Einkaufszentren dominieren das Stadtbild – und zerstören es. Eine kommentierende Betrachtung (Teil 2)

Die Leerstände, die es jetzt schon in Dorsten gibt (Foto), werden sich nach Eröffnung von “Mercaden” vermehren

Von Wolf Stegemann

„Immer gleich anmutende Einkaufszentren dominieren das Stadtbild und zerstören genau das, was doch erhalten werden soll: die lebendige Stadt.“ Zu dieser Ansicht gelangte Gert Kähler in der „Süddeutschen Zeitung“. In seinem Artikel setzt er sich mit der „Diktatur der Shopping-Malls“ in deutschen Innenstädten auseinander. Doch nicht nur Kähler in der „Süddeutschen“ oder Dankward Duratzsch in „Die Welt“ (unser Artikel von letzter Woche: „Tyrannei der Einkaufstempel – Jetzt sind die kleineren Städte das Hauptobjekt der Begierde“) befassen sich mit dem Thema, über das auch in „Die Zeit“, in den „Stuttgarter Nachrichten“, im „Der Spiegel“ und anderen Veröffentlichungen geschrieben wurde. Auch das NRW-Wirtschaftsministerium hatte eine Arbeitshilfe für Städte mit dem Titel „Zum Umgang mit großen innerstädtischen Einkaufszentren“ herausgegeben, in der Bürgermeister und Räte vor gigantischen Bauvorhaben gewarnt werden (wir berichteten).

Titelseite “Angriff auf die City”, 2006 erschienen

Sargnagel oder Bereicherung der Innenstadt?

2006 erschien im Verlag Droste in Düsseldorf eine sehr respektable Darstellung über Einkaufszentren. Das Buch mit dem Titel „Angriff auf die City“ wurde von Walter Brune, Rolf Junker und Holger Pump-Uhlmann herausgegeben. Es enthält „kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centern in zentralen Lagen“. In 21 von Experten geschriebenen Artikeln wird untersucht, ob innerstädtische großflächige Einkaufszentren „Sargnägel“ oder eine Bereicherung für gewachsene Innenstädte sind. Wohl ersteres, denn „Die City braucht kein Center“ (Dirk Lührmann). Das Buch befasst sich intensiv auch mit der Rolle, die dabei Stadtplaner, Stadtverwaltungen und Bürgermeister spielen, die oft den Versprechungen und Nötigungen der professionellen Projekt-Entwickler nicht gewachsen sind und mit ihnen aus übersteigerter und gut gemeinter Fortschrittsgläubigkeit gemeinsame Sache machen, wobei Bedenken, die bei den verantwortlichen Stadtverwaltungen und Räten durchaus vorhanden sind, unterm Teppich des Wohlgefallens bleiben.

Gutachten dürfen nicht instrumentalisiert werden

Für die Planung von Einkaufszentren positive Gutachten, die von Projekt-Entwicklern vorgelegt und bezahlt werden – zumindest Teile davon –, werden von willigen Stadtverwaltungen als eigenes „unabhängiges“ Gutachten übernommen und als solches den Räten und den Bürgern vorgestellt. „DORSTEN-transparent“ recherchiert, ob dies auch in Dorsten der Fall ist (Instrumentalisierung von Gutachten). Es gibt dafür Anhaltspunkte. Gutachten, so Arnd Jenne („Centerentwicklung und die Rolle der Gutachter“) müssen transparent und offen sein, klar, verständlich und ehrlich. „Politische Entscheidungsträger [versuchen sich] mit Hilfe von Gutachten ebenso abzusichern, wie es Investoren aus betriebswirtschaftlicher Sicht tun.“

„Schweigen der Lämmer“

Die überregionale Kritik an gigantischen Einkaufszentren sowohl in Groß- als auch in Mittel- und Kleinstädten wächst mit der schlechten Erfahrung, die die Städte, ihre Ladeninhaber und Bürger machen. Vielen verantwortlichen Stadtverwaltungen und Kommunalpolitikern wird plötzlich klar, wie sehr sie mit ihren oft unverantwortlichen Zustimmungen gegen das Wohl der Stadt und Bürger gehandelt haben. Beispiele gibt es genug. Passau, Oldenburg, Duisburg, Rees, Bayreuth, Heilbronn, Hameln und andere Städte. In Braunschweig fanden viele Bürger ein Schloss als Einkaufszentrum absurd, in Saarbrücken ein denkmalgeschützten Objekt. Unumstritten waren die Zentren in den meisten Städten nicht. In den Kommunalwahlen in Niedersachsen haben einige Stadtväter sogar die Quittung für ihr Wohlverhalten gegenüber den Entwicklungsplanern bekommen. Wie verhalten sich die Kaufmannschaft und die Parteien in Dorsten? „Schweigen der Lämmer!“

Untersuchung des Einzelhandels in Mittelzentren mit einer erstaunlichen Lebendigkeit der Dorstener Lippestraße, wie auf dem Titelseiten-Bild zu sehen ist

