Von Helmut Frenzel
31. März 2021. – Das Verwirrspiel um den Forward Zahlerswap, hat in den vergangenen Wochen einigen Wirbel verursacht. Dafür gibt es Gründe. Zum einen hat die Stadt mit dem Zinsspekulationsgeschäft einen hohen Schaden von bislang 13 Millionen Euro erlitten. Zum anderen steht der Zweifel im Raum, ob das Geschäft überhaupt zulässig war. Den Anlass dafür hatte Bürgermeister Tobias Stockhoff selbst geliefert. In seine Berichtsvorlage zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 17. März 2021 hatte er hineingeschrieben, bei dem in 2009 abgeschlossenen Forward Zahlerswap handele es sich nicht um einen Kredit. Das verstanden die wenigen Leser, die sich überhaupt mit dem Fall befassen, als Eingeständnis, dass das verlustträchtige Swap-Geschäft nicht an einen Kredit gebunden ist. Damit hat der Bürgermeister einen kritischen Punkt in die Öffentlichkeit getragen. Die Zulässigkeit des Zinsswaps hängt nämlich an der Frage, ob das Geschäft an einen langfristigen Kredit gebunden ist. Dazu gibt es klare Vorgaben. Im Krediterlass der Landesregierung vom 9. Oktober 2006 heißt es:
„Paragraph 2.2 Abs. 3
Es ist grundsätzlich zulässig, Zinsderivate zur Zinsabsicherung zu nutzen. Diese Instrumente dürfen allerdings lediglich im Rahmen des abgeschlossenen Kreditgeschäftes eingesetzt werden. Dementsprechend sind Geschäfte mit Derivaten, die unabhängig von Kreditgeschäften abgeschlossen werden, als spekulative Geschäfte für Gemeinden unzulässig.“
Die Bindung des Zinsswap an ein zuvor abgeschlossenes Kreditgeschäft wird als „Konnexität“ bezeichnet. Die Bedingungen für die Konnexität sind eng gefasst. Wenn es bei dem Forward Zahlerswap von 2009 keine Verknüpfung mit einem zuvor abgeschlossenen Kredit gibt und folglich keine Konnexität besteht, war das Swap-Geschäft nicht zulässig. Die im Rats- und Bürgerinformationssystem der Stadt zugänglichen Dokumente belegen unzweifelhaft, dass es bei dem Zinsswap einen Bezug zu einem Kredit nicht gibt und nie gab. Der Forward Zahlerswap ist ein selbständiges Zinsspekulationsgeschäft ohne Bindung an einen Kredit und folglich nicht zulässig. Aber wieso ist das nicht früher aufgefallen?
Nur an einer einzigen Stelle wird ein Kredit angedeutet
Der Forward Zahlerswap wird – seltsam genug – in der Berichtsvorlage Drucksache Nr. 43/10 vom 1. Februar 2010 in den folgenden wenigen Zeilen dargestellt:
„Startdatum 30. 12. 2033
Laufzeit: 20 Jahre
Nominalvolumen: 25 Mio. € anfänglich
Ratierliche Tilgung von 125.000 € vierteljährlich bis auf 15 Mio. €
WestLB zahlt 3-M-Euribor
Stadt zahlt fest 3,15 %
Kündigungsrecht der WestLB einmalig zum 30. 12. 2043“ (Seite 5)
Hier wird nicht ausdrücklich auf einen Kredit Bezug genommen. Doch die „Ratierliche Tilgung von 125.000 € vierteljährlich“ lässt sich nur so verstehen, dass es einen Kredit gibt, denn ein Swapgeschäft kann man nicht tilgen. Es musste demnach ein Kreditgeschäft geben, auf das hier Bezug genommen wird. Außerdem: Für die Tilgung bis auf 15 Millionen Euro würde man 30 Jahre brauchen. Die Laufzeit des Swaps beträgt aber nur 20 Jahre. Auch das legt die Annahme nahe, dass hier ein Kreditgeschäft beteiligt ist. Aber in keinem der späteren, im Rats- und Bürgerinformationssystem zugänglichen Dokumente ist jemals ein langfristiger Kredit von 25 Millionen Euro erwähnt. Und es ist auch wahr: Niemand hat je behauptet, dass es einen solchen Kredit gibt. Die Annahme, dass es ihn gebe, beruht alleine auf einer Auslegung der obigen, offensichtlich irreführenden Beschreibung des Geschäfts.
