Von Wolf Stegemann
3. Januar 2020. – Vor wenigen Tagen hatte das Jahr 2020 und somit das neue Jahrzehnt begonnen. Hat es wirklich begonnen? Umgangssprachlich ja. Da beginnt das Jahrzehnt mit der Null und endet mit einer 9. Doch ein Jahrzehnt hat nie mit einer 0 begonnen, sondern mit einer 1 und endet(e) mit einer 0. Denn Jesus Geburt ist der Beginn der Zeitrechnung. Und die Dekade fängt mit einer 1 n. Chr. Geburt an. Verstanden? Bleiben wir hier beim umgangssprachlichen Jahrzehnt. Auch der Duden bezeichnet die Zwanziger Jahre als „die Jahre 20 bis 29 eines bestimmten Jahrhunderts umfassendes Jahrzehnt“.
In den Medien ist derzeit zu lesen, dass bei immer mehr Menschen wegen den angestauten unguten sozialen Verhältnissen in vielen Bereichen des Lebens eine große Verunsicherung herrsche. Auch in Dorsten sind die sozialen Verhältnisse nicht zum Guten ausgerichtet. Viele Bürger verunsichere es u. a., dass die Stadt wegen ihrer Verschuldung immer wieder die Bürger zur Kasse bittet. Insgesamt keine gute Ausgangslage für das neue Jahrzehnt. Der Blick zurück zeigt, dass es vor 100 Jahren auch nicht besser war. Das Jahr 1920 läutete ein Jahrzehnt ein, das am Ende knapp vor dem Beginn des Nationalsozialismus stand. Die Situation 1920, also vor hundert Jahren, war in Deutschland sowie in Dorsten in hohem Maße politisch unübersichtlich und sozial stark angeknackst. Was heute, hundert Jahre später „Tafeln“ und „Mittagstisch“ heißt, wo Mittellose eine warme Mahlzeit bekommen, das nannte man vor hundert Jahren Suppenküchen. Und was heute Harz IV heißt, hieß damals Wohlfahrt. Ab Mitte der 1920er-Jahre entwickelte sich der Begriff von den „Goldenen Zwanzigern“. Dieser Begriff war allerdings eine maßlose Übertreibung, Irreführung und entsprach wohl kaum den tatsächlichen Verhältnissen, abgesehen von den Superreichen, die es immer gibt – heute mehr denn je, auch bei steigenden prekären Verhältnissen. Beendet wurden die „Goldenen Zwanziger“ von der Weltwirtschaftskrise 1929, ausgehend vom Börsenkrach am Schwarzen Donnerstag der Wallstreet in New York. Soziale Spannungen brachen wieder auf und resultierten in politischer Radikalisierung und im Aufstieg des Nationalsozialismus.
Adolf Hitler machte von sich reden – Gründung der NSDAP
Fast zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschte in den deutschen Städten noch keine Friedensruhe. Soldaten und Arbeiter waren wütend und verunsichert. Der Versailler Friedensvertrag, der am 10. Januar 1920 völkerrechtlich rechtskräftig wurde, fand in weiten Kreisen der Bevölkerung keine klare Zustimmung. Besonders die nun in Freikorps organisierten Soldaten lehnten die Entwaffnung ab. Eine Folge des Versailler Vertrags war die am 24. Februar im Münchner Hofbräuhaus gegründete NSDAP. Der Begriff „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ ließ viele glauben, dass sie in dieser Organisation ihre politische Heimat gefunden hätten. Auf einer öffentlichen Parteiversammlung in München war Adolf Hitler als Redner angekündigt worden. Die Partei hatte sich eindeutig gegen den Versailler Friedensvertrag ausgesprochen und der Zulauf war groß. Zwei Dorstener Männer aus einer bekannten Familie, das geht aus den Dorstener Entnazifizierungsunterlagen von 1947 hervor, waren damals bereits Mitglieder in der NSDAP. Die beiden traten allerdings 1926 bzw. 1928 wieder aus. Mitte Januar gab es drei Tage lang eine Demonstration vor dem Berliner Reichstagsgebäude gegen die Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes. Die Sicherheitswehr erschoss 42 Demonstranten und 105 wurden verwundet. Aus Dorsten gab es keine besonderen Vorkommnisse. Der Winter war hart und wird auch – wie der vorhergegangene Winter – als „Hungerwinter“ bezeichnet. Am 19. Januar kaufte die Kirchengemeinde St. Agatha die Koop’schen Häuser am Ostgraben für die Kirchenverwaltung und erweiterte durch Zukauf den Friedhof an der Gladbecker Straße. Allerdings wurde der Zukauf nicht geweiht, weil durch die vorangegangenen Kriegs- und Revolutionswirren Gläubige anderer Konfessionen sowie Kommunisten 1920 auf diese Zugangsbereich bestattet wurden und somit außerhalb der geweihten Erde lagen.
