Stilles und aufdringliches Betteln. Einst heidnisch ritualisiert, christlich motiviert, dann kriminalisiert und erst seit Kurzem straffrei – jedoch ein unschönes Bild in den Straßen (Essay)

Von Wolf Stegemann

21. Dezember 2018. – Wer durch die Straßen der Dorstener Innenstadt geht, sieht häufig auch Frauen und vorwiegend Männer, die betteln oder bettelnd eine Zeitung verkaufen wollen. Besonders an Markttagen sind sie in der Innenstadt zu finden: Menschen, die Geld erbetteln oder für Organisationen Spenden sammeln. Nicht allen gefällt das, doch erlaubt ist das schon. Zumindest, solange es nicht aggressiv ausgeführt wird. Das Betteln hat eine lange kirchliche, spendensoziale, gesellschaftssoziale und strafsoziale Geschichte des Gebens und Nehmens. Auch in Dorsten bis in die Gegenwart. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Manche Städte gaben Verordnungen heraus, die das Betteln einschränkten, wenn nicht gar verboten hatten. Doch diese sind allesamt rechtsungültig, weil Bundes- beziehungsweise Landesrecht Kommunalrecht bricht. Das Betteln stellt in Deutschland seit 1974 keinen Straftatbestand dar. Der entsprechende Paragraph „Bettlerei und Landstreicherei“ wurde aus dem Strafgesetzbuch (StGB) entfernt. Daher gibt es auch in Dorsten keine städtischen Verordnungen über das Betteln.

Betrügerisches Betteln mit angeblich verkrüppelten Beinen

In Dorsten stand (und steht) hin und wieder ein Bettler in den Fußgängerzone, um seinem Mitleid erregenden Handwerk nachzugehen. Er steht still da und hält eine Dose zum Einwurf von Geld in der Hand. Eine Zeitlang war er nicht zu sehen. Denn die Polizei in Bochum nahm 2017 den 42-jährigen Rumänen fest, der auch in anderen Städten im Kreis Recklinghausen bekannt war. Zwei Streifenpolizisten fiel nämlich zufällig auf, wie der Mann erst humpelte und eine Stunde später ganz normal lief. Wie sich auf der Polizeiwache herausstellte, trug er eine spezielle Schiene, mit der er seine Beine unnatürlich verdrehen konnte. Er bekam eine Strafanzeige. Nicht, weil er bettelte, sonders dies in vollendeter betrügerischer Absicht tat. Ansonsten ist Betteln bei gewissen Einschränkungen gesetzlich erlaubt. Jetzt tauchte der vermeintlich Humpelnde wieder in Dorsten auf, aber ohne verdrehte Beine.
Das Phänomen ist nicht neu. Etliche Bettler versuchen durch ihr Erscheinungsbild als „Jammergestalten“ den Eindruck besonderer Hilfsbedürftigkeit zu erwecken. Bekannt sind auch immer wieder Frauen, die mit Zetteln auch in Straßencafés Menschen ansprechen, auf denen steht, dass sie Geld brauchen. Oder Kinder, die angeblich (oder wirklich) taubstumm sind. Dagegen könnte vorgegangen werden, wenn dies aggressive oder gewerbs- beziehungsweise bandenmäßige Formen annehmen sollte. Nicht aber gegen Bettler, die einfach nur auf dem Pflaster knieen und einen Karton mit Kleingeld vor sich stehen haben. Durch Rechtsprechung ist geklärt, dass „stilles Betteln“ die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht verletzt. Sollte es sich um ein bandenmäßiges Vorgehen handeln, könnten die Behörden einschreiten, müssten aber den Nachweis erbringen, was laut Polizei schwer oder kaum möglich ist. Zum Beispiel werden in Rumänien Roma mit dem Versprechen nach Deutschland gelockt, dort viel Geld zu verdienen. Die Hintermänner sitzen in Rumänien, meist auf den Dörfern. Doch auch in den ärmsten Roma-Dörfern gibt es reiche Einwohner. Auf ihren Grundstücken parken Minibusse, mit denen die Landsleute offensichtlich zum Betteln nach Deutschland gebracht werden. Meistens haben die Minibusse deutsche Kennzeichen. So können Kontrollen weitgehend vermieden werden.

