Von Wolf Stegemann
2. September 2016. – Eine kleine persönliche Vorbemerkung zum Thema Hähnchen sei dem Verfasser gestattet. Ein Freund aus Herne erzählte ihm vor 40 Jahren, dass er sich bei „Mercedes“ für eine gehobene Vertreter-Position beworben hätte und jetzt zu einem Vorstellungsgespräch in die Stuttgarter Zentrale eingeladen sei. Frohen Mutes fuhr er los und kam mit gleichem Gefühl zurück. Denn der Personalleiter und sein Assistent hätten ihn sogar zum Mittagessen in ein „Wienerwald-Restaurant“ zum Hähnchenessen eingeladen. Und das sage ja viel aus, meinte der Freund. Und da hatte er Recht. Aber nicht in seinem Sinne. Denn die Herren der Personalabteilung hatten zwar an seinen Zeugnissen nichts auszusetzen, doch an dem, wie er das Hähnchen aß. Um das herauszufinden, hatten sie ihn sozusagen als „Test-Esser“ eingeladen. Er fiel durch. In der Absage stand dann auch, warum. Gemäß dessen, was damals von den Tischsitten auch erlaubt war, aß er das halbe Hähnchen mit den Fingern, nagte das knusprige Fleisch mit den Zähnen von den Knochen ab und benutzte dazu weder Messer noch Gabel. Das sollte wohl nicht der Stil für chromblitzende „Mercedes“-Leute der damaligen Zeit sein.
„Wienerwald“-Restaurants machten das Hähnchen gesellschaftsfein
Die „Wienerwald“-Restaurationskette machte neben dem „Backhendel“ vor allem das gebratene oder gegrillte Hähnchen populär und verschaffte der deutschen Hausfrau der 1960er-Jahre wohlverdiente Pausen in ihrer Küche. Denn es hieß „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald“. Die Deutschen zog es nicht immer zum Huhn, was vor dem Siegeszug des „halben Grill-Hähnchens“ eine Kostenfrage war. Billiger war damals der Hering. Heute ist es umgekehrt. Zu dieser Zeit gründete Heinz Finke in Holsterhausen seine Hähnchenklause mit obligatorischer Trinkhalle, die jetzt ihren 50. Geburtstag feiert. Doch bevor sich der Leser auf die Finkesche Hähnchen-Kultur an der Ecke Borkener Straße /Friedrichstraße in Holsterhausen zurückziehen kann, noch ein kurzer Blick auf das Huhn in Literatur und Kunst.
Wilhelm Busch holte das Huhn in die deutsche Literatur
In die Literatur sind die Brathähnchen durch „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch eingegangen, die im zweiten Streich die in der Pfanne liegenden Hähnchen der Witwe Bolte durch den Schornstein entwenden. Da heißt es: „Durch den Schornstein mit Vergnügen sehen sie die Hühner liegen, die schon ohne Kopf und Gurgeln lieblich in der Pfanne schmurgeln.“ Ruhrgebietsliteraten schreiben bis heute immer wieder ihre Beobachtungen in poetischen Statements über Grillbuden und den Heißhunger einer Nation nieder. Berührend, auch skurril, wie beispielsweise Jan Flemming Olsen als Imbisswirt Ingo (TV-Comedyreihe „Ditsche – das wirkliche Leben“) in seinem Buch: „Der Fritten-Humboldt. Meine Reise ins Herz der Imbissbuden“. Aktuell hat der belgische Künstler Koen Vanmechelen in der Stadt Genk 2016 sein Großprojekt „La Biomista“ auf einem 24 Hektar großen Areal zur „Open University of Diversity“ eröffnet. Im Fokus steht dabei das Huhn als Begleiter des Menschen – vom Ei bis in den Magen. Von hier aus steuert der Künstler seine weiteren Huhn-Aktivitäten zum „Cosmopolitan Chicken Project“. Dass in der TV-Talkrunde vom Januar 2015 mit Maybrit Illner eine Ökonomieprofessorin den Streit der Kanzlerin Angela Merkel mit dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras um den Schuldenschnitt als „Chickenfight“ bezeichnete, sei hier nur nebenbei und zum Schmunzeln erwähnt. Und SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriels auffallende Meinungsänderung dieser Tage über das anstehende TTIP-Abkommen mit den USA dürfte wohl kaum dem umstrittenen Chlor-Hühnchen geschuldet sein als dem Wahlkampf seiner Partei.
