Karfreitagsgedanken von Wolf Stegemann
8. April 2020. – Wenn man an Ostern denkt, denkt man an die hinter dem Schrank oder unterm Busch im Garten versteckten bunten Ostereier, die der Osterhase dort für Kinder versteckt hat. Zugleich ist das Ei ein buntes Symbol für das Leben. Dennoch kommen sie entweder in die Suppe oder in den Teig, und wenn sie aus Schokolade sind, als Kalorienbombe in den Magen. Zu Ostern gibt es noch das Osterfeuer, seit heidnischer Germanenzeit ein Sinnbild neu erwachten Lebens. Und zur Osterzeit mit den bunten Eiern im Nest entsteht auch immer wieder unter Kindern ein Streit, wer denn nun die Eier gelegt hat, der Hase oder das Huhn. Na ja, vielleicht auch Mama und Papa – zumindest ins Nest.
Denkt man an Ostern, dann denkt man auch an die Auferstehung Jesu, dem Sohn Gottes oder/und der Maria. Ohne das Hinrichtungskreuz der Römer gäbe es nicht dieses besondere Symbol der christlichen Auferstehung. Und auch nicht den heutigen Karfreitag vor Ostern – und sicherlich dann auch gar kein christliches Ostern. Grund genug, an Ostern nicht nur über Eier und den Hasen nachzudenken – auch mal über das Kreuz, dem Symbol des christlichen Glaubens und der Kirche.
Das Kreuz im Herrgottswinkel und im Fluchen
Dieses Kreuz ist allgegenwärtig: in Kirchen wie auf ihren Kirchturmdächern (Foto: Martin-Luther-Kirche in Holsterhausen), manchmal (noch) in Schulen, Gerichtssälen und Amtsstuben, in Krankenzimmern, auf Friedhöfen oder als Wege- oder Hofkreuze an Straßen und auf Bauernhöfen und in den sogenannten Herrgottswinkeln in Wohnzimmern. Zudem „bekreuzigen“ sich Katholiken und das Kreuz fand auch Zugang in den alltäglichen Sprachgebrauch, allerdings nicht immer liebevoll verklärt, sondern meist in negativen Äußerungen, denn das Kreuz ist seit Jesu-Zeiten auch ein Symbol des Leidens. Daher schimpft so mancher mit den Worten „So ein Kreuz mit dem Kerl!“ und die Oberbayern, die dem Christenkreuz sehr zugewandt sind, was der amtierende christlich-soziale Ministerpräsident unlängst TV-freundlich bestätigte, als er wieder Kreuze symbolhaft aufhängte, sind bekannt für die härtesten Kreuzes-Flüche wie : „Ja, kreizteifel sackelzement ober a nu amoi!“ Ein noch harmloser Ausspruch, der ins Hochdeutsche übersetzt komisch klingt und so gar nicht recht über die Lippen will: „Ja, kreuzteufel, Säckchen Zement aber auch noch einmal!“ Beim „Sackelzement“ handelt es sich nicht um einen Baustoff, sondern um das kirchliche Wort Sakrament. Auch in anderen Kreuzesflüchen will man das Aussprechen des Heiligen Sakraments bauernschlau vermeiden: „Kruzifix, Halleluja!“. „Sakra“ oder „Sakradie“. Und mit dem Fluchwort „Kruzitürken“ will man dem Hauptfeind des Abendlandes mit dem Kreuz begegnen oder ihn abwenden. Mit Hilfe solcher Umformungen will man Gotteslästerliches zwar im Munde führen, Gott und seine irdischen Stellvertreter oder den Teufel aber in durch Veränderung des Wortes in die Irre führen.