Bettler hatten den Schutz der Götter und waren für die Kirche Heilsbringer

Will man das Phänomen des Bettelns einkreisen, lohnt ein Blick in die Geschichte. Indem man das heutige Bild des Bettlers mit dem der früheren Jahrhunderte vergleicht, eröffnet sich die Sicht auf die Mechanismen des Bettelwesens. Auffällig ist, dass der Begriff des „Bettlers“ früher nicht so negativ besetzt war wie heute. In der griechischen und römischen Antike stand der Bettler unter dem besonderen Schutz des Zeus bzw. Jupiters. Mitunter waren es sogar die Götter selbst, die sich als Bettler verkleidet unter die Menschen mischten. Auch bei den orientalischen Völkern genoss der Almosenempfänger gewisse Vorrechte. Bei unseren germanischen Vorfahren des 10. Jahrhunderts spielte der Bettler bei Ackerbauriten ebenfalls eine wichtige Rolle. Der erste vorbeikommende Bettler bekam das „Pflugbrot“, ein Brot, das im Rahmen eines alten Fruchtbarkeitsbrauchs zu Beginn der Pflügezeit als Vorwegnahme des künftigen „Erntesegens“ auf bzw. unter den Pflug oder in die Ackerfurche gelegt wurde. Diese positive Vorstellung des Bettelns hat sich bis heute in einigen ritualisierten, allerdings meist nur noch von Kindern vollführten Bettelpraktiken erhalten, etwa beim Martins- oder Sternsingen, in den letzten Jahren auch zu Halloween. Im Mittelalter hatten Betteln und Spenden einen ganz anderen Stellenwert im Bewusstsein der Menschen. Es gab beispielsweise die „Bettelorden“, wie die Franziskaner. Während heute die „Bitte um Almosen“ trotz Hartz IV und Gesundheitsreformen eine soziale Randerscheinung ist, die zudem allenfalls in den größeren Städten sichtbar wird, war das Betteln im Mittelalter immer und überall an der Tagesordnung. Almosengeben befreite den Geber von Sünden. Die Bettler hatten also auch eine wichtige kirchlich-religiöse Funktion, nämlich die der Rettung des Seelenheils. Betteln war zu jener Zeit weder verboten noch ehrenrührig. Betteln war für alle nützlich. Die einen retteten ihr Seelenheil und die anderen wurden satt.

In der Kirche entstanden reiche Bettelorden – z. B. die Franziskaner 

Allerdings waren bei all der Offenheit für das Betteln dessen Gründe auch festgelegt. Gesunden und Arbeitsfähigen solle, so machte es Thomas von Aquin deutlich, das Almosennehmen bei Strafe verwehrt bleiben. Nur zwei Gründe ließ er für das Betteln gelten:  echte Bedürftigkeit und die Verwendung des Erbettelten zum Gemeinwohl oder zu religiösen Zwecken (etwa zur Finanzierung einer Pilgerfahrt). So entstanden dann auch die Bettelorden der Kirche, die im Laufe der Zeit durch Schenkungen und Stiftungen wahre Vermögen zusammengetragen hatten – und noch zusammentragen. Und dann gab es noch die bedürftigen Einzelbettler, die in Registern geführt wurden. Viele waren ehemalige Handwerker und Soldaten, darüber hinaus Dienstleute, Mägde, Knechte und Tagelöhner.

