Anti-Terror-LKW-Betonklötze in der Dorstener Fußgängerzone: Widerspruch zwischen Angst vor Terrorismus und Wirklichkeit. Zudem eine urbane Verunstaltung. – Ein Standpunkt!

Zugang zur Recklinghäuser Straße; Foto: Helmut Frenzel

Von Wolf Stegemann

Wenn irgendwo in Europa eines dieser schrecklichen IS-Attentate stattfindet, wie das LKW-Attentat vom 19. Dezember 2016 in Berlin, dann werden wir im Rundfunk und Fernsehen sowie in den Printmedien überhäuft mit Schlagzeilen, Stellungnahmen, Warnungen und Forderungen, die Angst machen. Denn viele Politiker behaupten mit harschen Worten, dass sie alles im Griff haben, wenn auch „nicht hundertprozentig“. Die Gunst der Stunde nutzend,  folgen meist Forderungen wie mehr Kameraüberwachung, millionenfache Speicherung von privaten Telefonaten, wobei das Bundesverfassungsgericht dann doch Einhalt gebietet, vermehrtes Mithören von Telefongesprächen bei Verdächtigen, verstärkte Polizei- und Einlasskontrollen, Sicherungssperren aus Beton und Stahl und vieles anderes. Ein Beispiel von vielen ist Saarlands Innenminister Klaus Bouillon (CDU). Dieser erklärte noch am Tag des Berliner Attentats mit 12 Toten und mehreren Verletzten den Krieg gegen wen auch immer, als er sagte: „Wir müssen konstatieren, wir sind in einem Kriegszustand…!“ (DIE ZEIT, 10. Dez. 2016). Bouillon kündigte verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, kritisierte umgehend diese Angst machende Kriegsäußerung des Ministers: „Wir haben es hier mit Terroristen zu tun. Viele benutzen aber gerne das Wort Krieg, weil sie so auch ihre Forderungen nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren ins Spiel bringen wollen, was wir grundsätzlich ablehnen.“ (Berliner Ztg., 20.  Dez. 2016).

Politisches „Kriegsgetöse“ im Dorstener Rathaus vernommen

Klotz steht, Straße frei!; Foto: Frenzel

Das allenthalben in Deutschland losgetönte politische „Kriegsgetümmel“ nach diesem schrecklichen Attentat eines Verbrechers erreichte auch die Ohren des Dorstener Bürgermeisters Tobias Stockhoff und scheuchte ihn im Rathaus auf. Er sah die Innenstadt gefährdet, weil nun auch ein Nachahmungstäter die Stadt Dorsten für ein Attentat wie in Berlin ausersehen könnte und möglicherweise schon auf der B 224 anrollt. Mit Zustimmung der Polizei, so die DZ, stellte der Bürgermeister in aller Schnelle an den Zugängen zur Fußgängerzone in Ermangelung von Betonklötzen schwere Wassertanks auf, die ein Durchfahren mit schweren Lastkraftwagen verhindern sollten. Bislang hat lediglich ein LKW beim Aufstellen der Wassertanks Schaden am Überdach eines Haushaltswarengeschäfts in der Recklinghäuser Straße angerichtet. Der Geschädigte reklamierte einen Schaden von 1500 Euro und zeigte den Fahrer bei der Polizei an. Daraufhin ließ die Stadt den Anti-Terror-Wassertank vom Geschäft weg versetzen und der steht, nunmehr als Betonklotz, da herum, wo gar kein LKW anfahren könnte.

