Alle Menschen müssen – zumindest bei uns – einen Namen haben. Nicht im übertragenen Sinne, wie man diese Feststellung auch lesen kann, sondern gesetzlich. Dabei ist es gleichgültig, ob Namen „Schall und Rauch“ sind, wie Goethes Mephisto zu Margarete sagt, oder man sie nicht zählen könne, wie in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“, wo es heißt: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen / Die gastlich hier zusammenkamen?“ Nicht zur Olympiade in Rio, sondern zum Wagenrennen auf Corinthus Landesenge. „Nomen est omen“ sagen die Etymologen und wollen wissen, was hinter den Namen steckt.
Während sich im Laufe unseres Lebens die Figur, der Haarwuchs, die Sehschärfe, der Freundeskreis, die Wohnorte, Postleitzahlen, das Briefporto, Partner und Telefonnummern ändern, ist nichts so beständig wie unser Nachname, von Änderungsmöglichkeiten bei Hochzeiten oder eingetragenen Künstler- oder Ordensnamen und anderen Möglichkeiten abgesehen. Die Dorstener Ursuline Gräfin von der Schulenburg hatte gleich drei solcher Namen: ihren bürgerlichen „Elisabeth“, dann „Tisa“ als Künstlerin und „Sr. Paula“ als Ordensnamen.
256.000 Müller in Deutschland, davon 112 Telefonanschlüsse in Dorsten
Jetzt haben Sprachwissenschaftler der Mainzer Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der Uni Mainz und der TU Darmstadt ein „Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschland“ veröffentlicht. Darin sind die 50 meist vorkommenden Familiennamen von Schubert mit 26.821 Namensträgern, errechnet aus Telefonanschlüssen, bis Müller mit 256.003Telefonanschlüssen in der Bundesrepublik. In Dorsten gibt es zu diesem Namen 112 Telefonanschlüsse. An zweiter Stelle stehen die Schmidts mit 190.584, in Dorsten mit 100, dann kommt Schneider mit 115.749, davon 69 in Dorsten, gefolgt von dem Namen Fischer mit 97.658 Anschlüssen, wovon es in Dorsten 30 gibt, von Weber mit 86.061 und in Dorsten 42, jetzt kommen die Meyer mit 83.586 Anschlüssen, von denen es in Dorsten 6 Maier, 14 Meier und 49 Meyer gibt, und an 7. Stelle stehen die Wagners mit 79.732 Telefonanschlüssen, in Dorsten gerade 34. Mit 26.821 Anschlüssen stehen die Schubert bundesweit an 50. Stelle, in Dorsten gibt es davon gerade mal 10. Statistisch gesehen, so die Forscher, verbergen sich hinter jedem Telefonanschluss jeweils 2,9 Personen.
Jacob Grimm der Ältere, ein früher Sprachforscher, sagte: „Die Ergründung der Eigennamen verbreitet Licht über die Sprache, Sitte und Geschichte unserer Vorfahren.“ So stehen denn auch die 14 am häufigsten vorkommenden Namen allesamt für Berufe: Richter auf Platz 12, Becker auf Platz 8, Koch auf Platz 13.
Bei der Entstehung von Familiennamen gibt es fünf Motivationsklassen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert nach und nach aufkamen, da die Städte wuchsen und Vornamen zur Unterscheidung nicht mehr ausreichten: 1.) Berufsbezeichnungen, 2.) Rufnamen, beispielsweise Hermann oder Hartmann, 3.) Herkunft, beispielsweise Österreicher oder Hamburger, 4.) Wohnstätten wie die Namen Bachmann oder Stegemann und 5.) persönliche Eigenschaften wie Kurz oder Lang.
