Das Porträt: Gregor Duve – ein waschechter Holsterhausener Geschichten- und Anekdotenschreiber war „Holsterhausens wandelndes Lexikon“. Er starb vor wenigen Tagen

Gregor Duve und seine Frau Anne im Jahr 2018; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann

28. September 2019. – Vor wenigen Tagen, am 24. September 2019 starb der 1937 in Holsterhausen geborene Gregor Duve, ein waschechter Holsterhausener. – Der Name Duve hat im heutigen Dorstener Stadtteil Holsterhausen einen guten Klang. Die Duves gehören zu den Alteingesessenen, waren Handwerker, Gast- und Landwirte und waren auch immer irgendwie mit der katholischen Kirche verbunden. Einer von ihnen lief Anfang des 20. Jahrhundert zu Fuß nach Jerusalem und bekam auf dem Rückweg vom Papst in Rom eine Audienz. Über die Duves gäbe es viel zu erzählen, so auch über Gregor Duve, dessen Leben von Kindheit an in Holsterhausen kirchlich und heimatkundlich geprägt war.
Seine Eltern waren bereits 17 Jahre lang verheiratet und noch immer stellte sich kein Kind ein. Doch dann, 1937, kam Gregor zur Welt. Aus Dankbarkeit Gott gegenüber und aus Freude baute der Vater Leo, von Beruf Maurer, die Bonifatius-Wegekapelle im Emmelkamp. So wuchs der kleine Gregor in sein katholisches Leben hinein, las am 10. November 1945 als Achtjähriger das erste Mal die Messe in Latein und brauchte dafür Nachhilfe von der Pfarrhelferin. Von 1955 bis 1972 war er Messdiener an St. Antonius, besuchte die Antoniusschule und später die Wilhelmsschule in Holsterhausen. Bis zur Rente arbeitete Gregor Duve als Hausmeister bei der Nato in Erle und seine Freizeit widmete er viele Jahrzehnte dem Taubensport. Als er in seinem Garten an der Martin-Luther-Straße ein Schwimmbassin ausheben ließ, stießen die Arbeiter auf einen Teil des Grenzwall eines römischen Lagers, was die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe inspizierten und dokumentierten.

Verblüffend ist Gregor Duves genealogisches Gedächtnis

Die „Dorstener Zeitung“ titelte anlässlich seines 70. Geburtstags den Artikel mit „Holsterhausen lebendes Lexikon“. Denn besonders verblüffend war Gregor Duves genealogisches Gedächtnis. Er kannte Verwandtschafts- und Wohnverhältnisse von vielen Alteingesessenen in Holsterhausen, wobei er auch immer den Unterschied zwischen dem Dorf, der Kolonie und dem Emmelkamp zu machen verstand, zwischen Katholiken und Evangelischen, zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen. In einer Zigarrenkiste bewahrte Duve dicke Packen mit Sterbebildchen von Holsterhausenern auf. Da fanden sich viele Familien des Dorfs Holsterhausen wieder. Denn etliche „Dörfler“ sind mit Duves verwandt.
Eine Anekdote erzählt er immer gern: Die Fronleichnamsprozession 1950 führte auf einem schmalen Weg entlang an Weiden, auf denen Kühe standen und die  Prozession neugierig beäugten. Die Messdiener-Jungs waren mit ihren roten Messdienergewändern dabei. Vom Rot gereizt, stürmten dann die Bullen heran und wurden gerade noch vom Weidezaun aufgehalten (siehe unten).
1966 heiratete Gregor Duve Anne. Die Hochzeitsreise ging nach Fatima in Portugal. Nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben war er Mitbegründer des „Ökumenischen Geschichtskreis Holsterhausen“ (Bild links, Duve 2. v. r.), dem er über 20 Jahre angehörte. In den vom Geschichtskreis herausgegebenen „Holsterhausener Geschichten“ wurden einige seiner Geschichten und humorigen Anekdoten immer wieder gern gelesen. Die Hefte stellte der Geschichtskreis mit der 8. Ausgabe 2013 ein. Nachdem Wolf Stegemann die in den letzten Kriegstagen 1945 in Holsterhausen stattgefundene viele Tote verursachte Zugbombardierung aufgearbeitet und veröffentlicht hatte, brachte der Geschichtskreis 2009 dort eine Erinnerungstafel an. Der WDR berichtete darüber. Gregor Duve wusste vor der Kamera viel aus eigenem Kindheitserleben dazu beizutrage, denn sein Vater war zu der Zeit Gleiswärter in Holsterhausen. Gregor Duve starb mit 82 Jahren in einer Dorstener Seniorenresidenz. – Seine über 100 geschriebenen und meist zum Schmunzeln anregende Geschichten und Anekdoten aus Holsterhausen werden jetzt aufgearbeitet und demnächst online veröffentlicht. Das Foto zeigt von li. stehend: Pfarrer M. Overath, Ulli Brenscheidt, Bernd Schoof, Gregor Duve, Wolf Stegemann; vorne: Heinz Radde und Walter Biermann.