Das Kreuz als Hinrichtungsgestell zurzeit Jesu
Bei dem Kreuz der christlichen Kirche handelt es sich um das Hinrichtungsgestell für die sogenannte Kreuzigung. Das jüdische Strafrecht kannte die Kreuzigung nicht, aber das römische. Und Jesus ist demnach nicht von den Juden als Gotteslästerer hingerichtet worden, wie es früher in der Kirche gesagt wurde, was sich dann die Antisemiten zu eigen machten, sondern von den Römern als Aufständischer niedriger Herkunft. Die Hinrichtungsart galt als entehrend und schimpflich. Das sogenannte Kreuzigen war im jüdischen Königreich ein Aufhängen am Holz: Nach jüdischem Recht wurden die Körper der bereits zum Tode gesteinigten Gotteslästerer aufgehängt, um den Hingerichteten zu einem Gottverfluchten abzustempeln. Die im Christentum weit verbreitete Auffassung, wonach der Verurteilte an das bereits fertige am Boden liegende oder aufgerichtet fertige Kreuz genagelt wurde, ist historisch falsch. Der Vorgang war gewöhnlich und vermutlich auch bei der Hinrichtung Jesu folgender: Der Verurteilte wurde entkleidet und nach der Geißelung am Hinrichtungsort (die bei Jesus vorweg genommen war) am Boden mit ausgestreckten Armen an das Querholz genagelt, das er vorher selbst zur Richtstätte tragen musste. Die Verurteilten wurden nicht mit den Händen angenagelt, sondern durch den Unterarmknochen. Das Querholz wurde dann mit dem Körper hochgezogen und an dem senkrechten in der Erde stehenden Pfahl befestigt, worauf die Füße angenagelt wurden. Ein ungefähr in der Mitte angebrachter Holzklotz stützte den hängenden Körper. Die Höhe des Pfahls war unterschiedlich, manchmal nur wenig mehr als mannshoch, so dass die Füße des Gekreuzigten nicht den Boden berühren konnten. Das „Kreuz“ sah dann entweder so aus, wie man es von den Kreuzigungsgemälden Jesu her kennt, oder es hatte durch den aufgelegten Querbalken eine T-Form. Das Anbringen der Arme am Querbalken konnte auch durch Stricke erfolgen oder mit beidem. Dass Jesus angenagelt wurde, und zwar wenigstens an den Unterarmen (nicht Händen), ergibt sich aus den Auferstehungsberichten, als Jesus seinen Jüngern die Nägelmale zeigte. Wenn die Füße angenagelt wurden, dann jeder einzeln. Der Tod trat bei den angenagelten Verurteilten durch Blutverlust schneller ein, als bei denen, die angebunden waren. Antiken Zeugnissen zufolge starben Gekreuzigte bisweilen je nach Erschöpfungszustand erst nach mehreren Tagen. – Foto oben: Wegekreuz Am Schlagheck in Holsterhausen (W. Stegemann); darunter: Unfallkreuz in Wulfen; Chr. Gruber).
Jesus trug nicht das Kreuz – nur den Querbalken
Es gibt außerbiblische Berichte, wie ein Delinquent, so auch Jesus, zur Richtstätte gebracht wurde. Vom Prätorium, das ist der Herodesberg, wurde Jesus gemeinsam mit zwei anderen Verurteilten durch die Exekutionsmannschaft zur Richtstätte in Jerusalem geführt. Dorthin sollte Jesus sein Kreuz tragen, das heißt, den Querbalken. Auf Gemälden vor allem mittelalterlich abendländischer Maler wird Jesus oft mit dem gesamten Kreuz (fälschlicherweise) gezeigt. Auf dem Weg zur Richtstätte begleiteten Jesus auch mitleidige Frauen. Und ein Mann namens Simon nahm ihm den Balken ab, da Jesus von der vorausgegangenen Geißelung geschwächt war. Mitleidige Frauen begleiteten Jesus, so Lukas und Markus in der Bibel. Nach jüdischer Rechtsüberlieferung pflegten angesehene Frauen Jerusalems einem zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung einen Rauschtrank zu geben, um ihn gegen die Schmerzen unempfindlicher zu machen. Dabei hielten sich die Jüdinnen an das alttestamentliche Schriftwort: „Gebet Rauschtrank dem, der dem Untergang geweiht ist.