Klohocker, Powischer und Depp können ihre Namen ändern
Wer nicht als „Kaiser“, „König“ oder „Graf“ geboren wurde und einen Namen hat, der ihn dem Spott aussetzt, wie „Depp“ oder „Klohocker“, kann ihn – wenn nachvollziehbar – beim Standesamt ändern lassen. Etymologisch hatten diese beiden Namen, von denen es etwa 70 gibt, früher eine völlig andere Bedeutung als heute, wo sie anstößig wirken. Beispielsweise war der Depp kein Depp, sondern hatte vermutlich den Rufnamen Diepold. Dem Verfasser ist aus seiner Heimatstadt eine Lehrerin in Erinnerung, die Amalie Powischer hieß und sie diesen Namen trotz Gespötts der Schüler mit Stolz trug. Ihr Hobby: Sammeln kurioser Familiennamen, wie ihrer einer war. Amalie Powischer, schon längst verstorben, brachte es auf eine stattliche Anzahl solcher Namen. Bei der deutschlandweiten Suche in Onlinetelefonbüchern stößt man auf zahlreiche andere Beispiele. So finden sich dort 129 Einträge zum Familiennamen Dumm, was nüchtern betrachtet eigentlich harmlos ist, wie die knapp 1100 Treffer für Hohl oder die 812 Treffer für Fick. Ob Karl von Arsch aus Mecklenburg-Vorpommern mit seinem Namen glücklich ist, müsste man ihn wohl selbst fragen, genauso wie Johann Dr. Muschi in München. Auch die 409 Einträge zu Schwanz könnten sich einen schöneren Namen wünschen.
Juden mussten Familiennamen annehmen – oft blumenreich und tierisch
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die Juden im nördlichen Mittel- und Westeuropa und die von dort nach Osteuropa ausgewanderten Juden noch keine Familiennamen. In der Regel wurde der Name des Vaters als zweiter benutzt, beispielsweise Isaak ben Nathan bzw. bei Töchtern Sara bat Nathan. Als Bedingung für das erweiterte Bürgerrecht waren jüdische Bewohner zur Annahme eines unveränderbaren Familiennamens gezwungen. Zuerst 1787 in den Habsburger Erbländern und 1808 im damaligen Königreich Westfalen. Je nach Landesregenten durften sie keine christlich klingenden Namen annehmen, keine Namen, die auf christliche Zünfte hinwiesen, also Weber, Schmied, Wagner, Müller u. a. Daher hatten Juden oft eingedeutschte Namen, die ihren hebräischen Ursprung im Alten Testament haben. Allerdings war unter Mitwirkung der christlichen Behörden den Fantasienamen keine Grenzen gesetzt wie in Dorsten die Perlsteins, Rosenbaums, Baumgartens, Eisendraths, Seligmanns und Lebensteins. Namen richteten sich nach Farben wie Rothschild, Weißhaar, Goldstein, Silbermann oder Grünspan, dann von Herkunftsstädten wie Kissinger, Wormser, Oppenheimer, Nürnberger oder Ginzburg. Auch von Tieren wie Löwenthal, Bär oder Hirschmann. In Gegenden, wo die Behörden oft besonders judenfeindlich eingestellt waren – vor allem in Osteuropa – bekamen Juden dann Namen wie Veilchenblau, Rindskopf, Schweinskopf.
Als sich der Jude Salomon Abraham 1844 in der Dorstener Agathakirche christlich taufen ließ, durfte er den Namen Franz Ewaldi annehmen, wohnte in der Recklinghäuser Straße 20 (der Vorkriegsnummerierung) und verzog 1845 nach Emmerich. Namensänderungen waren auch im Nationalsozialismus (1933-1945) möglich, wenn jemand seine polnischen Wurzeln, die der Familienname verriet, verbergen wollte. So nannte sich eine Dorstener Familie mit polnischen Namen in Komberg um. Solche Umbenennungen gab es einige. Sie gibt es auch heute noch: Spätaussiedler können ihren Namen „eindeutschen“. Aus Wladimir kann so beispielsweise Waldemar werden. Und es gab auch Zwangsumbenennungen. Ab 1938 wurde Juden behördlicherseits ihren Vornahmen noch „Israel“ oder „Sarah“ als Sigmatisierung hinzugefügt.
Geschichte unseres Namensrechts geht auf die Römerzeit zurück
Namen haben ein sehr langes Recht. Im alten Rom waren Namen Bestandteil des allgemeinen Rechts. Allerdings konnte jeder einen Vornamen und Nachnamen selbst wählen. Während der Völkerwanderung kehrte man zur Einnamigkeit zurück, und ab dem 8. Jahrhundert wurden in Deutschland Beinamen zum Rufnamen eingeführt. Diese Beinamen (Herkunft, Beruf, charakterliche Eigenschaften, körperliche Fähigkeiten und Schwächen) führten in der Regel zu den späteren Nachnamen. Ab dem 15. Jahrhundert wurden Familiennamen vererbt und waren deshalb nicht mehr das individuelle Kennzeichen einer besonderen Eigenschaft. Müller und Gerber hießen dann auch die, die keine Müller und Gerber waren. Heute wird nur noch selten ein Müller auch Müller heißen.