25 Peitschenhiebe oder sogar der Galgen für Bettler

Betteln war trotz christlicher Heilbringung in der Ordnungsgeschichte hin und wieder auch verboten und mit Strafen belegt. Als im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges Dörfer, Städte und Landschaften verwüstet und von umherziehenden Söldnern ausgeplündert wurden, bekamen die vagabundierenden Bettlerbanden einen unvorstellbaren Zuwachs. Dies führte dazu, dass man das Betteln drakonisch bestrafte: Gefängnis inklusive Peitschenhiebe, Galeerenstrafe und Brandmarkung waren üblich. Schließlich drohte den umherziehenden Bettlern gar der Tod am Galgen nach vorherigem Abschneiden der Ohren. Dabei zeigten auch die bischöflichen Landesherren in Köln (Dorsten) und Münster (Herrlichkeit Lembeck) Strenge. Constantin Wesener (geb.  1713 in Recklinghausen, gest.  1792 in Dorsten), letzter bischöflicher Prokurator des Vest Recklinghausen, war auch für die Bettler zuständig. Nach damaliger Verordnung war das Betteln verboten. Wenn eine Amtsperson einen Bettler nicht zur Anzeige brachte, wurde die Amtsperson mit zwölf Goldgulden Strafe belegt. Der Bettler selbst erhielt bei erstmaligem Erwischen 25 Peitschenhiebe, die sich im Wiederholungsfall verdoppelten. Beim dritten Mal kam der Bettler in Haft und wurde dem Zucht- und Stockhaus zugeführt. Wer einem Bettler nur das Geringste gab, musste zwei Goldgulden Strafe bezahlen. Wenn Kinder bettelten, wurde diese zwangsweise in fremde Dienste gebracht. Die Chronik der Bürgermeisterei Lembeck teilt für das Jahr 1822 mit: „Die Bettelei nimmt allmählich ab. Die Fremden werden zurückgewiesen, und die Einheimischen schämen sich des Bet­teins.“

Unterschiede wurden schließlich zwischen Armut und Müßiggang gemacht

Erst danach wurden die Städte und Gemeinden aufgefordert, einen Unterschied zu machen zwischen bedürftigen Bettlern und Müßiggängern. In „Von Bettlern und Müßiggängern“ heißt es daher: „Wir wollen auch, dass eine jede Obrigkeit, der Bettler und anderer Müßiggänger halben, ein ernstlichen Einsehens tue, damit niemands zu betteln gestattet werde, der nicht mit Schwachheit oder Gebrechen seines Leibs beladen und des nicht notdürftig sei: Item, dass auch der Bettler Kinder, so sie ihr Brot zu verdienen geschickt seien, von ihnen genommen und zu Handwerken und sonst zu Diensten geweist werden, damit sie nicht also für und für dem Betteln anhangen. Item, dass auch die Obrigkeit Versehung tue, dass eine jede Stadt und Commun ihre Armen selbst ernähre und unterhalte, und im Reich Fremden nicht gestattet, an einem jeglichen Ort zu betteln…“ Behörden versuchten immer wieder, sich mit „Bettlerordnungen“ gegen die als „Bettelunwesen“ apostrophierten Zustände in den Städten zur Wehr zu setzen. Abgesehen von der Belästigung durch die Bettler beim Gang durch die Straßen waren häufig sie es, die Krankheiten in die Städte einschleppten. Als erste Stadt erließ deshalb die Stadt Nürnberg eine so genannte „Bettlerordnung“, die in der Folgezeit von vielen anderen Städten kopiert wurde. Auch von Münster. Das von der Kommune erlaubte Betteln war damals das – wenn der Vergleich erlaubt ist –, was heute in den Städten von den Sozialämtern mit Hartz IV verhindert wird – das Betteln.

In der Bundesrepublik war Betteln bis 1974 mit Strafe belegt

Fränkischer Anzeiger 1933, Rothenburg

Wer in den Anfangsjahren der Bundesrepublik auf deutschen Straßen bettelte, machte sich nach § 361,4 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Die Strafvorschrift kennzeichnete die „Bettelei“ als „gemeinschädliche Straftat“. Bettelnde Menschen konnten mit einer Haftstrafe bis zu sechs Monaten sowie mit „Arbeitsdienst“ bestraft werden. Die Formulierung des Tatbestandes stammte noch aus dem Jahr 1871, das hohe Strafmaß ging auf ein Gesetz der Nationalsozialisten von 1933 zurück. Die Nationalsozialisten hatten den Bettelei-Paragraphen als formaljuristische Grundlage für die Verschleppung und Ermordung von so genannten „Asozialen“ genutzt. Im September 1933 wurde in einer vom Propagandaministerium initiierten Großrazzia Jagd auf wohnungslose Menschen im gesamten Reichsgebiet gemacht, wobei mehr als 100.000 „bedürftige“ Personen, auch wenn sie eine Bleibe hatten, inhaftiert wurden. Das Verschwinden der Bedürftigen aus dem öffentlichen Raum sollte der Bevölkerung einen beginnenden wirtschaftlichen Aufschwung vorgaukeln, zugleich nutzte der NS-Staat die Gefangenen zur Zwangsarbeit. Der formelle Straftatbestand der Nazi-Zeit galt nach 1945 unverändert fort.

