Von Helmut Frenzel
23. Mai 2014. – In der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 7. Mai überraschte die Verwaltung die Ratsmitglieder mit der Nachricht, dass durch Mehraufwendungen bei der Beamtenversorgung für das Haushaltsjahr 2013 Mehraufwendungen in Höhe von 3,2 Millionen Euro entstehen. Die Ausschussmitglieder waren not amused, denn die neuen Rahmenbedingungen für die Bemessung der Rückstellungen drohen mittelfristig die Sanierung des Haushalts zu gefährden. Im Beschlussprotokoll wird der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion mit folgender Stellungsnahme zitiert: „Herr Schwane hielt es … für eine absurde Situation, dass trotz Personaleinsparungen zusätzliche Rückstellungen gebildet werden müssten, die den Haushalt belasten, jedoch keine liquiden Mittel beträfen.“ Da hat der CDU-Mann etwas gründlich missverstanden. Erstens besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen aktuellen Personaleinsparungen und den Rückstellungen für Versorgungsleistungen der Beamten. Zweitens betreffen Rückstellungen selbstverständlich die liquiden Mittel der Stadt – nur nicht jetzt, sondern in Zukunft. Deswegen sind die Rückstellungen alles andere, nur nicht absurd. Für die Stadt Dorsten gilt lediglich das, was für alle Unternehmen gilt, die ihren Mitarbeitern Rentenzusagen gemacht haben.
Seit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF) 2009 sind die Kommunen verpflichtet, nach Ablauf eines jeden Haushaltsjahres eine Bilanz aufzustellen, die ein zutreffendes Bild der Vermögenslage der Gemeinde zeichnet. Das bedeutet, dass alle finanziellen Verpflichtungen aufzunehmen sind, und dazu gehören insbesondere auch Versorgungslasten, die erst in der Zukunft zahlungswirksam werden und deren genaue Höhe noch nicht bekannt ist. Solche Verbindlichkeiten werden in der Bilanz als Rückstellungen erfasst. In der Eröffnungsbilanz der Stadt Dorsten zum 1. Januar 2009 sind Rückstellungen von insgesamt 88,1 Millionen Euro ausgewiesen, davon entfallen 79,5 Millionen Euro oder 90 Prozent auf die Rückstellungen für Pensionen und Beihilfen für die Gesundheitsversorgung der Beamten. In einer aktuellen Aufstellung gibt die Verwaltung die Rückstellungen zum 1. Januar 2014 gemäß der bisherigen Planung mit 71,2 Millionen Euro an. Aber diese gilt nicht mehr.
Haushaltsausgleich nach 2017 ist womöglich nicht mehr sichergestellt
Warum die Pensionsrückstellungen in den zurückliegenden fünf Jahren gesunken sind, lässt sich nicht nachvollziehen, da die Stadt es versäumt hat, die Jahresabschlüsse zeitgerecht aufzustellen. Nach der neuesten Planung steigen die Pensionsrückstellungen künftig und erreichen 2021 den Rekordwert von 98,6 Millionen Euro. Für 2013 entsteht ein Mehraufwand von 3,2 Millionen, in den Folgejahren ein jährlicher Mehraufwand gegenüber der bisherigen Planung zwischen 1,3 und 1,9 Millionen Euro jährlich. Über den gesamten Zeitraum von 2013 bis 2021 beträgt der ungeplante Mehraufwand für die Erhöhung der Rückstellungen 16,5 Millionen Euro. Dabei unterstellt die Verwaltung, dass die Besoldung der Beamten jährlich um 2 Prozent steigt. Der Mehraufwand bewirkt, dass nach dem heutigen Stand der Haushaltssanierung der Haushaltsausgleich nach 2017 nicht mehr sichergestellt ist.
