Von Gregor Duve
Markante Plätze in Holsterhausen, wo sich Menschen trafen, waren die zahlreichen Seltersbuden und Trinkhallen. Da es zwischen den Weltkriegen und auch später nur wenige Gaststätten gab, und wegen der hohen Arbeitslosigkeit vielen Holsterhausenern das Geld fehlte, um in die Gaststätten zu gehen, waren die Seltersbuden und Trinkhallen die Ersatzkneipen, wo man sein Bier trank – natürlich aus der Flasche – und mit Freunden, Nachbarn und Bekannten über Gott und die Welt klönen konnte. Das Wort Trinkhalle klingt zwar pompös, in der Regel waren es aber einfache kleine Häuschen, vielfach nur aus Holz gebaut. Auch wenn bei der Kundschaft das Geld nicht locker saß, machten die Buden doch einen beträchtlichen Umsatz. In Holsterhausen sind heute die meisten dieser Trinkhallen verschwunden. Sowohl von den Straßen und Plätzen, wo sie waren, wie auch aus dem Gedächtnis. Nur noch die betagten Holsterhausener können sich an die eine oder andere Trinkhalle an ihrer Ecke erinnern.
Nach der Schicht löschten Bergleute ihren Durst bei Oma Spiegelhoff
Bis etwa 1931 stand an der Ecke Baldurstraße/Pliesterbecker Straße die Trinkhalle und Seltersbude von Willi Spiegelhoff. In der Bude saß immer Oma Spiegelhoff. Viele Bergleute von der Zeche Baldur stillten dort ihren Durst vor oder nach der Schicht. Mit der Schließung der Zeche wurde diese Trinkhalle abgerissen. Eine weitere Trinkhalle stand bis 1953 an der Ecke Pliesterbecker/Borkener Straße – und zwar an der Nordseite. Sie war aus Holz und der Betreiber hieß Emil Polak. Als nach 1953 die Tankstelle errichtet wurde, versetzte Polak seine Bude ein Stück südlicher vor das Haus Kranefeld, schräg gegenüber vom Hotel Berken. Dort stand sie etliche Jahre. Dann wurde sie ebenfalls Geschichte.
Eine Bude stand lange Zeit dort, wo bis vor wenigen Jahren die Polizeiwache war. Erster Inhaber hieß Paul Kaiser, später übernahm für viele Jahre die Witwe Helene Winter die Trinkhalle. An ihrem knallgelben Holzhäuschen unterbrachen damals noch viele Fußgänger ihren Weg von oder nach Dorsten, um eine Cola oder eine Flasche Bier zu trinken. Für einen kurzen oder längeren Plausch hatten die Leute damals immer Zeit. Im Sommer luden Stühle und Tische zur Rast ein. An der Ecke Borkener Straße/Brunsweg stand in der Zeit zwischen den Weltkriegen die Seltersbude von Karl Arnold. Und an der Nordseite der Ecke Borkener Straße/Freiheitsstraße hatte bis 1935 Tellner eine Seltersbude (Foto oben). Auch sie war ganz aus Holz gefertigt. Dann entstand dort die Bäckerei Passmann. Bis in die sechziger Jahre hinein gab es gegenüber die massiv gebaute Trinkhalle Baumann.
In der Seltersbude wurde die Idee zur Gründung der 53er-Schützen geboren
An der Nordseite der Ecke Heinrichstraße/Borkener Straße stand um 1950 auch eine kleine Seltersbude aus Holz. Hier verkaufte Josef Bogoczeck Getränke, Süß- und Tabakwaren. Diese Trinkhalle gilt als Wiege des Schützenvereins Holsterhausen 53. Denn man sagt, dass einige Holsterhausener dort bei Bier, Klatsch und Tratsch die Idee hatten, diesen zweiten Holsterhausener Schützenverein zu gründen. Später wurde diese Trinkhalle auf die Südseite der Heinrichstraße verlegt und in massiver Bauweise errichtet (Foto von 1949). Viele Jahre verkaufte Oma Sendker Bier und Süßigkeiten. Heute steht dort eine Bäckerei mit kleinem Café-Betrieb. An der Ecke Zeppelinstraße/Söltener Landweg stand die Trinkhalle von Hans Falkenhahn, später Stanicki. In den vierziger und fünfziger Jahren, als der Stausee noch Badesee war und Tausende Badegäste sich dort tummelten, machten die Inhaber dieser Bude großen Umsatz. Später wurde die Trinkhalle für eine kurze Zeit in die Zeppelinstraße verlegt.
Von der Garage hin zur Mittelstraße, wo der Kiosk heute noch steht
In späteren Jahren hatte Eugen Witting an der Ecke Söltener Landweg/Luisenstraße eine Trinkhalle. In der Vinkestraße war ebenso für eine kurze Zeit die Bude von Helene Polak. In der Wrangelstraße hatte schon vor dem letzten Krieg Helene Winter ihre Trinkhalle, die später ihre Seltersbude – wie schon erwähnt – vor der Polizeiwache hatte. Viktoria Kokoska betrieb seit vielen Jahren die Trinkhalle an der Ecke Freiheitsstraße/Idastraße (Foto von 1935). Früher war der Kiosk eine kleine Bude aus Holz. Dann war sie Bestandteil eines größeren Gebäudes und heute ist sie ebenfalls verschwunden. An der Ecke Martin-Luther-Straße/Breslauer Straße betrieb Willi Neumann in den sechziger und siebziger Jahren eine Trinkhalle. An der Eschenstrasse gegenüber der Bonifatiuskirche errichtete in den fünfziger Jahren Karl (Kallemann) Striewe eine Trinkhalle in massiver Bauweise. Danach war sie noch einige Jahre Eisdiele. In den sechziger Jahren gab es an der Martin-Luther-Straße die Trinkhalle von Josef (Jupp) Kuhn, für die er seine Garage umbaute. Später verlegte er sie an die andere Seite der Mittelstraße und vergrößerte sie. Dort steht sie heute noch. Eine sehr bekannte und gut gehende Trinkhalle betrieb über Jahrzehnte der Holsterhausener Heini Besten in Dorsten. Sie stand am Treppenaufgang zum Lippetal am Kanal. Da steht sie heute noch. Wenn sie auch nicht auf Holsterhausener Gebiet stand, so fanden sich doch viele Holsterhausener auf ihrem Nachhauseweg zu einem Plausch mit Heini Besten dort ein. Er starb 1968, als er mit seinem Rad die Kanalbrücke befuhr und dabei einen Herzinfarkt erlitt.
Wichtige Treffpunkte des kommunikativen Lebens im Dorf
Holsterhausener Trinkhallen waren im letzten Jahrhundert nicht nur Versorgungsstellen für Getränke, Zigaretten und Zeitungen, sondern auch wichtige Treffpunkte des kommunikativen Lebens im Dorf und in den Kolonien. Dort wurde bei einer Flasche Bier – oder zwei, vielleicht auch drei – über den neuesten Tratsch im Dorf, über die große und die kleine Politik geredet, diskutiert und gestritten. Heute gibt es kaum noch Trinkhallen, die meisten sind verschwunden. Geblieben sind die Erinnerungen an diesen Ausschnitt Holsterhausener Geschichte.