„Repressive Fürsorge“ in den 1950er- und 1960er-Jahren

Die Gerichte in der Nachkriegszeit handhabten den Bettelei-Paragraphen unterschiedlich streng. Dennoch summierten sich die Verurteilungen von bettelnden Menschen in den 1950er- und 1960er-Jahren jährlich auf einige hundert Fälle. Nach der herrschenden Gesetzesauslegung konnte bereits die „stille“ Tat, das bloße Hand-Aufhalten, als „Bettelei” bestraft werden. Damit musste den Angeklagten durch die Gerichte nicht erst eine konkrete Belästigung anderer Menschen nachgewiesen werden. Die Kriminalisierung offen gezeigter Armut fügte sich in den 1950er- und 1960er-Jahren in eine unterdrückende Sozialpolitik ein, die mit verschiedenen rechtlichen Mitteln operierte. Das Strafrecht war nur eines dieser Mittel, aber es wurde vielfältig eingesetzt. Straftatbestände mit „sozialpolitischer“ Zielsetzung richteten sich neben der „Bettelei“ auch noch gegen „Landstreicher“ und unter bestimmten Umständen auch gegen Arbeitslose: So konnte beispielsweise gemäß § 361 Nr. 7 StGB wegen „Arbeitsverweigerung“ bestraft werden. Die Strafvorschriften ermöglichten es den Behörden in den Jahren des Wiederaufbaus, offen sichtbare Armut nach eigenem Ermessen als Kriminalitätsproblem anstatt als soziales Problem zu behandeln.
Neben dem Strafrecht bot auch das Sozialrecht der frühen Bundesrepublik eine Reihe von Repressalien gegen Bedürftige. Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1961 ermächtigte die Behörden dazu, die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe zwangsweise in ein „Arbeitshaus“ einzuweisen, wenn sie „sich mehrfach geweigert“ hatten, eine „zumutbare Arbeit“ anzunehmen (§ 26 BSHG 1961). Bis 1961 war dies sogar ohne richterlichen Beschluss möglich. Bedürftige konnten zudem in eine so genannte „Besserungsanstalt“ eingewiesen werden, wenn sie „dadurch gefährdet [waren], dass sie aus Mangel an innerer Festigkeit ein geordnetes Leben in der Gemeinschaft nicht führen [konnten]“ (§ 72 BSHG 1961). Dort wurden Häftlinge in hauseigenen Werkstätten eingesetzt oder an Bauernhöfe, Firmen oder Kommunen als Arbeitskräfte vermietet. Hierdurch sollten obdachlose Menschen laut dem Gesetzestext „zu regelmäßiger Arbeit und Sesshaftigkeit“ hingeführt werden.

Juristische und sozialpolitische Kehrtwende erst in den 1970er-Jahren

Bettler-Gutschein

In den Gesetzesmaterialien zur Bettelei sprach der Gesetzgeber in den 1960er-Jahren weiterhin offen von „Asozialen“ und „Arbeitsscheuen“. Nicht anders verfuhren die Gerichte, wie etwa das Oberlandesgericht Hamburg, das sich noch 1968 in einem Leiturteil über die „unverbesserlichen Asozialen“ äußerte. In der Rechtswissenschaft wuchsen zur gleichen Zeit jedoch bereits ernste Zweifel an der Kriminalisierung der verschiedenen Erscheinungsformen von Armut. Doch es gab auch eine fortschrittliche strafrechtliche Beurteilung. Nämlich die, dass der Staat nur dann strafen darf, wenn ein konkretes Rechtsgut zu schützen ist. Diese juristische Erkenntnis brachte die Politiker angesichts der Bestrafung des Bettelns in Erklärungsnöte. Die damaligen Regierungsfraktionen (CDU/CSU/FDP) räumten schließlich ein, dass die allgemeinen Vorschriften über Nötigung, Belästigung und Hausfriedensbruch ausreichen würden. Auch das Bundesverfassungsgericht äußerte sich nun kritisch zur Politik der „repressiven Fürsorge“. 1967 erklärte das höchste deutsche Gericht die zwangsweise Einweisung bedürftiger Menschen in „Besserungsanstalten“ durch die Sozialämter der Städte für verfassungswidrig: „Der Staat hat […] nicht die Aufgabe, seine Bürger zu ,bessern’ und deshalb auch nicht das Recht, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu ,bessern’, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährdeten […].“. Einen Schutz vor der Anwendung der Strafvorschrift aus dem Jahr 1933 durch andere Gerichte wollte das Bundesverfassungsgericht aber nicht gewähren. Erst im April 1974 strich der Gesetzgeber den Strafparagrafen der „Bettelei“ von 1933 aus dem StGB.

