Text von Wolf Stegemann / Fotos von Helmut Frenzel
Wer in diesen Tagen durch die Stadt fährt, wird an manchen Stellen, die werbewirksam sind, zum Beispiel an Straßenkreuzungen von großen und kleinen Plakaten angelächelt – oft genug geht das Lächeln der Bürgermeisterkandidaten im direkten Sinn – oder im übertragenen – ins Leere. Plakate sind obligatorischer Bestandteil von Wahlen, wobei das Plakat, sei es ein Groß- oder ein Kleinflächenplakat, als Wahlhelfer nicht zu unterschätzen ist. Großflächenplakate werden meist von der Bundespartei aufgestellt, sind auch recht kostenintensiv, das Aufhängen der kleineren wird meist von Kreis- und Ortsverbänden besorgt und das ist meist arbeitsintensiv. Auch das Abhängen. Daher wird man nach der Wahl noch wochenlang so manche Plakate hängen sehen, dessen abgebildeter Kandidat entweder schon auf dem Bürgermeisterstuhl sitzt oder bereits der Vergessenheit anheim gefallen ist. Lächelnd grüßt er dann noch die Vorbeifahrenden, die überlegen: „Wer war das eigentlich?“ Der Blick aufs Plakat ist für den Kandidaten wichtig, zwingt er doch den künftigen Wähler, ihn sich suggestiv einzuprägen, ob er will oder nicht, positiv oder negativ, das sei dahingestellt. Die Werbestrategen wissen das.
Geheime Zusage bevor das Haldenprojekt öffentlich wurde
So war es auch vor 30 Jahren, als im Herbst 1984 in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen stattfanden, die in Dorsten eine politische Wende brachten. Eine hochgespielte Affäre um ein Wahlplakat löste einen Eklat aus. Denn Bürgermeister Hans Lampen und mit ihm erstmals die CDU, die bis dahin die Bürgermeister stellte, wurden von der SPD abgelöst. Heinz Ritter saß von da an am schwarzen Bürgermeisterschreibtisch. Die Schuld daran gaben die Wahlverlierer, also Hans Lampen und die CDU, einem Journalisten und einem von ihm angeblich manipulierten Foto eines Wahlplakats. Hier die Geschichte im groben Umriss:
Die Christlichen Demokraten rechneten nicht damit, in dieser bis dahin traditionell konservativen Stadt abgelöst zu werden, und schon gar nicht der populäre Hans Lampen, der nach Paul Schürholz 20 Jahre lang das Amt des Bürgermeisters versah. Die CDU, die zur Bürgermeisterwahl die FDP brauchte, konnte die Stimmen dazu aber nicht mehr aufbringen, denn ein Projekt, das Hans Lampen gegen den Willen der Altendorfer Bürger politisch dort durchziehen wollte, war der Bau der Hürfeldhalde. In einem „geheimen“ Telefongespräch sagten Bürgermeister Hans Lampen und Stadtdirektor Dr. Zahn (auch CDU) dem Bergbau zu, in Altendorf eine Kohlenhalde aufschütten zu dürfen, sie würden dies städtischerseits unterstützen. Das Gespräch war insofern geheim, weil Rat und Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt von dem Projekt noch nichts wussten, das das gesamte Hürfeld zwischen Altendorf, dem Stadtsbusch und der B 225 (bis zum heutigen poco) in Anspruch nehmen sollte. Irgendwie kam diese politisch blamable und von Gegnern als abgekartet angesehene Zusage ans Licht der Öffentlichkeit. Die Bevölkerung von Altendorf-Ulfkotte ging fast geschlossen gegen die CDU und den Rat und seinem Bürgermeister auf die Barrikaden. Die meisten der damaligen Mitglieder der SPD-Fraktion (so gen. Kohlefraktion) waren mit ihrem BM-Kandidaten Heinz Ritter im Bergbau beschäftigt, wie viele Mitglieder der CDU-Fraktion und Hans Lampen auch.
