Von Wolf Stegemann
Liebe Leserinnen und Leser von Dorsten-transparent!
Das Jahr geht zu Ende und ein neues beginnt. 2017 ist das fünfte Jahr, in dem Dorsten-transparent gelesen, kommentiert, kritisiert und gelobt wird. Bewusst mischen wir uns mit manchmal kritischen Texten medial in die Kommunalpolitik ein, um sie für unsere Leser transparenter zu machen. Wir schauen aber auch mit Geschichten, Reportagen, Porträts und Essays auf die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Gegenwart sowie die große Vergangenheit unserer Stadt. Für Ihre Zustimmung und kritischen Anmerkungen, die wir brauchen, danken wir Ihnen herzlich! Wenn Sie wollen, dann nehmen Sie sich bitte Zeit, weiterzulesen.
Das kleine Wörtchen Zeit durchzieht auch unseren gesamten Alltag
30. Dezember 2016. – Der Jahreswechsel ist immer eine Zeit für ein paar betrachtende, launige, schnurrige oder auch tiefer schürfende Gedanken. Mit Ende des Jahres sind wir alle 366 Tage älter geworden und hoffentlich auch etwas gescheiter. Und der Endlichkeit des Lebens sind wir zwölf Monate näher gerückt. Das Jahr ist strukturiert mit den Jahreszeiten, und der „Gang der Sonne“, wie es früher hieß, und war schließlich der Beginn der Zeitrechnung der Menschen je nach Klima und Gegend zu verschiedenen Zeitpunkten. Denken wir über „Zeit“ nach, dann stellen wir fest, dass dieses kleine Wörtchen unser ganzes Leben, unsere Begrifflichkeiten und unser philosophisches und religiöses Denken, Reden und Schreiben, auch unsere gesamte Alltagskommunikation durchzieht.
Der Jahreswechsel ist auch ein Zeitenwechsel. Daher feiern wir ihn laut oder leise, einsam oder gemeinsam, heiter, besinnlich, ausgelassen, feuerzaubernd und krachend, mehr oder weniger feucht-fröhlich, manches überspielend, ertränkend und übertönend, sogar die Glocken der Kirche. Der herannahende Jahreswechsel zwingt den Blick zur Uhr. Uhren verkörpern Zeit, Zeit regt zum Nachdenken und zu Erkenntnissen und weiterführenden Einsichten an. Ob im alten Griechenland, im Orient oder im christlichen Mittelalter, in der Sturm- und Drangzeit genauso wie heute. Nur dürfte heute über die Zeit schon alles gesagt sein. Denn Philosophen und Schriftsteller und andere gescheite Leute haben bereits alles über die „Zeit“ geschrieben. Bitte nicht mit der gleichnamigen Zeitung verwechseln!
Die Zeit drängt, eilt, verrinnt, vergeht – uns bleiben die Spuren der Zeit
Zeit steht im engen Verhältnis mit der Natur. So kommt das Wort „Zeit“ selbst aus der Natur: Ursprünglich war es die Bezeichnung für „Ebbe und Flut“, was sowohl im englischen „tide“ als auch in unseren „Gezeiten“ noch erkennbar ist.
Schnell ist die Zeit vergangen. Sie drängt, eilt, verrinnt. Es ist mir, als ob das Jahr doch eben erst begonnen hätte. Rasch ging die eine Stunde vorüber, die andere dauerte wie eine halbe Ewigkeit. Vieles hat die Zeit gebracht, zu viel, als dass ich mir alles merken könnte. Die Spuren der Zeit haben sich nur oberflächlich in mein Gedächtnis gegraben. Es heißt auch, man solle „die Zeichen der Zeit erkennen“, also Vorzeichen kommender Entwicklungen verstehen. Da tun sich vor allem Politiker schwer, scheint es. Denn sie tun so ziemlich alles, uns in diesem Glauben zu lassen. Wenn sie denken, dann in kurzen Zeitrahmen – von Wahl zu Wahl. Die Modebranche wäre ein besseres Beispiel, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Sie muss die Entwicklungen voraussehen. Auch wenn es sich hier „nur“ um Mode handelt, so ist Mode ein Milliarden-Markt, bei dem es darauf ankommt, Trends zu erkennen und sie in Massenprodukte umzuwandeln. Jesus war vor der Massen-Mode da, belehrte seine Kritiker aber, wie es heute die Mode macht, dass jede Zeit ihre Zeichen hat: „Des Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot und trübe. Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann auch über die Zeichen der Zeit urteilen?“ fragte Jesus nach Matthäus 16,2. Die Kritiker mochten erstaunt gewesen sein oder auch nicht. Vielleicht gab einer die Antwort: „Alles zu seiner Zeit“. Denn das steht an einer bekannten Stelle im Buch der Prediger 3,1, die heute gerne bei Beerdigungen tröstend gesprochen wird. „Ein jegliches hat seine Zeit, und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat eine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit. Übersetzt in die Jetztzeit heißt das wohl im Sinne „Nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun“.
„Time is money“, sagte der Blitzableiter-Erfinder Benjamin Franklin,
Es gibt viel Zeit im Leben: Lebenszeit, Jahreszeit, Tageszeit, Arbeitszeit, Freizeit, Ferienzeit. Was habe ich damit gemacht? Wie habe ich den Zeitraum genutzt?
„Zeit ist Geld“ – sagt das Sprichwort und sagte seinerzeit auch der amerikanische Staatsmann und Philosoph Benjamin Franklin 1749, als er schrieb: „Time is money“. Franklin war wohl der Erfinder des Blitzableiters, aber diesen Spruch hatte er nicht erfunden. Das war der griechische Philosoph Theophrastos (373-287 v. Chr.) mit dem Ausspruch „Zeit ist eine kostbare Gabe“. Natürlich darf in dieser Reihe unser Johann Wolfgang von Goethe nicht fehlen, der in „Westöstlichen Diwan“ den Spruch so auslegte: „Zeit ist mein Besitz, mein Acker ist die Zeit!“ Den selbstsüchtigen Missbrauch seines Kernsatzes im 19. und 20. Jahrhundert hat der fromme Franklin sicherlich weder gewollt noch vorausgesehen.
