10. Januar 2020 – Ende November des vergangenen Jahres erschien auf dieser Seite ein Bericht über die Millionenüberschüsse, die die Stadt 2016, 2017 und 2018 erzielte. Sie entlarvten die Ergebnisplanungen des Kämmerers als bewusste Täuschung von Rat und Bürgerschaft. Die extrem positive Haushaltsentwicklung war ein gut gehütetes Geheimnis. Die Bürger bekamen von den Millionen nichts mit – im doppelten Wortsinne. Bürgermeister und Kämmerer reagierten auf die Veröffentlichung nicht und auch die Ratsfraktionen sahen keinen Anlass für eine Erklärung gegenüber den Bürgern. Doch schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war klar, dass im Haushaltsjahr 2019 ein wiederum hoher Überschuss zu erwarten war. Wie in den vorangegangenen Jahren wird er das geplante Ergebnis von 393.000 Euro als gezielte Irreführung in Richtung Rat und Bürger erscheinen lassen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, wann die Stunde der Wahrheit kommen würde. Sie kam schneller als erwartet.
Eiertanz um Höhe die Jahresüberschusses 2019
Mitte Dezember fand die letzte Ratssitzung des Jahres statt. Gegen Ende der Sitzung sollten Ausgabenbeschlüsse gefasst werden, die sich immerhin auf 900.000 Euro summierten. Für eine Stadt, die angeblich immer große Schwierigkeiten hat, den Haushalt auszugleichen, ist das ziemlich viel. Es musste also ein Brückenschlag her und den stellte Bürgermeister Tobias Stockhoff dann so her: Man habe schon zur Jahresmitte bemerkt, dass der Haushalt viel besser läuft als geplant und – was für eine Überraschung! – sich ein Millionenüberschuss abzeichnet. Kann ja mal passieren. Daraufhin gab er das Wort an Kämmerer Hubert Große Ruiken weiter. Der war auf den Verzehr seines Schokoladen-Nikolaus konzentriert, den aus gegebenem Anlass alle Ratsmitglieder und die übrigen Sitzungsteilnehmer vorgefunden hatten, und war sichtlich überrascht, dass er etwas sagen sollte. Als er sich gefasst hatte, ließ er sich zu folgender Information herbei: Die Stadt sei verpflichtet, drei Mal im Jahr einen Bericht über den Stand der Haushaltssanierung an die Kommunalaufsicht zu geben, Mitte des Jahres, zum Ende des dritten Quartals und zum Jahresende. Der Bericht zum 30. September sei den Sitzungsunterlagen beigefügt und, so sein freundlicher Hinweis an alle Interessierten, das für 2019 erwartete Ergebnis sei „auf Seite 2“ der Berichtsvorlage nachzulesen. Danach widmete sich der Kämmerer wieder seinem Schokoladen-Nikolaus. Es war ja alles gesagt. Die Ratsmitglieder waren damit zufrieden. Mehr Transparenz geht doch gar nicht.
Wozu werden Vertreter der Lokalzeitung zu den Sitzungen eingeladen?
Wie viele Ratsmitglieder „auf Seite 2“ nachgesehen haben, ist nicht bekannt. Die Unterlagen, die zur Sitzung ausgelegt waren, enthielten etwa 300 bedruckte Seiten. Da kann man doch mal eben nachsehen. Und im Internet sind sie auch veröffentlicht. Dort kann wer davon weiß unter dem entsprechenden Punkt der Tagesordnung den Bericht an die Kommunalaufsicht herunterladen und „auf Seite 2“ das erwartete Jahresergebnis bestaunen. Wir wissen nicht, wie viele zehntausend Dorstener Bürger und Steuerzahler das getan haben. Wahrscheinlich kaum einer. Denn weil das Ergebnis selbst nicht genannt wurde, weder vom Bürgermeister noch vom Kämmerer, stand davon auch nichts in der „Dorstener Zeitung“, die regelmäßig aus den Ratssitzungen berichtet. Auch nicht davon, dass das Jahresergebnis 2019 überhaupt behandelt wurde. Die Presse ist zu den öffentlichen Sitzungen des Rates einzuladen, so steht es in der Geschäftsordnung, die sich der Rat selbst gegeben hat: zum Zwecke der Unterrichtung der Öffentlichkeit. Aber wo nichts gesagt wird, wird auch nichts berichtet. Mit der Folge, dass die Bürger überhaupt nichts mitkriegen. Das ist Bürgermeister und Kämmerer selbstverständlich bekannt. Die Kunst, wie man dafür sorgt, dass die Bürger unliebsame Dinge nicht erfahren, beherrschen sie virtuos.
Jahresüberschuss 2019 von deutlich über 7 Millionen Euro
Da wir nicht damit rechnen, dass viele Bürger im Rats- und Bürgerinformationssystem nachgeforscht haben, lösen wir das Rätsel hier: Der erwartete Jahresüberschuss 2019, Stand 30. Sept. 2019, „auf Seite 2“, beträgt hochgerechnet auf das Gesamtjahr 6,9 Millionen Euro (Plan: 393.000 Euro). Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Gegenüber der Hochrechnung zur Jahresmitte hat sich der Überschuss verdoppelt. Zur Jahresmitte lag die Ergebniserwartung erst bei 3,1 Millionen Euro. Doch das Jahr ist ja noch nicht zu Ende. Für 2019 rechnen Fachleute mit dem höchsten Überschuss aller öffentlichen Haushalte in der jüngeren Vergangenheit: er wird auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Das spricht dafür, dass die bisherige Hochrechnung nicht das letzte Wort ist. Das endgültige Jahresergebnis wird eher deutlich über 7 Millionen Euro liegen.
