Von Wolf Stegemann
Wer wissen will, in welchen Städten „Bordsteinschwalben“, wie Frauen auf dem Straßenstrich auch genannt werden, stehen oder nicht stehen dürfen, der findet im Internet reichlich Auskunft. Neben Hamburg, Düsseldorf und Rom ist auch Dorsten als Straßenstrich-Standort verzeichnet. An der B 225 zwischen Abfahrt Marl-Frentrop (A 52) und Ortseingang Dorsten stehen tagsüber selten, doch abends immer wieder einige Lust-Anbieterinnen.
Was der einen Lust ist der anderen Frust. Verärgerte Anwohner klagen immer wieder über das Straßengewerbe, das nach deren Ansicht zu nah an Wohngebieten stattfindet. Doch dem Ordnungsamt und der Polizei fehlen die rechtlichen Grundlagen, um gegen die Straßen-Prostitution einzuschreiten, so sie das denn wollen. Dorstens Ordnungsamtsleiter äußerte sich gegenüber der Öffentlichkeit, dass es keinen ausgewiesenen Sperrbezirk gebe und niemand daran gehindert werden könne, am Straßenrand zu stehen oder dort spazieren zu gehen. Nur wenn bezahlte Liebesdienste unter freiem Himmel im Schutz des Waldes stattfänden, würde dies als Erregung öffentlichen Ärgernisses gelten, sobald Unbeteiligte unfreiwillig Zeugen des Geschehens werden. Dann könnten rechtlich legitimierte Platzverweise erteilt werden. Ein weiters Mittel der Behörden, das älteste Gewerbe der Welt dort einzuschränken oder gar zu vertreiben, ist die ständige Personenkontrolle. Denn es wird immer wieder festgestellt, dass an der B 225 vornehmlich ausländische Frauen aus Südosteuropa ihre Reize anbieten, manche ohne gültige Aufenthaltserlaubnis.
Die Straße sei ein schlechter Arbeitsplatz und deshalb unzumutbar
Da die Lust am Straßenstrich der B 225 grenzüberschreitend ist, befasst sich auch die Stadt Marl mit der Straßenprostitution. Im Rat der Stadt Marl stritten im Juli 2011 die Fraktionen, ob ein Sperrbezirk eingerichtet werden sollte oder nicht. „Doppelmoral“ sagten die einen, „Maßnahmen aus dem letzten Jahrhundert“ und „Diskriminierung der Prostituierten“ andere und wieder andere meinten, „dass Prostitution auf der Straße ein ganz schlechter Arbeitsplatz“ und deshalb unzumutbar sei.
In Dorsten wird dies gelassener gesehen, denn durch Dauerpräsenz der Behörden wird Frauen und Freiern massiv der Spaß verdorben. Daher hatte sich Dorsten nicht am Sperrbezirksantrag der Nachbarstadt beim Regierungspräsidenten Münster beteiligt. Im Dezember 2014 sollte das Verbot des Straßenstrichs im Städtedreieck Herten/Marl/Recklinghausen wieder aufgehoben werden. Man wollte dort keine Prostitution. Daher stellten die drei Städte beim Regierungspräsidenten Münster den Antrag auf weitere Sperrung des Straßenstrichs.
Verbot des ganzstädtischen Straßenstrichs in Dortmund nicht rechtens
Als die Stadt Dortmund das Stadtgebiet 2011 flächendeckend zum Sperrbezirk erklärte, klagte die Dortmunder Prostituierte Dani K. vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen das Land NRW und die Stadt Dortmund. Das Gericht hob 2013 das Verbot der Stadt auf und erlaubte weiterhin Straßenprostitution in Dortmund. Nur der alte Straßenstrich in der Nordstadt blieb geschlossen. Das Urteil gilt zwar nur für die Klägerin, hat aber eine Signalwirkung auf andere Städte. Der Richter stellte im Urteil fest, dass die Stadt Dortmund alternative Standorte für den Straßenstrich im Stadtgebiet nicht ausreichend geprüft habe.
