Von Wolf Stegemann
9. Oktober 2020. – »Alles, was das Seelenheil meiner Pfarrkinder fördern kann, ist mir nicht nur heilige Pflicht, sondern auch wahre Herzensangelegenheit.« So sprach Ludwig Heming, Pfarrer von St. Agatha, als er bei »seinen lieben Pfarrkindern« Anfang Februar 1934 in Altendorf-Ulfkotte weilte. In dieser Versammlung in der Wirtschaft Kremerskothen gab er seine Genehmigung zum Kirchenbau in Altendorf-Ulfkotte. Die Altendorfer Bauern hatten dabei massiv nachgeholfen: Sie drohten, die Kirchbau-Kasse des Kirchbauvereins der NSDAP zu übergeben, wenn nicht in kürzester Zeit die Baugenehmigung erteilt würde. Die Drohung hatte Wirkung. Dem Kirchbauverein gehörte nämlich als zweiter Vorsitzender der Ortsbauernführer, Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Schulte-Hemming (Foto, re.) an. »Der Kapellenbau in Altendorf-Ulfkotte wird nur dann zustandekommen«, so redete der Pfarrer auf seine »Abtrünnigen« ein, »wenn Einigkeit in der Gemeinde herrscht. Einigkeit macht stark! Alle Sonderinteressen müssen zurückgestellt werden, keiner darf sich bei den Sammlungen ausschließen (…) An Gottes Segen ist alles gelegen.« Zugleich wählte man in den Vorstand des Kirchbauvereins: Bauer Felix Breil (1. Vorsitzender), Ortsbauernführer und NSDAP-Ortsgruppenleiter Willi Schulte-Hemming (Stellvertreter), Hauptlehrer Felix Jaworski (Schriftführer) und Franz Fahnebrock jr. (Kassierer).
Ulfkotter wollten zuerst keine eigene Kirche
Gottes Segen, den der Priester für seine Landgemeinde erbat, war nötig, denn an Einigkeit fehlte es in all den Jahren. Die Ulfkotter Bauern paktierten – im Gegensatz zu den Altendorfern – von Anfang an mit ihrem Dorstener Pfarrer und wollten keine Kirche in Altendorf. Sie waren mit einigen Sitzplätzen ganz vorne in St. Agatha gut versorgt. Die Altendorfer dagegen mussten weit hinten mit Stehplätzen vorlieb nehmen. Bei der Erstgründung des Kirchbauverein im Jahre 1903 (und später) verweigerten die Ulfkotter Bauern die Unterschrift. Treibende Kirchbau-Kraft unter den Einwohnern war Bernhard Ax (Foto, re. mit Pfarrer li.). Er drängte solange, bis die Genehmigung »durchgeboxt« war. Mehrmals schrieb er (auch im Auftrag der Pfarreingesessenen) an den Bischof und bat um die Kirche. Die Schreiben gingen stets zur Stellungnahme an Pfarrer Heming. In einer Versammlung in der Wirtschaft Engel gab es deswegen 1920 eine harte Auseinandersetzung zwischen den Bauern und dem Pfarrer. Ludwig Heming notiert in sein Tagebuch:
»Es war an einem Sonntagnachmittag gegen vier Uhr. Die Versammlung war stark besucht. Ich wurde herzlich willkommen geheißen und hielt dann eine längere Ansprache, drückte meine Freude aus über den regen Besuch und das Interesse und sagte meine Unterstützung zu. Betonte aber auch, dass es doch eigentlich passend gewesen wäre, vorher den Pastor über ihre Absicht zu informieren. Durch eine Eingabe an Münster (ohne Namensunterschrift), die an mich zur Berichterstattung zurückgeschickt wäre, sei ich erst unterrichtet worden. – Sie kennten mich doch schon fast zehn Jahre und wüssten, dass ich für alles, was Verbesserung der Seelsorge beträfe, großes Interesse und weites Entgegenkommen zeige. Nun kam es heraus, dass die Eingabe von einem Steiger Ax, Sohn des Lehrers i. R. Ax, ohne Wissen der Bauern nach Münster gesandt war. Allgemeines Staunen, als ich die Eingabe verlas und zugleich die Gründe zerpflückte. (…) Nun kam es aber zu einer erregten Aussprache zwischen Steiger Ax und mir. Zuletzt aber hatte ich die Bauern auf meiner Seite. Es wurde ein Bauverein gegründet und zum Vorsitzenden Herr Landwirt Felix Breil gewählt… «
Der Pfarrer hatte die »revoltierenden Bauern« mit Taktik auf seine Seite gezogen, indem er dem Kirchbauverein wohlwollend gegenüberstand. Doch dem Kirchbau selbst noch lange nicht.
