Kommentar von Helmut Frenzel
6. Dezember 2019 – Vor einer Woche haben wir auf dieser Seite einen Artikel veröffentlicht, der von den Millionenüberschüssen der Stadt seit 2016 und den gewaltigen Abweichungen zu den geplanten Ergebnissen handelt. Da die Dorstener von dem Geldsegen nichts mitbekommen hatten, war das Interesse an dem Artikel groß. Manche unserer Leser können nicht glauben, was sie auf Dorsten-transparent lesen, und erwarten eine Reaktion der Verwaltung, die vermeintlich falsche Behauptungen richtigstellt oder, wenn sie denn nicht falsch sind, eine Erklärung dazu abgibt. Aber nichts davon. PR-Berater lernen im ersten Lehrjahr, dass man auf die Veröffentlichung unliebsamer Fakten nur antwortet, wenn es gar nicht mehr anders geht. Denn man weiß, dass erst die Reaktion darauf die öffentliche Wahrnehmung erst so richtig in Schwung bringt. Und genau das will man ja unbedingt vermeiden.
So war es auch jetzt mit dem Vorwurf der fehlenden Transparenz bei den Haushaltsüberschüssen. Alle schwiegen, mit einer Ausnahme: Bürgermeister Tobias Stockhoff. Und das kam so: Der SPD-Landtagsabgeordnete Michael Hübner hatte den Artikel geteilt, sich in einem Beitrag auf Facebook zustimmend zu unserem Artikel geäußert und mehr „Transparenz im Sinne eines echten Bürgerhaushaltes“ gefordert. Das wollte Bürgermeister Tobias Stockhoff offenbar so nicht stehen lassen. Er schrieb zurück: „Michael, Du möchtest doch Landrat werden.“ (Diese Einleitung lässt verschiedene Deutungen zu, die alle nicht freundlich für den Bürgermeister ausfallen. Wir überlassen es deswegen dem Leser, sich dazu eine Meinung zu bilden.) Stockhoff fährt dann fort: „Was ist denn mit den Millionenrückstellungen für Personal in Gladbeck? Ist das auch intransparent?“ Die Stoßrichtung dieser Fragen ist unklar. Will er damit sagen: Wenn in Gladbeck gleichfalls Millionenrückstellungen an der Öffentlichkeit vorbei beschlossen wurden, dann kann das in Dorsten doch nicht falsch sein? Und was hat das mit den verschwiegenen Jahresüberschüssen in Dorsten zu tun?
Bemerkenswert ist, was der Bürgermeister nicht sagt. Er bestreitet nicht die Richtigkeit unserer Darstellung und vor allem dementiert er nicht, dass der Jahresüberschuss 2018 in voller Absicht den Bürgern verschwiegen werden sollte. Das ist die denkbar größte Respektlosigkeit gegenüber der Bürgerschaft und eine flagrante Missachtung des Transparenzgebots, einem Grundelement von Demokratie – dies von einem Mann, der fortwährend über mehr Demokratie und Respekt schwadroniert. Tobias Stockhoff hat ein seltsames Bild von Demokratie. Es ist nicht zu übersehen, dass er sehr von sich überzeugt ist. Nur er weiß, was richtig für die Stadt ist, und das lässt er auch bei jeder Gelegenheit spüren. Dazu hilft ihm sein gefürchtetes Detailwissen, das er im Bedarfsfall als Waffe gegen andere Meinungen einsetzt. In seine Vorstellungen, was in der Stadt zu geschehen hat, lässt er sich nicht hineinreden, auch nicht von den Bürgern. Das funktioniert am besten, wenn die nicht zu viel wissen. Also sorgt der Bürgermeister unterstützt von der Verwaltung dafür, dass der Wissensstand der Bürger nicht dazu reicht, seine Kreise zu stören.
