Eine teils kommentierende Bestandsaufnahme von Wolf Stegemann
15. Mai 2021. – Das Projekt „Heimat-Werkstatt“ des Landes Nordrhein-Westfalen in der Stadt Dorsten hat das Ziel, den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft zu fördern. Darüber hinaus will das Projekt „Heimat-Werkstatt“ aber auch Beiträge zu einer Vision für die Zukunft Dorstens liefern, an der in Dorsten an verschiedenen Stellen gearbeitet wird. Wie könnte ein Gesamtbild für Dorsten entstehen, bei dem auch die gewachsenen, facettenreichen Stadtteile eine Rolle spielen? In welche Richtung müsste dieses Gesamtbild entwickelt werden? Wie kann Dorsten für alle Dorstener zur Heimat werden? Im Vorfeld dieses Projektes sind von den Bürgern der Stadt Dorsten vier Themenbereiche als besonders wichtig definiert worden: 1) Themenbereich Kultur: Dorsten besitzt eine vielfältige Kulturlandschaft. Wie kann sich die Stadt als attraktiver Kulturstandort weiterentwickeln? 2) Themenbereich Stadt am Wasser/Stadt im Grünen: Dorsten bietet gute Naherholungsmöglichkeiten. Wie können sie noch attraktiver und bekannter werden? 3) Themenbereich Facettenreiche Stadtteile: Jeder Stadtteil hat ein eigenes Gesicht. Einige hat der Bergbau geprägt, andere die Landwirtschaft. Diese Vielfalt soll erhalten und für die Stadtentwicklung genutzt werden. 4) Themenbereich Bürgerschaftliches Engagement – starke Gemeinschaft: Ehrenamtliches Engagement ist in Dorsten besonders ausgeprägt.
1997 wurde das städt. Kulturamt aufgelöst und Kultur ein VHS-Projekt
Eine Stadt hat immer etwas mit Kultur zu tun. Dafür hat sie meist ein Kulturamt mit Personal besetzt, welche städtische Kulturproblematiken und Ziele kennen. Nicht nur in der Theorie, sondern vor allem mit dem Wissen, wie dieses theoretischen Kenntnisse in die Praxis in der Stadt umgesetzt werden können. Doch was ist eigentlich Kultur? Was verbirgt sich hinter diesen Wort, das uns jeden Tag so oft und breit gefächert begegnet? Stadtkultur ist heute sicherlich nicht mehr das, was Freiherr Justus von Liebig (1803 bis 1873) meinte: „Die Seife ist ein Maßstab für den Wohlstand und die Kultur in der Stadt!“ Aus diesem heute als bissig empfundenen Zitat entstand das geflügelte Wort „Die Kultur eines Volkes richtet sich nach dem Verbrauch von Seife!“
Mittlerweile wurde das frühere städtische Kulturamt ersetzt durch die Stadtagentur Dorsten (stadtinfo) an der Recklinghäuser Straße. Wer die städtische Kultur in Dorsten seit Jahrzehnten verfolgt, stellte immer wieder fest, dass sie in Dorsten ein recht zerbrechliches Pflänzchen war und ist. Noch Anfang der 1980er-Jahre war es stabiler. Doch dann vertrockneten etliche Blätter der Pflanze Kultur immer mehr, um im sprachlichen Bild zu bleiben. Das Vorhaben der Verwaltung, das Kulturamt aus finanziellen Gründen der VHS zu überlassen scheiterte 1982. Die „Ruhr-Nachrichten“ fragten damals skeptisch, ob denn ein Pädagoge in der Lage sei, städtische Kulturveranstaltungen professionell zu durchdenken und zu organisieren. Allerdings wurde das Kulturamt in der damaligen Form vom städtischen Kulturdezernenten 1997 dann doch aufgelöst. Der meinte, dass die Volkshochschule nicht nur Weiterbildung betreiben, sondern auch Busfahrten zu Theatern und Konzerten organisieren könne. Wörtlich: „Hier werden Dorstener bedient, die Hochkultur wollen.“ Hochkultur?
Und die Kultur im Rat? Der Kulturausschuss wurde zeitweise mit dem Sportausschuss zusammengelegt. Heute ist es der „Ausschuss für Stadtmarketing, Kultur und Tourismus“. Und der Dezernent, der diese drei das alles mit Fachkenntnis beliefern und alles beliefern muss, ist Bürgermeister Tobias Stockhoff.
