Von Helmut Frenzel
15. Dezember 2017. – 2011 verabschiedete der Landtag das Stärkungspaktgesetz. Es bestimmte, dass die defizitären Gemeinden, zu denen auch Dorsten gehört, ihren Haushalt binnen fünf Jahren ausgleichen müssen oder anders ausgedrückt: keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Dieses fünfte Jahr war 2016: tatsächlich legte die Stadt Dorsten einen Jahresabschluss vor, der nicht nur ausgeglichen ist, sondern einen Überschuss ausweist. Wie war das möglich nach einem Jahrzehnt mit immerzu wachsenden Haushaltsdefiziten?
Der letzte Haushalt vor dem Inkrafttreten des Stärkungspaktgesetzes ist der von 2011 und eignet sich deswegen gut als Grundlage für eine Gegenüberstellung. Der Jahresabschluss 2011 weist einen Verlust von 34,1 Millionen Euro aus. Der Jahresabschluss 2016 ist dagegen nicht nur ausgeglichen, wie es das Stärkungspaktgesetz verlangt, sondern endet mit einem Überschuss von 5,6 Millionen Euro. Das ist eine Ergebnisverbesserung von immerhin 40 Millionen Euro. Wie das funktionierte zeigt die folgende Übersicht, in der die Ergebnisrechnungen für die beiden Jahre gegenübergestellt sind.
Infolge des großen Zustroms von Ayslbewerbern sind die Zahlen für 2016 aufgebläht. Dadurch wird der Vergleich mit dem Bezugsjahr 2011 verzerrt. Die Stadt hat Kostenerstattungen von 9,4 Millionen erhalten. In etwa gleicher Höhe sind Aufwendungen für Unterbringung und Versorgung entstanden. Dass die Stadt nach eigenen Angaben einen Überschuss erzielt hat, vernachlässigen wir. Zur besseren Vergleichbarkeit der Zahlen wurden die Kosten für die Asylbewerber und die dafür erhaltenen Kostenerstattungen mit identischen Beträgen aus den Aufwendungen und Erträgen herausgerechnet. An den Jahresergebnissen ändert sich nichts. Jedoch wird der Zahlenvergleich der beiden betrachteten Jahre aussagekräftiger.
Unerwarteter Geldsegen bringt den Haushaltsausgleich
Die Tabelle zeigt auf einen Blick, welche Faktoren den Haushaltsausgleich bewirkten: Die (bereinigten) Erträge stiegen um sagenhafte 40,2 Millionen Euro (+24 Prozent), während sich die (bereinigten) Aufwendungen um lediglich 0,5 Millionen Euro erhöhten (+0,3 Prozent). Im Saldo verbesserte sich das Ergebnis um 39,7 Millionen Euro. Damit konnte das Haushaltsloch 2011 von 34,1 Millionen Euro geschlossen werden und es reichte sogar für einen Überschuss von 5,6 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2016. Das Fazit lautet: Der Haushaltsausgleich und darüber hinaus der Überschuss wurden nicht etwa durch Kostensenkungen erreicht, sondern allein durch stark steigende Erträge. Daran knüpft sich die Frage, woher der außergewöhnliche Zuwachs der Erträge stammt. Darüber gibt die folgende Tabelle Auskunft.
Die Tabelle enthält nur diejenigen Erträge, die nicht an die Erbringung bestimmter Leistungen gebunden sind, sondern der Stadt ohne eine Zweckbindung für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen. Die einzelnen Ertragspositionen haben im betrachteten Fünf-Jahres-Zeitraum regelrechte Sprünge gemacht: Steuereinnahmen +36 Prozent, Schlüsselzuweisungen des Landes +23 Prozent, Konsolidierungshilfe des Landes +125 Prozent. Zusammen mit den Finanz- und sonstigen Erträgen stiegen die Einnahmen um 34,2 Millionen Euro – um ein Drittel. Das alleine hätte gereicht, um das Defizit des Bezugsjahres 2011 zu beseitigen. Mit Ausnahme der Grundsteuer, über deren Höhe die Stadt entscheidet, hatte die Stadt auf die Zunahme der in der Auflistung enthaltenen Erträge keinen Einfluss. Die höheren Erträge sind der Stadt in den Schoß gefallen, sie sind ein Geschenk des Himmels. Der größte Teil der Ertragszuwächse ist der außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Entwicklung und dem unerwartet hohen Anstieg des Steueraufkommens in Deutschland im betrachteten Zeitraum zu verdanken.