Vertreibung der Prostituierten in Herten und Gelsenkirchen
Die Stadtverwaltungen Herten und Gelsenkirchen wollten einen zeitlich begrenzten Sperrbezirk an ihrer gemeinsamen Stadtgrenze einrichten mit dem Ziel, die Straßenprostitution entlang der Gelsenkirchener Straße zu verbieten. Während der Sommermonate sollten sich keine Prostituierten anbieten dürfen in der Zeit von 6 bis 22 Uhr und im Winter von 6 bis 20 Uhr. Auf dieses Vorgehen hatten sich die Stadträte von Herten und Gelsenkirchen als „notwendigen Zwischenschritt“ verständigt. 2011 standen die ersten zwei Prostituierten an der Gelsenkirchener Straße in Herten. Seither vergrößerte sich dieser Straßenstrich stetig. Einige Bürger wollten dies 2014 nicht mehr hinnehmen und luden zur Demonstration ein unter dem Motto „Straßenstrich – nein danke! Hertener Bürger wehren sich gegen den Straßenstrich!“. Aufgerufen wurde von drei Hertenerinnen über Netzwerke. Durch dauerhafte Protestaktionen sollten die Freier vertrieben werden, was den Prostituierten das Geschäft verderbe, so dass sie dann freiwillig verschwinden würden. Auch sollte durch diese Protestaktionen „dem Bürgermeister und allen Entscheidungsträgern mal ein wenig Dampf unterm Hintern“ gemacht werden. Rund 60 Bürger protestierten dann an dem 200 Meter langen Straßenstück an der Gelsenkirchener Straße. Nach einer Stunde waren die Demonstranten wieder weg, abends kamen die Prostituierten wieder. Allerdings mussten die Prostituierten diesen Straßenstrich Ende 2014 verlassen, denn dieser Bereich wurde zum Jahresende 2014 gerichtlich zum Sperrbezirk erklärt. Anders als in Herten, Marl oder Gelsenkirchen ist der Straßenstrich an der B 225 in Dorsten kein Sperrbezirk. Der harte Winter 2010/11 hatte zeitweise die Lust in dieser Jahreszeit „auf Eis gelegt“ („Sonntagsblatt“). Weniger als fünf Frauen gingen ihrem professionellen Freiluft-Geschäft noch nach. In wärmeren Jahreszeiten sind es bis zu 18 Frauen. Die Stadt Dorsten setzt eher auf Abschreckung durch stete Kontrollen als auf Verbote oder Hoffnung auf einen kalten Winter. Denn es dürfte für die Stadt schwer sein, an der B 225 juristisch einzugreifen, so lange die Damen den Verkehr nicht behindern.
Bezirksregierung Münster erließ eine Sperrgebietsverordnung
Ende Dezember 2014 beschloss die Bezirksregierung in Münster die Verlängerung der Sperrbezirksverordnung der Städte Recklinghausen, Marl und Herten an der B 225 bis Ende 2019. Die Bezirksregierung hatte erstmalig im September 2011 dem Antrag der Städte Marl, Herten und Recklinghausen auf Sperrgebietsverordnung im Städtedreieck an der Bundesstraße 225 „zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes“ zugestimmt. . Die Verordnung trat am 5. Januar 2015 in Kraft. Die Bezirksregierung Münster erklärte im Oktober 2015 Herten nur teilweise und nur tagsüber zur Verbotszone und bestätigte: Prostitution ist im Winter schon ab 20 Uhr erlaubt, im Sommer erst ab 22 Uhr.
Etablissements der Lust meist in Wulfen angesiedelt
In einem Haus an der Bismarckstraße war viele Jahre lang hinter heruntergelassenen Jalousien ein erotischer Club untergebracht. In Altwulfen wohnte eine Geschäftsfrau, die ein Bordell in der Essen Stahlstraße betrieb. Da Wulfen besonders verkehrsgünstig liegt, haben sich dort gleich drei Etablissements angesiedelt, wie in Wulfen-Wiki nachzulesen ist. An der Straße Beckenkamp 22 der „Partytreff“, seit 2012 der Swinger- und Pärchenclub „Villa Palazzo“ im Burenkamp 5 und das „Heavensgate“ am Swebenring auf der anderen Seite der B 58. An der Wienbachstraße 24 gab es von 2010 bis 2012 den „Club 24“, benannt nach der Hausnummer. Da es sich um Gewerbegebiete handelt, könnte die Stadt gegen die Ansiedlung nicht so leicht was unternehmen, wenn sie es wollte. Planungsrechtlich hat die Stadt Dorsten aber dafür gesorgt, dass sich nicht noch mehr Bordelle in Wulfen niederlassen.