In einem Beitrag machte sich der Rhader Lokalpolitiker Dirk Hartwich Gedanken über die städtischen Kulturangebote, die beispielsweise in den Stadtteilen Rhade und Lembeck fehlten. Er legte der Stadtveraltung 2020 ein Positionspapier vor, über das er im Rathaus mit Kulturverantwortlichen diskutierte. Doch bislang ohne Folgen. Sein Beitrag zu dem Thema ist mit dem am Ende dieses Textes angebrachten Link aufzurufen.
Dorstener Verwaltung und Politik tat sich mit Kultur immer schwer
Zur Belebung des Tourismus plante die Stadt schon vor 70 Jahren „Dorsten am Wasser“ Es entstanden immer wieder Pläne und Broschüren – sonst nichts. Jetzt ist es wieder ein Thema. 2008 stiftete der Stadtrat den Dorstener Kunstpreis „Garbenbinder“, der regelmäßig an Bürger verliehen werden sollte, die über die Stadtgrenzen hinweg zum Ansehen der Stadt Dorsten beigetragen haben. Erster Preisträger, der Dorstener Architekt und langjährige Vorsitzender des Kunstvereins Manfred Ludes, erhielt ihn noch im Gründungsjahr. Liest man die Zeitungsberichte, wurde dieser Preis sicherlich für ihn ins Leben gerufen. Danach bekam ihn niemand mehr. Die von Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula) entworfene Bronzeplaketten verstaubten in irgendeiner Schublade und wurden. Von der Verwaltung und auch den Ratsmitgliedern wurde dann auch vergessen, dass es einen solchen Preis überhaupt gab bzw. gibt. Noch 2020 wurde der Kunstpreis auf Anfrage aus der Lokalpolitik, ob es denn einen Kunstpreis gebe, man habe davon gehört, erst einmal in Abrede gestellt.
Was hat die Stadt Dorsten als kulturelles Alleinstellungsmerkmal zu bieten?
Da fällt einem nicht viel ein. Denn Sommerfeste, Schützenfeste, Bierbörse, Straßen- und Tourneetheater sowie einen Nachtwächter als Stadtführer haben andere Städte auch. Und Dorsten als Hansestadt ist eigentlich weit hergeholt und nichts Besonderes. Es gibt traditionsreichere ehemalige Hansestädte. 2004 wurde das Heimatmuseum im Alten Rathaus aufgelöst. Für eine Stadt mit Stadtrechten seit dem 13. Jahrhundert, eigentlich eine üble Sache. Offensichtlich wollte man auf den Vorschlag, im Heimatmuseum die Geschichte des Schiffsbaus in Dorsten darzustellen, nicht eingehen Die Rückbesinnung auf die Stadtgeschichte ist eine wichtige kulturelle Orientierung. Ebenso wurden für die vielversprechende Sammlung Glasmalerei des Kunstvereins keine Präsentationsräume gesucht und gefunden. So wurde die Sammlung eingestellt. Teile davon sind in der Stadtbibliothek sichtbar. Doch es gibt in Dorsten eine kulturelle Einrichtung, mit der die Stadt ein Alleinstellungsmerkmal hat: das Jüdische Museum Westfalen. Es ist zwar keine städtische Gründung und hat auch keine städtische Trägerschaft, doch es gehört zur Dorstener Kultur.
Noch ein paar Gedanken zum abgerissenen Tisa-Brunnen am Marktplatz
Für Brunnen, die eine Stadt für Einwohner gemütlich machen und die zur kulturellen Architektur Stadt gehören – je nachdem auch zur Kunst –, hat die Stadtverwaltung kein großes Verständnis, denkt man an die inzwischen abgerissen künstlerischen Brunnenprojekte beispielsweise in Wulfen-Barkenberg und an der Franziskanerkirche sowie an die Diskussion um den Wiederaufbau des abgerissenen Tisa-Brunnens am Marktplatz. Das Thema ist hinlänglich bekannt, der Brunnen wurde abgebaut, da er nach 60 Jahren erneuert werden musste. Für die Mehrheit der sich dazu geäußerten Dorstener soll der Brunnen wieder so aufgebaut werden, wie er war. Der Brunnen ist ein in sich kompaktes Kunstwerk der Dorstener Ehrenbürgerin. Warum soll er nicht so wieder aufgebaut werden, wie ihn die Künstlerin geschaffen hat?
