Von Helmut Frenzel
27. August 2020. – Die Corona-Pandemie hinterlässt in den öffentlichen Haushalten tiefe Spuren. Infolge der Wirtschaftskrise sinken die Steuereinnahmen, zugleich steigen die Ausgaben für Hilfsprogramme, die den Untergang ganzer Wirtschaftszweige verhindern sollen. Das trifft in erster Linie Bund und Länder, aber auch die Kommunen sind betroffen. Mit ihren Anteilen an Umsatz- und Einkommensteuer und den Schlüsselzuweisungen des Landes hängen sie an denselben Finanzquellen. Das trifft Städte und Gemeinden hart, weil damit der Haushaltsausgleich auf dem Spiel stehen kann, und besonders hart diejenigen, die kurz vor dem Abschluss der Haushaltssanierung stehen. Grundlage dafür war das Stärkungspaktgesetz des Landes NRW. In einem auf zehn Jahre angelegten Sanierungsprozess sollten die betroffenen Gemeinden in die Lage versetzt werden, ihren jährlichen Haushalt wieder aus eigener Kraft auszugleichen. 2021 wäre das letzte Jahr in dieser Reihe. Dorsten war eine der „Stärkungspakt-Gemeinden“ und erreicht unter dem Diktat des Gesetzes das Ziel des Haushaltsausgleichs – jedenfalls geht es so aus dem Doppelhaushalt 2020/21 hervor.
Entgegen anders lautenden Behauptungen haben die Bürger den Haushalt saniert – mit ihren Steuern und Abgaben, die sich am oberen Anschlag des Machbaren oder Zulässigen bewegen, aber auch mit dem erzwungenen Verzicht auf städtische Leistungen, zum Beispiel im Bereich der Infrastruktur oder anderen kommunalen Leistungen. Sie können erwarten, dass mit dem Ende der Haushaltssanierung die Stadt eine Haushaltspolitik verfolgt, der einen Weg zurück zu „normalen“ Verhältnissen auch im Hinblick auf Steuersätze und Abgaben vorzeichnet. Dabei wird es allem Anschein nach darum gehen, ob und in welchem Ausmaß die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise eine Rolle spielen.
Stadtkämmerer prognostiziert starken Einbruch 2020
Die Landesregierung NRW hat diese Problematik früh erkannt und den Stadtkämmerern aufgegeben, jeweils zum Ende eines Vierteljahres, erstmalig zum 30. Juni 2020, über die finanzielle Lage zu berichten. Diesen Bericht legt Kämmerer Hubert Große-Ruiken dem Rat in seiner Sitzung am 2. September vor. Er ist unter dem entsprechenden Punkt der Tagesordnung im Rats- und Informationssystem der Stadt abrufbar. Ausgehend von den Zahlen des ersten Halbjahres erwartet der Kämmerer hochgerechnet auf das Gesamtjahr einen Überschuss von 2,3 Millionen Euro. Darin berücksichtigt sind coronabedingte Mehrbelastungen von 3,6 Millionen Euro. Das scheint wenig und ist damit zu erklären, dass die Stadt Dorsten als eine am Stärkungspakt teilnehmende Gemeinde 2020 eine einmalige Sonderhilfe zur Bewältigung der Corona-Krise von 3,9 Millionen Euro erhält. Rechnet man die Sonderhilfe heraus, belaufen sich die coronabedingten Mehrbelastungen auf 7,5 Millionen Euro. Im Ergebnis nicht berücksichtigt sind noch ausstehende Verbesserungen durch die Kompensation von etwaigen Gewerbesteuerausfällen durch den Bund. Außerdem erhöht der Bund ab 2020 seinen Anteil an der SGB II-Umlage von 50 auf 75 Prozent. Der Kämmerer schreibt dazu, dass der Jahresüberschuss deswegen höher ausfallen könnte, sagt aber auch, das Ergebnis sei mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.
Landesregierung will Isolierung der Corona-Schäden in den Haushalten
Was bedeutet das für die Haushaltspolitik? Dazu muss man wissen, dass die Landesregierung in einem Gesetzentwurf mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Belastungen in den kommunalen Haushalten und zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit …“ klare Vorgaben macht, wie mit den coronabedingten Verlusten umzugehen ist. Danach ist die Summe der Haushaltsbelastung durch Mindererträge und Mehraufwendungen im Jahresabschluss als außerordentlicher Ertrag in die Ergebnisrechnung einzustellen und bilanziell gesondert auszuweisen. Der Ergebnisausweis des Stadtkämmerers würde dann so aussehen: erwartetes Ergebnis 2,3 Millionen Euro + coronabedingte Haushaltsbelastung 3,6 Millionen Euro = Jahresüberschuss 5,9 Millionen Euro. Die coronabedingte Mehrbelastung von 3,6 Millionen Euro wird in der Bilanz aktiviert und ab dem Jahr 2025 über 50 Jahre abgeschrieben, das heißt in jährlichen Teilbeträgen von je einem Fünfzigstel als Aufwand gebucht.