Erstmals der Besuch eines Bischofs in Altendorf
Ein Jahr später, am 20. April 1921, besuchte zum ersten Mal der Bischof von Münster, Johannes Poggenburg, die Gemeinde Altendorf-Ulfkotte, die politisch zum Amt Marl und kirchlich zu Dorsten gehörte. Nachmittags um vier fuhren Bischof und Pfarrer zur Straße Gräwingheide. An der Schule wurde der Ehrenzug von der gesamten Bevölkerung empfangen. In der Mitte stand der mit Orden dekorierte Lehrer Friedrich Ax i. R. Er begrüßte den Bischof mit den Worten:
»Hochwürdiger Herr Bischof! Der heutige Tag ist für uns ein großer, denkwürdiger Tag. Noch niemals ist es vorgekommen, dass ein Bischof unsere Landgemeinde besuchte. Das ist für uns eine große Ehre. Hochwürdigster Herr Bischof, Sie sind an einem Orte, wo das große Wort des Propheten Malachias noch nicht in Erfüllung gegangen ist: „An allen Orten wird meinem Namen ein reines Speiseopfer dargebracht werden“. Wir wohnen eine Stunde von der Pfarrkirche Dorsten entfernt. Vor einiger Zeit haben wir einen Bauverein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat. hier bei der Schule eine Kapelle zu errichten. Wenn der Bau vollendet ist, dann soll die neue Kapelle dem hl. Johannes geweiht werden.«
Bischof Johannes hörte sich das alles geduldig an und sagte: »Hoffentlich erlebe ich das noch!« Er erlebte es nicht. Bischof Poggenburg starb am 5. Januar 1933.
Erster Spatenstich erst im Oktober 1937
Erst am 18. August 1937 tat NSDAP-Ortsgruppenleiter Willi Schulte-Hemming den ersten Spatenstich. Am 10. Oktober fand die feierliche Grundsteinlegung statt. Endlich hatten die Altendorfer ihr Gotteshaus, dem sie den Namen »Heilig-Kreuz-Kirche« gaben. In der Agatha-Chronik steht unter dem 10. Oktober 1937:
»Die langen Bemühungen der Altendorf-Ulfkotter Bevölkerung, ein eigenes Gotteshaus zu bekommen, waren endlich von Erfolg gekrönt. Nach langem Hin und Her und manchen unerquicklichen Streitigkeiten wurde der Kirchbau in Angriff genommen und nachmittags vier Uhr feierlich der Grundstein gelegt. Die neue Kirche sollte einem Wunsche Planer Hemings entsprechend den Namen Heilig-Kreuz-Kirche erhalten. Der Entwurf zu dem schmucken Dorfkirchlein stammte von dem bekannten Kirchenbauer Franke.«
Am 27. April 1938 war die Konsekration der neuen Kirche für Dorsten ein besonderes Ereignis. Erstmals nach 600 Jahren konnte in der Lippestadt wieder eine Kirche geweiht werden. Bischof Clemens August Graf von Galen, Nachfolger von Bischof Johannes, wollte nach Altendorf-Ulfkotte kommen, um die Weihe der Kirche vorzunehmen. Aus den Tagebuchnotizen von Pfarrer Heming geht aber hervor, dass Bischof Clemens August in letzter Stunde wegen einer Entzündung am Knie verhindert war. Für ihn kam Weihbischof Roleff. Frühmorgens wurden der Bischof und die Dorstener Geistlichen von zahlreichen Reitern und Radfahrern nach Altendorf geleitet. Um 8 Uhr begann die Weihe der Kirche und des Altars. Anschließend zelebrierte Pfarrer Ludwig Heming das Hochamt mit Pontifikalassistenz des Weihbischofs. Ludwig Heming notierte: »Da der Bischof sehr lange predigte, dauerte die Feier bis gegen 12.30 Uhr. Anschließend war im Engelschen Saale ein Festessen, bei dem verschiedene Ansprachen gehalten wurden.« Die Altendorfer Pfarrkinder, die nach 35 Jahren »Kirchenkampf« endlich ihr eigenes Gotteshaus hatten, wurden vornehmlich von dem Kaplan van Heiden betreut, der aber wegen anderen Verpflichtungen den Gottesdienst auf je eine hl. Messe am Sonntag und in der Woche beschränken musste. Kaplan van Heiden war es auch, der sich um den Bau der Hl.-Kreuz-Kirche besonders bemühte und verdient gemacht hatte. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 1944 wurden durch Bombeneinwirkungen Fenster, Türen, Wände und Dach der Kirche schwer beschädigt. Dennoch überstand sie den Krieg. Ihr trutziges Aussehen kündet heute noch von den gewitzten Finessen der Altendorfer, die sich ihre Kirche von ihrem Bischof ertrotzt haben. Auch wenn es lange gedauert hat. – Heute gehört die Kirche der evangelischen Gemeinde, da die Altendorfer eine neue Kirche bauten.