Achtzehn Verse „Pro Holsterhausen“ zum Abschied

Gregor Duve erwartete seinen Tod schon länger. Und er bereitete sich darauf vor. Unter anderem mit einem Gedicht „Pro Holsterhausen“ über die Geschichte und Entwicklung seines Lebensortes. Von den Römern über Wennemar von Heyden und die Hagenbecks bis zur Industrialisierung und dem Heute. Die 18 vierzeiligen Verse wurden am Schluss des Beerdigungs-Gottesdienstes in der St. Antoniuskirche vorgelesen. Hier eine Auswahl dieser Verse:

Wir leben gern an diesem Orte,
Holsterhausen sei hier genannt,
uns fehlen oft die Worte,
warum ist dieser Fleck denn so bekannt?

Wir leben auf historischem Boden,
die Römer waren auch schon hier,
einen Zaun sie haben gezogen
um zu schützen ihr Legionsrevier.

……

Viel später kamen dann die Grafen,
sie errichteten hier eine Burg.
Hagenbeck gaben sie ihr dann den Namen,
einen Steinwurf von der Lippe nur.

……

Jahrhunderte ein Dorf im Grünen,
so träumte der kleine Ort dann vor sich hin,
Veränderungen wurden hier nicht groß geschrieben,
man lebte hier im traditionellen Sinn.

Das schwarze Gold riss aus den Träumen,
die Zeche Baldur kam dazu,
der Zuzug kam zum Überschäumen,
aus war es mit des Dorfes Ruh.

……

Nun muss ich diesen Ort verlassen,
der mir so lange Heimat war,
noch einmal fahr ich durch die Straßen
mit den Endpunkt Friedhof – das ist klar.

Hier ruht man nun sehr tief in Frieden,
inmitten einer großen Schar,
was ich nun über diesen Ort geschrieben,
es immer Holsterhausener Geschichte war.

Gregor Duve:
Als wildgewordene Bullen die Fronleichnamsprozession attackierten

Wie es auch heute noch religiöser Brauch ist, zog die Fronleichnamsprozession schon immer durch das Emmelkämper Gebiet, vorbei an der Annakapelle, der Ludgeruskapelle, seit Anfang der fünfziger Jahre auch an der Marienkapelle beim Hof Keller, dann weiter zum Wegkreuz am Schlagheck und zuletzt am so genannten Hagelkreuz bei Mense. Auch hier wurde bis in die fünfziger Jahre hinein Station gemacht. Dann ließ der zu­nehmende Verkehr dies nicht mehr zu. Wie in jedem Jahr war es der gleiche Ablauf, dieselben Lieder und dieselben Gebete. Nur das Wetter wechselte. Mal schien die Sonne, mal regnete es, ein andermal wehte ein kräftiger Wind.

