Von Helmut Frenzel
10. Juni 2016. – Als Anfang März das Mercaden seine Pforten öffnete, wurde von allen Seiten die Bereicherung hervorgehoben, die Dorsten mit dem neuen Einkaufszentrum erfahre. Die örtliche Kaufkraft werde stärker gebunden; Kunden aus der Umgebung würden angezogen und der innerstädtische Einzelhandel von einer höheren Besucherfrequenz profitieren. Viele Dorstener freuten sich auf die neuen Einkaufsmöglichkeiten. Dazu kam die allgemeine Erleichterung über das Ende der Großbaustelle und die damit verbundenen Einschränkungen im Straßenverkehr. Auch an die äußeren Dimensionen gewöhnten sich die Dorstener überraschend schnell. Es hätte schlimmer kommen können, hört man. Eine positive und erwartungsvolle Grundstimmung begleitete die Eröffnung. Entsprechend groß war das Interesse.
Erste Veränderungen in der Altstadt sind sichtbar
Jetzt, drei Monate später, hat sich das anfängliche Interesse gelegt und das ermöglicht eine erste Einschätzung der Auswirkungen auf die Einzelhandelslandschaft. Wie prognostiziert, hat die Lippestraße spürbar gewonnen, nach Jahren des Niedergangs eine erfreuliche Entwicklung. Ein steter Strom von Menschen, mal stärker mal weniger stark, bewegt sich über diese wichtigste Verbindung zwischen Stadtzentrum und Mercaden. Wie hoch der Anteil der auswärtigen Besucher ist, die ihr Auto im Mercaden parken und zu Fuß in die Innenstadt pilgern, ist nicht erkennbar. Unabhängig davon gilt: Eine höhere Frequenz ist nicht gleichzusetzen mit höheren Umsätzen der Anrainer-Geschäfte. An den Leerständen hat sich gegenüber früher bisher nicht viel geändert. Doch steht zu erwarten, dass sich nach und nach Mieter für die leerstehenden Ladenlokale finden werden.
Einen Verlierer scheint es auch schon zu geben und auch das war prognostiziert: Die Essener Straße, die schon zuvor unter hartnäckigen Leerständen litt, ist durch den Umzug der Postfiliale in das Mercaden, ferner durch die Geschäftsaufgabe der Unitymedia-Filiale und den (Wieder-)Leerstand des ehemaligen Hummels in einer Abwärtsspirale gefangen. Wenn der Schuhfachmarkt Deichmann, bislang der Ankermieter auf der Essener Straße, wie angekündigt im Herbst ins Mercaden wechselt und seinen jetzigen Standort aufgibt, dürfte das die Essener Straße noch weiter herunter ziehen. Die Entwicklung in der Recklinghäuser Straße hängt hauptsächlich an der Frage, ob toom sich gegen die Konkurrenz von Kaufland im Mercaden behauptet. Das werden die nächsten Monate zeigen.
Mercaden legte Anfang März einen misslungenen Start hin
Bleibt die Frage: Wie geht es dem Mercaden? Entgegen allen Erwartungen sieht es da nicht gut aus. Der Start des neuen Einkaufszentrums ist misslungen. Der Projektentwickler Herbert Krämer übergab dem Publikum ein halbfertiges Gebäude: überall Handwerker; hier Kabel, die aus Decken und Wänden ragten; da Aufzüge, die nicht funktionierten; Ladenlokale, in denen ganze Handwerker-Kolonnen an der Fertigstellung arbeiteten, und Baulärm, der die Geräuschkulisse der herein strömenden Besucher übertönte. Der Ankermieter Kaufland war bei der offiziellen Eröffnung nicht mit von der Partie, er machte seine eigene Eröffnung zwei Wochen später. Wer testete, wie es sich anfühlt, nach 20 Uhr seine Lebensmittel einzukaufen, der wurde auf einen weiteren Missstand aufmerksam. Bei einer Reihe von Geschäften, darunter ein Juwelier, fehlte die Abschließbarkeit: die anstelle von Schaufensteranlagen vorgesehenen Rollläden waren nicht vorhanden. Das schaffte ein Problem: Die Geschäfte schließen um 20 Uhr, während die Öffnungszeit bei Kaufland bis 22 Uhr reicht. Das Center Management musste Wachpersonal einsetzen und so dafür sorgen, dass die Besucher von Kaufland sich nicht an den Auslagen der verwaisten Geschäfte bedienten. Das Personal fand das nicht lustig.