Ein Zinssicherungsgeschäft für einen Kredit war nie beabsichtigt
Demgegenüber finden sich in den Dokumenten klare Hinweise, dass es überhaupt nicht darum ging, den Zinssatz für einen langfristigen Kredit abzusichern. In der zuvor genannten Drucksache schreibt der damalige Kämmerer Wolfgang Quallo:
„Der Swap ist in erster Linie interessant für jemanden, der sich im langfristigen Bereich auf variabler Basis verschuldet hat. Solche Kreditstrukturen gibt es bei der Stadt Dorsten bisher [ … ] nicht. (Seite 5)
……..
Der Reiz besteht nicht darin, diesen Swap zur Wirkung kommen zu lassen. Der Vorteil, dass andere Marktteilnehmer einen solchen Swap benötigen, generiert für die Stadt einen Marktwert. (Seite 5)
………
Die Stadt verfolgt nicht das Ziel, den Swap dauerhaft über die Gesamtlaufzeit zu halten …“ (Seite 6)
Mit anderen Worten: Im Vordergrund stand die Absicht, mit dem Zinsswap einen Spekulationsgewinn zu erzielen und den Swap dann zu verkaufen. Von einem langfristigen Darlehen, dessen Zinssatz abgesichert werden sollte, ist nirgendwo die Rede. Mit dem Forward Zahlerswap sollte ein ganz anderes Problem aus der Welt geschafft werden:
„Es ging vorrangig darum, ein Risiko aus dem sich negativ entwickelnden Swap zum Ausgleich des SPM [Schuldenportfoliomanagement] ohne eine Zahlung von 1 Mio. € oder mehr zu eliminieren.“ (Seite 6)
Tatsächlich hielt die Stadt in ihrem Portfolio einen Vorgängerswap über 20 Millionen Euro mit einer Laufzeit von 3 Jahren. Auch hier findet die Bindung an einen Darlehensvertrag keine Erwähnung. Bei diesem Geschäft drohte ein Verlust und vor allem drohten unmittelbar Zahlungen von insgesamt einer Million Euro. Mit Abschluss des Forward Zahlerswap im Februar 2009 wurde der Verlust aus dem Vorgängergeschäft „abgelöst“ und so die Zahlungen vermieden, doch diesen Vorteil erkaufte die Stadt mit einem deutlich erhöhten Risiko des Folgegeschäfts. Das Volumen des Zinsswaps stieg von 20 auf 25 Millionen Euro und die Laufzeit wurde auf 20 Jahre in eine weit entfernt liegende Zukunft hinein verlängert (2033 bis 2053). Zusätzlich gestand die Stadt dem Vertragspartner WestLB ein einseitiges Kündigungsrecht zur Mitte der Vertragslaufzeit 2043 zu . Niemand wird erwarten, dass die WestLB auf die ihr zustehenden Ansprüche aus dem Vorgängergeschäft verzichtete. Mit Sicherheit wurde ein Ausgleich dafür in die Konditionen des Forward Zahlerswap einkalkuliert. Deswegen verwundert es nicht, dass der neue Swap gleich mit einem negativen Marktwert und einer entsprechenden Rückstellung für Drohverluste startete. Der Kämmerer hatte zwar Zahlungen von 1 Million Euro vermieden, aber gleichzeitig die Tür geöffnet für viel höhere Verluste in der Zukunft.