Bilanzierungshilfe soll kommunale Handlungsfähigkeit sichern
Diese „Bilanzierungshilfe“, so im Gesetzentwurf der Landesregierung genannt, verdient eine nähere Betrachtung. In den Berichten darüber ist die Rede von „Kommunalschutzpaket“ und „Rettungsschirm“ für die Kommunen. Die für die Kommunen zuständige Landesministerin Scharrenbach sagte dazu: Mit dem Gesetzentwurf solle die Handlungsfähigkeit der Kommunen und damit die grundgesetzlich garantierte Selbstverwaltung abgesichert werden. Dahinter steht die Befürchtung, dass die finanziellen Belastungen aus der Corona-Krise die Ergebnisse der Haushaltssanierung der vergangenen zehn Jahre zunichte machen könnten. Die Belastungen sollen deswegen „isoliert“ werden und es soll ein Jahresergebnis dargestellt werden, wie wenn es Corona nicht gäbe. Das ist aus zwei Gründen nachvollziehbar: Rat und Verwaltung haben auf die Höhe der coronabedingten Mehrbelastungen kaum Einfluss und erst durch deren Isolierung lässt sich die „wahre“ Ertragslage der Stadt abbilden. Die „Bilanzierungshilfe“ soll einerseits sicherstellen, dass nicht Haushalte durch Corona in die Verlustzone rutschen und andererseits nicht das Eigenkapital der Städte und Gemeinden dezimiert wird, das in den letzten Jahre mühsam aufgebaut wurde.
Stadtkämmerer hält sich nicht an die Vorgaben des Gesetzentwurfs
Das Gesetz lässt Abweichungen von diesem Verfahren nicht zu. Es räumt allerdings den Kommunen im Zug der Aufstellung der Haushaltssatzung 2025 das einmalig auszuübende Recht ein, die Bilanzierungshilfe ganz oder in Anteilen gegen das Eigenkapital erfolgsneutral auszubuchen. Die Entscheidung darüber steht dem Rat zu. Bedingung ist, dass eine Überschuldung dadurch nicht eintritt. Darüber hinaus sind außerplanmäßige Abschreibungen zulässig, soweit sie mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde in Einklang stehen. Die Regeln zum Umgang mit den coronabedingten Verlusten sind eindeutig. Warum der Stadtkämmerer Hubert Große-Ruiken sich nicht daran hält, ist nicht nachvollziehbar. Für sein hochgerechnetes Ergebnis 2020 saldiert er den erwarteten Corona-Verlust gegen den erwarteten Überschuss und weist für 2020 einen dementsprechend niedrigen Betrag von 2,3 Millionen Euro aus. Aber der Überschuss beträgt bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben 5,6 Millionen Euro. Das macht einen Unterschied. Damit handelt er so, als ob es schon beschlossene Sache wäre, den Corona-Verlust in die Ergebnisrechnung zu übernehmen. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
Stadtkämmerer: Schulden-Abzahlung nicht durch künftige Generationen
In der Sitzung des Rates im Juni, als der Kämmerer erstmals Ergebniszahlen für 2020 vorstellte, entwickelte sich eine Diskussion, ob man die coronabedingten Belastungen künftigen Generationen aufbürden dürfe. Hubert Große-Ruiken plädierte dafür, das ganze Eigenkapital der Stadt 2025 einzusetzen, um das bis dahin aufgelaufene Paket an Corona-Belastungen vollständig auszubuchen oder jedenfalls bis zur Höhe des dann vorhandenen Eigenkapitals. In seiner Vorlage gibt er ein Rechenbeispiel, bei dem das Eigenkapital anschließend komplett aufgebraucht ist. Dazu schreibt er, ohne den Widerspruch zu erkennen: Eine ausreichende Eigenkapitaldecke sei die beste Risikovorsorge. Dieses Kapital stehe nun zur Verfügung, um die Krise zu bewältigen. Und was ist dann? Danach braucht die Stadt keine Risikovorsorge mehr? Was der Stadtkämmerer da zum Besten gegeben hat, – unter Hinweis darauf, dass er dann ohnehin im Ruhestand sei –, entbehrt jeder Logik. Weder ist die Summe aller finanziellen Schäden durch Corona in den nächsten Jahren bekannt, noch weiß irgendwer, wie hoch das Eigenkapital der Stadt 2025 ist. Und es weiß auch niemand, wie es dann um die „dauernde Leistungsfähigkeit“ der Stadt Dorsten steht. Außerdem: Eine Umbuchung der „Bilanzierungshilfe“ gegen das Eigenkapital reicht nicht aus, um künftige Generationen zu verschonen. Dazu müsste parallel der auf die Corona-Krise entfallende Anteil der Liquiditätskredite getilgt werden. Ob die Stadt das 2025 leisten kann, steht in den Sternen.