2021 werden die Rückstellungen auf fast 100 Millionen Euro gestiegen sein
Welchen Stellenwert die Aufwendungen für die Beamtenversorgung haben, zeigt ein Blick in den Haushalt 2014. Dort werden die Beamtenbezüge mit 9,1 Millionen und die Beihilfen zur Gesundheitsversorgung mit 0,6 Millionen Euro ausgewiesen; hinzu kommt die Aufstockung der Pensionsrückstellungen mit 2,5 Millionen und der Rückstellungen für die Beihilfe mit 0,8 Millionen Euro. Das sind Werte jeweils für ein Haushaltsjahr. In den Beamtenbezügen sind die Versorgungsleistungen für die Pensionäre oder deren Ehegatten nicht enthalten. Diese Aufwendungen werden durch Auflösung von Pensionsrückstellungen in gleicher Höhe kompensiert. Aber das Verhältnis der jährlichen Beamtenbezüge von 9 Millionen Euro zu den Rückstellungen von zuletzt über 70 Millionen Euro und 2021 von fast 100 Millionen Euro, gibt einen Eindruck davon, welche Zahllast sich für die Stadt hier aufbaut.
Besoldung und Dienstjahre treiben die Versorgungslasten in die Höhe
Warum die Rückstellungen ein Vielfaches der aktuellen Beamtenbezüge und Versorgungsleistungen betragen, ist schnell erklärt. Für jeden einzelnen Beamten werden zum Bilanzstichtag seine zu diesem Zeitpunkt erworbenen Versorgungsansprüche ermittelt und die zu leistenden Zahlungen ab dem erwarteten Eintritt in den Ruhestand bis zum Lebensende bei Zugrundelegung einer durchschnittlichen Lebenserwartung mit einem Kapitalzins abgezinst. So gelangt man zu einem Barwert, der in der Regel und abhängig von der Höhe des Versorgungsanspruchs bei mehreren hunderttausend Euro für jeden einzelnen Beamten liegt. Diese Kapitalbeträge müssen für jedes Jahr neu berechnet werden. Sie werden in der Bilanz zurückgestellt. Mit jedem weiteren Dienstjahr steigt der Versorgungsanspruch der Beamten, außerdem steigt der Versorgungsanspruch entsprechend der Anhebung der Besoldung. Die Anhebung kommt auch den Versorgungsempfängern zugute. Zum Zeitpunkt des Übergangs in den Ruhestand ist regelmäßig der Höchststand der Rückstellung für den einzelnen erreicht. Dann kehrt sich die Entwicklung um, weil mit jedem Jahr die Lebenserwartung abnimmt. Diese Mechanik führt per Saldo zu einer beträchtlichen Dynamik der Rückstellungen für Pensionen – sie steigen ständig. In ihrer mittelfristigen Vorausberechnung geht die Verwaltung von Versorgungsleistungen 2014 von 3,3 Millionen Euro, 2021 von 3,8 Millionen aus. Lässt man die Jahre 2013 und 2014 außer Betracht, in denen offenbar versäumte frühere Anpassungen nachgeholt werden, so steigen darüber hinaus die Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen von 1,3 Millionen Euro 2014 auf 1,9 Millionen Euro 2021.
Bilanzielle Rückstellungen werden nicht ausreichen
Damit sind die Risiken für die Stadt aber noch nicht vollständig beschrieben. Der Barwert des Versorgungsanspruchs variiert mit dem zur Kapitalisierung herangezogenen Zinsfuß. Dieser beträgt zurzeit 5 Prozent. Die Idee dahinter: man legt Kapital in Höhe des Barwerts sowie die zuwachsenden Zinserträge mit einer jährlichen Verzinsung von 5 Prozent an. Mit Beginn der Versorgungszahlungen werden dann die Zinserträge bei gleichzeitiger Aufzehrung des angelegten Kapitals ausreichen, den Versorgungsanspruch ohne weitere Belastung der Stadt zu bedienen. Aber diese Rechnung geht nicht auf. Zum einen sind 5 Prozent Zinsen am Kapitalmarkt seit längerem und wohl auch auf absehbare Zeit nicht zu erzielen. Zum anderen verfügt die Stadt nicht über die liquiden Mittel, um die zurückgestellten Beträge Zinsen bringend anzulegen. Wie beim Eigenkapital ist der Gegenwert der Rückstellungen im Anlage- und Umlaufvermögen der Stadt gebunden. Im Klartext heißt das: die Rückstellungen werden nicht ausreichen, die Versorgungsleistungenfür die Beamten im Ruhestand zu decken, zu denen die Stadt verpflichtet ist. Sie sind trotz der jetzt anstehenden Aufstockung noch immer zu niedrig. Es werden in Zukunft regelmäßig weitere Belastungen auf die Stadt zukommen. Der aktuelle Kapitalisierungszins von 5 Prozent hilft den Gemeinden dabei, ihren Hauhalt rechnerisch auszugleichen. Wäre die Stadt gezwungen, einen Kapitalisierungszins von 2 oder 3 Prozent anzuwenden, würden die Barwerte und damit die Pensionsrückstellungen stark ansteigen und den Haushaltssanierungsplan zunichte machen.