Doch bei einer Prozession, es muss um 1950 herum gewesen sein, war alles ein bisschen anders. Die Spitze der Prozession zog nach dem Halt an der Ludgeruskapelle weiter und bog nach rechts ab. Langsam ging es bergauf zum Volkshof, der an der linken Seite stand und der Jahre später abgerissen wurde. Die Prozession hatte wie immer ihre feste Formation. An der Spitze die Fahnenträger mit dem Kreuz, dann die Schulkinder mit den Lehrern, danach der Jungfrauenverein, den es damals noch gab, mit ihrem Banner, darauf folgte der Mütterverein und dann wir Messdiener. Nach uns kam der Pastor mit der Monstranz unter einem Baldachin, der von vier Männern getragen wurde. Hinter ihm die Musikkapelle. Den Abschluss bildeten die Männer. Der letzte war hier immer Ludwig Mense sen. An der linken Seite auf diesem Abschnitt befanden und befinden sich auch noch heute die ausgedehn­ten Wiesen vom Gehöft Enbergs. In aller Regel waren an diesem Tag keine Kühe auf der Weide. Wie bereits erwähnt, war es an diesem Tag eben anders. Einige Bullen weideten zu­nächst friedlich. Als die Bullen uns Messdiener in unseren roten Talaren wahrnahmen, erregten wir ihre Aufmerksamkeit. Die Kapelle spielte das Lied: „Kommt her ihr Kreaturen all’“, das die Bullen allzu wörtlich zu nehmen schienen. Geschlossen stürmten sie heran. Je näher sie kamen umso wilder wurden sie. Einige von ihnen erreichten sehr schnell den Weidezaun, zwei andere stemmten ihren Kopf mit dem Gehörn gegen zwei Eichen, die auf der Wiese standen. Im allgemeinen Chaos riss die Prozession auseinander. Ungeordnet stob der vordere Teil mit dem Mütterverein in Richtung Volks­hof, der hintere Teil kam ins Stocken und die Musik brach ab. Nur das Ge­brüll der Bullen war noch zu hören. Da war nun guter Rat teuer. Sollten die vierbeinigen und schnaubenden Unge­tüme die Umzäunung durchbrechen, hätte dies für uns schreckliche Folgen.

Unter uns waren einige junge Bauernsöhne, denen der Umgang mit Vieh vertraut war. Entschlossen flankten sie über den Zaun und versuchten die Tiere abzulenken, was ihnen nach einiger Zeit auch gelang. Langsam kehrte wieder Ruhe ein und die Prozession konnte ihren Weg fortsetzen. Die Aufregung war aber noch lange zu spüren. In den folgenden Jahren waren an diesem Tag auf dieser Weide keine Bullen mehr zu sehen. Und das Lied „Kommt her ihr Kreaturen all“ konnte fortan ohne wörtlich genommene Folgen ge­sungen werden.
_______________________________________________________________

Siehe auch: Rom, Kairo, Beirut, Jerusalem, Konstantinopel: Fast immer zu Fuß durch Flüsse, Wüsten und entlang am See Genezareth – Anton Duves große Reise im kleinen Heft

Siehe auch: Blick zurück: Seltersbuden und Trinkhallen in Holsterhausen – Ein Stück verschwundener Geschichte in der Gemeinde, die 1943 Stadtteil von Dorsten wurde

________________________________________________________________

Quellen: DZ vom 18. April 2007. – „Kirche und Leben“ vom 3. Febr. 2019. – Dorsten-Lexikon (Aufruf 2019).
Dieser Beitrag wurde unter Das Porträt, Familien, Heimatgeschichte, Holsterhausen abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Ein Kommentar zu Das Porträt: Gregor Duve – ein waschechter Holsterhausener Geschichten- und Anekdotenschreiber war „Holsterhausens wandelndes Lexikon“. Er starb vor wenigen Tagen

  1. Köster sagt:

    Dass Gregor Duve, der kenntnisreiche aufrichtige bescheidene Ur-Holsterhausener, verstorben ist, das ist eine traurige Nachricht. Möge er ruhen in Frieden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert