16. Juli 2021. – Die Entscheidung im Rat über den Tisa-Brunnen – rückblickend und mit dem Wissen von heute erlebten wir eine Schmierenkomödie. Autor des Stückes, Regisseur und Hauptdarsteller – Ehre, wem Ehre gebührt – Bürgermeister Tobias Stockhoff. Starker Tobak? Ja, aber eher noch untertrieben. Diese Schmierenkomödie ist eine Melange aus Halbwahrheiten, Unwahrheiten und zum Zweck der Manipulation unterdrückten Fakten.
So war’s: Als Sitzungsleiter ruft der Bürgermeister den Tagesordnungspunkt Tisa-Brunnen auf und teilt dem (brav) staunenden Rat mit, Agatha-Pfarrer Dr. Stephan Rüdiger habe ihm das überraschende Angebot des Kirchenvorstands übermittelt, den Brunnen doch als Replik auf dem Agatha-Kirchplatz zu errichten, also zwischen altem Rathaus und Kircheneingang. So könne man Leben auf diesen toten Platz bringen und werde auch dem christlichen Leben und Wirken der Ursuline Schwester Paula gerecht. Vorschlag des Bürgermeisters: Nach einer kurzen Sitzungspause, die von den Fraktionen genutzt werden kann, um über die neue Situation zu beraten, stellt Pfarrer Dr. Rüdiger selbst das Angebot vor. Und: Dieses Angebot wird neu als Option für einen künftigen Tisa-Brunnen in die Beschlussvorlage eingearbeitet.
So geschieht es dann und ohne noch lange zu diskutieren, stimmt der Rat erst mit breiter Mehrheit gegen einen Tisa-Brunnen auf dem Markt und dann für die Option Tisa-Brunnen auf dem Kirchplatz.
„Argumentiert wurde dabei aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln…“
Schon am Tag nach der Ratsentscheidung ist im Internet auf der Homepage der Stadt Dorsten zu lesen: „Der Rat beauftragte die Verwaltung, unmittelbar in Gespräche mit der Pfarrei St. Agatha einzutreten, um die Umsetzung vorzubereiten.“ Und dann ist dort über die Diskussion der vergangenen Monate dieses Zitat vom Bürgermeister zu lesen: „Argumentiert wurde dabei aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Neben den kunsthistorischen, künstlerischen, städtebaulichen oder handelsrelevanten Betrachtungsweisen trat fast immer die Wertschätzung für die Person Tisa von der Schulenburg und ihre Lebensleistung sowie die Bedeutung des Brunnens als Mahnmal. Die Würdigung unserer Ehrenbürgerin und der Mahnmalcharakter des Brunnens haben sich in der öffentlichen Diskussion als Leitlinien der heutigen Entscheidung herausgestellt. Die übrigen Vorstellungen und Argumente hat der Rat heute sachlich abgewogen.“
Sorry, aber nichts von alledem hat der Bürgermeister in der Ratssitzung gesagt. Der Text stammt bis auf die zeitliche Veränderung im letzten Satz (Vorlage: … unterliegen der sachlichen Abwägung durch den Rat der Stadt Dorsten …) aus der Berichtsvorlage, die der Bürgermeister zwar unterschrieben, aber nicht geschrieben hat.
Von wegen „Abwägung“ – in der Sache gab es keine Diskussion
Wichtig für die CDU, die in der Frage Tisa-Brunnen tief gespalten war (oder noch ist?): Das Thema Tisa-Brunnen auf dem Markt ist per Ratsbeschluss abgeräumt. Was wird, wenn das Projekt Tisa-Brunnen auf dem Kirchplatz nicht zu verwirklichen ist? Dazu sagt der Ratsbeschluss nichts. Wie hoch würden ggf. künftig die jährlichen Folgekosten sein und wer trägt die? Auch das wird in der Berichtsvorlage und im Ratsbeschluss ausgeklammert, obwohl die Sponsoren im Vorfeld der Ratssitzung ganz deutlich gesagt haben, dass sie bei einem Aufbau des Brunnens außerhalb des Marktes nicht mehr zur Verfügung stehen. Hätte das angesichts der immer wieder beklagten knappen Stadtfinanzen nicht unbedingt in der Beschlussvorlage erwähnt werden müssen? Logischerweise fehlte dann auch in der Beschlussvorlage die (sonst zwingend vorgeschriebene) Seite, auf der die finanziellen Beschluss-Konsequenzen dargestellt werden müssen. Und natürlich hat auch niemand gefragt, warum es diese Seite in dieser Vorlage nicht gibt.
Viel wichtiger ist für die CDU und den Bürgermeister, dass es ihnen mit diesem Vorgehen gelungen ist, die leidige Debatte über den Brunnen erst einmal zu beenden, ohne auch nur ein einziges Argument anführen zu müssen, warum der Brunnen nicht mehr auf dem Markt stehen darf. Von wegen „Abwägung“ – in der Sache hat es gar keine Diskussion gegeben.
Holger Lohse: Allein wegen des Laubfalls ist der Kirchplatz ungeeignet
Noch einmal das Datum dieser Ratssitzung: 30. Juni 2021. Wer die Ratssitzung erlebte und die Berichterstattung der Stadt auf ihrer Homepage gelesen hat, der muss den Eindruck haben, der Vorschlag des Agatha-Kirchenvorstands sei taufrisch. So jung jedenfalls, dass die Verwaltung gar nicht mehr die Zeit hatte, ihn in die erst wenige Tage vor der Ratssitzung ins Netz (Ratsinformationssystem der Stadt) gestellte Berichtsvorlage einzuarbeiten. Deshalb dann auch die theatralische Sitzungspause mit dem Zeitfensterchen von zehn Minuten für eine Beratung in den Fraktionen.
Weit gefehlt. Als sich am 8. Juni (natürlich in nichtöffentlicher Sitzung, weil der Bürgermeister ja gerade bei diesem Thema so großen Wert auf Beteiligung der Öffentlichkeit legt) der Beirat für Kunst im öffentlichen Raum traf, um u. a. über die Zukunft des Tisa-Brunnens zu beraten, überraschte Bürgermeister Tobias Stockhoff das Gremium mit dem Angebot der Agatha-Kirchengemeinde. Mit am Tisch saßen Vertreter aller Ratsfraktionen, die dann 22 Tage später eine Pause in der Ratssitzung benötigten, um „über die neue Lage“ befinden zu können. Kaum hatte der Bürgermeister im Beirat das Angebot vorgestellt, meldete sich spontan Stadtbaurat Holger Lohse zu Wort, um anzumerken: Das ist zwar nett gemeint, aber den Kirchplatz können Sie allein wegen des Laubfalls auf diesem Platz als Standort für den Tisa-Brunnen vergessen. – Der Beirat nahm das so zur Kenntnis.
Kirchplatz-Angebot und Aussage Lohses im Protokoll verschwiegen
Tage später wurde auf der Homepage der Stadt (konkret im RIS) ein Auszug aus dem Protokoll der Beiratssitzung zum Tagesordnungspunkt Tisa-Brunnen veröffentlicht, unterschrieben von Stadtbaurat Holger Lohse. Was man in diesem Protokoll vergeblich sucht sind das Kirchplatz-Angebot (präsentiert vom Bürgermeister) und die Replik des Stadtbaurates darauf. Weil das so unwichtig war? Richtiger ist wohl: Das wurde sehr bewusst verschwiegen, denn schließlich zeigt ja auch kein Magier seinem Publikum vorab das Kaninchen, das er später aus dem Zylinder zaubern will.
Was aber in dem Protokoll zu lesen ist: „Eine Replik des Tisa-Brunnens am ursprünglichen Ort auf dem Marktplatz sei im Beirat für Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Dorsten offensichtlich nicht mehrheitsfähig. Es sei auch nicht mehr aufzulösen, ob der Standort explizit von Tisa für den Brunnen ausgewählt wurde. Ferner ist nicht mehr nachzuweisen, ob der Brunnen als Ganzes von Tisa geplant und entworfen wurde oder ob das Werk Tisas sich vornehmlich auf die Platten nicht aber auf den Brunnenkorpus bezieht.“
Dieser Darstellung bedient sich die Verwaltung seit Beginn der Diskussion über den Tisa-Brunnen, aber der Wahrheitsgehalt wird durch ständige Wiederholung nicht größer. In verschiedenen Medien – auch auf Dorsten Transparent – sind die Ausführungen von Tisa zu diesem Brunnen zitiert worden und im doch sicher gut sortierten und gepflegten Stadtarchiv sollte es Material über die Dorstener Ehrenbürgerin in Hülle und Fülle geben, mit dem diese von der Verwaltung und verschiedenen Ratsmitgliedern gepflegten alternativen Fakten endlich in den Papierkorb geschickt werden können.
Will man zweckentfremdet Landesgelder in Anspruch nehmen?
Eine Woche vor der Ratssitzung traf sich im Rathaus ein kleiner Arbeitskreis aus interessierten Bürgern und Mitarbeitern der Verwaltung, um über den Verbleib der historischen Brunnenreliefs und Textplatten zu beraten. Der Kirchplatz wurde von den Bürgern als Standort für die Präsentation der Reliefs favorisiert – über eine Stunde lief diese Diskussion. Der pure Nonsens, hätte man in diesem Arbeitskreis geahnt, dass hier womöglich die Brunnen-Replik errichtet werden soll. Aber das wurde verschwiegen, weil ja die Bürgerbeteiligung gerade bei diesem Thema so wichtig ist (unisono wiederholt vom Bürgermeister und Stadtbaurat behauptet, aber leider nicht wahr). Doch auch ohne Hilfe der Verwaltung kam der Arbeitskreis schließlich zu dem Ergebnis, von einer (ja auch aufwändigen und entsprechend teuren) Präsentation der Reliefs ganz abzusehen. Dass statt oft ja unersetzlicher Originale Museen gute Repliken ausstellen, ist weltweit längst üblich.
