Von Helmut Frenzel
11. März 2019. – Im Zusammenhang mit der Sanierung kommunaler Straßen sorgen die Straßenbaubeiträge, welche die Städte von den Anliegern fordern, für viel Unmut bei den betroffenen Bürgern. Dorsten ist da keine Ausnahme. Wer Mitglied in einem Verein ist zahlt einen monatlichen oder jährlichen Beitrag, der im allgemeinen moderat ist und die Haushaltskasse nicht über die Maßen belastet. Oft erhalten die Mitglieder eine unmittelbare Gegenleistung, zum Beispiel die Möglichkeit, ihren Sport ausüben zu können. Mit ihrem Beitrag unterstützen sie die Ziele des Vereins und sie tun es freiwillig und gerne, sonst würden sie dem Verein nicht beigetreten sein. Analog gilt dies auch beispielsweise für einen Versicherungsbeitrag. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff „Beitrag“ bei den Bürgern in aller Regel positiv besetzt. Wenn es aber um den Straßenbaubeitrag geht, schrillen bei den Betroffenen alle Alarmglocken. Denn an diesem „Beitrag“ ist nichts freiwillig und nichts moderat und deswegen löst alleine die Ankündigung, zur Zahlung herangezogen zu werden, Ängste und Stress aus. Auch in Dorsten sind die Straßenbaubeiträge mittlerweile zu einem beherrschenden Thema geworden.
Unmittelbarkeit der Gegenleistung umstritten
Der Straßenbaubeitrag – oder wie er richtig heißt: „Straßenausbaubeitrag“ – ist nichts anderes als eine Zwangsabgabe der Kommune, mit der die Anlieger an der Finanzierung der Sanierungskosten von kommunalen Straßen beteiligt werden. Er unterscheidet sich grundlegend von der Gebühr. Eine kommunale Gebühr wird für die tatsächliche und unmittelbare Inanspruchnahme von gemeindlichen Leistungen verlangt: Für jeden Kubikmeter Abwasser zahlt der Bürger die Abwassergebühr; wenn er einen Pass beantragt oder einen Bauantrag stellt, ist eine Verwaltungsgebühr fällig. Anders beim Straßenbaubeitrag. Hier fehlt es an der Unmittelbarkeit der Gegenleistung. Wenn ein Hauseigentümer das Dach seines Hauses erneuert, steigt der Wert des Hauses. Wenn die Straße saniert wird, steigt der Wert der Straße, nicht aber der Wert der Häuser oder der Grundstücke, die an der Straße liegen. Die Eigentümer leisten Zahlungen für die Herrichtung einer Straße, die ihnen nicht gehört. Die Sonderstellung des Straßenbaubeitrags wird besonders deutlich, wenn man den Fall eines Vermietungsobjekts betrachtet. Die Kosten der Sanierung des Dachs werden hier dem Gebäudewert gutgeschrieben, weil tatsächlich eine Werterhöhung stattfindet, während das für den Straßenbaubeitrag nicht erlaubt ist – weil eben keine Erhöhung des Gebäude- beziehungsweise des Grundstückswerts eintritt.