Rat beschließt außerplanmäßige Ausgaben von fast 1 Million Euro
Zu dieser Perspektive passen dann auch die Ausgabenbeschlüsse, die im weiteren Verlauf der Ratssitzung gefasst wurden: eine halbe Million Euro für die Sanierung der St. Ursula-Schulen, 200.000 Euro für die Dorstener Arbeit, je 60.000 Euro für das Jüdische Museum, den Bürgerpark Maria Lindenhof und den Trägerverein Biologische Station. In Summe 0,9 Millionen Euro, zu finanzieren „ aus den zu erwartenden Haushaltsüberschüssen 2019“. Allen Beschlüsse gemeinsam ist, dass sie ergebniswirksam sind, den Jahresüberschuss 2019 also entsprechend reduzieren, die Auszahlung der Gelder aber erst in den kommenden Jahren stattfindet. Sie dienen damit erkennbar dem Ziel, die Höhe des Jahresüberschusses 2019 zu begrenzen und fallen unter das Kapitel Gewinnverwendung. Dazu wird der Verwaltung noch mehr einfallen, je höher der wirtschaftliche Überschuss am Ende tatsächlich ausfällt. Sie könnte nachträglich wieder eine außerplanmäßige Zuführung zu den Pensionsrückstellungen beschließen lassen, wie im Vorjahr, oder Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen bilden, davon gibt es ja reichlich.
Wann befassen sich Rat und Verwaltung mit der Entlastung der Bürger?
Bleibt die Frage, warum die Verwaltung sich so viel Mühe gibt, das Jahresergebnis nicht zu gut aussehen zu lassen. Die Antwort ist einfach: Je höher der Überschuss, desto größer der Druck, die Bürger steuerlich zu entlasten. Nach 2011 wurde die Grundsteuer B in zwei Schritten um etwa die Hälfte erhöht. Die Erhöhung spült seither jährlich 9 Millionen Euro in die Kassen der Stadt. Es sind die Bürger, die mit ihren Steuerzahlungen die heutigen Jahresüberschüsse der Stadt möglich gemacht haben. Der Hebesatz der Grundsteuer B von aktuell 780 Prozent liegt um mehr als fünfzig Prozent über dem deutschlandweiten Durchschnitt. Wie hoch muss der Jahresüberschuss ausfallen, bis Rat und Verwaltung auf die Idee kommen, die Bürger zu entlasten? Oder wie hoch müssen die kumulierten Jahresüberschüsse ausfallen, bevor der Hebesatz wieder auf ein „normales“ Niveau gesenkt wir? Fünfzig Millionen, achtzig Millionen, hundert Millionen … Der Leser kann selbst ausrechnen, wie viele Jahre es dazu jeweils braucht. Zu all dem sagt der Bürgermeister nichts und auch nicht der Kämmerer, und auch die Ratsfraktionen, die gewählten Vertreter der Bürger, die deren Interessen im politischen Raum aufnehmen und diskutieren sollten, scheinen keinen Handlungsbedarf zu sehen.
Ratsparteien müssen sich positionieren
2020 ist Wahljahr. Im Herbst steht die Wahl des Bürgermeisters und des Rates an. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass die Ratsparteien dem Bürger sagen, wie sie es mit der Entlastung der Bürger halten und wie sie zur Absenkung der Grundsteuer stehen. Das kann ja durchaus in Teilschritten geschehen. Die Bürger sollten nicht zulassen, dass sich die Ratsparteien aus ihrer Verantwortung schleichen. Sie werden dazu entsprechenden Druck aufbauen müssen. Denn Bürgermeister und Kämmerer werden alles tun, um die künftige Lage schlecht zu reden. Sie werden dem Bürger weiter einreden, dass die Ergebnisverbesserungen allesamt nur auf Einmal- und Sondereffekte zurückzuführen sind (so nachzulesen in den Berichten an die Kommunalaufsicht). Und sie werden demnächst auch wieder eine Neuauflage des Schmierenstücks „Dorsten – Die Stadt der leeren Kassen“ zum Besten geben mit dem alleinigen Ziel, der Auseinandersetzung um eine Entlastung der Bürger auszuweichen.
Wunderbar erklärt, Herr Frenzel, vielen Dank. Was der Bürgermeister, der Kämmerer und der Rat (allesamt? Die Grünen ebenso wie die um die soziale Gerechtigkeit bemühten? Die Christdemokraten auch?) verschweigen und vertuschen, wird klar und deutlich dargelegt: Die Dorstener Bürger/innen werden für dumm verkauft, sind gut und gern gesehen als Stimmvieh und sollen ansonsten zahlen und die Bürgervertreter alimentieren. Von wessen Geld (denn nur um das geht es den Damen und Herren)? Dumme Frage. Die nächste Wahl findet ohne mich statt. Oder es präsentieren sich glaubwürdige, sich den Bürgern verpflichtet fühlende Kandidaten. Kennt jemand eine bessere Lösung, um diesen unverschämten Herrschern beizukommen? Ich läse sie gerne.
Dann lassen wir uns doch mal überraschen, ob es eine Entlastung der Bürger gibt. Ich denke wohl eher nicht.