Von Wolf Stegemann
5. September 2019. – Ältere Holsterhausener am Söltener Landweg werden ihn noch als den Jungen namens Rolf mit dem Familiennamen Christoffer gekannt haben. 1992 hatte er den Namen seines kanadischen Onkels „Baron de Sedang-Wolfeé“ angenommen und ihn namensrechtlich mit seinem eigenen Namen eingedeutscht, so dass er fortan Christoffer Baron von Wolfen-Elmenhorst hieß. Wer seinen Lebenslauf liest, stellt fest, dass der einstige Holsterhausener einen bis in die Facetten hinein phänomenalen Lebensweg hinter sich und ein Familienunternehmen mit rund 460 festangestellten Mitarbeitern gegründet hatte. Die familieneigene „Juvare-Heimbetriebsgesellschaft mbH“ betreut im Kreis Minden-Lübbecke im äußersten Nordosten Nordrhein-Westfalens in zehn Landsitzen, Parkschlösschen und Villen über 500 Bewohner.
Halbstark in Holsterhausen: Moped, Kofferradio, Rangeleien, Mädchen
Er wurde 1944 in Dorsten-Holsterhausen geboren, lebte bis zuletzt in Petershagen, wo er 2018 starb. Rolf Christoffer war gelernter Heilpraktiker, Selfmademan und erfolgreicher Familien-Unternehmer in der Alten- und Behindertenpflege. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er in der Nachkriegszeit wohl behütet im Schoß seiner Großfamilie Mast/Christoffer am Söltener Landweg in Dorsten-Holsterhausen und wohnte mit seiner Mutter hinter der damals noch zerbombten alten Badeanstalt am Hammbach. Dort noch lebende Verwandte heißen Mümken, Schüller, Mast, Schönecker. Sein Vater wurde nach der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft Bergmann und baute mit Hilfe der Bergbaugesellschaft ein Eigenheim an der Akazienstraße in Holsterhausen. Das Foto zeigt ihn mit Freddy Senftleben auf der Akazienstraße.
Es gab viele Badeunfälle und Eiseinbrüche am Blauen See
Mit seinen Cousinen, Cousins sowie den Jungs und Mädchen aus der Nachbarschaft erkundete Rolf Christoffer den Hammbach und vor allem den Blauen See – rundherum und verbotenerweise mit einem Kahn auch auf ihm. Rolf Christoffer, das Foto zeigt mit seiner Freundin Maria Kuhn, erinnert sich:
„Berni, Hannelore und Marlies, mein Cousin und meine Cousinen, wohnten im Söltener Landweg 29 direkt am Stausee. Meine Eltern und ich waren in einem Behelfsheim hinter der zerbombten alten Badeanstalt am Hammbach zu Hause. Im Sommer waren wir vom frühen Morgen bis zum Abend am Stausee und lagen ständig im Wasser. Dieser Stausee, der noch gebaut und ausgebaggert wurde, war ein riesiger Abenteuerspielplatz. Leider hat er in meiner Kinder- und Jugendzeit so manches Leben durch Badeunfälle oder Eiseinbrüche ausgelöscht. Immer wenn zur Sommerzeit große Menschenansammlungen am See zu beobachten waren, war dies ein Zeichen dafür, dass der See ein weiteres Opfer gefordert hatte. Ich erinnere mich noch heute an eine schreckliche Szene, als ein Vater nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen seinen ertrunkenen Sohn nach Hause trug. Er hatte ihn über seine Schulter gelegt, Händchen und Beinchen baumelten hinunter. Die Stadt Dorsten hat dann den Bau der neuen Badeanstalt vehement vorangetrieben, um diese Schreckensbilanz zu unterbinden. Unser Kinderleben spielte sich in Gottes freier Natur ab und wir durften Natur noch anfassen. Wir hatten tausend Abenteuerspielplätze. Für unsere Augen war alles groß, mächtig und geheimnisvoll zugleich. Der Stausee war unser Meer, der Hammbach ein riesiger Fluss. Ein Taschenmesser oder eine Taschenlampe waren Reichtum und der Besitzer derartiger Raritäten wurde von uns Jungen bewundert und anerkannt.“
Immer wieder wurde verstreutes Kriegshinterlassenschaften gefunden wie verrostete Stahlhelme und noch gängige Patronen. Die älteren Jungs gruben dann ganze Munitionskisten aus, was auch Opfer unter den Holsterhausener Jugendlichen forderte, erinnerte sich Christoffer. Zwei Freunde verloren Gliedmaßen bzw. das Augenlicht. Alles, was Kinder und Jugendliche ab den frühen Nachkriegjahren erlebten, das erlebte Rolf auch.