Der Kapp-Putsch löste den Aufstand der Kommunisten aus
Blick in die Reichsgeschichte: Meuternde Reichswehr-Offiziere marschierten am 12. März nach Berlin, was der Auftakt des sogenannten Kapp-Putsches war. Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp besetzte mit seinem Freikorps Ehrhardt sowie einigen Truppenteilen der Reichswehr die Hauptstadt Berlin und zwang die Regierung zur Flucht nach Stuttgart. Als Reaktion fand im gesamten Reich am 15. März der bislang größte Generalstreik statt. 12 Millionen Menschen folgen einem Aufruf verschiedener Organisationen und Parteien. Auch bei den Zechen in Holsterhausen und Hervest-Dorsten wurde gestreikt und in den Bergbaugemeinden ein politischer Vollzugsrat gebildet.
Als am 17. März 1920 der Kapp-Putsch im Reich zusammenbrach, kämpften die Arbeiter weiter. Aus dem Abwehrkampf gegen den Rechtsputsch wurde jetzt eine linke Aufstandsbewegung, in der die radikalen Kräfte die Oberhand gewonnen hatten. Sie riefen zum Sturz der Regierung auf und wollten die Errichtung einer Rätediktatur erzwingen. Am 23./24. März unternahm der SPD-Politiker Carl Severing im Auftrag der Reichs- und der preußischen Regierung in Bielefeld den Versuch, in Verhandlungen mit Vertretern der Aufständischen zu einer politischen Lösung des Konflikts zu gelangen. Doch die Mehrzahl der kämpfenden Arbeiter lehnte das so genannte Bielefelder Abkommen vom 24. März ab. Daraufhin erteilte die Reichsregierung Anfang April General von Watter den Befehl zum Einmarsch ins Aufstandsgebiet, auch nach Dorsten. Das Foto zeigt eine Kanone am Essener Platz in Dorsten. Die Militäraktion stützte sich auf reguläre Reichsverbände und Freikorpseinheiten, von denen einige als republikfeindlich gelten mussten. Dabei gingen die Regierungstruppen vielerorts mit rücksichtsloser Härte und Brutalität vor. Das letzte Gefecht des „Ruhrkriegs“ fand am 6. April in Gelsenkirchen statt und markierte die vollständige Niederlage der aufständischen Ruhrarbeiterschaft.
Rote Armbinden der Kommunisten aus den Kirchenfähnchen
Doch bereits am Anfang der Arbeiteraufstände und Bildung der Roten Armee schwappten die Ereignisse auch voll auf die kleine und eigentlich unbedeutende Stadt Dorsten über, die allerdings durch die Lippebrücke ein militär- und verkehrstechnisch wichtiger Ort in der Region war. Die wirtschaftlich wichtigen Bergbaugemeinden Holsterhausen und Hervest-Dorsten gehörten damals noch nicht zu Dorsten. Die Kommunisten bekamen in der gut katholischen Stadt Dorsten das Sagen. In der Altstadt wurde am 20. März der Dorstener Kommunist Lückrath zum Obmann des Dorstener Aktionsausschusses gewählt, das war eine städtische Körperschaft, im Hotel Escherhaus. Einen Tag später, am Passionssonntag, kamen die ersten Soldaten der „Roten Armee“ (auch Rote Ruhr-Armee genannt, die insgesamt zwischen 50.000 und 80.000 Mann stark war) nach Dorsten und besetzten das Hotel „Schwarzer Adler“ am Markt. Die in Dorsten stationierten Reichwehrsoldaten waren bereits Tage zuvor verschwunden.