Gerichte sehen „Sondervorteil“ der Grundstückseigentümer
Die Frage, wie gerecht es ist, nur die Grundstückseigentümer zur Finanzierung der Straßensanierung heranzuziehen, hat unzählige Gerichte beschäftigt, auch Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverfassungs- und das Bundesverwaltungsgericht. Dabei ging es um so wichtige Aspekte wie Gleichbehandlungsgebot, Eigentumsgarantie und Rechtsstaatsprinzip. Zentraler Streitpunkt: Warum muss der Grundstückseigentümer den Straßenbaubeitrag alleine tragen, wo doch viele andere Personen die Straße gleichmaßen nutzen – zum Beispiel die Bewohner von Mietwohnungen und die Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr? Das Bundesverfassungsgericht verlangte einen „Sondervorteil” des Anliegers gegenüber den anderen Straßennutzern infolge des Ausbaus der Straße. Dieser könne vor allem in einer Erhöhung des Gebrauchswertes des Grundstücks liegen. Das Bundesverwaltungsgericht definierte daraufhin den „Sondervorteil“ in einem Urteil aus 2018 so: Der Grundstückseigentümer erhalte durch den Straßenausbau die Möglichkeit, eine weiterhin funktionstüchtige Straße nutzen zu können. Das wirke sich positiv auf den Gebrauchswert des Grundstücks aus. Auf eine Erhöhung des Verkehrswertes des Grundstücks komme es dagegen nicht an. Die Begründung ist wenig überzeugend. Kritiker bemängeln, dass nicht geklärt sei, durch welche konkreten Umständen dem Straßenanlieger ein Vorteil zugute kommt, den alle anderen Nutzer der Straße nicht haben. Reicht es aus, dass die Benutzbarkeit der Straße verbessert wurde? Wie auch immer. Die Erhebung von Straßenbaubeiträgen durch die Gemeinden steht jedenfalls grundsätzlich im Einklang mit Recht und Gesetz.
Straßenbaubeitrag bleibt am Eigenheimbesitzer hängen
Aber was nutzt das, wenn die Abgabe bei den Bürgern keine Akzeptanz findet? Deren Unmut ist verständlich. Der Bescheid über die Erhebung der Abgabe trifft viele Grundstückseigentümer unvorbereitet. Gegen die existenzbedrohenden Risiken wie Feuer, Sturm und anderes mehr können sie sich versichern, für Instandhaltungen und absehbare Sanierungen Rücklagen bilden. Aber die Heranziehung zu einem Straßenbaubeitrag haben die meisten nicht auf dem Schirm. Oft erhalten sie erst eine Ankündigung ohne Nennung ihres individuellen Beitrags und es vergehen Monate, bis sie dessen Höhe mitgeteilt bekommen. Das steigert die Unsicherheit bei den Betroffenen. Hinzu kommt, dass der Straßenbaubeitrag nicht zu den Betriebskosten zählt und also nicht auf Mieter umgelegt werden kann. Der Beitrag bleibt am Grundstückseigentümer hängen. Bei Vermietungsobjekten kann der Eigentümer den Beitrag immerhin als Aufwand geltend machen, spart Steuern und mindert so die finanzielle Belastung.
Stundungen und Ratenzahlung sind keine Lösung
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich auch zur Höhe der Straßenbaubeiträge geäußert: Diese hätten in der Regel keine übermäßig belastende, den Eigentümer geradezu erdrückende Wirkung. Doch diese pauschale Einschätzung ist kaum haltbar. Der Straßenbaubeitrag trifft die Eigentümer in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Da ist die Familie, die gerade erst ihr Haus erworben hat und unter den hohen anfänglichen Belastungen stöhnt. Da ist das betagte Rentnerehepaar, das froh ist, das Haus abbezahlt zu haben und von den schmalen Altersbezügen lebt, und das darüber hinaus von der Bank keinen Kredit mehr bekommt. Dazwischen gibt es alle möglichen sonstigen Konstellationen, in denen der Beitragsbescheid zur Unzeit kommt. Und natürlich gibt es auch die Haushalte, die den Beitrag vom gut gefüllten Bankkonto nehmen und bezahlen können. Selbst wenn alle Probleme für den einzelnen Eigentümer gelöst werden können, durch Stundung oder Beitragserlass, ist doch der Ärger der Beteiligten groß. Von den Antragstellern wird die Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangt. In Dorsten müssen für Stundungen und Ratenzahlungen Zinsen in Höhe von 6 Prozent gezahlt werden. Beide Bedingungen wirkten abschreckend, schreibt die Verwaltung in einer Ratsvorlage.