Etliche Städte schützten ihre Weihnachtsmärkte – mehr Polizeipräsenz

Polzeipräsenz auf dem Düsseldorfer Weihnachtsmarkt

Andere große Städte in der Bundesrepublik sicherten ihre Weihnachtsmärkte mit erhöhter Polizeipräsenz. Duisburg, Essen-Steele und Bochum sicherten als Großstädte ihre Weihnachtsmärkte noch mit Wasserbehältern ab, so wie Dorsten die Fußgängerzone zu Weihnachten. In Dortmund durften bis zum 31. Dezember zwischen 18 und 23 Uhr keine Fahrzeuge über 3,5 Tonnen innerhalb des Wallrings fahren. In Herne wurden Betonpoller rund um die Märkte und um die Christuskirche in Wanne aufgestellt. Die Stadt Witten hat keine baulichen Veränderungen verfügt. Dort hieß es: „Wir schätzen die Lage hier tendenziell entspannter ein als auf den Weihnachtsmärkten in großen Städten.“ Für Nordrhein-Westfalen ordnete der Innenminister noch in der Nacht nach dem Berliner Attentat Doppelstreifen der Polizei auf den Weihnachtsmärkten an. Beamte patrouillierten nicht nur zu zweit, es wurden auch Maschinenpistolen und Schutzwesten getragen. Auch der Dresdner Striezelmarkt sollte zusätzlich mit Betonklötzen und Fahrzeugsperren gesichert werden, wie es von der Polizei hieß. Nach Beendigung der Weihnachtsmärkte seien die Schutzvorrichtungen wieder abgebaut worden.

Ministerpräsidentin Kraft: Es kann auch Nordrhein-Westfalen treffen

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft meinte in der Atmosphäre des Erschreckens über das Attentat in Berlin zu den Sicherheitsmaßnahmen auf den Weihnachtsmärkten der großen Städte: „Es muss sich jede Bürgerin und jeder Bürger bewusst sein, dass es auch Nordrhein-Westfalen treffen kann. Wir dürfen die Gefahr nicht ignorieren, wir müssen mir ihr leben.“ Innenminister Jäger warnte aber auch vor Panikmache: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst und Hass die Überhand bekommen. Es geht jetzt darum, als Gesellschaft zusammenzuhalten.“

Anti-Terror-Wassertanks durch Anti-Terror-Beton-Klötze ersetzt

Auswechslung an der Recklinghäuser Straße; Foto: DZ entnommen

Anders als in anderen Städten, die ihre LKW-Schutzvorrichtungen nach den Weihnachtsmärkten wieder abbauten, blieben sie in Dorsten stehen und wurden vervollkommnet. Ende Februar kamen die Wassertanks weg und die Betonklötze hin. Nach Auskunft der städtischen Pressestelle sollen sie verhindern, „dass Fahrzeuge auf relativ langen Geraden in der Altstadt stark beschleunigen, um dann ungebremst in eine Menschenmenge auf dem Markt hineinzurasen. Die Blöcke stehen quasi als Hindernisse im Raum und müssen umfahren werden. Das wirkt geschwindigkeitshemmend“. Sie müssen aber auch von allen anderen Lastkraftwagen umfahren werden, die beispielsweise zu bestimmten Zeiten Geschäfte beliefern oder an Markttagen die Stände. Die Frage, wie denn die großen Fahrzeuge der Feuerwehr im Brandfalle ohne Verzögerungen und ohne Herumrangieren und an den Anti-Terror-Betonklötzen anzueckend vorbeikommen, bleibt bislang offiziell unbeantwortet. Doch es gäbe zwei Antworten: Wenn der Attentats-LKW gestoppt oder stark behindert wird, dann würde im gleichen Maß ein Feuerwehr-Fahrzeug gestoppt oder behindert werden, wenn’s brennt. Sollte aber ein Feuerwehr-Fahrzeug durchkommen, was es schließlich muss, dann käme auch ein Attentats-LKW durch. Auf die Stellungnahme des Bürgermeisters in beiden Fällen könnte man gespannt sein.

Bald auch Sitzgelegenheiten an den LKW-Sperren?