Das zentrale Problem: Leerstände
Diese Unzulänglichkeiten, die man als Anlaufprobleme abtun könnte, waren nach einigen Wochen beseitigt – abgesehen von den Rollläden, die fehlen noch immer. Zwei Mieter sind inzwischen dazu übergegangen, ihre Ladenfront notdürftig mit weißen Vorhängen zu “verschließen”. Geblieben sind die vom Start weg vorhandenen Leerstände. Sie verbergen sich hinter bunt gestreiften Wänden oder sind kaschiert durch Platzhalter wie der Informationsstand des Center Managements, eine Reinigung, die sich auf die Annahme und Ausgabe von Wäschestücken beschränkt, ein Schlüsseldienst und ein Handyzubehör-Shop. Warum man sich nicht mehr Mühe gibt, die Leerstände durch 3D-Installationen zu verkleiden, wie es im Palais Vest praktiziert wird, ist ein Rätsel. Zum Umfang der leer stehenden Flächen macht der Betreiber keine Angaben; Schätzungen zufolge sind zwischen zwei- und dreitausend Quadratmeter Verkaufsfläche unvermietet. Daran hat sich seit der Eröffnung nichts geändert. Alles deutet darauf hin, dass der Projektentwickler Herbert Krämer entgegen seinen wiederholten Ankündigungen große Schwierigkeiten mit der Vermietung hatte und hat. Dazu passt, dass Beobachter sich wunderten, als im Spätherbst mehrere Wochen lang mehr oder weniger Stillstand auf der Baustelle zu herrschen schien, und es passen dazu auch die Gerüchte von Anfang des Jahres, Herbert Krämer streife durch die Innenstadt und versuche mit Lockangeboten Betriebe zum Umzug in das Mercaden zu bewegen. Dass sich Mieter erst sehr spät dazu entschieden, in das Mercaden einzuziehen, könnte auch die Verzögerungen bei der Fertigstellung der Geschäftslokale erklären.
Wie geht es also dem Mercaden drei Monate nach der Eröffnung? Der missratene Start und die Leerstände haben die Erfolgsaussichten des Center-Projekts spürbar beeinträchtigt. Die Besucherzahlen sind lange nicht auf dem Niveau, auf dem sie sein sollten. Da muss man nicht auf die beschönigenden Darstellungen des Center Managers hören, es genügt ein Blick auf die Parkflächen. Das Mercaden verfügt im Untergeschoss über gut 400 Stellplätze auf zwei Ebenen. Die untere Ebene wird praktisch nie angefahren, weil die obere für die Besucherzahl mehr als ausreicht. Dem entspricht auch die Verkehrssituation. Wer befürchtet hatte, nach der Eröffnung des Mercaden würden Ost- und Westwall durch die große Anzahl von Fahrzeugen mit Ziel Einkaufszentrum ständig verstopft sein, kann entspannen, denn davon ist nichts zu bemerken. Daran ändern auch die üblichen Übertreibungen nichts wie die kurz nach der Eröffnung vom WDR verbreitete Meldung, dass täglich 20.000 Besucher in das Mercaden strömten.