Anstatt dies zu tun, wie es dem Projekt und der verstorbenen Künstlerin und Ehrenbürgerin anständigerweise hätte sein müssen, wurde von der Verwaltung im Rathaus trotzdem eine Änderung des Brunnens vorgeschlagen. Die Verwaltung informierte über die Presse die Bürger u. a. dass am 30. Juni 2021 im Rat endgültig entschieden wird, „ob der historische Brunnen als originalgetreue Nachbildung wieder errichtet wird oder ob an dieser Stelle ein gänzlich neuer Brunnen im Geiste Tisas entstehen soll“. Bleibt die Frage: Was heißt im „Geiste Tisas?“ Wer kann denn entscheiden, wie ein Brunnen im Geiste Tisas aussehen kann, wenn man den Brunnen, den Tisa selbst in ihrem Geiste geschaffen hat, nicht mehr will. Den Brunnen wieder herzustellen wie er war, ist man auch der Dorstener Ehrenbürgerin und Künstlerin schuldig.
Bereits veröffentlichte
Meinungen zur Kulturstadt Dorsten
Wer in der Literatur oder die Lokalzeitungen der vergangenen Jahrzehnte blättert, findet immer wieder Erinnerungen, Statements, Betrachtungen und Meinungen über die Kultur in Dorsten aus verschiedenen Zeiten und Blickwinkeln. Hier einige Beispiele.
1930 –Eine gewisse Tragik: „Mit dem Erziehungswesen fließt ein kultureller Strom zusammen, der die verschiedensten Wissensgebiete befruchtet. Vorträge und Ausstellungen gesellen sich Theater- und Musikveranstaltungen zu. Das Laienspiel besitzt in Dorsten eine sonnige Pflegestätte. Von auswärtigen Bühnen wird die Stadt als aufnahmefähiger Theaterboden seit Jahren ernstlich mit Gastspielen umworben […] Es liegt eine gewissen Tragik darin, dass sich, all diese kulturellen Begegnungen der Kulturarbeit mit ihren Auswirkungen auf den heimatlichen Volkscharakter, seelische Gesundheit usw. nicht gerade buchmäßig nachweisen lassen. Die kulturellen Werte speichern sich in der Stille auf, nicht nur durch persönliches Hinzutun. Dorsten, die alte Kulturstadt an der Lippe, darf auf diesen Kräftevorrat stolz sein!“
Dr. Erich Kretzer
„Dorsten, das Kulturzentrum an der Lippe“
in „Dorstener Volkszeitung“,
Dorsten, 23. März 1930
1947 – Billigste Unterhaltungskunst: „Es war schon vorigen Winter so, dass neben wertvollen Veranstaltungen die billigste Unterhaltungskunst sich [in Dorsten] breitmachte und das wieder niederriss, was eben mühsam aufgebaut worden war.“
Westfälische Nachrichten
29. Oktober 1947
1982 – Einsilbig und zäh; „Im Vergleich zu anderen Revierstädten, in denen kulturelles Leben vielfältig pulsiert, zeigt sich Dorsten eher spröde, einsilbig und zäh. Kulturleben wird hier importiert; zum Export reicht’s trotz Bemühungen im Zusammenwirken von Kunstverein, Künstlertreff, Kulturamt, Volkshochschule und Privatinitiativen halt (noch) nicht. Hoch einzuschätzen sind indes die Bestrebungen des etwa 250 Mitglieder starken Kunstvereins, Dorstener Künstler zu fördern, sich um Arrivierte ebenso zu kümmern wie um Newcomer, Talenten den Weg zu ebnen …“
Wolf Stegemann
„Zum Beispiel Dorsten – Kultur vor Ort“
in Westfalen-Spiegel Nr. 8/1982“
1982 – Bestandsaufnahme: „Dorsten – eine Mittelstadt am Rande des Ruhrgebiets, auf der Schwelle zum Münsterland. Eine Stadt, die folglich vom Bergbau, von der Industrie ebenso geprägt ist, wie von Ackerbau und Viehzucht. Eine Stadt zwischen zwei Welten und mit zwei Welten, eine Stadt, in der sich die Bevölkerung immer schon konfrontiert sah mit geografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontrasten. Während sich die einen der Landwirtschaft widmeten und ,Plattdütsch küerten’, fuhren die anderen in die Grube und ,quatschten’ im schönsten Ruhrpottdialekt. So war es einmal, so ist es noch heute, wenn sich auch die Grenzen verwischt haben. Wie auch immer: Dass sich im Zuge solcher Gegebenheiten ein ganz besonderes, vielschichtiges Kulturgut herausgebildet hat, liegt auf der Hand. Und vielleicht, ja vielleicht ist gerade das wiederum ein Grund dafür, dass in Dorsten das kulturelle Leben sich so vielfältig präsentiert, obschon auch hier wie anderswo der Rotstift so manchen kulturellen Traum zunichte macht.