Altendorfer gingen auf die Barrikaden
Einwohner von Altendorf-Ulfkotte gründeten eine Bürgerinitiative gegen den Bau der Hürfeldhalde, der sich fast alle Einwohner anschlossen, darunter auch führende CDU-Mitglieder. Den Vorsitz übernahm Rechtsanwalt Willi Ax, ebenfalls CDU. Doch gegen den Machtblock des Bergbaus, die mächtigen Kohle-Fraktionen im Stadtrat und gegen die damalige Heiligsprechung von allem, was Bergbau ist, konnten sich die Bürger letztendlich nicht durchsetzen. Und mitten in diesem Polit-Spektakel um die umstrittene Planung sagte der damalige Redaktionsleiter (welche Redaktion?) Rudolf Plümpe zu dem Verfasser dieses Artikels sechs Wochen vor der oben erwähnten Kommunalwahl, er möge doch einen Artikel über die Probleme in Altendorf-Ulkotte schreiben, schließlich wohne er in Altendorf und kenne sich dort bestens aus. Gesagt getan. Einige Tage später erschien eine Seite in den Ruhr-Nachrichten mit kritischen Anmerkungen, wie die Stadt Dorsten ihren ländlichen Ortsteil wie ein „Stiefkind“ behandelte und wie sich die Parteien dort während des Wahlkampfes gebärdeten. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Geschichte waren zwei Foto von Wahlplakaten der CDU und SPD. Der RN-Fotograf lichtete die Plakate ab und der Verfasser malte quer über die beiden Fotos dick mit Filzstift das Wort „Halde“ mit dem Bildtext, dass die Altendorfer, sehen die dieses Plakat, das Wort „Halde“ vor sich hätten. Das war natürlich fiktiv gemeint. So gingen Text und Fotos ins Druckhaus nach Dortmund.
Wahl und Bürgermeisteramt verloren
Anderntags für der CDU-Ortsvorsteher von Altendorf-Ulfkotte schon um sechs Uhr morgens mit dem Rad in seinem Ortsteil herum, um das Plakat mit dem Wort „Halde“ zu finden, das er natürlich nicht fand, denn es war ja eine fiktive Botschaft. Dessen ungeachtet beschwerte sich die gesamte Dorstener CDU-Parteiriege, angefangen vom Fraktionsvorsitzenden über den Stadtverbandsvorsitzenden bis hin zum Bürgermeister beim Verleger in Dortmund über die Fotofälschung und verlangte eine Wiedergutmachung in Form einer öffentlichen Entschuldigung und eines halbseitigen und von der CDU vorgegebenen Textes auf der ersten Lokalseite, wie gute die Partei doch sei, was Ihnen der Redaktionsleiter um „des lieben Friedens Willen“ auch gewährte.
In der darauffolgenden Kommunalwahl verlor die CDU Stimmen. In Altendorf-Ulfkotte, eigentlich eine „Insel der CDU-Seligen“, verloren die Christdemokraten heftig. Und die Grünen, die sich in dieser Sache gar nicht zur Wort gemeldet hatten, bekamen aus dem Stand heraus rund 10 Prozent. Diese Stimmen fehlten dem Bürgermeister Hans Lampen, der bis zuletzt dem Verfasser Schuld gegeben hatte, dass er von Heinz Ritter abgelöst wurde. Auf die Entgegnung, dass es doch das Kohlehalde-Projekt letztlich war und auch der Druck, der auf Redaktion und Journalist öffentlich ausgeübt wurde, reagierte Hans Lampen in Gesprächen mit dem Verfasser nur mit ablehnendem Kopfschütteln. Er blieb bei seiner Deutung der Geschichte. So hatte das eigentlich nichtssagende Wahlplakat, darüber gemalt ein Wort, große Wirkung.
Und heute: Auch heute gibt es sicherlich etliche Bürger und Bürgerinnen, die gerne über die stets lächelnden Bürgermeister-Konterfeien Worte ihres Unmut schreiben würden, was hier, das sei deutlich gesagt, kein Aufruf sein soll, so etwas zu tun. Denn das wäre strafbar!