Das bevorstehende Ende der Haushaltssanierung markiert eine Zäsur
Dem Stadtkämmerer Hubert Große-Ruiken obliegt es, eine realistische und von politischen Nützlichkeitserwägungen freie Einschätzung der wirtschaftlichen Lage nach Abschluss der Haushaltssanierung ab dem Jahr 2021 zu geben. Wo steht die Stadt finanziell ohne die Corona-Schäden? Kann sie den Haushalt ohne die bisher gewährten Sanierungshilfen aus eigener Kraft ausgleichen? Wie hoch fällt bei Berücksichtigung der ab 2020 eintretenden Verbesserungen der kommunalen Finanzierung der Überschuss aus? Es muss Schluss sein mit den absichtsvoll heruntergerechneten Ergebniserwartungen. Es sei daran erinnert, dass der Kämmerer noch im Dezember den für 2019 erwarteten Jahresüberschuss mit 6,9 Millionen Euro bezifferte, in einer Ratsvorlage von Juni wird er mit 10,6 Millionen Euro angegeben. Wer glaubt, dass der Kämmerer das nicht schon im Dezember abgesehen hat, ist naiv. Der Jahresüberschuss 2019 liegt um das 26-fache über dem geplanten Ergebnis. Die Haushaltsplanung und die Einschätzung des Ergebnisses während des Haushaltsjahres kann man nur als unseriös bezeichnen. Der Kämmerer rechnet das Jahresergebnis systematisch herunter, um jegliche Diskussion um eine mögliche Entlastung der Bürger zu verhindern. Die Bezifferung des hochgerechneten Ergebnisses 2020 mit 2,3 Millionen Euro ist eine Fortsetzung dieser Verschleierungspolitik.
In Wahlprogrammen der Parteien kommt Entlastung der Bürger nicht vor
Die Ratspolitiker und auch die, die es werden wollen, fallen darauf herein. Die Luftnummer des Stadtkämmerers, die Corona-Schäden möglichst nicht künftigen Generationen aufzubürden, ist bei ihnen inzwischen angekommen, so als ob das schon beschlossene Sache wäre. Bekanntlich sind in wenigen Wochen Kommunalwahlen und die Parteien werben um die Stimmen der Bürger. Wer fragt, wie es denn nach der Beendigung der Haushaltssanierung mit einer Entlastung der Bürger stehe, bekommt zur Antwort: Daran ist gar nicht zu denken. Jetzt muss wegen der Corona-Belastungen erst mal gespart werden. Das versteht doch jeder. Längst haben die Parteien erkannt, wie man sich Forderungen der Bürger nach Entlastung vom Hals hält. In den Parteiprogrammen zur Kommunalwahl findet man dazu nichts. Mit einer Ausnahme. Wenigstens eine Partei legte sich auf Befragen fest: Sie ist gegen eine Erhöhung der Grundsteuer, – man hört richtig: gegen eine Erhöhung und nicht etwa für eine Senkung –, so stehe es im Parteiprogramm. Der folgende Faktencheck ergibt, dass im Programm nichts davon steht. Ist ja auch egal. Der Bürger soll weiter zahlen. Er hat nichts Besseres verdient.
Das „Bilanzierungshilfegesetz“ schafft die Grundlage für eine seriöse Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Stadt Dorsten. Dann wird man sehen können, ob und in welchem Umfang es Spielräume für eine Entlastung der Bürger gibt. Man kann nur hoffen, dass sich im neu zu wählenden Stadtrat Mitglieder finden, die sich für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und damit für die Interessen der Bürger stark machen.