„Der Rat beauftragte die Verwaltung, unmittelbar in Gespräche mit der Pfarrei St. Agatha einzutreten, um die Umsetzung vorzubereiten.“ So wurde es am 30. beschlossen. „Unmittelbar“, weil mindestens ein Teil der Kosten mit Hilfe der Altstadtschützen über das Bürgerbudget „Wir machen Mitte“ abgerechnet werden soll. Und das muss, will man die so streng genommen zweckentfremdeten Landesgelder in Anspruch nehmen, bis Jahresende abgerechnet sein. Bei einem Aufbau der Replik auf dem Markt hätte man auf diese Trickserei verzichten können. Um diese aber ansatzweise zu legitimieren wurde dann wohl am Fuß der ersten Seite der Berichtsvorlage in der Rubrik „betroffener Stadtteil“ das Feld „Altstadt“ angekreuzt, nicht etwa das Feld „alle“ – also ganz Dorsten. Geht es z. B. Hardter, Hervester, Lembecker und Rhader nichts an, was mit dem Brunnen passiert? Ist das etwa kein gesamtstädtisches Thema?
Warum hat sich niemand aus der Fachverwaltung gemeldet?
Eine letzte Frage knüpft sich noch an den Ratsbeschluss: Warum eigentlich hat der Stadtbaurat seine im Beirat für Kunst im öffentlichen Raum geäußerten Bedenken gegen einen Brunnen-Standort Kirchplatz nicht im Rat vorgetragen? Warum hat sich auch niemand aus der Fachverwaltung zu dem Thema geäußert? Gab es vorab einen Maulkorb vom Chef der Verwaltung, dem Bürgermeister? Hat man etwa die drei Wochen seit der Beiratssitzung ungenutzt verstreichen lassen? Hätte man nicht dem Rat das Ergebnis einer ersten Vorprüfung der technischen Machbarkeit an die Hand geben können und müssen? – Und schon sind wir wieder beim Kaninchen des Zauberers, das bis zur Ratssitzung versteckt werden musste.
Warum lassen sich die Ratsfraktionen dieses autokratische Gebaren des allgegenwärtigen und offenbar allmächtigen Bürgermeisters nicht nur wehrlos gefallen, sondern spielen auch noch bereitwillig mit? Grüne und FDP nutzten wegen ihrer ablehnenden Haltung gegen jedwede Replik des Tisa-Brunnens die Gunst der Stunde und stimmten mit der CDU für einen von Tisa-Erinnerungen befreiten Marktplatz. Und die SPD hatte in der Person ihres Fraktionsvorsitzenden Friedhelm Fragemann Mühe genug, ihren eigenen Antrag, den Tisa-Brunnen durch ein Cornelia-Funke-Wasserspiel auf dem Platz der Deutschen Einheit zu ersetzen, wieder aus der Welt zu schaffen. Die in den USA lebende Schriftstellerin habe seiner Idee das Prädikat „sehr interessant“ gegeben, meinte Fragemann. Liest man den offenen Brief von Cornelia Funke dazu, findet man vor allen Dingen ein vehementes Plädoyer für eine Brunnen-Replik auf dem Markt. Die SPD-Idee bezeichnet sie in der Tat als „interessant“ – wie sagen es so schön die Cococabana Boys (WDR 2) in ihrer Standardpointe: Klingt interessant, ist es aber nicht…
Youtube-Kanal ein Spiegelbild der Eitelkeit des Bürgermeisters
Dieser Bürgermeister wird nicht müde, von „Bürgerkommune“ zu schwafeln und der youtube-Kanal der Stadt Dorsten ist ein Spiegelbild der selbstherrlichen Eitelkeit dieses Mannes, der Titel (Parkbürgermeister oder auch Kinderbürgermeisterpaar) und Urkunden (Botschafter des Stadtdialogs) nach Gutdünken erfindet und verleiht, der stolz erzählt, dass er von jedem Dorstener Schützenverein die passende Krawatte im Kleiderschrank hat – ein Selbstdarsteller, der sich von Parteifreunden und Claqueren für sein angebliches kluges Taktieren in Sachen Tisa-Brunnen gerne auf die Schultern klopfen lässt. Solcher Beifall ist wohlfeil. – Aber den Trick mit dem Kaninchen kann man nicht beliebig oft wiederholen!
Warum wundern? Einfach den Tatsachen ins Auge sehen. Dieser Herr Bürgermeister ist listig. Man muss mit ihm rechnen, darf ihn in seiner Machtgier nicht unterschätzen. Er liebt es, sich mit Ja-Sagern zu umgeben, die seine Aureole aus Glanz und Gloria polieren.
Zur Innenstadt: Er und seine Gesellen werden nicht eher ruhen, bis der letzte Rest Charme Schönheit und Historie aus der Stadt verschwunden sind, und der Charme a la Plattenbau dominiert. Bald ist es geschafft. Eine unter vielen trostlosen Innenstädten, verwechselbar und nichtssagend. Die Dorstener wundern sich? Warum? Er wurde gewählt, und ihm wurde bis heute freie Hand gelassen. Mag sein, dass er sich demnächst die Plakette “Schafsbürgermeister” verleiht. Hat er doch all seine Schäfchen so lieb.