An jenem Tag, dem 21. März 1920, hatte Ludwig Heming, Pfarrer an St. Agatha, eine Begegnung mit den kommunistischen Soldaten. In seine Chronik schrieb er:
„Als die Kinder aus der Kirche kamen, sah man überall die Kommunisten mit den roten Binden am Arm. Sie hatten die zur Kommunionsfeier ausgehängten weiss-roten Fähnchen von den Bäumen gerissen und sich den roten Teil um den Arm gebunden. … Überall stehen rote Posten. Ich wurde auf dem Markte von einem solchen Posten gestellt und meine Taschen wurden nach Schusswaffen untersucht. Ich zog mein Brevier aus der Tasche und sagte: ,Das ist meine einzige Waffe’. … Jeden Tag werden Tote zum Leichenhaus gebracht, die bei den Kämpfen der Roten Armee gefallen sind.“
Pfarrer Heming konnte wieder die Glocken läuten lassen
Am 25. März wurde der Gelsenkirchener Kommunist Gottfried Karusseit Abschnittskommandeur der Roten Armee und übernahm die Kriegsgewalt in Dorsten. Anderntags gab es blutige Kämpfe zwischen den Rotgardisten und der Brigade Loewenfeld in Raesfeld, die von da auf Dorsten vorrückte, um die Stadt von den Kommunisten zu befreien. Noch Tags zuvor wurde die Stadt beschossen. Am 27. März, es war der Samstag vor Palmsonntag, drangen Kommunisten mit aufgepflanzten Bajonetten in die Pfarrkirche ein. Auch darüber berichtete Pfarrer Heming (Foto) in der Chronik:
„Alle Beichtkinder verließen fluchtartig das Gotteshaus. Ich begab mich mit Birett auf dem Haupte und Brevier unterm Arm zum Vollzugsrat. Ich trug meine Sache vor, aber man sagte mir, sie wären nicht zuständig, ich müsste zum Stadtkommandanten gebracht werden, der im Hasselmann’schen Haus auf dem Markt einquartiert war (Eckhaus Markt zur Wiesenstraße). Ein Mann begleitete mich dorthin und als ich durch die Türe eintrat, hielt man mir zwei Bajonette entgegen und rief: ,Halt!’ Mein Begleiter sagte: ,Der Herr will zum Stadtkommandanten!’ ,Kann passieren!’ Ich trat in den Saal ein. An dem langen Tisch saß vorne der Stadtkommandant. Es reihten sich rote Soldaten an und Karbolmäuschen (rote Krankenschwestern). Ich führte mich ein mit den Worten: ,Ich bin der katholische Pfarrer von Dorsten und soeben ist folgendes passiert: Ihre Soldaten sind mit aufgepflanztem Bajonett in die Kirche eingedrungen und bis zum Altar vorgestoßen.’ Der Stadtkommandant sagte in sehr freundlichem Ton: ,So etwas soll nicht wieder vorkommen!’ Als ich weiter von einem mir erteilten Verbot des Läutens berichtete, antwortete er: ‚Läuten Sie ruhig weiter, jede Religion wird in unserem Staate geduldet.’ Ich bedankte mich und verließ das Lokal. Kaum war ich wieder zuhause, da kam ein Mann in Hemdsärmeln zu mir. Ich fragte ihn: ‚Wer sind Sie?’ Er antwortete: ,Ich bin der Sekretär des Stadtkommandanten. Nach Ihrem Weggang haben wir überlegt, was geschehen solle, damit solche Übergriffe nicht wieder vorkommen und haben beschlossen, vor jede Kirchentür einen Posten zu stellen.’ ,Um Gotteswillen, tuen Sie das nicht!’ antwortete ich, ,denn sonst würde ja niemand mehr in die Kirche kommen. Meinetwegen lassen Sie die Patrouille um die Kirche gehen.’ Das versprach er dann auch. Nachher wollte ich mich davon überzeugen, ob sie auch Wort gehalten hätten und sah, dass wirklich zwei rote Soldaten in der Nähe der Kirche sich aufhielten. Nach einigen Stunden waren sie wieder verschwunden.“
Mütter der Kinder der Wilhelmschule schwangen ihre Fäuste
