Von Wolf Stegemann
11. Juli 2019. – Goethe, Schiller und anderen Geistesgrößen, deretwegen sich Weimar mit dem Attribut „Stadt der Dichter und Denker“ schmückt und darüber immer viel nachgedacht und geschrieben wird, ist natürlich immer wieder „der“ Besichtigungsort für Kulturbeflissene und Schulklassen. So auch Ende November 2018 von den Schülern und Schülerinnen der Leistungskurse Geschichte der Gesamtschule Wulfen. Dabei besuchten die 34 Schüler und Schülerinnen unter Leitung der Lehrer Werner Thies und Niels Kohlhaas auch das nur wenige Kilometer von Weimar entfernte einstige Konzentrationslager Buchenwald.
Der erste Häftlingstransport kam zur Errichtung des Konzentrationslagers am 15. Juli 1937, also dieser Tage vor 82 Jahren, in Buchenwald an. Es wurde zu einem grausamen Gegenbild der Klassikerstadt und später zum Symbolort der DDR mit ihrer antifaschistischen Gründungsdoktrin. „Das KZ Buchenwald zu besuchen war die wahrscheinlich wichtigste Erfahrung in der Auseinandersetzung mit dem NS“, so der 18-jährige Daniel. „Das Ausmaß dieses Lagers wurde deutlich, wenn man vom Zeughaus zum Lagereingang sah. Spätestens im Krematorium packte es jeden. Außerdem fand ich den historischen Spagat in Weimar zwischen Klassik und NS-Verbrechen interessant.“ Und David, ebenfalls 18 Jahre alt, meint: „Ich bin mit einer sehr bösen Vorahnung nach Buchenwald gegangen, die sich bereits beim Durchqueren des Lagertors bestätigt hat. Die Lebensbedingungen der Häftlinge haben meine Erwartungen und Vorkenntnisse im negativen Sinne bei weitem übertroffen. Es war für mich erschreckend, welcher Kälte die Häftlinge täglich ausgesetzt waren, denn trotz warmer Winterkleidung wurde mir beim Gang über das Lagergelände eiskalt.“
Die Zahl der Todesopfer wird auf etwa 56.000 geschätzt
Buchenwald war eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden, das zwischen 1937 und April 1945 auf dem Ettersberg als Arbeitslager betrieben wurde. Insgesamt waren in diesem Zeitraum etwa 266.000 Menschen aus allen Ländern Europas dort inhaftiert. Die Zahl der Todesopfer wird auf etwa 56.000 geschätzt, darunter 15.000 Sowjetbürger, 7.000 Polen, 6.000 Ungarn und 3.000 Franzosen (Foto links: Leichenberge 1945). In Buchenwald wurden Regimegegner, Vorbestrafte, Nichtsesshafte, Homosexuelle, Sinti und Roma und schließlich zahlreiche Juden interniert. Die größte Gruppe bildeten die politischen Häftlinge. Mit Beginn des Krieges kamen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern hinzu.
Auch Dorstener waren im KZ Buchenwald eingesperrt
Bekannt sind drei Namen von inhaftierten Dorstenern: Alfred Garka, damals 51 Jahre alt, wurde im November 1936 verhaftet und 1937 nach Buchenwald gebracht. Entlassen wurde er am 19. April 1939, einen Tag vor Hitlers Geburtstag. Emil Klang, Zeuge Jehovas, damals 47 Jahre alt, war von 1941 bis 1943 in Buchenwald. Der Ehemann der Witwe Frieda Hirth verstarb im KZ Buchenwald. Darüber sind weitere Daten nicht bekannt. Auch aus anderen Städten des Kreises Recklinghausen waren Bürger im KZ Buchenwald. Aus Herten war es Johann Witt (1 Jahr), aus Marl der 20-jährige Heinrich Dece (12 Jahre), Heinrich Hoffmann (8 Jahre), Philipp Kaufmann (etwa 1 Jahr; er kehrte nicht zurück). Ernst Radtke, Jahrgang 1886, war insgesamt sechs Jahre lang in Lagern, zuletzt bis 1940 zwei Jahre lang in Buchenwald. Ebenso Alfred Völkel (2 Jahre), aus Oer-Erkenschwick, Frieda Lindauer (7 Jahre), Karl Philipp (7 Jahre), aus Recklinghausen, Rolf Abrahamsohn, der mehrere KZs überlebte, kam 1942 als 18-Jähriger nach Buchenwald, Franz Baranski (3 Jahre), Stefan Hansch (1 Jahr), Anna Henningfeld (8 Monate), Franz Marziniak (3 Jahre) und August Seck verstarben in Buchenwald in den Jahren 1939 bis 1942; August Seck verstarb im KZ Buchenwald, Daten unbekannt.
