Von Wolf Stegemann
Kaum einer weiß noch, dass der „Alte Kämpfer“ der NSDAP und höchste SA-Führer Viktor Lutze vor seinem Aufstieg in nationalsozialistischer Zeit in Dorsten als Postbote Briefe ausgetragen hatte. Ende der 1920er-Jahre war er als Postbeamtenanwärter im Dorstener Postamt beschäftigt und wohnte zur Untermiete bei der Familie Nuyken in der Lippestraße. Daher kam er im August 1935, als er bereits Nachfolger des von Hitler ermordeten SA-Stabschefs Ernst Röhm geworden war, zur Inspektion seiner SA-Truppen nach Dorsten. Darüber schrieb der dem Regime nahe stehende „Generalanzeiger“ am 22. August 1935:
„Wie ein Lauffeuer durcheilte diese Kunde die Stadt und versetzte alle Volksgenossen, insbesondere die SA in freudige Erregung, brachte alle Gemüter in höchste Spannung. Von den Häusern grüßten die Fahnen, das blutrote Tuch mit dem leuchtenden Sonnenzeichen…“
Drei Stunden verharrten die SA-Männer in glühender Mittagshitze. Bei Nuyken, seiner damaligen Schlafstelle, hielt die Wagenkolonne kurz an. Ein Mädchen überreichte dem SA-Chef einen Blumenstrauß. Die Fahrt ging weiter zum Marktplatz, wo Lutze die Parade der SA-Männer aus Dorsten, Gladbeck und Bottrop abnahm. „So wird dieser kurze Besuch Viktor Lutzes in Dorsten gewiss auch reiche Frucht tragen, wird von diesem Ereignis reicher Segen ausgehen…“, schrieb der „Generalanzeiger“.
Lutze war ab 1912 Berufssoldat und nahm am Ersten Weltkrieg teil. 1919 schied er im Offiziersrang aus dem Heer aus; 1922 wurde er in Elberfeld Mitglied der NSDAP und 1923 Mitglied in deren SA. Von Elberfeld aus leitete Lutze seit 1926 den „Gausturm Ruhr“ der SA, dessen Strukturen organisatorisches Vorbild für den Aufbau der SA in anderen Regionen wurde. Gauleiter war der spätere oberste SA-Führer Franz von Pfeffer. 1928 wurde Lutze zum SA-Oberführer Ruhr befördert und gelangte damit innerhalb der paramilitärisch organisierten SA zu einem Rang, der einem Obersten entsprach. Lutze machte im NS-Staat Karriere: Reichstagsmitglied ab 1930, Obergruppenführer 1933, Polizeipräsident von Hannover 1933, Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover, Preußischer Staatsrat, SA-Stabschef 1934. In der Folge verlor die SA und Lutze an Einfluss. – Viktor Lutze, einst Briefträger in Dorsten, starb 53-jährig 1943 an den Folgen eines Autounfalls bei Potsdam.