Was machen eigentlich … der em. Erzbischof von Hamburg und der höchste Repräsentant der Unternehmerfamilie E. Merck? In Dorsten begann die Karriere des einen und das Leben des anderen

Von Wolf Stegemann

12. August 2016. – Miteinander haben die beiden Hochkaräter vermutlich nichts zu tun. Gemeinsam ist ihnen, dass beide beruflich hoch aufgestiegen sind. Der eine durch den Papst, der andere durch Geburt. Doch beide verbinden noch sieben Buchstaben, die ein Wort bilden, und das heißt Dorsten. Der eine, Dr. Werner Thissen, war von  1966 bis 1969 Kaplan in Dorsten, bevor er 2002 Erzbischof von Hamburg wurde und seit 2014 als Emerit lebt. Der andere ist Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp, der 1948 in Dorsten in die bekannte Chemiekonzernfamilie E. Merck hineingeboren wurde.

Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp, Chef des Pharmakonzens Merck AG

„Wir denken in Generationen, nicht in Quartalen“

Dicke Schlagzeilen in der Öffentlichkeit und vor allem in der Wirtschaftspresse machte der gebürtige Dorstener 2006, als sein Familienunternehmen, die E. Merck AG, versuchte, die Schering AG feindlich zu übernehmen. Zusammen mit Jon Baumhauer ist Frank Stangenberg-Haverkamp der oberste Repräsentant der Unternehmerfamilie Merck. Er ist ein direkter Nachfahre von Emanuel Merck, dem Gründer des Unternehmens und in der elften Generation Nachfahre von Friedrich Jakob Merck, der die Firma 1668 gründete.

Vater Karl Stangenberg musizierte im Recklinghäuser Orchester

Frank Stangenberg-Haverkamp in Afrika

Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp ist der Sohn des Musikers und Lyrikers Karl Stangenberg und der Malerin Heidy Stangenberg-Merck. Sein Vater musizierte als Flötist im Recklinghäuser Orchester und studierte an der Folkwangschule in Essen. Nach dem Abitur leistete Frank Stangenberg-Haverkamp seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe und studierte anschließend in Freiburg Wirtschaftslehre und promovierte in Wirtschaftsgeschichte. Anschließend arbeitete Stangenberg-Haverkamp als Investmentbanker für die Commerzbank, Barings Bank und Hambros Bank in London. Seit 1984 gehört er dem Gesellschafterrat der E. Merck KG an. 1994 wurde er stellvertretender Vorsitzender dieses Gremiums und 2004 dessen Vorsitzender. Der Gesellschafterrat überwacht die Geschäftsführung der E. Merck KG und der Merck KGaA. Er ist zuständig für die Bestellung und Abberufung der Mitglieder der jeweiligen Geschäftsleitungen und muss bei wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen die Zustimmung erteilen. Daneben ist Stangenberg-Haverkamp stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes und des Familienrates der E. Merck KG. Von Juli 2007 bis zum Januar 2009 war Stangenberg-Haverkamp Mitglied des Aufsichtsrates der M.A.X. Automation AG. Zuvor war er im Aufsichtsrat der „Berliner Elektro Holding AG“ sowie Vorsitzender des Aufsichtsrates der BE Semiconductor Industries N.V. und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Telcab Ltd. Die Familie Merck besitzt 73 Prozent des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck. Da die Familie das Unternehmen fast 350 Jahre lang besitzt, lautet das Credo der Sippe:  „Wir denken in Generationen und nicht in Quartalen.“

Feindliche Übernahme scheiterte – doch 400 Mio. Euro Spekulationsgewinn

Der Welt ältestes Pharmaunternehmen wirkte immer etwas verschlafen, urteilte die „Wirtschaftswoche“. Doch das in Dorsten geborene Merck-Familienmitglied Frank Stangenberg-Haverkamp schreckte 2006 alle hoch – Insider wie Außenstehende und die gesamte Branche. Denn Merck brach mit einem Firmen-Tabu: Das Unternehmen versuchte, den Rivalen Schering gegen dessen Willen, also feindlich, zu übernehmen. Dr. Stangenberg-Haverkamp ließ daher so viele Aktien von Schering auskaufen, wie es nur ging. Dem ersten Tabubruch folgte ein zweiter, wie die „Wirtschaftswoche“ am 18. Juni 2006 schrieb:

„Nachdem der Weltkonzern Bayer das Familienunternehmen Merck mit einem höheren Angebot ausgestochen hatte, zockte Merck auf einen höheren Preis. Merck kaufte während der laufenden Bayer-Offerte kräftig Schering-Aktien zu. Am Ende strich Merck rund 400 Millionen Euro Spekulationsgewinn ein. Das entspricht rund der Hälfte des operativen Merck-Gewinns.“

Ein schöner Erfolg des gelernten Investmentbanker Frank Stangenberg-Haverkamp, der im Merck-Gesellschafterrat die Interessen der rund 130 Familienmitglieder vertritt. Allerdings brachte Merck nur 21 Prozent der Schering-Aktien zusammen, so dass es nicht zur Sperrminorität reichte, um die Übernahme durch Bayer zu verhindern. Deshalb gab Merck den feindlichen Übernahmeversuch auf, lenkte ein und übergab die angekauften Schering-Aktien an den Bayer-Konzern, der dann Schering übernahm.

Werner Thissen als junger Kaplan bei einer Lumpenaktion in Hervest-Dorsten Gemeinde St. Josef

Em. Erzbischof Dr. Thissen war Kaplan in Hervest Dorsten

In der katholischen St. Josef-Gemeinde in Hervest-Dorsten waren viele Kapläne tätig, jeweils nur für wenige Jahre, bis sie woanders hin versetzt wurden, weiterhin Kapläne blieben oder eine Pfarrstelle erhielten. Von 1966 bis 1969 war einer Kaplan, der später als einziger den Aufstieg zum Erzbischof geschafft hat: Der 1938 in Kleve geborene Werner Thissen war von 2002 bis 2014 Oberhirte der Hamburger Diözese und Metropolit der Norddeutschen Kirchenprovinz. Er verkörpert eine Bilderbuch-Karriere, die in Dorsten begann.

Kaplan, Spiritual, Subregens, Geistlicher Rat, Domkapitular in Münster

Erzbischof Dr. Thissen

Werner Thissen, Sohn eines katholischen Kaufmannsehepaares, studierte Betriebswirtschaft in Köln und Innsbruck. Er entschloss sich aber, Priester zu werden, und studierte daher Philosophie und Theologie in München und Münster, wo er aktives Mitglied des Katholischen Studentenvereins Germania Münster war. 1966 empfing er in Münster die Priesterweihe. Gleich danach kam er als Kaplan nach Hervest-Dorsten, war danach Spiritual am Collegium Johanneum in Ostbevern und von 1971 bis 1977 Subregens am Priesterseminar des Bistums Münster. Werner Thissen promovierte 1974 mit einer Arbeit über das Markus-Evangelium und war seit 1977 Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat in Münster, wurde im selben Jahr zum Geistlichen Rat ernannt und 1984 zum residierenden Domkapitular an der Domkirche in Münster berufen. 1986 wurde Dr. Thissen  Generalvikar in Münster. Zu einem in Kirchenkreisen bundesweit bekannten Gesicht machten Thissen die rund zehn Jahre, in denen er einer von mehreren Sprechern der Samstagabend-TV-Sendung „Wort zum Sonntag“ war. Eine andere, eher reflexive Beschäftigung fand Dr. Thissen früh in der Auseinandersetzung mit Lyrik und dem Schreiben eigener Gedichte, die er auch mehrfach veröffentlichte. Beim Dichten kann man Thissens Urteil zufolge „nicht lange drum herumzureden“, sondern müsse schnell „auf den Punkt kommen“.