Inwieweit das auch für den Rat gilt, ist unklar. Was man sieht ist, dass fast alle Beschlüsse im Rat einstimmig gefasst werden. Dieser Befund galt zu Zeiten des früheren Bürgermeisters Lambert Lütkenhorst als Idealbild von kommunaler Demokratie und wurde unter der Bezeichnung „Schulterschluss der Parteien“ gefeiert. Demokratie ist, wenn alle der gleichen Meinung sind und Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Dass Bürgermeister Tobias Stockhoff die Ratsparteien aus dieser in Jahrzehnten eingeübten Rolle nicht zu entlassen gedenkt, zeigte sich in einer denkwürdigen Sitzung des Schulausschusses im September 2017. Es ging um das Schicksal der Agathaschule am Standort Voßkamp. Der Bürgermeister wollte ihren Umzug zum Nonnenkamp. Die Ratsfraktionen von SPD, Grünen und der Linken wollten die Schule in der Innenstadt halten und einen Neubau am Standort Voßkamp. Als sie ihre Entscheidung im Ausschuss vortrugen, rastete Stockhoff, der die Sitzung leitete, in peinlicher Weise aus und die Abweichler mussten eine Schimpftirade über sich ergehen lassen, die eines Bürgermeisters unwürdig ist. Wie sie zu dieser Meinung kämen? Und wie denn der Neubau am Voßkamp bezahlt werden sollte? Letzteres in Verkennung der Tatsache, dass die Ausschussvorlage den Neubau als eine der möglichen Varianten vorstellte und auch das Finanzierungskonzept dazu. Wo war da der Respekt vor der Meinung des anderen, der Respekt vor der Meinung frei gewählter Ratsmitglieder? In dieser Sitzung zeigte Tobias Stockhoff ein wahrhaft gestörtes Verhältnis zur Demokratie. Was eine der seltenen Sternstunden gelebter Demokratie war, geißelte er als unerhörtes Aufbegehren gegen die einzig richtige Meinung: die des Bürgermeisters. Das Votum der Abweichler hatte am Ende keine Bedeutung, die Mehrheit des Ausschusses votierte für den Umzug. Aber die Dissidenten mussten zurechtgewiesen werden. Seine autoritäre Ader kann Tobias Stockhof nicht verleugnen.
Die geplante Dorstener Erklärung zu Demokratie, Respekt und Menschenwürde, die Stadteilkonferenzen, die Fantasien von der Stadtfamilie – dies alles sind Inszenierungen, die die Bürger davon ablenken sollen, dass der demokratische Prozess in Dorsten zugrunde gerichtet wurde. Längst finden sich viele Bürger im politischen Diskurs nicht mehr wieder. Also beschäftigt man sie mit kleinkarierten Projekten – denen übrigens jegliche demokratische Legitimation fehlt – und hofft, sie so ruhig zu stellen. Vor allem aber um sie von den wirklich wichtigen politischen Projekten fernzuhalten. Eine durchgreifende Rückkehr zu einem demokratischen Prozess, der diesen Namen verdient, ist nur denkbar, wenn die politische Klasse, quer durch alle Ratsparteien, die seit Jahrzehnten am Werk ist, zu großen Teilen überaltert und ohne jegliche politische Idee ihre Mandate verwaltet, komplett abtritt und Platz macht für eine neue Generation. Die Bürger haben es in der Hand, dafür zu sorgen, dass das geschieht. Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen.
Sollte unser aller Herr Bürgermeister nicht erst einmal dafür sorgen, in seinen Amtsstuben zu kehren, besonders im Jugendamt gäbe es nicht erst seit gestern genügend Anlass. Doch da sieht der ansonsten gern große Worte verkündende Herr Bürgermeister so gar keine Veranlassung. Muss das Fußvolk denn wirklich jede Kleinigkeit, die in den Dorstener Amtsstuben nicht so ganz rund läuft, so breit treten? Hätte Stillschweigen der Angelegenheit nicht mehr genutzt als geschadet? Solch ein Sümmchen kann doch verschmerzt werden. Warten wir auf den nächsten Bürgermeister-Auftritt. Sicherlich wird er den lieben Bürgerinnen und Bürgern schlüssig erklären, warum es so und nicht anders war. Hauptsache das Volk bleibt brav obrigkeitsgläubig. Es ist doch so schön, gut regiert in Dorsten zu leben. Bei solch einem Meister!
Grandios recherchiert, grandios geschrieben. Ähnliche Zustände wie bei uns in der Kommunalpolitik. BüMa und Amt und ein paar Eingeweihte machen ihre Hinterzimmerpolitik an Bürgern und Bürgerinnen vorbei. Der Rat bzw. die Gemeindevertretung wird gezielt mit schwammigen oder sogar falschen Informationen manipuliert. Rechtsbruch der Kommunalverfassung ist an der Tagesordnung. Manchmal ist es zum verzweifeln. Aber aufrechte und integere Menschen in der Politik dürfen nicht aufgeben. Kopf hoch! Wir machen auch weiter. Petra Zacharias
Das sind Steuergelder. Wenn man es richtig nimmt, Bürger haben sie erwirtschaftet. Meiner Meinung nach werden wir nur noch gemolken und sollen schön die (Entschuldigung) Fresse halten.