Den „Löwenanteil“ in Sachen Kultur teilen sich in Dorsten das Kulturamt und die Volkshochschule. […] Bereichert wurden diese Angebote, seit sich vor einigen Jahren Kulturbeflissene zusammentaten, um den ,Dorstener Kunstverein’ zu gründen. Seine Aufgabe ist die Förderung ansässiger Talente, die hauptsächlich im Rahmen von Ausstellungen er Öffentlichkeit vorgestellt werden. […] Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang die Musikschule sowie das, wenn auch kleine, so doch äußerst reizvolle Heimatmuseum der Stadt Dorsten. Eine Vielzahl von kulturellen Gruppierungen in mehr oder weniger privater Initiative, wie beispielsweise Orchester, Rockformationen und Laienspielgruppen, runden das Bild ab, aus denen sich der ,Dorstener Künstlertreff’ neben dem ,Wulfener Aktivkreis’ deutlich abzeichnet. Nicht etwa, was die Qualität oder das Engagement der Beteiligten beträfe, als vielmehr in Anbetracht der Organisation, des Selbstverständnisses.“
Elke Jansen
„Kunstszene“ in „Dorstener Künstlertreff“
Dorsten 1982
1983 – Nichts zu verlieren: „Frage also: welchen Stellenwert besitzt Dorsten als ,Kunst-Stadt’ im Revier? Fühlt es sich an den Rand gedrängt oder ist es nicht mal mehr am Rand? Kann es ein Zentrum des Lippe-Raumes für die Sparte „Kunst“ sein oder werden? Oder nimmt Dorsten gar nicht die Möglichkeit wahr, die Kunst und Künstler bieten? […] Also doch nur Dornröschen-Dasein. Viele Fragen also – und die Antworten? […] Blicken wir zunächst zurück: Dorstens kulturelle Bedeutung war gleich null, auch wenn viele meinen, die Stadt hätte irgendwann mal was mit Kunst und Kultur zu tun gehabt. Auch lassen sich keine Namen von künstlerischem Klang ausfindig machen, sieht man von dem frühen Bildhauer Julius Stracke, geboren 1790, und dem 1813 in Dorsten geborenen Kupferstecher und späteren Nestor der Düsseldorfer Kupferstecherschule, Adam Goswin Glaser, ab. […] Dorsten hat keine Villa Hügel, kein Folkwang-Museum, kein Museum am Ostwall, kein Lehmbruck-Museum, aber einen Kunstverein, der sich bemüht, Brachland zu beackern. […] In Sachen Kunst hat Dorsten nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“
Wolf Stegemann
„Dornröschen-Dasein der Kunst oder Perspektiven?“
in „Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck“,
Dorsten 1983
1985 – Dezentralisierung: „Neben der mehr inhaltlichen Differenzierung der Kulturlandschaft in ein Vereins- und Gruppenleben gibt es bekanntlich auch die Frage nach der örtlichen Gliederung. Das Thema wird unter der Bezeichnung ,Dezentralisierung’ erörtert. Der Standpunkt Dorstener Kulturpolitik liegt fest. Wer das feinmaschige Kulturgeflecht begrüßt, das die vielen Vereine und Gruppen bilden, sagt auch Ja zur Dezentralisierung. Sie ist die logische Folge der inhaltlichen Auffächerung. Das zeigt die Richtung an, auf die es ankommt.“
Dr. Karl-Christian Zahn, Stadtdirektor
Auszug aus der Begrüßungsrede
der Kultur-Anhörung in Schloss Lembeck im März 1985
1985 – Kultur-„Hearing“ im Schloss: Kultur in Dorsten – gibt es sie überhaupt? Wenn ja, wer hat sie? Wo und wie ist sie bemerkbar? Um zu diesen Fragen Antworten zu erhalten, lud die Kulturverwaltung und der Kulturausschuss im März 1985 sechs Kultur-Experten in den ehrwürdigen Schlaunschen Festsaal von Schloss Lembeck ein, ein kunstvoll kultureller Ort also, dem manchem Beteiligten kalt über den Rücken laufen ließ – aber nur wegen der tiefen Raumtemperatur.
