12. Mai 2019 – Friedhelm Fragemann (68) sitzt seit 35 Jahren im Rat der Stadt und ist daher einer von denen, die in diesen Jahrzehnten an dem mitgewirkt haben, was Dorsten heute ist. 1984 wurde er in den Rat der Stadt gewählt und führte von 1991 bis 1994 die SPD-Fraktion, dann wieder ab 2010 bis heute. Als SPD-Ratsmitglied saß er im Rathaus meist auf der „Oppositionsbank“, einige Jahre auch auf der „Regierungsbank“ und dann war er zwischendrin für ein paar Monate auch mal Bürgermeister. Der pensionierte Lehrer kennt daher die Kommunalpolitik aus dem FF: ihre Niederungen und Erfolge, ihre Versäumnisse und Vertuschungen. Grund genug, Friedhelm Fragemann einige Fragen zu gegenwärtigen Befindlichkeiten Dorsten zu stellen. Fragesteller waren Helmut Frenzel und Wolf Stegemann.
Straßenbaubeiträge: Haushaltslage der Stadt bestimmt Zustimmung der SPD
Dorsten-transparent: Herr Fragemann, Anlass für dieses Interview sind die Turbulenzen um das Thema Straßenbaubeiträge. Deswegen dazu unsere erste Frage. Die Abgabe gibt es ja schon lange. Was glauben Sie: Warum kocht das Thema gerade jetzt hoch?
Fragemann: Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich die Probleme häufen. Die Lebensdauer einer Straße liegt bei etwa 50 Jahren. Viele Straßen sind veraltet und müssen saniert werden. Entsprechend mehr Bürger sind betroffen. Das wird in den nächsten Jahren noch zunehmen.
Dorsten-transparent: Spielt die Höhe der Straßenbaubeiträge eine Rolle? Bekanntlich bewegen sich die Anteile, die die Anlieger tragen müssen, am oberen Ende der zulässigen Bandbreite. Dass das so ist, hat der Rat entschieden. Auch die SPD-Fraktion hat den letzten beiden Erhöhungen zugestimmt.
Fragemann: Ja, das stimmt. Hier spielt die Haushaltslage eine entscheidende Rolle. Die Gemeinden haben ja durchaus einen Spielraum. Das führt dazu, dass es beträchtliche Unterschiede gibt bei den Kostenanteilen, die die Gemeinden von den Straßenanliegern fordern. Auf die Gemeinden, die sich in der Haushaltssanierung befinden, wird großer Druck ausgeübt, alle Spielräume zur Verbesserung der Einnahmen zu nutzen. Zu diesen Gemeinden gehört auch Dorsten. Die jetzigen hohen Beitragsanteile der Anlieger können abhängig von den individuellen Gegebenheiten zu hohen Belastungen des Grundstückseigentümers führen. Zum Beispiel sind Eckgrundstücke massiv betroffen. Mitunter sind die finanziellen Belastungen Existenz bedrohend. Ich halte das nicht für gerecht. Die SPD-Fraktion hat eine Resolution in den Rat der Stadt eingebracht, in der die Landesregierung aufgefordert wird, die Straßenbaubeiträge abzuschaffen und die Einnahmeausfälle der Gemeinden zu kompensieren. Wir halten das für den besten Weg.
Dorsten-transparent: Die Beitragsanteile der Anlieger lagen in früheren Zeiten viel niedriger, vor 1995 lagen sie bei der Hälfte des heutigen Standes. Das bringt jetzt die Frage nach der Gerechtigkeit hoch. Warum sollen nur Grundstückseigentümer für die Sanierung ihrer Straße bezahlen, die doch von der Allgemeinheit benutzt werden darf?
Fragemann: Die im Stärkungspakt gefangenen Gemeinden wie Dorsten sind strukturell unterfinanziert. Sie habe keine Wahl. Sie müssen alle Möglichkeiten nutzen, Einnahmen zu generieren, damit der Haushaltsausgleich erreicht wird, solange Bund und Land uns nicht 1 zu 1 das Geld zur Verfügung stellen, um alle Aufgaben, die uns von ihnen auferlegt werden, bewältigen zu können.
Dorsten-transparent: Das heißt aber doch dann: Die Kommunen nehmen dem Bürger das Geld ab, wo es eben gerade geht. Ohne Rücksicht auf die Akzeptanz der Bürger, ohne Rücksicht auf deren Belastungsfähigkeit und ohne Rücksicht auf die Frage der Gerechtigkeit?
Fragemann: Noch einmal: Die Kommunen sind gezwungen, so zu verfahren. Ich sehe nur die Möglichkeit, dass die Landesregierung die Straßenbaubeiträge durch Änderung des Kommunalabgabengesetzes abschafft, wie andere Bundesländer es schon getan haben oder planen, und die Kommunen für den Ausfall entschädigt. Diese Lösung möchten wir von der SPD mit unserer Resolution unterstützen.