„Eigenattraktivität“ des Zentrums ist viel zu gering
Ist das Center-Projekt dabei zu scheitern? Viele äußern sich positiv, dass es den Drogeriefachmarkt Müller und den Supermarkt Kaufland nun auch in Dorsten gibt. Beide belegen zusammen mit einigen kleineren Anbietern von Lebensmitteln eine Fläche von 5000 Quadratmetern. Damit bilden die Sortimente mit Artikeln des täglichen Bedarfs den dominierenden Schwerpunkt des Angebots. Das ist untypisch für ein Einkaufszentrum. Einen Elektronik-Markt und eine Buchhandlung, die fast standardmäßig zu einem Einkaufszentrum gehören, gibt es dagegen nicht, weil an anderen Standorten in Dorsten bereits etabliert. Eine wichtige Säule, vielleicht die wichtigste für den Erfolg, ist die konzentrierte Anwesenheit von Mode-Labels. Aber genau diese sind im Mercaden unterrepräsentiert und bilden keinen eigenen Schwerpunkt. Spricht man mit jungen Leuten, ist die überwiegende Meinung: die jetzt vorhandenen Geschäfte aus den Bereichen Bekleidung und Schuhe reichen nicht aus. Das Angebot sei nicht attraktiv und entfalte keine Magnetwirkung. Die „Eigenattraktivität“ ist ein Schlüsselkriterium für den Erfolg eines Einkaufszentrums. Sie ergibt sich aus der großen Zahl der Geschäfte und der richtigen Gewichtung der Sortimente. Dabei spielt Mode eine entscheidende Rolle. Dass es nicht gelungen ist, weitere Labels für das Mercaden zu gewinnen, obwohl Herbert Krämer zweifellos alles daran gesetzt hat, das hinzukriegen, ist ein schwerer Schlag für das Einkaufszentrum: die Eigenattraktivität ist zu gering.
Wird die Vermietung der leer stehenden Verkaufsflächen gelingen?
Ihm ist selbstverständlich bewusst, dass sein Einkaufszentrum mit der derzeitigen Belegung nicht überlebensfähig ist, und er wird alles daran setzen, die Lücken zu füllen. Die Frage ist, ob das gelingt. Das Beispiel des Palais Vest in Recklinghausen lässt Zweifel aufkommen. Dort hat es der Betreiber nicht vermocht, den seit der Eröffnung vor eineinhalb Jahren vorhandenen Leerstand durch zusätzliche Mieter zu beseitigen. Aktuell kommt erschwerend hinzu, dass die Filialisten aus der Modebranche auf der Bremse stehen. Deren Geschäfte laufen trotz des allgemein guten Konsumklimas nicht so wie erwartet. Einige Modeketten haben einen Strategiewechsel eingeleitet und begonnen, die Anzahl ihrer Filialen zu verringern oder sie jedenfalls nicht mehr zu erhöhen. Das macht es nicht leichter, Mieter aus diesem Bereich zu verpflichten. Hinzu kommen die stagnierende Kaufkraft in der Region und der Umstand, dass Dorsten als 2b-Lage selbst keine hohe Attraktivität für potentielle Mieter besitzt. Die Leerstände sind deswegen ein ernstes Problem. Dass es trotz der langen Vorlaufzeit, trotz aller Anstrengungen und trotz unübersehbarer Kompromisse bei der Sortimentsgestaltung nicht gelungen ist, die Flächen im neuen Einkaufszentrum bis zur Eröffnung zu vermarkten, ist ja auch ein Urteil über die Erfolgsaussichten des Projekts und macht die Vermarktung künftig keinesfalls leichter. Warum sollte jetzt gelingen, was bis zur Eröffnung nicht gelungen ist?
Projektentwickler Herbert Krämer unter Druck
In diesem Zusammenhang ist ein anderer Aspekt von Interesse. In einem Artikel der „Kölnischen Rundschau“ von September 2015 wurde berichtet, Herbert Krämers hkm Management AG verliere zum 1. Oktober 2015 das Center Management für die von ihm errichtete RheinBerg-Galerie in Bergisch-Gladbach. Herbert Krämer hatte demnach 2010 das Einkaufszentrum im Zuge des Verkaufs an einen Fonds gemietet und auf eigene Rechnung bewirtschaftet. Es ist gut möglich, dass diese Konstruktion auch im Falle Dorstens gewählt wurde und die hkm Management AG vom Eigentümer des Mercaden, einer Tochter der Landesbank Hessen-Thüringen, das Objekt als Ganzes gemietet hat und dieses mit dem Recht der Untervermietung auf eigenes Risiko betreibt. Wenn dem so ist, dann steht Herbert Krämer unter einem sehr hohen Druck. Denn dass der aktuelle Vermietungsstand die Kosten deckt, ist wenig wahrscheinlich und das bedeutet, dass er Monat für Monat Geld verliert. Wenn sich das nicht schnell bessert, könnten die Leerstände für Herbert Krämer zur Existenzfrage werden. – Übrigens stand in dem Artikel der Kölnischen Rundschau auch, dass der Investitionsaufwand für das Einkaufszentrum in Dorsten 80 Millionen Euro betragen soll.