Bundesweit große Unterschiede bei den Rechtsgrundlagen
Und so ist es keine Überraschung, dass die Bundesländer in der Frage ganz unterschiedlich verfahren. Denn es sind die Bundesländer, welche die gesetzliche Grundlage für die Erhebung der Beiträge durch die Kommunen schaffen – oder aber nicht schaffen. Entsprechend unterschiedlich verfahren sie. In vier Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg) gibt es keine entsprechende Rechtsgrundlage und es werden keine Anliegerbeiträge erhoben. In den anderen Bundesländern ist diese vorhanden: als Kann- oder Soll-Bestimmung, mit einmaliger oder mehrmaliger Beitragserhebung. In Nordrhein-Westfalen sind die Kommunen gehalten, Straßenbaubeiträge zu verlangen, jedoch nur einmalig. Über die Höhe der Beitragssätze entscheiden die Kommunen.
Stadt Dorsten hat eigene Satzung
Für die Stadt Dorsten sind Einzelheiten zur Beitragserhebung in der Satzung Nr. 6602 von 2003 geregelt. Der Anteil, den die Anlieger tragen müssen, ist nach der Funktion der Straße gestaffelt: Anliegerstraßen (80 Prozent), Haupterschließungsstraßen (60 bis 80 Prozent), Hauptverkehrsstraßen (40 bis 80 Prozent), Hauptgeschäftsstraßen (70 bis 80 Prozent). Den verbleibenden Anteil trägt die Stadt. Die beitragsfähigen Kosten werden umgelegt auf die Grundstücksflächen der anliegenden Grundstücken. Daraus wird ein Kostensatz je Quadratmeter ermittelt. Für die Berechnung des Beitrags jedes einzelnen Grundstückseigentümers wird die jeweilige Nutzung des Grundstücks berücksichtigt. Dazu wird die Zahl der Geschosse herangezogen: eingeschossig (100 Prozent), zweigeschossig (130 Prozent), dreigeschossig 140 Prozent undsoweiter. Wenn der Kostensatz je Quadratmeter 5 Euro beträgt, kommt man so für ein Grundstück von 500 Quadratmetern mit einem zweigeschossigen Gebäude auf einen Straßenbaubeitrag von 500 x 5 x 1,3 = 3.250 Euro. Steht das Gebäude auf einem Grundstück von 1000 Quadratmetern, steigt der Beitrag auf 6.500 Euro.
Unterschiedliche Beiträge nach Gegegenheiten der Bebauung
Den individuellen Gegebenheiten entsprechend ergeben sich für die Grundstücke unterschiedliche Beiträge. In einer Berichtsvorlage der Verwaltung von Juni 2018 sind Zahlen genannt. Die Kostensätze je Quadratmeter und die dazugehörigen durchschnittlichen Straßenbaubeiträge je Anlieger werden darin wie folgt beziffert (in EUR): 0,43 – 4.926 (Lünsingkuhle 2017); 4,33 – 4.144 (Duesbergs Kamp 2016); 4,44 – 4.099 (Orthöver Weg 2016); 5,37 – 16.878 (Ostwall 2015). Lässt man den Ostwall außen vor, weil er ein Sonderfall zu sein scheint, so erwecken die übrigen Beiträge nicht den Eindruck, dass sie die Anlieger überfordern könnten. Aber es sind eben nur Durchschnittswerte und Zufallsfunde. Die Zahlen können abhängig von den jeweiligen Gegebenheiten in jedem neuen Jahr und für jeden Grundstückseigentümer sehr anders aussehen.