Hähnchen-Finke ist in Holsterhausen ein feststehender Begriff
In der Hähnchenklause bei Heinz-Peter Finke, Kurzform Hähnchen-Finke, drehen sich die Hähnchen goldgelb knusprig im Grill oder brutzeln in der Friteuse. Hier kann man getrost nach alter Vätersitte („bei Hähnchen darf man das!“) Messer und Gabel liegen lassen und Hähnchen mit den Fingern essen. Und das seit 50 Jahren. Denn damals, als das Brathähnchen als Volksnahrung gesellschaftsfähig wurde, boomte es auch im Ruhrgebiet. In Dorsten expandierte in dieser Zeit die Geflügelschlachterei Dr. Koch an der Bochumer Straße, die tiefgefrorene Hähnchen bundesweit verschickte, während die Reste in der Kanalisation Hunderte von Ratten anlockten. Diesen überschwappenden Boom erkannte der damalige Müllermeister Heinz Finke, Vater des heutigen Inhabers. Er mahlte in der damals noch stehenden Winks Mühle kein Mehl mehr, sondern schlachtete Geflügel. Heinz-Peter Finke erinnert sich an die aufregende Zeit, als der Vater 1966 den Imbiss mit der obligatorischen Trinkhalle an der Borkener Straße / Ecke Friedsrichstraße eröffnete. Da war er gerade fünf Jahre alt. Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte er also in den alten Gemäuern der Mühle, die nächsten Jahre in der Overberg-Grundschule (später Agatha II), in der Imbissbude seines Vaters und in Schermbeck, wo die Familie ab 1969 wohnte. Der Vater fand Gefallen an seiner neuen Tätigkeit an der Friteuse und am Grill und expandierte. Er übernahm zusätzlich eine Trinkhalle in Gladbeck und eröffnete eine in der damaligen Gaststätte Schmitz an der Borkener Straße, wo heute das Hotel Albert steht.
Skifahren in Südtirol, Radfahren am Freudenberg – Leibgericht: Nudeln
Es gab für den heranwachsenden Jungen nicht nur Hähnchen, Trinkhalle und Imbiss. „Seit 1969 nahmen mich meine Eltern jeden Winter mit in die Südtiroler Berge.“ Dort entdeckte Heinz-Peter Finke schon als kleiner Junge seine Liebe zum Skifahren und blieb bis heute seinen Freunden treu, die er dort gefunden hatte. „Es ist das Pflerschtal, gleich rechts hinterm Brenner!“ Dort entdeckte Hähnchen-Finke auch sein Lieblingsgericht. Nicht etwa Hähnchen, sondern Nudeln, die er für sein Leben gern isst. Macht er im Winter das Pflerschtal auf Skiern unsicher, ist es im Sommer der Freudenberg zwischen Holsterhausen und Schermbeck, wenn er mit dem Rad dort seine Runden dreht. Heinz-Peter Finke trat voll in die Fußstapfen seines Vaters, wurde Koch, ging für acht Jahre zur Bundeswehr. „Ich machte dort den Küchenmeisterbrief.“ 1990 fing er im elterlichen Betrieb an, erweiterte das Angebot zu einem Vollsortiment mit Pizza und Currywurst, etablierte einen Catering-Service und übernahm 1995 den Betrieb, bevor sich sein Vater 2000 zurückzog.