Hat die Verwaltung die Risiken unterschätzt?
Die Verwaltung sieht diese Risiken. Bisher hat sie sie möglicherweise unterschätzt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Verschleppung der Fertigstellung der Jahresabschlüsse nicht wenig dazu beigetragen hat, die Wahrheit erst so spät ans Tageslicht zu bringen. Jetzt hat der Bürgermeister unter Bezugnahme auf die Informationspflicht der Gemeindeverwaltung die Risiken öffentlich gemacht. Die Pensionslasten sind eine Zeitbombe. Am Beispiel Dorsten wird das Ausmaß der Lasten deutlich, die in ganz anderen Dimensionen auch den Bund und die Länder treffen werden.
Die Dorstener Verwaltung beschränkt sich bisher darauf, die Auswirkungen der steigenden Pensionslasten auf den Verlauf der Haushaltssanierung darzustellen. Aber das reicht nicht. Die Personalaufwendungen nicht nur für die Beamten, sondern auch für die angestellten Mitarbeiter steigen nach den vorliegenden Planungen in den kommenden Jahren deutlich. Ihr Anteil am Haushalt wächst. Wie soll das funktionieren, wenn sich die Bevölkerungsvorausberechnungen bewahrheiten und nicht nur die Einwohnerzahl schrumpft, sondern die Zahl der Erwerbstätigen nach 2020 drastisch zurückgeht? Wenn nichts geschieht, wird eine immer kleiner werdende Zahl von Bürgern für eine immer teurer werdende Verwaltung zahlen müssen. Die Frage, ob die Verwaltung in der jetzigen personellen Stärke aufrechterhalten werden kann, lässt sich auf Dauer nicht ausblenden.
Fragemann: „Personaleinsparungen müssen kritisch gesehen werden!“
An diese Frage will aber niemand heran. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Ratsfraktion gab in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses diesbezüglich eine kaum misszuverstehende Stellungnahme ab. Im Protokoll der Sitzung heißt es: „Herr Fragemann hielt die Versorgungslasten der öffentlichen Hand für ein erhebliches Konfliktpotential. Weitergehende Personalkosteneinsparungen müssten äußerst kritisch gesehen werden.“ Im Klartext: Die steigenden Personalaufwendungen sind ein Problem, aber eine Verringerung des Personalbestandes darf es nicht geben? Einer weiteren Erhöhung der kommunalen Steuern wollen die Ratsparteien, so jedenfalls die Beteuerungen vor der Kommunalwahl, auch nicht zustimmen. Wo liegt aber dann die Lösung? Um gegenzusteuern muss man jetzt handeln, denn eine bremsende Wirkung von Maßnahmen, die auf die Verringerung der Pensionslasten zielen, tritt erst mit großer Zeitverzögerung ein. Will man wieder warten, bis das Land die Zügel in die Hand nimmt und den örtlichen Politikern die Verantwortung für unbequeme, aber notwendige Entscheidungen abnimmt? Am Ende wird wieder der Bürger die Zeche zahlen.
Was man hier zu lesen bekommt, allerhand. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und ängstlich Richtung Bürgermeisterbüro zu blicken, werden die Karten auf den Tisch gelegt. So etwas ist der Dorstener Zeitungsleser gar nicht gewohnt. Wie (meinungs)arm wäre Dorsten ohne diese Seite. Herzlichen Dank, Sie machen sehr gute Arbeit, Herr Dr. Frenzel und Herr Stegemann.