Auch die Lehrersfrau Nölle, deren Mann Rektor der Wilhelmschule in Holsterhausen war, erinnerte sich an die rotgardistischen Umtriebe im Juni 1920:
„Ich kann mich noch sehr gut an einen Vorfall in der Karwoche im Jahre 1920 erinnern. Ein Trupp schwerbewaffneter Rotarmisten kam in die Schule und verlangte von meinem Mann, dass er die Kinder nach Hause schicke. Man wollte einen Beobachtungsposten in die Schule legen, da von Wesel her die Reichswehr anmarschiere. Mein Mann weigerte sich, die Kinder zu entfernen und bat die Rotarmisten, die Schule zu verlassen. Nach langen Verhandlungen zogen sie dann weiter.“
Dieses Ereignis war der Vorläufer des größeren nochfolgenden Streiks für eine konfessionslose Schule, für deren Errichtung sich die im August 1920 gegründete Freie Elternvereinigung für die konfessionslose Baldurschule in Holsterhausen durchsetzte, im Volksmund „Gottlosenschule genannt. Sie wurde 1923 eröffnet.
Als es knallte, starb Witwe Fallböhmer in der Kirche am Herzschlag
Zurück in den März 1920. In Dorsten sprach sich das Gerücht herum, dass eine Reichswehrbrigade auf dem Weg nach Dorsten sei, um die Kommunisten zu vertreiben. Die Dorstener Geschäfte nagelten ihre Schaufenster zu. Denn sie befürchteten Straßenkämpfe.
Noch am 29. März wird der Hervester Reichswehrsoldat Wenzeslaus Sametz von der Roten Armee in den Lippeauen von Maria Lindenhof nach einer nächtlichen Standgerichtsverhandlung erschossen und die Lippebrücke gesprengt. Pfarrer Heming beschreibt als Augenzeuge die Lage:
„In der Nacht vom 30. zum 31. März rücken dann gegen 1 Uhr die ersten Soldaten von Norden her ein. Sie werden mit großer Freude und hellem Jubel empfangen. Nun ist Dorsten wieder frei. Die Schreckenstage der Roten Armee sind zu Ende. Es war wirklich eine Schreckenszeit. Die Stadt glich einem Hauptkampfort hinter der Front, der Marktplatz einem großen Heerlager. Tagtäglich kamen von Gahlen und Schermbeck große Autos mit Toten und Verwundeten, die ins Leichenhaus resp. Krankenhaus gebracht wurden. Doch leider war die Leidenszeit noch nicht zu Ende. … Am Mittwochabend, dem Vorabend von Gründonnerstag saßen wir im Beichtstuhl. Auf einmal entstand ein furchtbarer Knall, dann folgte Schlag auf Schlag. Flugzeuge über Dorsten? Werden wir mit Granaten beworfen? Die Leute, die vor den Beichtstühlen waren, liefen wie wild in der Kirche umher und wussten nicht, was sie anfangen sollten. Einige drängten zur Kirche hinaus. Da rief auf einmal jemand: ,Hier liegt eine Frau unter der Bank.’ Man zog sie hervor, ich sah mir die Frau an und sagte, ,die Frau stirbt ja!“ … Ich holte das hl. Öl aus der Sakristei und gab der Frau die hl. Ölung und die Generalabsolution. Sie starb während der heiligen Handlung. Es war die alte Frau Fallböhmer. Die beim Austritt aus der Kirche ein Granatsplitter getroffen, sich dann aber zurückgeschleppt hatte in die Kirche und dort zusammengebrochen war. Kurz zuvor hatte sie noch gebeichtet.“
Die Witwe Fallböhmer starb, wie später festgestellt wurde, an einem Herzschlag. – Die Soldaten der Roten verließen Dorsten. Einigen Gefangenen wurde der Prozess in der Anstalt Maria Lindenhof gemacht. Fünf Rotgardisten wurden von den Regierungssoldaten am 31. März gefangengenommen und an der Lippe erschossen und hineingeworfen. – Blick nach Berlin: An diesem Tag wurde Adolf Hitler aus der Reichswehr entlassen. Übrigens wurde am 15. April Richard von Weizsäcker geboren, der von 1984 bis 1994 Bundespräsident der Bundesrepublik war und 2015 starb.