Gefangene revoltierten im April 1945 gegen ihre SS-Bewacher
Bei Annäherung der 3. US-Armee übernahmen am 11. April 1945 die Häftlinge durch einen Aufstand gegen die bereits abziehende SS das Lager, nahmen 125 der Bewacher fest, öffneten die Tore und hissten die weiße Fahne. Nach Abzug der US-Truppen wurden Teile des Geländes von den Sowjets als Speziallager Nr. 2 bis 1950 genutzt. Von den 28.000 dort Internierten starben 7000. Auf dem Gelände des ehemaligen Lagers wurde 1958 die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald eröffnet. Ab 1991 wurde die Gedenkstätte Buchenwald neu gestaltet. Sie enthält viele Ausstellungen zur Geschichte des Konzentrationslagers.
Gesamtschüler fahren bereits seit drei Jahren nach Buchenwald
Diese Fahrten der Wulfener Gesamtschüler im November 2018 stand, wie frühere auch, unter dem Motto: „Der maximale Spagat in der deutschen Geschichte – KZ Buchenwald, Weimarer Republik und Weimarer Klassik“. Seit drei Jahren sind diese jährlichen Besuche fester Bestandteil des Schulprogramms. Zunächst besichtigten die Schüler auf einem von dem pädagogisch-wissenschaftlichen Dienst der Gedenkstätte hoch kompetent geführten Rundgang das gesamte Lagergelände mit „Blutstraße“, SS-Kasernen, Kommandantur, „Karachoweg“, Lagertor, Krematorium, Erschießungsanlage, Appellplatz, Baracke u. a. Anschließend besuchten sie auf dem Lagergelände das damalige „Zeughaus“, das seit 2017 eine umfassende Ausstellung zum Thema Holocaust enthält.
Persönliche Erinnerungen der Schüler an ihren Besuch in Buchenwald
Die folgenden Erinnerungen der Schüler und Schülerinnen entstanden Ende Januar 2019, also etwa zwei Monate nach der Fahrt:
Albert, 18 Jahre: Das Konzentrationslager Buchenwald war für mich ein „Moment“. Es ist ein Symbol für die Fähigkeit von Menschen grauenhafte Taten zu vollbringen. Es ist auch ein Symbol für das Durchhaltevermögen unter den schrecklichsten Konditionen. Dies spürt man überall in dem Lager. Riesiges Leid und unendliche Strapazen, die die Gefangenen erleiden mussten, haben ihre Spuren hinterlassen. Einfach unglaublich.
Andreas, 18 Jahre: Viel von Buchenwald zu erzählen macht meiner Meinung nach kaum Sinn. Buchenwald ist lebende Geschichte und spiegelt die dunkelsten Tage unserer Geschichte wider. Jeder, der eine Vorstellung davon entwickeln will, was sich in den KZs zugetragen hat, sollte einmal Buchenwald besuchen. Am Tag unseres Besuches kam mir nach unserer Besichtigung des Lagers jeder Windzug noch einmal kälter vor und die Stille über dem Lagergelände umso bedrückender. Diese Erfahrung sollte jeder selbst machen und nicht nur zu hören bekommen, gerade diejenigen, die wenig von KZs und Arbeitslagern wissen. Denn es ist eine große Gefahr, dass unsere Vergangenheit in Vergessenheit gerät und sich wiederholt.
Cedric, 19 Jahre: Über Boden zu gehen, auf dem Massen von Menschen brutal und absolut unmenschlich gefoltert und in den Tod getrieben wurden, bereitet ein unfassbar unangenehmes Gefühl. Man bekommt aber auch einen unmittelbaren Eindruck. Das darf sich unter keinen Umständen wiederholen.
B., 19 Jahre: Mich hat der Besuch im KZ-Buchenwald sehr beeindruckt. Ich kann mir nun vorstellen, wie der Alltag eines Häftlings abgelaufen ist. Besonders bedrückend waren das Krematorium und die Erschießungsanlage. Was die Nazis mit den Häftlingen angestellt haben, war unfassbar menschenverachtend.