Grundstückspreise und Mieten verfallen in der Innenstadt

Europas größter Bauherr und Betreiber der sich in den Innenstädten vermehrenden Einkaufsmeilen ist die ECE Projektmanagement GmbH & Co KG. ECE steht für „Einkaufs-Center-Entwicklungsgesellschaft“. Die Argumente, mit denen Protest aus den Verwaltungen und Bürgerschaften der Städte kommt, wird mit dem einfachen Argument mundtot gemacht: Mehr Arbeitsplätze, mehr Umsatz, mehr Steuern für den Stadtsäckel. Zudem wird behauptet, dass Einkaufscenter in Innenstädten den Umsatz in den Stadtzentren erhöhe und sie belebe. Allzu leichtfertig werden solche Argumente von Bürgermeistern, Bauverwaltungen, Gemeinderäten aufgenommen. Manchmal auch von den Ladeninhabern in den Innenstädten, die ihre Bedenken lieber zurückhalten und unterm Teppich lassen – zumal viele von ihnen oft mit der Mehrheitspartei in den Rathäusern politisch, manchmal auch privat verbunden sind. Die „Süddeutschen Zeitung“:

„Eine typische Mittelstadt  hat eine Einkaufsstraße mit Querstraßen links und rechts, dazu in der Regel ein mittelgroßes Kaufhaus. Die Nahversorgung wird durch Discounter abgedeckt. Ein neues Einkaufszentrum vergrößert die Verkaufsflächen der Innenstadt oft um ein Drittel – Grundstücke finden sich meist am unmittelbaren Rand der Zentren. Nur erhöht eine Zunahme der Verkaufsfläche noch nicht die Geldmenge, über die Kunden verfügen. Gehen sie jetzt in die leicht angegraute Innenstadt, wo man mit den Unbilden der Witterung und einem nicht immer angenehmen Publikum konfrontiert wird? Oder in dieses neue Gebäude, in dem es immer gut geheizt ist und Frauenparkplätze ein Gefühl der Sicherheit verbreiten?“ Und weiter heißt es: „Was aber geschieht dann mit dem alten Stadtzentrum? Wenn die Kaufkraft zu dessen Lasten umverteilt wird, führt das viele Ladenbesitzer in den Ruin. Die Grundstückspreise verfallen dann genauso schnell wie die Innenstädte. Dennoch wächst die Lust der Bürger an neuen Einkaufszentren.“

Teilzeitjobs und kaum Ausbildungsplätze

Verwaltungen der Städte, in denen es bereits Einkaufzentren in den Innenstädten gibt – mehrere hundert – wissen, dass die versprochenen Arbeitsplätze, meist sind es nur 400-Euro-Jobs, nicht das halten, was versprochen wurde. Denn sie müssen gegen die in der alten Innenstadt verloren gegangenen Arbeitsplätze aufgerechnet werden. Neue Ausbildungsplätze gibt es in Shopping-Malls kaum, denn die Geschäfte in den neuen Zentren bilden im Vergleich zum traditionellen Einzelhandel im Verhältnis eins zu acht aus.

Der Umgang der Stadtverwaltungen und Räte mit dem Ansinnen von Projekt-Entwicklern, in ihren Städten ein gigantomanisches Einkaufscenter zu planen und zu bauen  ist oft eine Melange aus wirtschaftlicher Macht und Nötigung auf der einen Seite und politischer Ohnmacht auf der anderen. Es ist das, was sich an der Oberfläche zeigt: Was darunter geschieht, ist Spekulation, denn vieles, was zwischen Bürgermeistern und Projekt-Entwicklern verhandelt und ausgemacht wurde und wird, bleibt den Räten und der Bevölkerung oft verborgen. Bürgermeister machen von ihrem Recht Gebrauch, dies bei bestimmten Voraussetzungen so zu machen und die Öffentlichkeit bei wichtigen Verhandlungsergebnissen auszuschließen. Ob das auch in Dorsten der Fall ist, ist noch Spekulation. Anzeichen dafür gibt es.

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Quellen: Gert Kähler in „Süddeutsche Zeitung“ vom 21. Mai 2010. – Brune/Junker/Pump-Uhlmann (Hg.) „Angriff auf die City“, Droste Sachbuch  2006. – Heinz Heineberg / Arnd Jenne (Hg.) „Angebots- und Akzeptanzanalysen des Einzelhandels in Grund- und Mittelzentren. Fallstudie Attendorn, Dorsten, Hilden, Hörstel und Nordhorn“, Westfälische  Geographische Studien, Aschedorff Münster 2006.

 

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Ein Kommentar zu Einkaufszentren dominieren das Stadtbild – und zerstören es. Eine kommentierende Betrachtung (Teil 2)

  1. WvS sagt:

    Ja, merkt es denn keiner: Dorsten nimmt den Menschen die Heimat. Heimat, das bedeutet: Vertrautheit, Geborgenheit, Sicherheit. All das wird weggebaggert – ohne Skrupel.