Denkmäler für Spartakisten Freikorps – Nur noch verwischte Spuren
Wieder zurück nach Dorsten des Jahres 1920. Wer nun dachte, dass es in Dorsten jetzt wieder friedlicher würde, irrte. Am 2. und 3. April fanden etliche Übergriffe der Reichwehr in Holsterhausen statt. Drei Bergleute wurden verhaftet, zwei davon erschossen: Bruno Salamon und Schipp, beide von der USPD.
Noch in den zwanziger Jahren wurde den 1919 und 1920 von Freikorpssoldaten ermordeten Dorstener Spartakisten und Arbeitern linker Organisationen ein Denkmal errichtet. Zum Zeichen der Verbrüderung im Kampf gegen die rechten Nationalisten zeigte es zwei sich verbindende Hände in einem Ehrenkranz und die Inschrift: „Sie starben für Freiheit in den Kämpfen 1919/1920 – Söhne des Volkes wollten sie sein und bleiben“. Eingemeißelt waren die Namen Adalbert Fest, Wilhelm Zdunek und Karl Krappmann. Die Geschichte dieses Ehrenmals konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden, da es zwei Versionen gibt, die sich allerdings nicht unbedingt widersprechen müssen. Bei Errichtung soll es in der Nähe der Gartenstraße im Grenzbereich zwischen Holsterhausen und Hervest-Dorsten gestanden haben. Das Foto zeigt demnach im Hintergrund den Blick zur Lippe. Dort musste es dem Bau der damaligen Neuen Dorfstraße weichen und wurde, wie Augenzeugen es sahen, auf einem leeren Gräberfeld auf dem Friedhof Dorf Hervest aufgestellt, wo es bis in die sechziger Jahre gestanden haben soll. Allerdings gab die Gestapo Recklinghausen 1935 eine allgemeine Anweisung heraus, dass alle Spartakisten-Denkmäler zu zerstören seien. Offensichtlich hätte nach dieser Version das Denkmal diese Anordnung überstanden.
Andere Augenzeugen teilten mit, dass das Ehrenmal zwischen dem katholischen und evangelischen Friedhof an der Gladbecker Straße gestanden haben soll. Sie berichten, dass die Namensplatten und der Kranz mit den verschlungenen Händen zerbrochen wurden und die liegengebliebenen zerstörten Reste nach 1945 plötzlich verschwunden waren. Pfarrer Karl Jesper (St. Agatha) berichtete in den 1980er-Jahren, dass bei Ausschachtungsarbeiten für die Leichenhalle am kath. Friedhof an der Gladbecker Straße Teile des zerstörten Gedenksteins gefunden worden waren und gleich wieder im Fundament der Leichenhalle verschwunden seien.