Regionalbischof für Borken/Steinfurth

Papst Johannes Paul II. ernannte ihn 1999 zum Titularbischof der erloschenen in Albanien gelegenen Diözese von Scampa und bestellte ihn zum Weihbischof im Bistum Münster. Als Regionalbischof war er für Borken-Steinfurt zuständig. Sozialpolitisch verstand sich Thissen in seinem Bezirk auch als Lobbyist der Arbeitslosen. Den Schwerpunkt seiner Arbeit in Borken/Steinfurt bildeten Gemeindebesuche sowie rund 5.000 Firmungen im Jahr. Innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz übernahm Thissen die Leitung der Unterkommission für Entwicklungsfragen in der Kommission für weltkirchliche Aufgaben. Damit wurde er auch für das Hilfswerk Misereor zuständig.

Erzbischof von Hamburg, flächenmäßig die größte Diözese

2002 wurde der heutige Emerit Dr. Thissen Bischof von Hamburg und war Vorsitzender der Unterkommission bei der Deutschen Bischofskonferenz sowie Prior der Norddeutschen Ordensprovinz des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem sowie seit seiner Amtseinführung auch Ehrenkapitular des Domkapitels zu Münster. Den Sprengel der neuen Erzdiözese Hamburg bildeten die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg ohne Vorpommern, das zur ebenfalls neuen Erzdiözese Berlin kam. Die Diözesen Osnabrück und Hildesheim wurden dem neuen Hamburger Erzbistum als Suffraganbistümer zugeordnet. Obgleich flächenmäßig mit 32.000 qkm die größte deutsche Diözese, zählte das Erzbistum Hamburg 2002 als Teil der katholischen Diaspora lediglich 173 Kirchengemeinden mit rund 404.000 Katholiken aus über 80 Nationen.

Für Dorstener immer noch der „Herr Kaplan“

Werner Thissen war ein begeisterter Sportler. Lange spielte er Fußball, betrieb noch Ski-, Tischtennis- und Radsport. Besonders interessiert sich Thissen auch für Kunst und Musik. Bekommt Werner Thissen Besuch aus Dorsten, und fragt der Besucher im Vorzimmer, wie er ihn anzusprechen habe, dann wird ihm geantwortet: „So, aus Dorsten sind Sie, dann dürfen Sie ,Herr Kaplan’ sagen.“ Von seiner ersten Kaplanstelle in Hervest-Dorsten spricht er von einem Glücksfall. Pfarrer Wedi hatte ihn mit allen Aufgaben betraut. So lernte Kaplan Thissen seine seelsorgerliche Arbeit und in der Gemeinde- und Jugendarbeit von St. Josef sein „Handwerk“ von der Pike auf.

  • Veröffentlichungen (Auswahl): „Du bist mein Glück. Leben aus der Kraft der Begegnung“, „Einsicht in Unsichtbares“ (über die neuen Meistermann-Fenster im Münsteraner Dom), „Mitten im Zeitenwirbel“ (Bildmeditationen), „Licht und Kraft. Auferstehungsglaube“..
  • Erläuterungen: Der Regens (Subregens Vertreter) ist in der katholischen Kirche der Leiter eines bischöflichen Seminars, insbesondere des Priesterseminars einer Diözese. Er regelt alle äußeren Fragen des Seminarbetriebs. – Der Spiritual vermittelt in katholischen Erziehungseinrichtungen (Priesterseminaren, Kursen, Exerzitien, persönlichen Gesprächen) die Grundlagen des katholischen Gebetslebens und der Spiritualität (auch in Ordensgemeinschaften). – Der Titularbischof ist in der röm.-kath. Kirche und in der orthodoxen Kirche ein geweihter Bischof, der im Unterschied zum Diözesanbischof keine eigene Diözese leitet, aber den Titel einer untergegangenen  Diözese trägt.

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Quellen: Stangenberg-Haverkamp: Süddeutsche Zeitung vom 12. Juni 2006. – „Wirtschaftswoche“ vom 18. Juni 2006. – Werner Thissen: Munzinger-Archiv. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (Stand 2011). – Rolf Plümpe „Stark durch die Kaplanstelle in Hervest geprägt“ in RN vom 11. April 1993. – Biografien entnommen: Dorsten-Lexikon.
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