Werbetafel für das Bordell wurde wieder abmontiert
Mitte 2010 wurde im Bereich der Einfahrt nach Barkenberg eine große Werbetafel für ein Bordell angebracht mit einem hinweisenden Pfeil, wo und zu welchen Tages- und Nachtzeiten das Amüsement in Barkenberg zu finden ist. Schon Wochen später wurde der Werbeblickfang wieder abmontiert. Offensichtlich hatten sich Bürger beschwert. Wenige Wochen später stand ein ähnliches Schild in Altwulfen auf Privatgrund an der Weseler Straße vor der Matthäuskirche, worüber sich Anwohner wiederum beschwerten und beide Lokalzeitungen – , damals gab es neben der DZ noch die WAZ – auf den Titelseiten große Berichte mit Fotos der Bordellwerbung brachten. Politiker, die das Thema in den Rat und die Ausschüsse bringen wollten, ließen ihre Kommentare bereits über die Zeitungen streuen. Anderntags entfernte die von dem Bordellbetrieb beauftragte Werbeagentur das Werbeplakat in Altwulfen wieder. Dazu ließ sich die Werbeagentur in der Lokalzeitung zitieren, dass in modernen Städten Werbeplakate für Bordellbetriebe mittlerweile gang und gäbe seien. „Deshalb konnten wir in Dorsten nicht mit so heftigen Reaktionen rechnen!“
Sexsteuer – Stadt verdient an der Prostitution mit
Die Finanznot der Stadt Dorsten veranlasste sie dazu, auch Bordelle steuerlich zur Kasse zu bitten und so an der Prostitution mitzuverdienen. Die Betriebe müssen pro Öffnungstag und je angefangene 10 qm an die Stadt eine besondere Vergnügungssteuer von drei Euro entrichten. Nach Schätzung der Verwaltung, ausgehend von vier Bordellen, könnten auf diese Weise jährlich Vergnügungssteuer-Einnahmen von fast 70.000 Euro zusätzlich erzielt werden. Der Stadtrat stimmte zu.
Die Möglichkeit dazu bot die Neufassung der Vergnügungssteuer-Satzung. Im bisherigen Vergnügungssteuer-Gesetz fehlte nämlich eine Regelung, die es erlaubte, diejenigen zu besteuern, die Räume für die Prostitution bereitstellen oder betreiben. Der Grund: Prostitution galt früher als kriminelle Handlung, die lediglich stillschweigend geduldet wurde. Kriminelle Handlungen, und das klingt rechtslogisch, sind nicht besteuerbar. Allerdings stellte sich ein Hindernis in den Weg. Beim Städte- und Gemeindebund hatte man bei der sehr kurzfristigen Erstellung der Mustersatzung diese Einnahme-Möglichkeit schlicht übersehen. Dorstens Stadtrat musste daher erst eine Ministerial-Genehmigung beantragen. 2009 urteilte das NRW-Oberverwaltungsgericht, dass die Sexsteuer eine neue Steuer sei, die einer besonderen Genehmigung bedürfe. Dorsten verabschiedete umgehend eine neue Satzung und ließ sie sich vom zuständigen Ministerium genehmigen. Daraufhin machte die Stadt bei Bordellbesitzern Sexsteuern rückwirkend ab 1. Januar 2010 geltend. Dagegen klagte ein örtlicher Bordellbetrieb. Das Verwaltungsgericht gab der Stadt Dorsten Recht. Der Kläger legte Berufung beim Oberverwaltungsgericht ein. Die Berufung wurde im Klagepassus der rückwirkenden Zahlung zugelassen. Das Berufungsgericht urteilte nun, dass die Stadt erst ab dem Zeitpunkt des erneuten Satzungsbeschlusses Steuern berechnen dürfe. Mittlerweile erheben in NRW über 40 Städte Sexsteuer, am teuersten sind die Abgaben in Gelsenkirchen.
Dorstens Verwaltung überschätzte die Sexsteuer-Einnahmen
Dorstens Bürgermeister und sein stets klammer Stadtkämmerer bekamen bald lange Gesichter. Denn ihre Schätzungen der Einnahmen waren überzogen. Vielleicht war die Freude am bezahlten Sex in Dorstenern doch nicht so groß, wie angenommen. Oder die Beschränkung der Betriebe hielt die Einnahmen dieser besonderen Vergnügungssteuer im unteren Bereich. Radio Vest berichtete am 12. März 2015: „Pro Jahr nimmt die Stadt Dorsten … aber nur 46.000 Euro ein – gerechnet hatte sie mit 20.000 Euro mehr. Anders sieht es in Recklinghausen aus. Dort sind die Einnahmen durch die Sexsteuer sogar höher als gedacht…“
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Quellen: DZ vom 23. September 2010. – „Marler Zeitung“ vom 8. Juni und 2. September 2011. – DZ vom 15. Februar 2014. – Radio Vest vom 12. März 2015. – Wulfen-Wiki.
Zitat: “Denn es dürfte für die Stadt schwer sein, an der B 225 juristisch einzugreifen, so lange die Damen den Verkehr nicht behindern…” Danke für ein Schmunzeln!