Wenn wir was durchsetzen wollen, sagt man uns, dafür ist kein Geld da!
Dorsten-transparent: Bei allem Respekt: Die Initiative der SPD-Fraktion scheint doch sehr von der Art: Wie schieben wird den schwarzen Peter jemand anderem zu. Warum stellt Ihre Fraktion nicht rundheraus im Rat den Antrag, die Beitragsanteile der Anlieger wieder auf das Niveau vor 2011 zu senken? Das könnte der Rat in eigener Verantwortung tun. Wissen Sie wie hoch die jährlichen Einnahmen sind?
Fragemann: Auf Betreiben der SPD hat die Verwaltung im vergangenen Jahr Zahlen dazu mitgeteilt. Die Einnahmen bewegten sich im Zeitraum 2015 bis 2017 im niedrigen sechsstelligen Bereich, bis maximal 200.000 Euro. Das wird in den nächsten Jahren aber mehr werden.
Dorsten-transparent: Diese Beträge sind, auch wenn man sie verdoppelt, so gering, dass eine Abschaffung kaum ins Gewicht fällt. Deswegen noch einmal: Warum beantragt die SPD-Fraktion im Rat nicht die Absenkung der Anliegeranteile?
Fragemann: Da haben wir so unsere Erfahrungen. Sofort wird man uns um die Ohren hauen: Dafür ist kein Geld da. Wie wollt ihr das Gegenfinanzieren?
Dorsten-transparent: Dieses Argument muss man schon ernst nehmen. Aber wir sind nicht davon überzeugt, dass es im Falle der Straßenbaubeiträge eine Rolle spielt. Die Stadt hat 2015 einen Fehlbetrag von 6,6 Millionen Euro ausgewiesen. Rechnet man den Währungsverlust von 12,6 Millionen heraus, verwandelt sich der Fehlbetrag in einen Haushaltsüberschuss von 6,0 Millionen Euro. 2016 gab es einen Überschuss von 5,7 Millionen und 2017 von 4,1 Millionen Euro. Immer waren Jahresüberschüsse im niedrigen sechsstelligen Bereich geplant und in jedem Jahr fiel das endgültige Ergebnis dann um Millionen besser aus. Das zeigt nur eines: selbstverständlich sind Spielräume vorhanden, um einen möglichen Ausfall der Straßenbaubeiträge unterhalb einer halben Million Euro zu kompensieren. Warum also mit den Anliegeranteilen nicht zurück auf das Niveau von 2011?
Fragemann: Dafür gibt es keine Mehrheit, weil die Verwaltung die Auffassung vertritt, es gebe keinerlei Spielraum.
Dorsten-transparent: Dann sehen wir es mal von einer anderen Seite. Die 12,6 Millionen Euro Währungsverlust in 2015 waren für die Verwaltung kein Problem. Nicht nur für diese Summe haften die Bürger. Die Stadt hat mit Ihren Währungs- und Spekulationsgeschäften insgesamt Verluste von 45 Millionen Euro eingefahren. Auch dafür haften und zahlen die Bürger. Dieselbe Verwaltung, die für diese Verluste verantwortlich ist, verlangt nun von den Bürgern unter Hinweis auf die hohe Verschuldung Sparsamkeit. Es sind dieselben Bürger, die bei Steuern, Gebühren und Abgaben bis an die Grenze des Zulässigen und bei gleichzeitigem Verzicht auf öffentliche Leistungen zur Tilgung der Schulden herangezogen werden. Für sie ist kein Geld da. Da stimmt doch etwas nicht.
Fragemann: Diese Rechnung zu den Währungsverlusten kann ich nicht nachvollziehen. Nach Aussagen der Verwaltung liegen wir, wenn man die Verluste nimmt und die Zinsgewinne gegen rechnet, im Plus.
Auf Initiative der SPD wurden hochriskante Finanzgeschäfte gestoppt
Dorsten-transparent: Die Verluste von 45 Millionen Euro sind in den Jahresabschlüssen der Stadt und anderen Dokumenten belegt. Die angeblichen Zinsgewinne von 10 Millionen Euro, die die Stadt immer in den Vordergrund schiebt, sind durch nichts belegt. Sie werden einfach behauptet. Selbst wenn man die Zinsgewinne in der behaupteten Höhe anrechnet, bleibt immer noch ein Nettoverlust von 35 Millionen Euro.
Fragemann: Ich werde aufgrund Ihrer Rechnung im Haupt- und Finanzausschuss noch einmal nachfassen. Auf Initiative der SPD sind im Übrigen hochriskante Finanzgeschäfte gestoppt worden. Wir haben so Schlimmeres verhindert.
Dorsten-transparent: Kommen wir zum Thema Straßenbaubeiträge zurück. In Anbetracht der Verhältnisse sehen wir keinen Grund, warum die SPD nicht die Herabsetzung der Anliegeranteile im Rat beantragen könnte. Sie nimmt damit ein Anliegen vieler Bürger auf. So funktioniert Demokratie. Den Weg mit der Resolution an die Landesregierung könnten Sie ja trotzdem weiter gehen.