Ein Findling für die in Dorsten kämpfenden beiden Freikorps
Natürlich durfte auch das Handeln der Freikorps nicht ohne Denkmal sein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 griff NSDAP-Stadtverordneter Fritz Köster den Vorschlag des Redakteurs der „Dorstener Volkszeitung“, Alfons van Bevern, auf, dem Freikorps Loewenfeld für ihre Befreiung der Stadt von dem „roten Gesindel“ ein Denkmal zu setzen, gleichsam dem Freikorps Lichtschlag, das 1919 die Stadt von den Spartakisten befreit hatte. Unter Vorsitz des früheren Schulleiters des Gymnasium Petrinum, Dr. Joseph Wiedenhöfer, wurde ein Verein gegründet, dem die Spitzen von Verwaltung und NSDAP, Vertreter der Kaufmannschaft und Kriegervereine, der SA und SS angehörten. Durch den Verkauf von 15.000 Spenden-Bausteinen wurde die dreistufige Denkmalanlage an der Kanalbrücke (heute Nähe Hochstadenbrücke) finanziert. Dr. Wiedenhöfer formulierte den Tafeltext, der vor einem Findling angebracht wurde, den die Gemeinde Erle hergeben musste: „Dem Freikorps Lichtschlag/Loewenfeld, Februar 1919 – März 1920. Unsern Befreiern aus Spartakistengewalt. Mit Adolf Hitler im zweiten Jahr des Dritten Reiches 1934. Euch war’s verhüllt, nun ist’s am Tag, ihr schlugt den ersten Hammerschlag!“ Nach dem Krieg kippten die Engländer den Findling in den Kanal, wo der 100-Zentner-Stein 1949 wieder herausgeholt wurde und heute am Westwall an die Kriegsgefangenen erinnert (Foto).
Im November wurde der Beschluss für eine konfessionslose Schule gefasst
Zurück in das Jahr 1920. Am 15. Mai löste die Reichsregierung alle Freikorps auf, so auch die in Dorsten und im Ruhrgebiet tätig gewesene Marinebrigade Loewenfeld. Im Juni streikten in Holsterhausen und Hervest Eltern für eine freie, das heißt konfessionslose Schule. Denn die Schulen waren bis dahin in kirchlicher Trägerschaft. Das weitere Jahr verlief in Dorsten wieder friedlich. Bei den Reichstagswahlen am 5. Juni erlitten die Parteien der Weimarer Regierungskoalition eine Niederlage. Bis 1933 sollten sie keine Mehrheit mehr gewinnen. In Dorsten ging ein starkes katholisches Zentrum hervor, über das sich Pfarrer Heming freute:
„In der Kirche wurde an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen auf die Wichtigkeit der Wahlen hingewiesen. Das Resultat war deshalb auch ein sehr günstiges. Ein starkes Zentrum ging aus dem Wahlkampf hervor.“
In den Monaten September, Oktober und November wurde für die konfessionslose Schule weiter gestreikt und politisch gearbeitet. Schließlich fasste die Schuldeputation von Hervest und Holsterhausen den Beschluss zur Errichtung einer freien Schule. Im November verbot der preußische Kulturminister das Tragen von Hakenkreuzen in Schulen, da „das Tragen dieses Abzeichens den Unterricht erheblich“ störe. Das Jahr 1920 war nicht nur ein Jahr der politischen Wirren, auch ein Jahr der Maul- und Klauenseuche, an der 11,9 Millionen Tiere verendeten, davon sechs Millionen Rinder. Der Schaden betrug rund 80 Millionen Reichmark..
Und dann auch noch das: Während in der Bundesrepublik aktuell seit 14 Jahren ein und dieselbe Kanzlerin der Regierung vorsteht, gab es allein im Jahr 1920 drei Kanzler: Gustav Bauer bis 26. März 1920, Hermann Müller bis 8. Juni 1920 und Konstantin Fehrenbach ab 25. Juni 1920. Friedrich Ebert war Reichpräsident. Übrigens wurde im Jahr 1920 in der Schweiz von 32 Staaten der Völkerbund gegründet, Vorläufer der UNO in New York. Und in Holsterhausen wurde 1920 der BVH gegründet.