Hohe Zuwächse bei allen Steuerarten
Über die Anteile an der Lohn-/Einkommensteuer sowie Umsatzsteuer ( +7,8 Millionen Euro) und die Schlüsselzuweisungen des Landes ( +7,3 Millionen Euro) hat die Stadt davon profitiert. Das gilt, obwohl eine kommunale Steuer, auch für das Aufkommen aus der Gewerbesteuer ( +5,2 Millionen Euro); die geringfügige Erhöhung des Hebesatzes fällt nicht ins Gewicht. Eine Ausnahme ist die Grundsteuer, über sie entscheidet die Stadt in eigener Hoheit: durch die Erhöhung des Hebesatzes in zwei Schritten stieg das Aufkommen um 7,6 Millionen Euro ( +70 Prozent). In die Reihe der Erträge, die der Stadt in den Schoß gefallen sind, gehört auch die Verminderung der Zinszahlungen. Das auf einen Tiefststand gefallene Zinsniveau führte zu einer weiteren Ersparnis von 2,4 Millionen Euro bei den Schuldzinsen – ohne Zutun der Stadt.
Die zentrale Botschaft dieser Analyse lautet: stark steigende Erträge sind wie warmer Regen über die Stadt gekommen und haben so den Haushaltsausgleich ermöglicht. Die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und das dementsprechend gestiegene Steueraufkommen waren ein Glücksfall für die zu bewältigende Sanierungsaufgabe. Man darf ohne Übertreibung sagen, dass Dorsten den Haushaltsausgleich ohne diesen unerwarteten Geldsegen nicht geschafft hätte.
Übrige Erträge leisten nur einen geringen Beitrag zum Haushaltsausgleich
Neben den in der obigen Liste enthaltenen Erträgen gibt es weitere, die jedoch überwiegend mit der Erbringung von Leistungen durch die Stadt verknüpft sind. Darunter fallen zweckgebundene und andere Finanzzuweisungen, Gebühren für öffentliche Leistungen, privatrechtliche Leistungsentgelte, Kostenerstattungen und Umlagen. Auch hier sind die Erträge gestiegen. Zieht man die Aufwendungen ab, ergibt sich ein Beitrag zur Verbesserung des Jahresergebnisses von 3,4 Millionen Euro. Dieser addiert sich mit zuvor dargestellten Ergebnisbeiträgen zur Verbesserung des Gesamtergebnisses von 39,7 Millionen Euro.
Das Sparen hat Grenzen: Aufwendungen steigen maßvoll
Was hat es aber mit dem Sparzwang auf sich, den Rat und Verwaltung bei jeder Gelegenheit ins Feld führen? Die Sachaufwendungen (ohne Schuldzinsen) sind im Fünf-Jahres-Zeitaum lediglich um 2,5 Millionen Euro gestiegen. Legt man eine Teuerungsrate von nur 1,5 Prozent zu Grunde, dann müssten die Aufwendungen der Stadt bei einem Gesamthaushalt von 200 Millionen jährlich um etwa 3 Millionen Euro steigen, in fünf Jahren um 15 Millionen Euro. Bei einer Teuerungsrate von 1,0 Prozent wären es immer noch 10 Millionen. Die Aufwendungen insgesamt sind aber nur geringfügig gestiegen. Das darf man durchaus als einen Erfolg der Sparanstrengungen von Rat und Verwaltung werten. Viele Ausgaben sind vertraglich festgelegt, den Tariferhöhungen beim Personal kann die Stadt ohnehin nicht ausweichen. Das bedeutet, dass Sparmaßnahmen in den wenigen Bereichen ansetzen, in denen die Stadt überhaupt selbstständig handeln kann.