Bis jetzt eine zurückhaltende Wahlplakat-Werbung
Wer an manchen belebten Straßen mit dem Auto langsam heranfährt, um auf die Ampelschaltung zu achten, der sieht dann am Rand oder auf dem Mittelstreifen die Köpfe der Kandidaten, die ihn nichtssagend anlächeln. Immer das gleiche „zahnweiß“-geschönte Lächeln, als ob dies eine Einladung zu einer Jux-Party wäre und alles Politische, dafür stehen ja die Plakate, ein Spaß sei. Warum sieht man nicht einmal einen der Kandidaten ernst? Denn ernst ist die Situation in Dorsten. Aber vielleicht haben sie dazu nicht die Gesichter. Die Ära von Bürgermeister Lambert Lütkenhorst, der sich darin gefiel, auf den Ernst der Lage mit den Worten hinzuweisen „Jetzt ist Schluss mit lustig!“, scheint bei den Kandidaten 2014 ins Leere gegangen zu sein. Denn sie schauen immer noch lustig, zumindest Stockhoff (CDU) und Baune (SPD).
Wer vor den großen Plakaten mit Tobias Stockhoff steht, den mag etwas auf dem Plakat irritieren, doch er weiß anfangs der Betrachtung nicht so recht, was das ist. Nicht etwa das leicht wirkende jüngelhafte Aussehen des Kandidaten, auf den Schwerwiegendes zukommt, sollte er die Wahl gewinnen, und dass man unwillkürlich daran denkt, wieso er sich ein solches Amt zutraut. Nein, das ist es nicht. Es ist sein zelebriertes Lächeln, das eigentlich, so wird der Betrachter dem folgen können, kein Lächeln ist, sondern eine Erstarrung. Die Augen lachen nicht mit. Meist wird er von vorne gezeigt, die Hände mit angezogenen Armen vor sich haltend, als befände er sich in der Andachtspose einer muslimischen Religion. Die angeschnittenen Menschen links und rechts am Bildrand, die ihm halb zugewandt in der Bildmitte eine Öffnung für den Blick der Kamera und des Betrachters offen lassen, sieht er meist nicht an. Nicht einmal den Betrachter. Sein Blick geht mit einem Lächeln ins Leere, könnte der Dichter sagen. Auf einem Plakat schauen die drei Abgebildeten, die im Gespräch miteinander vertieft sein sollen oder sich nur anlächeln, aneinander vorbei.
Und dann der Michael Baune. Von welcher und für welche Partei? Ach ja, SPD! Auf vielen kleinen hintereinander hängenden bunten Schildern, auf denen er den Vorbeifahrern schöne Osterferien wünscht, sieht man ihn, grünes Gras, bunte Eier und bunte Blumen vor blauem Hintergrund, ach wie schön! Auch er lacht, zugegeben hier passend, doch für welche Partei? Im Vorbeifahren kann man das kaum lesen.
Der Hahn kräht: „Artgerecht statt ungerecht!“
Es gibt Grünflächen in Dorsten, da knubbeln sich die Kandidaten: Beispielsweise am Willy-Brand-Ring, in der Dorfeinfahrt Lembeck oder auf der Halterner Straße stadtauswärts, um einige zu nennen. Da sind dann alle versammelt, die Bürgermeister werden wollen. Der bunte Hahn der Grünen („artgerecht statt ungerecht“), das Blaugefärbte der UBP, Gesichter unbekannt, der in Dorsten seit langem politisch tätige Thomas Boos (leider FDP) blickt spitzbübisch drein, die Linken mit ihren Sozialparolen, Gesichter ebenfalls nicht so bekannt, dann wieder der Stockhoff, in allen Stadtteilen vertreten, denn dort will er ja Bürgermeister werden, elf mal. Auch in Rhade. Aber wie macht er das, wo sich die Alteingesessenen beider Ortsteile überhaupt nicht gut vertragen? Oder war das einmal?