Werbekräftige Unterstützung der Kabel1-Soap „Hagen hilft“
Vielleicht hatte sich Heinz-Peter Finke damit etwas übernommen, denn ab 2006 geriet der Betrieb an der Borkener Straße in wirtschaftliche Schieflage. Schieflagen kennt Heinz-Peter vom Skifahren, aus denen er – abgesehen von den üblichen Bauchlandungen – immer wieder unter Zuhilfenahme bestimmter Hüftschwünge oder seiner Stöcke auf den Beinen blieb. Auf diesen blieb er auch mit seiner Hähnchenklause. Unter äußerster öffentlicher Werbewirksamkeit bekam er Hilfe von dem Unternehmensberater Stefan Hagen und dessen Kabel1-Soap „Hagen hilft“. Der Betrieb wurde völlig umstrukturiert, ein neues Logo entworfen und ein umfassendes Firmen-Design in den Farben Rot und Gelb entwickelt. Finke trennte sich vom Mittagstisch und Eintöpfen und besann sich auf das ursprüngliche Kerngeschäft: dem gegrillten Hähnchen. Entsprechend wurde seine 80 Quadratmeter große „Imbissbude“ so umgebaut, dass der Hähnchengrill im Vordergrund steht. Neue Gerichte wurden entwickelt. Das funktionierte. Am 18. September 2008 strahlte Kabel1 die Sendung „Die Hähnchenklause in Dorsten“ aus. In diesem Jahr produzierte Stefan Hagen rund 50 solche Sendungen. Eine Woche vor Finke kam ein Bäckerei wieder zu Umsatz und eine Woche danach das Café „Mozart“ in Fürth/ Bayern.
Finkes Hähnchen-Kunden werden von Jahr zu Jahr immer jünger
Heinz-Peter Finke ist nicht nur ein Grillmeister, sondern auch ein guter Werbemeister für die eigene Person und seine Hähnchen. Nicht nur, dass sich inzwischen sein Firmen-Design öffentlich eingeprägt hat, er ist auch geschickt in den sozialen Medien wie facebook, twitter und instagram unterwegs. „Junge Leute sind meine Zukunft“, sagt er und freut sich darüber, dass in der Tat seine Kunden immer jünger werden und im „Pommes-Führer Ruhr“ seine Hähnchenklause als älteste im Ruhrgebiet vertreten ist. Bundesweit gibt es nur einen Hähnchen-Finke, selbst wenn es andere Finkes geben sollte, die Hähnchen grillen und verkaufen. Denn er hat den Namen rechtlich schützen lassen.
Den 50. Geburtstag seiner Hähnchen-Klause, pardon: von Hähnchen-Finke, feiern er und seine Lebenspartnerin Birgit am 4. September mit Jubiläumsangeboten, Gewinnspielen und „Haut den Hähnchen-Finke“. Für die Gewinner hat er eine Tafel für 50 Personen vorbereitet. Was wohl auf der Speisekarte steht? Natürlich Finkes Hähnchen! Vielleicht macht der 1952 in Holsterhausen geborene und beim BVH angefangene ehemalige Bundesliga-Fußballer Karlheinz Hähnchen seinen Namensvettern bei Finke die Aufwartung.
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Herzlichen Glückwunsch zum 50. Firmenjubiläum. Wir kommen dich bald besuchen, denn Currywurst und Hähnchen sind einsame Spitze! Petra und Martin
Da läuft einem ja schon beim Lesen des Artikels das Wasser im Mund zusammen. Sehr appetitlich geschrieben, Lob an den Verfasser. Das Lob an den Händlbräter werde ich mir bis nach dem Verzehr eines der knusprigen Exemplare auf dem Grillspieß aufsparen.
Herzlichen Glückwunsch zum 50 jährigen Firmenjubiläum.
Da bekommt der Leser direkt Appetit! Bessere Werbung, gekoppelt mit Information, gibts nicht. Ich weiß, was heute auf meinen Teller flattert.