“ Und der Jude Jesus ging seinem Untergang entgegen. Jesus wurde an den Balken angenagelt und hochgezogen. Sein Kreuz stand in der Mitte von zwei anderen Verurteilten, die angeblich nur angebunden waren, so die christliche Überlieferung. Es gibt allerdings keinen historischen Nachweis, dass dies so war. Wissenschaftler meinen, dass auch sie angenagelt waren. Nach jüdischem Recht durften nicht zwei Verbrecher an einem Tag hingerichtet werden. Doch die römischen Aufsichtsbehörden scherten sich nicht darum. Jesus starb in der neunten Stunde. Über die Todesursache gibt es unter den Medizinhistorikern unterschiedlicher Meinungen. Die einen sagen, wie antike Zeugnisse auch bekunden, dass dem Sterben Gekreuzigter ein sich lange hinziehender Prozess völliger Entkräftung und Bewusstlosigkeit vorausging. Dass Jesus vor seinem Tod noch laut aufgeschrien haben soll, bewies den Kirchenvätern anno dazumal, dass dieser Schrei ein Wunder Gottes gewesen war. Der medizinischen Wissenschaft kann jedenfalls das Recht nicht bestritten werden, die Todesursache Jesu in natürlichen Phänomenen zu suchen. Neuerdings vermuten Wissenschaftler, dass der unerwartet frühe Tod Jesu als Folge eines Kollapsgeschehens oder einer vegetativen Fehlregulation zu erklären ist.
Sonnenfinsternis und Erdbeben am Todestag – symbolisch der Karfreitag
Zum Tag des Karfreitag, der Tag, der an den Kreuzigungstod Jesu erinnert, kann sich der Autor an seine Kindheit erinnern, dass ihm seine nicht sehr religiöse Mutter immer gesagt hatte, wenn es am Karfreitag plötzlich regnete oder ein Gewitter aufkam, sie diese normalen Wetterereignisse immer mit andächtigem Gesicht auf den Tod Jesu am Kreuz zurückführte. Matthäus und Lukas berichten in der Bibel, dass nach dem letzten Atemzug von Jesus, Gott eine Sonnenfinsternis und ein Erdbeben auf die Erde geschickt hat, sodass der Wachsoldat am Kreuz Jesus den Ausspruch getan haben soll: „Dieser Mensch ist wahrhaft Gottes Sohn gewesen!“ Dieses Thema hatte im jüdischen Prozess gegen den Juden Jesus eine große Hauptrolle gespielt und war im römischen Prozess nur eine Nebenrolle.
Der Antijudaismus der Kirche hat Juden als Jesus-Mörder stigmatisiert
Noch ein Wort zu der allgegenwärtigen Frage, wer Jesus eigentlich umgebracht hat. Im Glaubensbekenntnis steht ja, „gekreuzigt“ unter Pontius Pilatus. Es war die römische Gesetzgebung, die Jesus ans Kreuz brachte, aber nicht als Gotteslästerer, sondern, wie Historiker sagen, als angeblicher Aufrührer gegen die Römer, denn Jesus zog mit seinen Jüngern durch das Land und Jerusalem. Nichts befürchteten die Römer mehr, als jüdische Aufstände gegen die römische Besetzung, die im Norden in vollem Gange war. – Um 170 n. Chr. tauchte dann der christliche Antijudaismus auf, der die Juden als Jesus- bzw. Gottesmörder machte. Diese Stigmatisierung zog sich durch die Jahrhunderte. Und die Nazis nahmen sie gerne auf und in der NS-Zeitung „Stürmer“ wurden die Juden durchgängig als Mörder von Jesus bezeichnet. Für die Nazis ein Grund mehr, sie zu verfolgen.