Reibereien zwischen denen die links oder recht der Borkener Straße wohnten
Bei Reibereien wussten sich die Jungs und Mädels vom Söltener Landweg wussten sich gegenüber den anderen, jenseits der Borkener Straße, zu behaupten. Dazu Rolf Christopher:
„Die Jungen und Mädchen diesseits und jenseits der Borkener Straße teilten sich selbstbewusst in zwei Gruppen, alte und neue Kolonie, auf, die zwar die Schulen, evangelisch oder katholisch, jeweils getrennt nutzten, jedoch im Alltag nicht unbedingt zusammenfinden wollten. Man hatte so seine vermeintlichen Problemchen miteinander, die es dann nach der Vormittagsschule auszutragen galt. Unser Anführer hieß Appit Schott und wir wollten in einem Kampf, mit Zwillen (wir nannten sie Fletschen) und mit Stöcken bewaffnet, die Vorherrschaft am Söltener Landweg ausfechten. Die beiden Heerlager stellten sich einander gegenüber auf und es herrschte zunächst die Ruhe vor dem Sturm. Ein Junge der neuen Kolonie hatte seine Zwille mit Stahlkugeln geladen und traf beim ersten Schuss Appit an den Kopf. Appit knickte ein und hatte eine klaffende Stirnwunde davongetragen. Unsere Vorwärtsbewegung stockte und alle sahen unseren verwundeten Anführer mit bangen Augen an. Appit zog sein Hemd aus, riss es in zwei Teile und knotete es um seinen Kopf, um die Wunde zu bedecken. Er schrie: „Auf sie!“ Mit lautem Gebrüll, gestärkt durch unseren Anführer, schlugen wir den Tross der neuen Kolonie in die Flucht. Das Gejohle hatte auch die Erwachsenen alarmiert, die letztendlich dafür sorgten, dass der Friede auf dem Söltener Landweg wieder hergestellt wurde.“
Kirmesbesuche in Dorsten waren stets wundervolle Abenteuer
Mit 14 Jahren wurde Rolf Christoffer aus der Bonifatiusschule entlassen, bewarb sich bei der Zeche, wurde wegen körperliche Schwächlichkeit nicht genommen, bekam dann bei der Eisengießerei Kleinken 1958 eine Lehrstelle als Former und Eisengießer und 36 DM im Monat. Als Halbstarker gehörte er einer Gang an, in der Mopeds, Kofferradios, Rangeleien, Elvis Presley, Bill Harley und Mädels im Tanzlokal Tengelmann die Freizeitbestimmten. Neben den vielen Verwandtschaftskindern wuchs Rolf Christoffer auch mit „Federvieh“ und Hunden auf. Das prägte ihn. Denn bis zu seinem Lebensende hatte er Hunde nach dem Motto: „Ohne Hund ist das Leben Schund“ (Fotomontage unten). Sein letzter Hund namens Rex war sein Lebenshund, der ihn überlebte. Die Kirmesbesuche in Dorsten mit drei oder fünf Groschen in der Tasche waren für Rolf Christoffer wundervolle Abenteuer. Gerne erinnerte er sich an das handbetriebene Glücksrad, bei dem kleine Sachpreise ausgelost wurden. Der Betreiber des Glücksrades merkte schnell, worauf die Jungs spekulierten. Der erste, der einen Groschen setzte, bekam für seinen Einsatz eine Knallkorkenpistole oder gar ein Taschenmesser. Die weiteren zwanzig Spieler, die alle geködert waren, gingen natürlich leer aus oder wurden mit ein paar Bonbons abgespeist. Diese Erfahrung aus dem Bereich Glücksspiel hat ihn sein Leben lang geprägt. Er verzichtete auf jede Art von Glücksspiel.
Rolf Christoffer philosophierte über seine Holsterhausener Jugendzeit
Über seine Kinder- und Jugendtage in Holsterhausen erinnerte er sich sehr gerne und machte sich darüber fast philosophische Gedanken: „Eine Jugend, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre andauerte, war von den allgemeinen Voraussetzungen her gesehen nicht unbedingt an rosige Erwartungen geknüpft. Es kommt jedoch auf die Menschen an, die dem Kind, egal in welcher Zeit, Raum geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, und die dennoch beschützend und fürsorglich eingreifen, wenn Gefahren oder Fehlentwicklungen drohen, die die Persönlichkeit des Kindes beeinträchtigen können. Jede Episode hat ihren eigenen Wert und hat in der Kinder- und späteren Jugendzeit bei mir besondere Eindrücke hinterlassen.“ Zeit seines Lebens galten seine Liebe und Dankbarkeit, so Christoffer, seiner Mutter Else, seiner Oma Sophie und seiner Tante Hanna. Das Foto zeigt ihn mit seinen Cousinen Hannelore Loick (heute Mümken) und Marlies Mast (spätere Tolsdorf) am Hauseingang am Söltener Landweg 29; im Hintergrund der Blaue See.
Vom Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr zum Altenbetreuer
Von 1964 bis 1980 war Christoffer Zeitsoldat bei der Bundeswehr, brachte es zum Hauptfeldwebel und besuchte in dieser Zeit die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg, danach die Fachhochschule Aachen, leitete dann ein Alten- und Pflegeheim einer kirchlichen Einrichtung, machte sich 1980 als Unternehmer im Bereich der Alten- und Krankenpflege in Petershagen, wo er seit 1977 wohnte, selbstständig und expandierte unter dem Leitspruch „Mörtel und Stein bauen ein Haus, Liebe und Geist füllen es aus“. Er gründete die „Juvare Heimbetriebsgesellschaft mbH“ und wurde deren Geschäftsführender Gesellschafter, ferner der „Christoffer Grundstücks GbR“ sowie die „Juvare Beteiligungs- und Servicegesellschaft mbH“, wurde Gesellschafter in der „Seniorenpflegeheim Meiborssen GbR“ und im „Ambulanten Pflegedienst Polle GbR“. Zudem waren Rolf Christoffer und seine Frau Ulla auch für das Allgemeinwohl der Gemeinden tätig, interessierten sich für die Kultur und den Sport, deren Bereiche sie finanziell unterstützten. Auch förderte Rolf Christoffer den Naturschutz und die Natur allgemein. Er forstete viele Hektare großen Wald auf und errichtete weitläufige Grünanlagen. Schon als Junge, als er noch Bauer werden wollte, fühlte er sich der Landschaft und Natur verbunden. – Während sein Sohn Thomas die Familienfirmen übernahm, blieb er weiter der „Seniorchef“. Rolf Christoffer Baron von Wolfen-Elmenhorst, der seine Jugend in Holsterhausen verbrachte und sich zeitlebens gerne daran erinnerte, starb 74-jährig im Jahr 2018.
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