Vornamen wurden in katholischen Familien oft weitergegeben
1677 wurde im Heiligen Römischen Reich die allgemeine Namensfreiheit abgeschafft. Das Gesetz blieb mangels Strafandrohung wirkungslos und wurde nicht befolgt. Die Verordnung wurde später von anderen deutschen Ländern übernommen. In Preußen wurde 1794 das Benutzen von fremden Namen verboten. Nachdem auch diese Verordnung nicht befolgt wurde, folgte eine weitere Verordnung am 30. Oktober 1816, die nunmehr auch das Führen von fremden oder erdichteten Namen bei Androhung einer Geldbuße oder eines Arrestes verbot. Davon war auch Westfalen betroffen, das zusammen mit dem Rheinland preußische Provinz wurde. Ab 1822 regelte eine Verordnung, dass der Adel seine Titel weitergeben durfte. 1920 wurden die Titel aufgehoben und Bestandteil des Namens. Mit der Einführung des Personenstandgesetzes 1875 trat dann im Deutschen Reich die Unabänderlichkeit der Familiennamen ein, was bis heute gilt. Die Beständigkeit der Namensführung war als Erkennungszeichen innerhalb der sozialen Gemeinschaft wichtig. Der Vorname wurde darüber hinaus durch den religiösen Akt der Taufe festgeschrieben, so dass Wechsel auch hier kaum vorkamen. In katholischen Gegenden heißen die Männer meistens Bernhard oder Josef, wie die Väter, Großväter und Urgroßväter in den Familien auch hießen. Bei Frauen ist Maria der häufigste Vorname. Als die staatliche Verwaltungstätigkeit komplexer wurde, entdeckte der Staat die Kontrollmöglichkeit der Bürger durch ihre festgeschriebenen Namen, deren Wechsel dem Ordnungsbedürfnis des Staates entgegen stehen würde. Dennoch sind Namenswechsel unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Beispielsweise kann einem Kind ein anderer Namen gegeben werden, wenn der Vater als Straftäter bekanntgeworden ist. Mit der Annahme des Namens der Mutter könne sich das Kind von der kriminellen Vergangenheit des Vaters distanzieren, so das Verwaltungsgericht Münster.
Noch was Politisches und Launiges zum Schluss
In Deutschland gab es bis 1945 einen, der Hitler hieß und als maßloser Polit-Verbrecher nicht nur in die deutsche Geschichte einging. Der Name, den er trug, ist seitdem geächtet. Wie mochten die Mitarbeiter des Einwohnermneldeamtes gestaunt haben, als sich der Student des Goethe-Instituts Ende der 1960er-Jahre anmeldete und als Vornamen Hitler angab (siehe Foto). Im Telefonbuch der Bundesrepublik taucht nur ein Herr Hitler auf – in Mecklenburg-Vorpommern, während 361 Himmlers Telefonanschlüsse haben. Ein Blick in südamerikanische Länder, vor allem Brasilien, Peru und Argentinien zeigt, das jener Naziverbrecher Adolf Hitler dort heute noch seine Fans hat. Da es in diesen Ländern kein Namensrecht gibt, können Eltern ihren Kindern Vornamen wie „Adolf Hitler“, „Heinrich Himmler“, „Adolf Eichmann“ oder „Mussolini“ geben. Träger dieser Vornamen stehen auch in den Telefonbüchern dieser Länder. Unter solchen Namensträgern gibt es Universitätsprofessoren, Lehrer, Ärzte, Busfahrer und eine verstädterte Indio-Familie, von denen viele Hitler mit ersten oder zweiten Vornamen heißen. Besonders in Argentinien sind diese Namensgebungen in den 1950er-Jahren weit verbreitet gewesen, da der damalige Staatspräsident Peron ein glühender Verehrer Hitlers war und das offensichtlich in der Namensgebung seiner Landsleute Wirkung zeigte. Auch auf den Philippinen dürfen Eltern ihre Kinder amtlich nennen wie sie gerade lustig sind. Daher kommen dort für unsere Ohren und unser Verständnis außergewöhnlich Vornamen vor wie Spaghetti oder Makkaroni, wie unlängst in der FAZ zu lesen war. Da würde dann die Mutter ihre Kinder zum Essen rufen: Spaghetti, Makkaroni kommt zum Essen!