Fragemann: Wenn die anderen Fraktionen sich hinsichtlich der Resolution verweigern, haben wie allerdings einen Plan B zur Entlastung der Bürger, der in Richtung Ihres Vorschlags geht.
Dorsten-transparent: Es ist schon seltsam, wenn man dagegen hält, was zurzeit alles in Dorsten geht. Wie hoch ist eigentlich der Eigenanteil bei dem Projekt Bürgerbahnhof? Das ist doch wahrscheinlich ein Betrag ein Millionenbetrag.
Fragemann: Das Gesamtprojekt beträgt etwa 4,5 Millionen Euro. Davon 10 Prozent Eigenanteil der Stadt. Aber man muss hier berücksichtigen, dass es um eine langfristige Investition geht, die europäisch finanziert und gefördert wird und eine enorme Attraktivitätssteigerung für die Stadt Dorsten bedeutet.
Dorsten-transparent: Aber das Geld für den Eigenanteil muss doch auch aufgebracht werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Geld immer dann da ist, wenn es um ein Projekt des Bürgermeisters geht. Dann klappt das auch immer mit der Gegenfinanzierung. Versteht sich die SPD als Opposition im Rat oder als linker Flügel der CDU?
Fragemann: Politisches Handeln läuft in einer Kommune anders als in Land oder Bund. Die Kommune führt Landesgesetze aus. Bei vielen Themen geht es um reine Sachfragen. Insoweit ist der Spielraum für politische Profilierung geringer. Hinzu kommt: Die dem Bürgermeister nahe stehenden Fraktionen haben eindeutig Informationsvorteile. Wenn sie ein Projekt umsetzen wollen, haben sie bessere Karten als die anderen Fraktionen. So läuft das in Dorsten. Im Übrigen bin ich nicht konfliktscheu und für klare Worte bekannt.
Dorsten-transparent: Herr Fragemann, die Bürger werden Sie beim Wort nehmen und ihr Handeln kritisch begleiten. – Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Vorab stelle ich die Frage, ob Sie hier den SPD-Oppositionsführer im Rat gesprochen haben oder einen Unterstützer des CDU-Bürgermeisters. Opposition kommt vom Lateinischen „opponere“, das „sich entgegenstellen“ und „dagegensetzen“ bedeutet. Ihre Aufgabe ist es politische Alternativen zu entwickeln und die Interessen der politischen Minderheit gegen die Mehrheit zu vertreten.
Die Antworten des Herrn Fragemann in Kurzfassung:
„Die Lebensdauer der Straßen liegt bei ca. 50 Jahren. Zukünftig werden immer mehr Bürger betroffen sein. Die SPD hat in der Vergangenheit, auch wenn die Anliegerbeiträge für einzelne Bürger Existenz bedrohend sind, trotzdem einer Erhöhung der Anliegeranteile zugestimmt, weil die Stadt mehr Geld brauchte. Die SPD akzeptiert, dass Dorsten alle Möglichkeiten nutzt, um Einnahmen zu generieren.“
Die SPD hat keine alternativen Vorschläge. Warum haben sich diese Ratsmitglieder wählen lassen?
Warum wurden in der Vergangenheit keine Rücklagen gebildet und durch Instandhaltung die Lebensdauer der Straßen verlängert? Welche Vorschläge hat die SPD zu anderweitigen Einsparungen gemacht? Ist es egal, wen es trifft? Warum stimmte die SPD trotzdem zu und warum beantragt sie nicht die Absenkung der Anliegeranteile? Warum fällt der größten „Opposition“ dazu nichts ein?
Meine Sparvorschläge wären u. a.: Rathausneubau entfallen lassen, Digitalisierungsdividende in Form von Personaleinsparungen realisieren, Projekte wie „Bürgerbahnhof“ streichen, Straßen ordentlich instandhalten, damit wird deren Lebensdauer erhöht. Nicht auf Pump leben, dann erspart man die Zinsen. Die Straßenanliegerbeiträge betragen lt. Herrn Fragemann ca. 200.000 Euro/Jahr. Eine Absenkung auf den Anliegeranteil um 50 %, bedeutet eine Mindereinnahme von nur 100.000 €. Gem. Haushaltsplan der Stadt Dorsten sind für Personalaufwendungen 59,5 Mio. € eingeplant. Das entspricht einer Steigerung zum Vorjahr von7 % = ca. +3,9 Mio. €. Für Kulturausgaben sind über 4 Mio. € eingeplant, 2,5 % davon reichen für eine Gegenfinanzierung. Außerdem sind für Zinsen 5,9 Mio. Euro eingeplant. Der Preis für ein verantwortungsloses Handeln der Vergangenheit.
Heribert Leineweber, 15. Mai 2019