Steinbeck: „Man verliert die meiste Zeit damit, dass man Zeit gewinnen will!“
Manches kostet viel Zeit. Ich habe aber durch Eile auch Zeit gespart und gewonnen. Vermeintlich. Bei John Steinbeck kann man nachlesen, was er dazu zu sagen hatte: „Man verliert die meiste Zeit damit, dass man Zeit gewinnen will!“ Kaiser Napoleon I. war ein ungeduldiger Mann. Er, der kleine bürgerliche Emporkömmling Bonaparte wollte von den Regenten Europas schnell als Kaiser anerkannt werden. Seine Hofschranzen standen ihm da diplomatisch abwägend im Wege und taten ihre Arbeit wohl zu langsam. Daher sagte er: „Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem Menschen doch das Kostbarste stehlen: Die Zeit.“ Dann überrannte er Europa mit Soldaten.
„Die Zeiten ändern sich – und wir ändern uns mit ihnen!“
Man kann Zeit verlieren, versäumen, vertrödeln, verschwenden, totgeschlagen. Sich auch auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben. Aber sie ist nicht zu finden. Man kann sie nicht einholen oder zurückholen. Vorbei ist vorbei. Man kann sich auch Zeit nehmen. Wenn die Römer eingeladen haben, dann entweder mit dem Zusatz „sine tempore“ (ohne Zeit) oder „cum tempore“ (mit Zeit). Mit Letzterem ist die so genannte „akademische Viertelstunde als vorgesehene Verspätungszeit gemeint. Heute gibt es bei uns kaum noch Veranstaltungen, die „sine tempore“ beginnen. Bleiben wir in der Geschichte: Dass Wendehälse keine Erfindung unserer Tage sind, beweist der Ausspruch Kaiser Lothars I. im 8. Jahrhundert. Er sagte nämlich: „Tempora mutantur – nos et mutamur in illis“. Das verstanden wohl seine Kirchenmänner und andere um seinen Thron herum, nicht aber das Volk, zu dem er es auch nicht gesagt haben dürfte. Übersetzt heißt es: „Die Zeiten ändern sich – und wir ändern uns mit ihnen“. Eine gute Erkenntnis.
Die Zeit ist ein Kredit Gottes, den wir nicht zurückgeben können
„Ich habe keine Zeit.“ Das scheint der Lieblingsspruch vieler zu sein. Denn das macht interessant, vielbeschäftigt, überlastet, von Terminen gejagt, von einer stillen Minute zur anderen hetzend, modern also. Zu wenig Zeit haben, nervös auf die Uhr schauend bei Gesprächen. Das Smartphon heimlich herausholend. Diese Wunden einer verarmenden Kommunikation zwischen den Menschen heilt keine Zeit.
Im neuen Jahr wird uns, wie im alten Jahr, wieder Zeit gegeben sein. Wir nehmen sie hin. Oft ist es geschenkte Zeit. In der Bibel steht, dass Gott uns die Zeit gegeben hat. Der Autor Ralph Boller formuliert das nach seiner Art: „Die Zeit ist Gottes Art, Kredit zu geben!“ Und der Römer Seneca, der mehrere Götter hatte, freute sich schon kurz nach Christi Geburt darüber, dass die Zeit die einzige Anleihe ist, die selbst dankbare Empfänger nicht zurückzuzahlen brauchen, weil sie es nicht können.
Die gute alte Zeit – Der Zahn der Zeit nagt an allen und überall
Wir sollten uns für das neue Jahr den Vorsatz zumindest vornehmen, sich mehr zu nehmen – für sich und andere. Zeit anderen zu schenken ist ein kostbares Geschenk. Viele Ältere schauen auf die gute alte Zeit zurück. Ob sie wirklich so gut war? Robert Lembke, Sportredakteur vor Zeiten, wurde einmal gefragt, was denn die „gute alte Zeit“ sei. Er antwortete: „Als die Fußballspieler ihre Suppe noch zu Hause aßen und nicht im Werbefernsehstudio!“ Ja, die gute alte Zeit, da war die Luft noch sauber und der Sex noch schmutzig!
Zum Schluss dieses Zeit-Essays noch eine persönliche Anmerkung: Seh’ ich mir die Todesanzeigen in den Zeitungen an, dann schau ich zuerst auf den Namen, ob ich die Person kenne, dann auf das Alter und sehe, dass mein Jahrgang mittlerweile zu denen gehört, die in absehbarer Zeit (hoffentlich noch eine Zeit lang hin) das Zeitliche segnen. Der Zahn der Zeit nagt eben an allen und überall.
Wie bereits erwähnt, Gott hat uns die Zeit gegeben, aber nicht die Eile. Doch er kannte damals die Parkuhren nicht, die jeden Autofahrer zur Eile zwingen, wenn sie ihre Parkscheine ziehen und beim Einkaufen ständig auf die Uhr schauen, denn unerbittlich verrinnt die Zeit – auch die der Parkuhren! Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diesen Artikel zu lesen. Hoffentlich war sie nicht vergeudet.
Auch Ihnen ein gutes Jahr 2017! In der Hoffnung, dass Sie genügend Zeit finden, Ihren Lesern auch im kommenden Jahr solch außergewöhnliche, ob aktuelle oder historische, Artikel zu schenken. Ihre Seite ist eine Bereicherung. Danke.