Wer die im Vorfeld dieses seither wahrscheinlich einmaligen Kultur-Hearings von den politischen Parteien im Kulturausschuss der Stadt signalisierten kulturpolitischen Auseinandersetzungen erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Denn die eingeladenen Experten sagten nichts Neues. Fünf von ihnen kannten die Dorstener Kulturszene überhaupt nicht. Was am Ende blieb, waren überall nachlesbare Denkansätze über Kultur. […]
Die Kulturspitze der Stadt war vollzählig vertreten, auch der Stadtdirektor und der Bürgermeister waren da, die Zuhörerstühle voll besetzt und die früheren Schlossherren blickten in Öl streng und mit Neugierde auf die Versammelten. Schließlich stand Hochpolitisches auf der Tagesordnung: Erörterung über Rahmenbedingungen und Inhalte mittelstädtischer Kulturarbeit in Dorsten. Bis auf den Vorsitzenden des Kunstvereins, Peter Broich, kamen die anderen Experten aus Nachbarstädten: Dr. Rüth (Marl), Dr. Becker (Bocholt), Jörg Loskill (Gelsenkirchen), Klaus Crummenerl (Gütersloh) und Prof. Günter (Oberhausen). Sie sollten den Dorstenern sagen, was eine Stadt wie Dorsten tun müsse, um kulturell aufzufallen. Doch gleich zu Beginn sagte der kulturpolitische Sprecher der CDU-Kulturfraktion, Gerd Schute, den angereisten Experten, dass er die SPD-Kulturfraktion heftig kritisieren müsse, weil sie diese Veranstaltung zu schlecht vorbereitet habe. Denn die Kulturangebote der Stadt seien für eine Grundsatzdiskussion nicht analysiert worden.
Hingegen lobte der Sprecher der SPD, Horst Köhler, die Kulturverwaltung wegen ihrer guten Arbeit und kritisierte aber die Presse, die nicht genügend Hinweise auf Theatervorstellungen brächte. Dann kamen die Experten zu Wort: Dr. Rüth, Museumsleiter in Marl, regte an, mehr Bildende Kunst zu zeigen, Peter Broich, Dorsten, stellte fest, dass „eine ganze Menge Kultur“ angeboten werde, doch gebe es ein fehlendes Kulturbewusstsein in der Bevölkerung.