Solche Feuerwehrautos müssen durchfahren können

Insgesamt wurden elf 80×80 cm große und 1,25 Tonnen schwere Anti-Terror-Betonklötze in der Fußgängerzone aufgestellt. Das Stück kostete 30 Euro. Mit Aufstellen und anderen Nebenkosten, so die Stadt, kam eine Summe zwischen 1500 und 2000 Euro zusammen. Da die Blöcke überaus hässlich aussehen, sollen Schulklassen und Jugendliche mit Farbe und Fantasie Kunstprojekte daraus machen. Man könne auch Bänke integrieren und darauf sitzen, war im Rathaus zu hören. – Na ja, sollte überraschend ein Terror-LKW auf diese Anti-Terror-Betonklötze zurasen, dann müssen die, die an den Anti-Terror-Betonklötzen sitzen, schneller weglaufen, als der Terror-LKW auf sie zufährt. Wenn die Dorstener Fußgängerzone so stark gefährdet sein sollte, was den gesamten Wassertank- und Betonaktionismus der Verwaltung rechtfertigte, dann sollten Bewohner durch Sitzflächen an oder auf den Klötzen nicht zum Sitzen eingeladen werden. Denn das wäre absurd und paradox. Die Betonklötze finden nicht überall Zustimmung. Vor allem nicht bei Geschäftsinhabern vor Ort. Sie widersprechen nicht nur einem freundlichen Straßenbild, sondern auch der von Politikern, Kriminalpsychologen und anderen Kriminalwissenschaftlern immer wieder bekundeten Verhaltensregel, weder durch Veröffentlichungen noch durch übertriebene Maßnahmen Panik in der Bevölkerung zu schüren.

Soll Dorstens Fußgängerzone auf Dauer wirklich „zubetoniert“ werden? 

In der Recklinghäuser Straße; Foto: Frenzel

Der Kreis Recklinghausen konnte keine Angaben machen, ob noch eine weitere Stadt im Kreis solche Anti-Terror-Klötze aufgestellt hat. Dorsten ist nach einer Meldung von „Radio Vest“ die einzige Stadt im Vest, die sich auf diese Art und Weise vor Terroranschlägen schützen will. Bei weiteren Recherchen konnte auch keine andere Stadt mit der Meldung gefunden werden, dass Fußgängerzonen zum Schutz gegen Attentats-Lastkraftwagen teilweise zubetoniert werden. Das NRW-Innenministerium konnte darüber auch keine Auskunft geben. – Im Rahmen der geplanten Umgestaltung der Innenstadt in den nächsten Jahren könnten die Anti-Terror-Betonklötze durch versenkbare Anti-Terror-Poller ersetzt werden, meint der Bürgermeister.

Nach physikalischen Formeln den elastischen Stoß eines LKW berechnet

Zudem scheinen die Dorstener Wassertank- und Betonklotzmaßnahmen gegen Attentate technisch ungeeignet zu sein. Dem baute der Bürgermeister bereits vor, indem er das sagte, was bereits landauf landab stets bekundeter Erkenntnis-Standard ist: dass es keine hundertprozentige Sicherheit geben kann. Wie wahr. Sagte doch ein Gast im Eiscafé am Markt, als er von der Anti-Terror-Wassertank- und Betonklotz-Aktion in der DZ las: „Jetzt mauern sich die Dorstener ein!“ Ein anderer erwiderte: „Wenn sie das wirklich machen, dann haben sie ihre Betonklötze schon längst im Kopf!“ (gehört 10. Januar 2017).

Stadtspiegel: Dorstener Wassertanks sind „Flop der Woche“

Das waren die festlich geschmückten Wassertanks

Der „Dorstener Stadtspiegel“ bezeichnete die Aktion in seiner Ausgabe vom 28. Dezember 2016 als den „Flop der Woche“: „Mit Fahrzeugen lassen sich die Behälter umfahren oder verschieben. Das Aufstellen zeugt eher von Aktionismus als von wirklichem Schutz.“ Und Stefan Diebäcker von der „Dorstener Zeitung“ (DZ) schrieb am 30. Dezember (Auszug):

„Kritik an dem Vorgehen der Stadtverwaltung vor Weihnachten muss … erlaubt sein. … Vielleicht müssen wir alle lernen, mit einer unterschwelligen Terror-Gefahr, so wenig greifbar sie für uns in Dorsten ist, zu leben. Übertriebenes Sicherheitsdenken ohne konkreten Anlass kann auch Angst schüren. So weit darf es nicht kommen.“

An Elmar Theveßen, dem ZDF-Terror-Experten, am Telefon die Frage gerichtet, ob denn eine Fußgängerzone in einer Stadt wie Dorsten eines andauernden festgefügten Schutzes durch Betonverriegelungen der Zugangsstraßen in die Fußgängerzone bedürfe, kam erst einmal die Gegenfrage, wo denn Dorsten genau liege, wie groß die Stadt und wie strukturiert die Fußgängerzone sei. Nach Klärung meinte er, dass Dorsten kein klassisches Ziel von LKW-Attentätern sei. Nach seinem Ermessen sei die Gefährdungslage zu abstrakt, um real gegeben zu sein.