Das Zinsspekulationsgeschäft war von Beginn an unzulässig
Diese Erzählung von der Ablösung des Vorgängergeschäfts und der Vermeidung einer Zahlung von einer Million Euro wird in den späteren Berichtsvorlagen regelmäßig wiederholt. Von einem langfristigen Kredit, der dem Swap unterlegt ist, wird ebenso regelmäßig nichts gesagt. Und deshalb bleibt es bei der Feststellung: Bei dem Forward Zahlerswap handelt es sich um ein selbständiges Zinsspekulationsgeschäft ohne Bindung an einen langfristigen Kredit. Es war von Beginn an unzulässig. Der Abschluss eines Forward Zahlerswap ist auch aus einem ganz anderen Grund nicht zu rechtfertigen. Ein Zinsswap macht nur Sinn, wenn er an einen langfristigen Kredit mit variabler Verzinsung geknüpft ist. Er kann den Kreditnehmer vor steigenden Zinsen schützen. Solche Kredite hat die Stadt aber überhaupt nicht „im Bestand“ und somit besteht kein Zinsänderungsrisiko, das abgesichert werden müsste. Sie hat offenbar schon immer Darlehen mit Festzinsvereinbarung aufgenommen. Als die Zinssätze seit Anfang der 2010er-Jahre sanken, hat sie, wo es möglich war, die niedrigen Zinssätze per Forward-Vereinbarungen festgeschrieben. Damit fehlte für den Abschluss eines Zinsswaps jegliche wirtschaftliche Grundlage. Es gab kein Darlehen mit einem variablen Zinssatz, das man mit dem Forward Zahlerswap hätte verknüpfen können.
Die Einlassungen des Bürgermeisters ändern nichts
Nun droht Ungemach. Ein unzulässiges Spekulationsgeschäft in den Büchern – das verlangt nach Konsequenzen. Um diese abzuwenden versuchen der Bürgermeister und einige andere zu retten, was zu retten ist. Einen ersten Anlauf gab es schon 2016. In der Berichtsvorlage zur Sitzung des Finanz- und Hauptausschusses am 20. April 2016 (Drucksache Nr. 040/16) heißt es zum Forward Zahlerswap:
„Die Stadt hat sich verpflichtet, im Jahre 2033 einen Kredit zu bereits in 2009 festgelegten Konditionen aufzunehmen.“ (Seite 5)
Dies ist ein Versuch, die in den Krediterlassen der Landesregierung geforderte Konnexität nachträglich herzustellen. Aber das funktioniert aus zwei Gründen nicht. Konnexität erfordert, dass zuerst der Kreditvertrag abgeschlossen sein muss und dann das Zinssicherungsgeschäft folgt. Und außerdem dürfen Gemeinden Kredite nur für Investitionen und zur Umschuldung aufnehmen. Beides trifft in diesem Fall nicht zu. Der Bürgermeister hat das wohl erkannt und in seiner Berichtsvorlage zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 24. März 2021 eine andere Idee ins Spiel gebracht, um die Kritiker ruhig zu stellen. Nachdem ein Verkauf des Swaps zur Zeit wegen der extrem niedrigen Zinssätze nicht möglich ist, sieht er diese Alternative (Drucksache Nr. 43/21 vom 25. Februar 2021):
„Die Stadt nutzt den Swap zur Zinssicherung selbst. Sie kann damit einen eigenen langfristigen Kredit mit ungünstigeren Konditionen auf 3,15 % senken.
Diese Option besteht bei einem negativen Marktwert. Die gebildeten Rückstellungen werden dann jährlich zur Finanzierung der Zinsen aufgelöst.“ (Seite 5)
Damit gesteht er erstmals ein, dass die Stadt den Swap bisher nicht zur Zinssicherung eines eigenen Kredites nutzt. Er bestätigt damit, dass der Forward Zahlerswap ein unabhängiges Spekulationsgeschäft ohne Bindung an einen Kredit ist und also unzulässig. Aber auch der Ansatz, den Swap selbst zu nutzen, geht ins Leere. Ein Zinsswap macht als Zinssicherung nur Sinn bei einem langfristigen Kredit mit variablem Zinssatz. Die Stadt hält aber ausschließlich langfristige Darlehen mit festen Zinssätzen und folglich gibt es kein Zinsänderungsrisiko. Zu solchen Krediten nachträglich die geforderte Konnexität herzustellen, wird kaum gelingen. Außerdem macht es überhaupt keinen Sinn, weil sich daraus kein Vorteil für die Stadt ergibt.