Professor Roland Günter, Kultursoziologe in Oberhausen, schlug vor, die Stadtverwaltung solle durch Kultur mehr Lebensqualität in der Stadt schaffen. Jörg Loskill, Kulturredakteur in Gelsenkirchen, meinte provozierend, die Dorstener seien „Kulturschmarotzer“, denn sie nähmen die Kulturangebote der Nachbarstädte in Anspruch. Klaus Crummenerl vom NRW-Kultursekretariat in Gütersloh stellte fest, dass Dorsten mit 2,8 Prozent seines Etats für Kultur zu wenig ausgebe. Der Bocholter Stadtrat Dr. Becker referierte allgemein über Kultur. – Dr. Dieter Nellen (SPD), der damals als Kulturausschussvorsitzender dieses „Experten-Hearing“ mit dem Hintergedanken anregte, die Stadt werde für einen eigenen „Kultur-Experten“ eine Stelle schaffen, mag danach Goethe in den Sinn gekommen sein, der Dr. Faust sagen lässt: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“
Nach Wolf Stegemann
„Experten sagen nichts Neues zum Thema Kultur“
in „Ruhr-Nachrichten“ vom 15. März 1985
2002 – Keine homogene Stadt: „Man könnte mehr, wenn man sich anstrengte, wenn man aus der kulturellen Lethargie erwachte. Denn wie sieht in Dorsten das Kulturangebot, das übrigens nur selten von Kulturpolitikern besucht wird, aus? Aus Konsumentensicht mag man zunächst zufrieden sein. […] Doch von der freien Szene, von den Initiativen hört man derzeit wenig. Liegt es daran, dass Dorsten zu wenig Engagierte hat? Oder daran, dass die Kulturverwaltung Aktionen und Vorschläge zu wenig fördert, sich zu wenig als Moderator für die Kulturinitiativen begreift? […] Denn es gibt sie doch noch, die Menschen, die künstlerisch aktiv sind, die sich kulturell engagieren. Kunstverein oder Brahms-Chor, Goethe-Stammtisch oder Virtuell-Visuell, um nur einige zu nennen. Sie haben in den vergangenen Jahren das Leben in Dorsten mit ihren Aktionen bereichert. Verhaftet im Lokalen, aber den Blick über den Tellerrand hinausgerichtet: Beispiele produktiver ,Provinzkultur’ im Positiven. […] Vieles ist in Dorsten bereits angestoßen worden und ebenso Vieles ist versandet. […] Ein Unding, dass die Werke der Dorstener Vorzeigekünstlerin noch immer keine ständige Heimstatt gefunden haben. […] Woran liegt es, dass Kultur es so schwer hat in Dorsten? Vielleicht daran, dass Dorsten eine heterogene Stadt ist, zerfallen in sehr unterschiedliche Strukturen. […] Vielleicht reicht es ja, auf die vielen Heimatvereine, Chöre, Laientheatergruppen und Hobbykünstler hinzuweisen und ansonsten das Jüdische Museum Westfalen in die Waagschale zu werfen, wenn es darum geht, einen Beitrag für die Kulturszene Ruhrgebiet geleistet zu haben. Die Kulturinteressenten können ja immer noch nach Recklinghausen oder Bochum, Essen oder Duisburg fahren: Kultur ist für Dorsten nie länger als eine halbe Stunde Autofahrt entfernt.“
Michael Klein „Kulturszene in Dorsten“
in „25 Jahre Dorstener Kunstverein 1977 – 2002“
Dorsten 2002
2010 – Dorsten bietet Attraktionen: „Was uns alle verbindet, ist, dass wir ein besonderer Menschenschlag sind. Das Ziel der Kulturhauptstadt ist es, ein neues Bild vom Ruhrgebiet in die Köpfe und das kollektive Gedächtnis der Menschen zu tragen. Ein Bild, das über rauchende Schlote und die Dicke Bertha hinausgeht. Das Jüdische Museum Westfalen ist eine der vielen Attraktionen, die Dorsten zu bieten hat.“
Prof. Dr. Oliver Scheytt,
Dezernent für Bildung, Jugend und Kultur der Stadt Essen,
Geschäftsführer der RUHR 2010,
2007 im Alten Rathaus Dorsten
2010 – Dorsten, meine Niemandsbucht: „Ich bin sehr froh darüber, nicht in einer Scheingroßstadt wie Essen, sondern in Dorsten aufgewachsen zu sein, denn so geriet ich gar nicht erst in Versuchung, mich hier einrichten und die ,Abweichung von der Norm’ auf Dauer aushalten zu wollen. Mir kommen oft die Verse von John Cale und Lou Reed in den Sinn: ,When you’re growing up in a small town / you know you’ll grow down in a small town / there is only one good use for a small town / you hate it and you’ll know you have to leave’. Ich bin ein großer Fan von James Kochalka, Comicmacher, Sänger und Superstar, der mit seiner Frau, seiner Katze und seinen zwei Söhnen in einer Provinzstadt im US-Staat Vermont lebt, ganz im Einklang mit sich und seiner kleinen Welt, und ich habe mich schon oft dabei ertappt, wie ich mich innerlich frage, ob Dorsten mein Burlington sein könnte, meine Niemandsbucht. Doch ein Gang durch die Fußgängerzone reicht: Nein, dafür ist Dorsten einfach zu hässlich! Ein Freund, der mit mir in Dorsten aufwuchs, zitiert wiederum bis heute gern die Beschreibung, die ich machte, als ich vor einigen Jahren meine Eltern besuchte und durch die Innenstadt lief: ,Dorsten, diese schon am Nachmittag leergefegten Straßen, durch die es weht: Selbstmord, Selbstmord … Seit einem halben Jahr wohne ich mit meiner Frau in Eriwan in Armenien und genieße die Betriebsferne. Ich bin der einzige Schriftsteller weit und breit, doch mein Beruf spielt eigentlich keine Rolle. In Eriwan werde ich vorrangig als Ausländer wahrgenommen – und das ist eine gute Voraussetzung zum Literaturmachen.
