1585 und im März 1586 standen Truppen des zum Protestantismus übergetretenen Kölner Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg-Trauchberg vor Dorstens Toren. Im April 1587 lagerten Spanier in Dorsten und Holsterhausen. Sie verbrannten die Holsterhausener Kirche. In Februar 1595 zogen sie erneut über die Lippebrücke, die Holländer folgten zwei Monate später. Sie richteten in Dorsten ihr Hauptquartier auf und zerstörten die Brücke. Im November bezog der spanische Oberst Velasko in Dorsten Winterquartier (bis April 1599), was als „Spanischer Winter“ in die Dorstener Geschichte einging. Im Juli 1600 kamen wieder die Holländer und im August 1605 erneut die Spanier. Bis dahin beliefen sich die Kriegsschäden in der Stadt auf 60.000 Reichstaler.
Jülich-Klevischer Erbfolgestreit (1609 bis 1614)
Der „Jülich-Klevische Erbfolgestreit“ von 1609 bis 1614 brach nach dem Tod von Johann Wilhelm, dem letzten Herzog von Jülich-Kleve-Berg, zwischen den Haupterben Johann Sigismund von Brandenburg und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg aus und wurde am 12. November 1614 im Vertrag von Xanten beigelegt. Der Konflikt im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges, der beinahe einen großen europäischen Krieg ausgelöst hätte, spiegelte das durch konfessionelle und dynastische Konflikte aufgebaute Kriegspotential in Europa wider. Die Erbmasse bestand aus den Herzogtümern Jülich, Kleve, Berg und die Grafschaften Mark und Ravensberg. Aufgrund ihrer territorialen Größe, ihrer strategischen Bedeutung und der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Konfessionen forderten sie das starke Interesse der europäischen Mächte heraus. Die im Dortmunder Rezess von den Haupterben 1609 vereinbarte Gemeinschaftsregierung rief Kaiser Rudolf II. auf den Plan, der Erzherzog Leopold mit seinen Söldnern einmarschieren ließ. Johann Sigismund und Wolfgang Wilhelm fanden dagegen Unterstützung bei Frankreich, England und den Niederlanden. Der drohende europäische Krieg wurde durch die Ermordung von Heinrich IV. von Frankreich vorerst eingedämmt.
Achtzigjähriger Krieg (1568-1648) inkl. Dreißigjähriger Krieg (1618- 1648)
Im „Spanisch-Niederländischen Krieg“ (auch „Achtzigjähriger Krieg“, einschließlich „Dreißigjähriger Krieg“) erkämpfte die Republik der Sieben Vereinigten Niederlande ihre Unabhängigkeit von der spanischen Krone. Mit seinem Ende verließen sie zugleich den Verband des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Der Krieg zwischen spanischer Armee und aufständischen Niederländern entstand ursprünglich aus inneren Unruhen heraus. Im Grunde handelte es sich nicht um einen dauerhaften Krieg, er bestand vielmehr aus vielen einzelnen Aufständen und Kämpfen, die sich über diesen langen Zeitraum erstreckten. So konnten durchaus immer wieder einige Jahre ohne Kämpfe vergehen. Nachdem sich die spanischen Besatzungstruppen weitgehend durchsetzen konnten, wurde 1609 zunächst ein für zwölf Jahre festgeschriebener Waffenstillstand ausgehandelt. Durch die großen Unruhen im gesamten Mitteleuropa in Folge des 1618 ausgebrochenen Dreißigjährigen Kriegs entflammten nach Ablauf des Waffenstillstands wieder neue Kämpfe. Dieses Mal waren die Niederländer aber deutlich erfolgreicher, da sie die spanische Silberflotte erbeuteten und mit dem Geld neue Truppen finanzieren konnten. Eine Allianz mit Frankreich war weniger erfolgreich, da sie zum Verlust von einigen größeren Städten führte. 1648 beendete schließlich der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück die beiden großen Kriege mit dem Ergebnis, dass die „Republik der Vereinigten Niederlande“ (mit Ausnahme der Frankreich zugesprochenen Gebiete) die Unabhängigkeit erlangte.