Elf mal zu Beton gewordenes unsinniges Aktionsspektakel

Unverantwortliche Angstmacherei; Titel der BILD-Zeitung vom 21. Dezember 2016

In einigen Wochen wird das Thema Berliner Terror-LKW sich wieder beruhigt und niemand wird mehr Angst haben, weil auch die Politiker ihren verbalen Aktionismus eingestellt haben werden. Das Thema wird aus den Medien verschwunden sein. Doch die Betonklötze bleiben als Angst erregend stehen. Sie erinnern die Dorstener jeden Tag und jede Stunde auch noch in Jahren daran, dass man Angst vor einer irrealen Bedrohung haben sollte. Die Betonklötze, auch wenn sie jetzt von Kindern noch so bunt angemalt werden sollten, sind Beton gewordene Erinnerung an die abstrakte Angst. Das sagen die Psychologen. Und auch die Ökonomen melden sich mit Prof. Tilmann Brück zu Wort:

„Schon die Angst vor Terroranschlägen hat eine lähmende Wirkung auf die gesamte Wirtschaft. Hinzu kommt aber, dass durch die vielen Sicherheitsmaßnahmen das Wirtschaften teurer und aufwendiger wird. Und die Frage ist, ob wir noch die richtige Balance haben zwischen den Risiken des Terrorismus und den Kosten der Sicherheit.“

Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist, sagte am 21. Dezember 2016 in einem Interview mit dem Domradio in Köln:

„Angst, die berühmte German Angst, passt doch nicht zur Wirklichkeit: Erstens ist die Stimmungslage in der Bevölkerung eine andere. Wir wissen aus Umfragen, dass die große Mehrheit damit gerechnet hat, dass so ein Anschlag auch in Deutschland passieren wird. Ich persönlich habe oft gehört: Wir lassen uns dadurch nicht terrorisieren. Wir lassen uns unsere Lebensweise dadurch nicht kaputt machen.“

Essener Straße; Foto: Frenzel

Die „Dorstener Zeitung“ rief zu einer Leseraktion mit den Schlagzeilen auf: „Bremsklotz-Kunst kommt ins Rollen“ (21. Februar) und „Arbeitslose und Schüler wollen Klötze bunt machen“ (27. Februar).  Darin steht u. a.: „Am 1. April sollen nach bisheriger Planung die elf Tonnen schweren Würfel verschönert werden“ und „Das ist kein Scherz, sondern ernst gemeint.“ – Schade! Als April-Scherz bestens geeignet!  Mehr oder weniger gelungen Grafittis gibt es eigentlich schon genug. Von Verschönerung kann meist nicht die Rede sein. Und was soll dann aus den farbigen Betonklötzen werden? Wir sollten jetzt eines tun: Einmal kurz durchatmen, um dem Teil unseres Gehirns Zeit zu geben, der für die Vernunft zuständig ist. Nur ein kleines bisschen Zeit, damit wir die Kontrolle zurückgewinnen, um dann die Feststellung treffen zu können: Weg mit den Betonklötzen!

 

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2 Kommentare zu Anti-Terror-LKW-Betonklötze in der Dorstener Fußgängerzone: Widerspruch zwischen Angst vor Terrorismus und Wirklichkeit. Zudem eine urbane Verunstaltung. – Ein Standpunkt!

  1. Trost sagt:

    Da gibt es doch tatsächlich noch einen Journalisten, der mit offenen Augen durch die Stadt geht und die Dinge offen beim Namen nennt. Endlich einmal!

  2. M.Köster sagt:

    Habe ich richtig verstanden, dies ist ein Artikel über Dorsten? Nicht über Schilda!

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