Marc Degens
in „Echt. Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet“,
24. Oktober 2010 in „Mein Poppott“ (online)
2011 – Veranstaltungskalender bereichert: „Der Standort Dorsten bietet ein breites und unterhaltsames kulturelles Spektrum: neben historischen Örtlichkeiten und musealen Ausstellungen finden sich unterhaltsame wie nachdenklich stimmende Veranstaltungen im Jahreskalender der Stadt. Zwar ist das Zentrum Dorstens im Bereich der Altstadt gut vertreten, doch ist das Besondere an der Flächenstadt, dass sich die Stadtteile eines besonderen Selbstbewusstseins erfreuen. Dort ansässige Vereine und Gruppen haben einen hohen Identifikationsgrad mit ihrem Wohnumfeld und engagieren sich in Chor- und Musikgemeinschaften, Sport- und Tanzgruppen oder in Traditionsvereinen und Heimatverbänden. Mit ihren Veranstaltungen bereichern Sie den Veranstaltungskalender der Stadt Dorsten rund ums Jahr.“
Werbe-Homepage der Stadt Dorsten, 2011
2021 – Zur Werkstatt-Heimat-Studie der Stadtagentur: „Es ist nicht einfach, eine uneinheitlich strukturierte Stadt wie Dorsten zu einem Bestimmungsort zu machen, an dem sich die eigenen Bürger ebenso wohlfühlen wie Besucher von außerhalb. Immerhin: Der Stadtmarketingprozess hat den beschwerlichen Weg dorthin beschritten. Und wenn am Ende nicht die eine Marke für Dorsten steht? Sondern die Richtung dahin geht, dass sich Dorsten in mehrere unterschiedliche Marken verzweigt? Das muss nicht unbedingt eine Sackgasse sein.“
Michael Klein
„Eine Studie gibt erste Hinweise:
Was Dorsten in Zukunft alles sein könnte“
in „Dorstener Zeitung“ vom 19. April 2021
Siehe auch den Beitrag von Dirk Hartwich:
Gedanken über fehlende städtische Kulturangebote in den Stadtteilen. Ein mit Kulturverantwortlichen im Rathaus diskutiertes Positionspapier – bislang ohne weitere Reaktion
Warum fragt man nicht die Menschen, wie sie sich ihre Stadt wünschen? Was ihnen fehlt, was sie sich wünschen, worüber sie sich freuen würden, für ihre Stadt, in der sie ja nun mal leben, deren Bewohner sie sind. Kommt keiner der Kulturamtler, der Städtebauer oder der Bürgermeister auf die Idee? Dafür besetzen sie doch ihre Posten, um den Bürgern das gute Leben in ihrer Stadt zu ermöglichen.
Wer in seinem Leben nichts Schönes zu sehen bekam, der kann nicht nachempfinden, dass es vielen Menschen wichtig ist, in schönem Umfeld zu leben. Eine Stadt mit Niveau wird Dorsten so nicht werden, da müssten andere Entscheider ans Ruder. Je mehr es Richtung Ruhrgebiet geht, desto trostloser, abweisender und unfreundlicher werden die Städte. Dorsten ist auf dem besten Weg dahin.
Es fehlt die Intelligenz, der Blick für das große Ganze, da können sich die Schreiber die Stifte krumm schreiben, in Dorsten funktioniert das nicht. Der Tisa-Brunnen wird nicht wieder an seinem angestammten Platz aufgebaut werden. Jede Wette!