Schlüsselt man die Aufwandpositionen auf und schaut nach, welche Ausgaben sich erhöht und welche sich verringert haben, bestätigt sich diese Einschätzung. Die Aufwendungen für Personal und Versorgungsleistungen erhöhten sich um 6,9 Millionen Euro (+ 16,7 Prozent), das sind im Jahresdurchschnitt mehr als 3 Prozent. Wenn immer wieder behauptet wird, die Stadt spare am Personal, so muss das angesichts dieser Steigerung in Zweifel gezogen werden. Der größte Aufwandposten sind die (bereinigten) Transferaufwendungen (Kreisumlage, Lippeverbandsbeitrag, Betriebskostenzuschüsse zu Kindergärten, Vollzeit- und Heimpflege, Gewerbesteuerumlage, SGB II-Beitrag und so weiter). Sie sind um 2,8 Millionen Euro gestiegen (+3,5 Prozent). Das ist moderat, ganz abgesehen davon, dass die Stadt auf deren Höhe überwiegend keinen oder nur geringen Einfluss hat.
Sparen in Bereichen, die den Bürgern wichtig sind
Richtig gespart wurde dagegen bei den Ausgaben für Sach- und Dienstleistungen und das ist nicht zufällig der Posten, bei dem der Bürger am stärksten merkt, dass die Stadt pleite ist. Hier geht es um Ausgaben für die Unterhaltung von Schulen, öffentlichen Gebäuden, Verkehrswegen, für externe Dienstleistungen und anderes mehr. Die Ausgaben wurden in diesem Bereich um 3,2 Millionen Euro gesenkt (- 8,5 Prozent). Das ist in Zeiten, in denen die Kosten für Handwerkerleistungen und dergleichen unaufhörlich steigen, ein spürbarer Einschnitt. Das gilt umso mehr, als das Ausgabenniveau schon vor Beginn des Fünf-Jahres-Zeitraums heruntergespart worden war. Bei den Sach- und Dienstleistungen lässt sich am leichtesten sparen: Notwendige oder wünschenswerte Maßnahmen werden halt einfach unterlassen. Damit erklärt sich auch, warum der Rückstand bei der Instandhaltung der Infrastruktur immer drückender wird. Die Kostensenkungen in diesem und anderen Bereichen müssen herhalten, um die Ausgabensteigerungen beim Personalaufwand und den Transferaufwendungen zu kompensieren.
Die gesetzwidrigen Kassenkredite als ultimatives Hindernis
Am Beispiel der Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen wird klar, was der Sanierungsprozess eigentlich bewirkt. Die Stadt konnte die stark wachsenden Einnahmen nicht für die notwendige Instandhaltung der städtischen Infrastruktur nutzen, nicht einmal teilweise. Sie musste den Geldsegen dazu verwenden, das zuvor entstandene riesige Haushaltsloch zu schließen. Selbst nach erreichtem Haushaltsausgleich darf die Stadt künftige Ertragszuwächse nicht für Instandhaltung und andere wünschenswerte Projekte ausgeben. Geldüberschüsse müssen vielmehr zur Rückführung der angehäuften Kassenkredite verwendet werden. Dorsten hatte Ende 2016 Überziehungskredite von knapp 200 Millionen in den Büchern. Und das heißt: die Bewohner Dorstens werden noch lange zuschauen, wie Straßen und städtische Gebäude weiter verfallen – es sei denn das Land findet eine Lösung, um den Kommunen die Altlast der Kassenkredite irgendwie vom Hals und so neuen Handlungsspielraum zu schaffen. Oder Bund und Land loben immer neue Förderprogramme aus, um die drückensten Missstände zu beheben, wie zuletzt im Bereich Schule und Stadtumbau.