John, 18 Jahre: Es ist deutlich einfacher nachzuvollziehen, wie es den Häftlingen ergangen ist, wenn man wie wir tatsächlich an einem solchen Ort gewesen ist, als wenn man sich den Alltag eines KZ-Insassen im Geschichtsbuch durchliest oder der Lehrer etwas darüber erzählt. Das ist Geschichte zum Anfassen.
H., 19 Jahre: Kompetenter Mitarbeiter, der durch seine Führung über das KZ-Gelände viele Informationen vermittelte. Den Ort selbst zu besichtigen, bringt einen selbst viel näher an das Thema heran, als das durch Bilder und Texte im Unterricht möglich ist. Allgemein eine sehr bedrückende Stimmung an einem bedrückenden Ort.
Ibrahim, 20 Jahre: Der Besuch in Buchenwald hat mich wirklich fasziniert, positiv und negativ. Positiv, da ich einen sehr genauen Einblick in den Alltag eines Häftlings bekam, doch dieser positive Gedanke sprang sehr schnell in einen negativen um, da mir klar wurde, welches Leid die Häftlinge ertragen mussten. Als ich das Krematorium betrat, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken – zu Recht wie ich finde.
J., 17 Jahre: Erschreckend wenn man sieht, was Menschen aus purem Hass erschaffen haben und zugleich unerklärbar. Beim Rundgang herrschte eine bedrückte Stimmung, vor allem wenn man bedenkt: „Hier, wo ich jetzt stehe, sind zehntausende Menschen gefoltert und ermordet worden.“ Jeder sollte einmal ein KZ besuchen, so wird das Ausmaß des Schrecklichen erst richtig deutlich.
Willi, 19 Jahre: Nicht nur wegen der Kälte lief mir schon beim ersten Betreten des Lagergeländes ein Schauer über den Rücken …
Dennis, 18 Jahre: Ich war sehr erstaunt, dass man das tägliche Leid der Gefangenen auch von außen so gut sehen konnte. Das Bärengehege der SS, das auch von Familien besucht werden konnte, stand unmittelbar am Lagerzaun. Es kann sich niemand damit herausreden, dass er nichts von dem Leid mitbekommen hat.
Leon, 19 Jahre: Dank der interessanten Führung über das große Lagergelände konnte man sich die Gräueltaten gut vorstellen, auch wenn diese nahezu unvorstellbar sind.
Erik, 19 Jahre: Der Besuch in Buchenwald war ziemlich erschreckend. Die Lebensbedingungen der Häftlinge waren grauenvoll. Ich finde es sehr wichtig, dass Schüler einen Einblick in ein Konzentrationslager bekommen und sich so die Ereignisse der Vergangenheit vor Augen führen.
Felix, 18 Jahre: Ich habe in meinem Leben noch keinen so bedrückenden Ort wie Buchenwald gesehen. Man fühlt sich dort einfach unwohl, weil man weiß, was dort so massenhaft passiert ist. Die Kälte dort geht tiefer in die Knochen als alles andere, es fühlt sich unnatürlich an. Ein Besuch, den ich nie vergessen werde.
Mats, 18 Jahre: Buchenwald ist einer dieser Orte der unschönen Geschichte Deutschlands, die man gesehen haben muss. Bereits die Aufarbeitung der Geschichte im Unterricht geht den meisten nahe. Vor Ort wird einem dies alles noch mal gefühlsmäßig bewusst und prägt alles rund um den Unterricht dazu Erlernte. Allein die Atmosphäre auf dem Gelände wirkt für sich und verdeutlicht die vielen sehr wissenswerten Informationen, die man dort vermittelt bekommt.
Nadine, 19 Jahre: Die „Erfahrung Buchenwald“ war für mich sehr einschneidend, da mir bewusster wurde, in welchen Verhältnissen die KZ-Insassen leben mussten. Denn im Unterricht war dies für mich noch sehr abstrakt durch Quellen, die wir gelesen haben. Die Ausstellung nach der Führung hat ihr übriges dazu getan.