Kommunale „Straßensatzungen“ sollen das Betteln verhindern

Doch die Städte versuchten nun auf anderem Wege, die Bettler aus ihren Straßen zu vertreiben. Die Stadt München erließ 1980 als erste eine kommunale Straßensatzung, die das Betteln in der Innenstadt zur genehmigungspflichtigen „Sondernutzung“ erklärte – und deren Genehmigung im gleichen Atemzug ausschloss. Diese listige Methode, das Betteln über die kommunale Ebene zu verbieten, nahmen sich auch andere Städte zum Vorbild. Zu einem deutlich erkennbaren „Trend“ entwickelten sich die kommunalen Bettelsatzungen aber erst ab Mitte der 1990er-Jahre. Die grundlegende Frage, wie eine Gesellschaft mit Bedürftigen umgeht, die auf öffentlichen Straßen um Almosen bitten und unter Brücken schlafen, ist heute aktueller denn je. Rechtsradikale zündeten unlängst unter Brücken oder in Unterführungen „schlafende Penner“ an. Viele Gemeinde, kleine wie große, haben seit Beginn der 1990er-Jahre unter dem Schlagwort „Saubere Stadt“ bettelnde Menschen mit Verbotssatzungen aus dem öffentlichen Blickfeld vertrieben. Dorsten nicht. Inzwischen verbieten zahlreiche Kommunen auch das „stille“ Betteln per Satzung, auch wenn dies  nach Bundesgesetz, wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags feststellte, rechtlich nicht erlaubt ist. Die wachsende Armut wird im öffentlichen Raum immer deutlicher sichtbar. Vertreibungen verheißen da vielen Städten eine relativ billige „Lösung“ dieser sozialen Frage. Ein typisches Schlagwort, mit dem die Bettelverbote begründet werden, ist das „subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“, ein Argument, das von einzelnen Gerichten bereits als irrational zurückgewiesen wurde.

Hartz IV sollte eigentlich weitgehend das Betteln verhindert

Es lassen sich zwei aktuelle politische Entwicklungen ausmachen, die den Hintergrund für die aktuelle Wiederkehr der Bettelverbote bilden. Erstens erlebt die alte Grundhaltung der unterdrückenden „repressiven Fürsorge“ seit den 1990er-Jahren eine gewisse Renaissance. Die Politik bemüht die Devise, „Fördern“ und „Fordern“ seien untrennbar, womit den Sozialbehörden repressive Mittel – vor allem Einschnitte in die Grundsicherung – an die Hand gegeben werden, um den „Druck auf Arbeitslose zu erhöhen“. Dennoch: In Deutschland braucht heute niemand mehr betteln, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder nicht zu verhungern. Sozialversicherungen und die Sozialgesetzgebung (früher Wohlfahrtspflege der Gemeinden und Kirchen) schützen davor. Dennoch wird gebettelt.

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Quellen: Ludger Böhne, Presseamt Stadt Dorsten (Anfrage 2018). – Wissenschaftl. Dienst Bundestag (WD) 7 – 3000 – 157/16 (Regelung zu Bettelei). – Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2226). – Finger: „Bettel- und Alkoholverbote im Spiegel der Rechtsprechung“, KommJur 2006 Heft 12, VGH Mannheim. – „Chronik der Bürgermeisterei Lembeck“ 1822. – „Mitleid als Masche – Die Tricks der Profibettler“: über die Hintergründe von Bettlergruppen und die Schwierigkeiten in ihrer Heimat „Fakt extra“, Juni 2010.
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