Frische Kartoffeln und Eier!
In Holsterhausen werben die Grünen für ein besseres Klima, Stockhoff für seinen Holsterhausener Bürgermeistertitel, Baune wieder für schöne Osterferien und woanders ist er mit roter Krawatte so richtig seriös neben dem ebenfalls mit rotem Halsschmuck versehenen Landrat Süberkrüb zu sehen, der sein Amt behalten will. Und weiter dem Dorf zu wird mit einem großen Schild für „Frische Kartoffeln und Eier“ geworben. Bauernpartei? Nein, Bauernhof.
Auf dem Parkplatz hinterm Netto-Markt macht sich ein Energiekonzern als Trittbrettfahrer die Wahl zunutze, man solle doch RWE wählen. Und gleich daneben hat sich ein Biertrinker bereits entschieden: Er wählt Würstchen! Am Gemeindedreieck wirbt Sarah Wagenknecht (Die Linke) und richtungsweisend überwiegen die Plakate ihrer Partei in Hervest-Dorsten: „Mehr Geld für die Stadt”.
Und die blau gefärbten Plakate der UBP – was wollen die eigentlich? Ach ja, mehr Polizei! Die Linken sagen in Hervest-Dorsten noch: „Teilen macht Spaß!“. Doch wo bleibt hier die CDU? Auf verlorenem Posten? Doch dann drängeln sich alle auf einem kleinen grünen Flecken gegenüber am Ortsausgang von Hervest-Dorsten gleich neben einem kleinen Schild, dass Hunde hier keinen Haufen machen dürfen: Ein durchgekreuzter Hundehaufen! Das Schild sieht zwar nicht aus wie ein Wahlzettel, der fällt einem aber ein, wenn man das Schild sieht! In Wulfen machen sich die Plakate wieder etwas rar. Von Wulfen Richtung Deuten sind gar keine zu sehen. Wohltuend ist es, dass es in der Stadt, zwischen den Stadtteilen weite Strecken, ja ganze Gebiete gibt, in denen keine Wahlplakate zu sehen sind, keiner von ihnen herunterlacht. Auch den politisch Interessierten mag das nicht stören, denn wichtige Aussagen werden außer Parolen auf den meisten Plakaten nicht gemacht!
War da nicht noch was anderes?
Da war doch noch was? Was war denn das? Ach, ja, die Europawahl. Mein Gott, sind diese Plakate seriös und langweilig. Kinder sind da darauf, wo doch die Regierungsfraktion die Erhöhung des Kindergeldes abgelehnt hatte dafür die Mütterrente einführte. Ach ja, das sind sie ja, die Rentner auf den Plakaten, jene derzeit wohlhabende Kaste. Sie haben zu lachen, die Frauen davon kriegen jetzt noch ein paar Euro drauf. Warum die Kinder lachen, auf den SPD-Europa-Plakaten, entzieht sich jeder Kenntnis. Sie werden es sicher nicht einfach haben, auf dem Weg zum Erwachsensein und dann noch weiter. Mit dem schlechten Bildungssystem, mit den überkommenen Systemen der Renten- und Gesundheitskassen, mit den Mieten und explodierenden Energiekosten. Aber lasst die Kinder lachen, solange sie Kinder sind! Später werden sie nichts mehr viel zu lachen haben. Dann lachen weiterhin Politiker von ihren Wahlplakaten und versprechen so vieles. Und so mancher, der dann davor stehen wird, wird überlegen müssen, warum der lacht!
Immer wieder bin ich gerührt über die freundliche aufmerksame Ansprache, mit der die Wahlkämpfer mit freundlichem Lächeln oder besorgtem Blick ihre potentiellen Wähler dazu auffordern, sie doch bittebitte zu wählen. Erstaunlich, denn drei Jahre und elf Monate nach der Wahl fühle ich mich wieder von keinem der Politiker auch nur wahrgenommen mit meinen Wünschen und Bedürfnissen, meiner Besorgnis, meinen Fragen.