Holsterhausener Kirche brannte ab
Von 1618 bis 1622 erschien der Herzog von Braunschweig (der „tolle Christian“) mit seinem protestantischen Heer in und vor der Stadt. Gleich zu Beginn wurde in Holsterhausen die Kirche abgebrannt. Die Soldaten des Braunschweigers sangen:
„Wir sind des Christians Knechte, / im röm’schen Reich die Herrn. / Uns leuchtet durch die Nächte / Braunschweigs aufgehender Stern. / Die Fakimetlein brummen, die wollen frisch angahn, / die Spielleit schlan die Trummen: Heil, toller Christian!“
1625 kamen die katholischen Kaiserlichen nach Dorsten. 1629/30 quartierte sich Oberst von Erwitte mit seinen Soldaten in Dorsten ein. Acht Jahre lang, von 1633 bis 1641 standen die Hessen im gesamten Raum Dorsten bis Borken, wobei besonders die männlichen Einwohner der Herrlichkeit zu Schanzarbeiten herangezogen wurden. Sie mussten einen Wall am Nordufer der Lippe anlegen. Im Juli 1641 belagerte der kaiserliche Feldherr Graf von Hatzfeld die Festung Dorsten, die von den protestantischen Hessen verteidigt wurde, die nach Aufgabe der Stadt im September abzogen. Daher hatte Dorsten von 1641 bis 1648 eine kaiserliche Besatzung. Danach kam noch eine schwedische Abteilung, um die bei Kriegsende in Münster ausgehandelten Kriegskontributionen zu sichern. Erst 1650, zwei Jahre nach Friedensschluss, zogen die letzten schwedischen Soldaten ab. Viele Bauernhöfe lagen verwüstet und Wälder hatten die Äcker zurückerobert. Noch lange hielt sich der Reim, den Mütter ihren Kinder vorsangen: „Bet, Kindlein, bet, morgen kommt der Schwed!“
Holländischer Krieg (1672 bis 1679)
Der „Holländische Krieg“ (auch Niederländisch-Französischer Krieg) war ein gesamteuropäischer militärischer Konflikt. Ausgelöst wurde der Krieg durch einen Angriff des französischen Königs Ludwig XIV. und dessen Verbündeten auf die Vereinigten Niederlande. Um eine Hegemonie Frankreichs auf dem europäischen Kontinent zu verhindern, verbündeten sich Spanien und das Heilige Römische Reich mit den Niederlanden. Einige Teilkonflikte dieses Krieges gingen als eigenständige Konflikte in die Geschichte ein, wie der Dritte Englisch-Niederländische Seekrieg (1672 bis 1674) und der Schwedisch-Brandenburgische Krieg (1674 bis 1679). Die für den französischen König günstigen Friedensschlüsse von Nimwegen (1678) und Saint-Germain (1679) beendeten diesen europäischen Krieg. Der „Holländische Krieg“ gilt als ein expansiver Eroberungskrieg und wurde deshalb in der älteren deutschen Literatur auch oft als (zweiter) Raubkrieg Ludwigs XIV. bezeichnet. Im Vorfeld hatten der Kölner Kurfürst Maximilian Heinrich und der Münstersche Fürstbischof Bernhard von Galen (erster Rheinbund) die Festung Dorsten den Franzosen als Stützpunkt überlassen. 1673/74 wurde die französische Besatzung durch weitere französische Truppen verstärkt. 1690 nahmen brandenburgische, im Winter 1734/35 preußische Truppen in Dorsten Quartier. Im September 1742 zogen über die Lippebrücke hessische, im Januar und November 1745 holländische und im November 1748 hannoversche Truppen.
Teil II folgt in Kürze