Hakenkreuz, Eisernen Kreuz der Wehrmacht, Tatzenkreuz der Bundeswehr
Wie eingangs vermerkt, hat sich das Kreuz als allgegenwärtiges Symbol des Christentums in den verschiedenen Darstellungsformen entwickelt. Als Schmuck an der Halskette und Kreuzeszeichen mit den Händen vor allem bei Katholiken. Kreuze schmücken nicht nur Kirchtürme, viele Kirchen haben auch einen kreuzförmigen Grundsriss, bis 1995 hing in Bayern noch in jedem Klassenzimmer in Schulen das Kreuz, der Buchdeckel vieler Bibeln und Gesangbücher trägt ein Kreuz und an Gräbern der Friedhöfe und in Todesanzeigen in Zeitungen gibt es Kreuze. Auch an todlichen Unfallstellen. Die Internationale Rotkreuz-Bewegung benutzt in ihrer Symbolik ein rotes Kreuz, eine Abwandlung ist die Flagge der Schweiz. Alkoholiker finden Hilfe im „Blauen Kreuz“. Da das christliche Kreuz Bestandteil vieler Wappen christlicher Herrscher und Ritterorden des europäischen Mittelalters war, erscheint es bis zum heutigen Tag auch in militärischen Hoheitszeichen, Flaggen, Fahnen oder Auszeichnungen, z. B. dem Tatzenkreuz der Bundeswehr, dem Kreuz der französischen Ehrenlegion oder dem Eisernen Kreuz des Deutschen Kaiserreichs und in der Wehrmacht des deutschen NS-Staats. Es gibt auch Kreuze mit zwei Querbalken: das Lothringer Kreuz und das Patriarchen-Kreuz. Bekannt sind auch das Radkreuz und das Hakenkreuz und NS-Mutterkreuz.
Die Formen der Kreuze sind höchst unterschiedlich
Und wer in den südlichen Himmel schauen kann, der sieht das „Kreuz des Südens“ (lateinisch crux), ein kleines, aber markantes Sternbild des Südhimmels. In Oberösterreich gibt es im „Totes Gebirge“ den 2174 m hohen Berg „Kreuz“ und auf den Berggipfeln der meisten Gebirge stehen Gipfelkreuze. Und in Deutschland gibt es acht Gemeinden, die einfach nur Kreuz heißen. Die Formen der Kreuze sind unterschiedlich. Es gibt über zehn verschiedene Kreuzesformen, die alle einen bestimmten Namen und auch eine eigene Geschichte haben, wie beispielsweise das Keltenkreuz, das Ägyptenkreuz oder das Andreaskreuz, ein Kreuz in aufgestellter X-Form, das seinen Namen vom Apostel Andreas hat, der am Kreuz hingerichtet wurde, aber nicht so gekreuzigt werden wollte, wie Jesus. Heute gibt es dieses „Andreaskreuz“ auch in der sadomasochistischen Szene. In der Musik dient das Kreuz als Versetzungszeichen und bei den meisten Kartenspielen symbolisiert das dreiblättrige Kleeblatt als Kreuz die höchste Spielkarte (Foto). Im Zweiten Weltkrieg wurden nach Bombenangriffen Häuser mit schwarzen Kreuzen gekennzeichnet, wenn das Haus nach Leichen durchsucht werden sollte.
Redewendungen: Jemanden aufs Kreuz legen
Und dann gibt es noch die Redewendungen, in denen man mit dem Kreuz gewisse Aussagen macht, wie „Drei Kreuze hinter ihm machen!“, was so viel heißt wie; sich freuen, dass er weggeht. Ein anderes Beispiel „Jemanden aufs Kreuz legen“ heißt, ihn ausbeuten, schröpfen, im Ringkampf heißt es: „Wer aufs Kreuz gelegt wird, hat verloren!“ Wenn jemand sagt, dass er ihn kreuzweise kann“, dann ist ihm derjenige gleichgültig.
Die Redewendung „Zu Kreuze kriechen“ entstammt einer Bußübung aus dem Mittelalter. Als eine Form strenger Buße befahl die Kirche, am Gründonnerstag oder Karfreitag kniend zum Kruzifix hinzukriechen, um Vergebung zu erhalten. Im übertragenden Sinne heißt es bei Martin Luther: „Zu Augsburg musste ich mich demütigen, da meinte der Cardinal, ich kröche zu Creutze (durch Widerruf) und rief schon Triumph!“ Diese ursprüngliche Bedeutung ging mittlerweile verloren. Heute bedeutet sie: Sich trotz versuchten Widerstands schließlich demütig unterwerfen.