Felix, 19 Jahre: Als wir in Buchenwald ankamen, verstummten die Gemüter. Als wir die „Blutstraße“ entlangfuhren, wurde mir klar, welcher Ort uns bevorsteht. Es ist zwar ein Arbeitslager und kein Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau, aber trotzdem haben uns die Todeszahlen erschüttert und es herrschte eine Stimmung vor Ort, wie ich sie vorher noch nicht kannte. Der Eingang in das KZ Buchenwald könnte auch ein Bahnhofseingang sein, aber dieser Eindruck verliert sich schnell durch den Schriftzug „Jedem das Seine“ und es wird klar, wie grausam dieser Ort war.
Simon, 19 Jahre: Das Gelände kannte ich schon, aber die Ausstellung im „Zeughaus“ war für mich neu. Die Zeit in der Ausstellung war für mich zu kurz, ich konnte leider gar nicht alles anschauen. Trotzdem konnte ich interessante Eindrücke sammeln, die dafür gesorgt haben, dass ich zu meiner eigenen Familiengeschichte nachgeforscht habe.
Nick, 20 Jahre: Meiner Meinung nach sollte die Fahrt nach Buchenwald stetig durchgeführt werden. Die Eindrücke, die man hier sammelt, bleiben fest im Kopf verankert. Die Stimmung auf dem Ettersberg ist bedrückend, die Kälte vermittelt ein unwohles Gefühl. Dieser Ausflug hat mich durchaus geprägt und lässt mich verschiedene Dinge anders reflektieren als ich es zunächst vermutet habe.
Jonah, 19 Jahre: Man konnte viel besser als in der Theorie nachvollziehen, wie das Leben für die Häftlinge war. Der Besuch ist eine mitreißende Erfahrung für mich, die dafür sorgt, dass man sich noch einmal mit dem Thema beschäftigt. Die Wirkung des KZs ist eine ganz eigene, die man einmal erlebt haben muss. Es ist schwer, das Gefühl zu beschreiben.
Jarmira, 19 Jahre: Nicht nur durch Frontalunterricht, sondern auch durch so einen Ausflug die Grausamkeit des NS kennenzulernen, ermöglicht einen anderen Blickwinkel und eine besondere Empfindsamkeit. Buchenwald imponierte nicht nur durch die Geländeführung, sondern auch durch die beeindruckende Ausstellung. Wir konnten die Wege nachgehen, die Opfer und Täter bis zur Befreiung gegangen sind und konnten uns das ganze Geschehen besser vorstellen.
Annika, 19 Jahre: Die Fahrt nach Buchenwald war wirklich interessant für mich. Der Besuch im ehemaligen KZ lässt mich nachdenklich werden und man fängt an zu realisieren, wie viele Menschen von diesem Regime eingesperrt und getötet wurden. Es ist eine tolle Möglichkeit als Ergänzung zum normalen Unterricht. Besonders eindrucksvoll fand ich die Verbrennungsöfen. Es ist für uns heute kaum vorstellbar, dass dort so viele tausend Menschen verbrannt wurde.
Simon, 18 Jahre: Das Kältegefühl in Buchenwald lag nicht am Wetter. Eigenartig war, dass man alles sehen aber dennoch schnellstmöglich wieder gehen wollte.
Sven, 18 Jahre: Der Besuch von Buchenwald hat mir den Begriff „Holocaust“ enorm verdeutlicht. Da zu stehen, wo eine ausgeklügelte Vernichtungsmaschine tausende unschuldige Menschen ohne Gerichtsurteil hingerichtet hat und sich Tausende zu Tode arbeiten mussten, hat in mir einiges ausgelöst. Durch den Besuch des Lagers wurden die Gräueltaten etwas greifbarer, für mich aber auch noch unverständlicher.
„Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren“
Bundespräsident Richard von Weizsäcker
am 8. Mai 1985
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Anmerkung: Wir danken den Schülern, Schülerinnen und den Lehrern Werner Thies und Niels Kohlhaas für die Mitwirkung.
In der Dorstener Zeitung und in der Osnabrücker Zeitung erschien am 25.Juli ebenfalls ein sehr lesenswerter Artikel über den Besuch von 40 Schülern des Gymnasiums St. Ursula im KZ Bergen-Belsen.
Ich kann mich den Worten von WvS nur anschließen.
Was da steht, geht zu Herzen. Das Unfassbare bleibt für immer unfassbar. Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass die Lehrer der Gesamtschule Wulfen gemeinsam mit den Schülern Jahr für Jahr diesen schweren Gang durch die Geschichte antreten. Es sollte Pflicht für jede Schule sein, dass die Schüler/innen einmal diese Stätte der Schande und des Grauens besuchen.