Harte Konsequenzen sind unausweichlich
Und das Fazit? Es ist tatsächlich gelungen, die Unzulässigkeit eines Spekulationsgeschäfts, das sich als hoch verlustreich erwies, gegenüber Rat und Öffentlichkeit über viele Jahre zu vertuschen. Die Personen, die davon Kenntnis erhielten, hätten sofort für die Beendigung des Geschäfts sorgen müssen. Damit wäre es bei einem möglicherweise geringen Verlust geblieben und ein hoher Vermögensschaden in den späteren Jahren abwendet worden. Denjenigen Ratsmitgliedern, die noch immer den entstandenen Schaden schönreden mit dem Hinweis, es gehe ja nicht um „echte“ Verluste, sondern „nur“ um Buchverluste, sei ein Urteil des LG Augsburg entgegengehalten Dort heißt es:
„Bei den verfahrensgegenständlichen Zinsswaps ist mit der Ingangsetzung ein Vermögensverlust eingetreten ….. Dieser Schaden ist auch bezifferbar. Der Bundesgerichtshof gibt für die Bewertung des eingegangenen Risikos und des dadurch verursachten Minderwerts [ … ] in seiner Leitentscheidung vom 18. 2. 2009, Az.1 StR 731/08 Rn. 13, eine klar und gut handhabbare Anleitung vor: Die Bewertung habe sich an üblichen bilanziellen Instrumenten, wie z.B. der Einzelwertberichtigung, einer Drohverlustrückstellung oder dem Forderungsverkauf zu orientieren.“ (LG Augsburg 14. 5. 2012 – 10 KLs 504 Js 107196_09)
Im Falle des Forward Zahlerswap geht es um Drohverluste. Und ja, wenn sich die Drohverluste in Zukunft verringern sollten, dann entsteht ein Spekulationsgewinn, – ein Buchgewinn -, über den sich die Bürger dann freuen können. Aber den bis heute aufgelaufenen Schaden von 13 Millionen tragen die Bürger von heute.
Nachdem die Unzulässigkeit des Forward Zahlerswap belegt ist, wird es nun um die Konsequenzen gehen, die zu ziehen sind. Es geht um eine Pflichtverletzung der beteiligten Amtsträger, die der Stadt Dorsten einen Millionenschaden eingetragen hat. Wer wusste davon? Warum ist niemand eingeschritten und hat dafür gesorgt, dass das Geschäft beendet wird? Wieso hat Bürgermeister Tobias Stockhoff nicht Regressforderungen gegen die unmittelbar Verantwortlichen geltend gemacht? Wer wusste außerhalb der Verwaltung von der Unzulässigkeit des Geschäfts – zum Beispiel im Rat der Stadt? Es ist nicht vorstellbar, dass insbesondere der Fraktionsvorsitzende der regierenden Partei CDU Bernd Schwane, selbst Rechtsanwalt, keine Kenntnis hatte. Wer sonst wusste davon und deckte über Jahre die Amtspflichtverletzung? Bei dem Spekulationsgeschäft geht es nicht nur um einen Vermögensschaden, der der Stadt Dorsten und seinen Bürgern zugefügt wurde, sondern auch um einen Vertrauensschaden. Es geht um Transparenz und Wahrheit, um Täuschung und Vertuschung. Und es geht um die Frage: Warum sollen Ratsmitglieder und die Bürger der Stadt jenen Personen, die in diesen Fall verwickelt sind, noch glauben, dass sie im Interesse der Bürger handeln? Warum sollen sie ihnen noch vertrauen? Deswegen werden Stimmen laut werden und verlangen, dass diejenigen, die zum engeren Kreis der „Wissenden“ gehören, ihr Amt beziehungsweise ihr Mandat niederlegen.
Siehe auch: Müssen sich nur die Bürger an Gesetze halten? Oder gelten die auch für den Stadtkämmerer und den Bürgermeister?
Siehe auch: Zoff im Haupt- und Finanzausschuss. Über ein verlustreiches Spekulationsgeschäft wurde heftig gestritten. Die Wahrheitsfindung blieb dabei auf der Strecke
Siehe auch: Neuer Millionenverlust bei einem Spekulationsgeschäft. Anders als bisher berichtet soll der Zinsswap nicht an einen Kredit gebunden sein. War das Geschäft überhaupt zulässig?