In Dorsten überraschend geringe Einnahmen aus den Anliegerbeiträgen
Die Vorlage nennt auch die Einnahmen der Stadt aus Straßenbaubeiträgen: 33.756 Euro (2015); 107.201 Euro (2016); 187.171 Euro (2017). Das sind überraschend geringe Erträge für die Stadt und wirft die Frage auf, ob deren Höhe in einem angemessenen Verhältnis zu der öffentlichen Erregung darüber steht, die sie auslösen. Wenn man den höchsten der drei Beträge nimmt und ihn ins Verhältnis zum Grundsteueraufkommen der Stadt von jährlich 19 Millionen Euro (2017) setzt, beträgt der Anteil 1 Prozent (bezogen auf den Gesamthaushalt 0,1 Prozent). Wenn die Stadt auf die Erhebung von Straßenbaubeiträgen verzichtete, müsste der Hebesatz der Grundsteuer von jetzt 740 zum Ausgleich um ganze 8 Punkte angehoben werden. Statt hoher Belastungen für wenige, zahlen dann alle Bürger einen geringen Betrag. Gemessen an den Steuer- und Gebührenerhöhungen, die die Stadt Dorsten den Bürgern in den vergangenen Jahren zugemutet hat, sind das peanuts. Wofür der ganze Ärger?
Klosterstraße und Luisenstraße aktuell in der Diskussion
Oder geht es am Ende um viel höhere Summen? Demnächst sollen die Klosterstraße und Teile der Luisenstraße saniert werden. Für die Luisenstraße wurde von einem Anwohner verbreitet, dass 16 Grundstückseigentümer mit durchschnittlich 21.000 Euro zur Kasse gebeten würden. Dem widersprach die Verwaltung postwendend. Das Hantieren mit einem durchschnittlichen Beitrag sei irreführend. Die Beitragshöhe richte sich alleine nach der Größe des Grundstücks und der konkreten Nutzung. Die Beitragshöhen für die Anlieger der Luisenstraße lägen nach einer vorläufigen Schätzung „teilweise um fünfstellige Beträge niedriger“ als die verbreitete Durchschnittszahl. Da es noch keine Ausschreibung gebe, könne eine verlässliche Beitragshöhe nicht genannt werden. Was soll der Grundstückseigentümer mit dieser Information anfangen? Für mehr Klarheit wird er wohl oder übel abwarten müssen. Der Fall zeigt aber noch einmal deutlich: Das Verfahren zur Inanspruchnahme der Anlieger, so wie es aktuell gehandhabt wird, ist eine Zumutung.
Alles in Fluss
Möglicherweise löst sich das Problem auf andere Weise. Unter den Grundstückseigentümern formiert sich Widerstand. Sie finden den Straßenbaubeitrag ungerecht. Ihre Auffassung von Gerechtigkeit sieht so aus: Die Erneuerung von Straßen, die von allen benutzt werden dürfen, sollte auch von der Allgemeinheit bezahlt werden. Der Bund der Steuerzahler NRW hat eine Initiative zur Abschaffung des Straßenbaubeitrags gestartet, die bis Ende Februar von 330.000 Bürgern unterzeichnet wurde. Der Druck steigt. 2020 sind Kommunal- und Bürgermeisterwahlen, 2022 wird ein neuer Landtag gewählt. Da geht doch was. Mit der Abschaffung der Straßenbaubeiträge kann man als Partei punkten. Und der richtige Zeitpunkt, den Parteien die Richtung zu weisen, ist üblicherweise vor Wahlen. Das haben dann die Wähler in der Hand.
Vielen Dank für diesen sehr informativen Beitrag.
Wie Sie schreiben, gibt es eine eigene Satzung der Stadt Dorsten. Diese könnte also, in eigener Verantwortung, die Anteilshöhe der von den Anliegern zu übernehmenden Kosten festsetzen und damit auch deutlich reduzieren. Warum geschieht das nicht? Für ein, nicht notwendiges neues Rathaus, – einstimmig, still und leise vom Rat beschlossen,- scheint viel Geld da zu sein. (Geschätzt 40 Mio Euro). Hier könnte die Stadt sofort handeln, unnütze Ausgaben vermeiden und den Bürger entlasten.
Mündige Bürger sollten entsprechend bei den Kommunalwahlen handeln.