Experiment mit ungewissem Ausgang
Die mit der Eröffnung des Mercaden im Dorstener Einzelhandel herbeigeführte Lage ist von Instabilität gekennzeichnet. Die Erweiterung der innerstädtischen Verkaufsfläche um 40 Prozent ist dafür der Auslöser. Dass es nicht mehr nur Leerstände in der Innenstadt sondern auch im Mercaden gibt, – dort sogar relativ mehr als in der Innenstadt -, lässt einen sich verschärfenden Verdrängungswettbewerb erwarten. Wenn es Krämer nicht gelingt, Mieter von außerhalb Dorstens zu gewinnen, wird er versuchen, weitere Einzelhandelsgeschäfte aus der Innenstadt „herauszukaufen“ und zum Wechsel in das Mercaden zu bewegen. Der angekündigte Umzug von Deichmann wäre da nur eine Etappe. Das hieße dann, dass die immer wieder beschworene Bereicherung der Stadt durch das neue Einkaufszentrum mit der Verödung der Innenstadt bezahlt würde. Umgekehrt ist aber genauso denkbar, dass sich der Einzelhandel in der Innenstadt, und nicht nur dort, mittel- bis längerfristig behauptet. Dann würde das Mercaden endgültig zum Problemfall. Eine Entlastung durch reales Wachstum der Kaufkraft ist nicht zu erwarten. Der zu verteilende Kuchen wird nicht größer, eher das Gegenteil ist richtig. Das Ganze ist ein Nullsummenspiel. Was der eine an Umsatz gewinnt, das verliert der andere und umgekehrt. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Die mit dem neuen Einkaufszentrum realisierte Erweiterung der innerstädtischen Verkaufsfläche hatte nie eine wirtschaftlich fundierte Basis. Wenn Herbert Krämer nicht vor dem Weihnachtsgeschäft ein Befreiungsschlag gelingt, könnte am Ende das irrwitzige Ergebnis stehen, dass das Problem am Lippetor nur einen neuen Namen bekommen hat.
Jetzt müssen die Einzelhändler aber erst einmal die sommerliche Durststrecke überstehen. Das könnte für manch einen noch schwer werden.
Heute zum ersten Mal dieses neue Einkaufsgebäude betreten.Trostlos, ohne Seele. Durch den englischen 1€-Supermarkt wird keine Aufwertung zu erwarten sein. Armes Dorsten mit scheinbar stummen Bürgern.
Bürgerpark? Wozu soll denn das gut sein? Da verdient doch niemand was. Und die Stadt müsste sogar die ein oder andere Summe bereitstellen. Die Stadt mag ihre Bewohner nicht, richtig? Die Entscheider haben auch nie gelernt, die Bürger anders als als Melkkühe zu betrachten. Und die Herrschaften halten sich selbst tunlichst nicht in der mit ihrer Einwirkung vermurksten Stadt auf. Das Flanieren wurde dem Besucher der Innenstadt schon gründlich ausgetrieben; ein unbehagliches Gefühl beim Durcheilen der Straßen stellt sich prompt ein. Es ist aber keinen Versuch wert.
Vielen Dank für diese klare, sachliche und fundierte Analyse der Gesamtsituation. Nur schade, dass es nun zu spät ist. Eine einmalige Möglichkeit, die Lippetorfläche in einen Bürgerpark am Wassser zu verwandeln, ist vertan worden. Diese relative günstige Massnahme hätte womöglich die Attraktivität der Dorstener Innenstadt wie auch die Lebensqualität in der Stadt nachhaltig verbessert. Nun ist ein Betonklotz durch einen noch hässlicheren ersetzt worden, und es ist zu bezweiflen, dass die HKM Rückstellungen für einen eventullen Abriss gemacht hat. Also, wie beim Atlantis wird die Sache auf kurz oder lang an der Stadt hängen bleiben. Schade.
Seelenlose Architektur für noch einen Kommerztempel. Was soll der Mensch dort? Natürlich kaufen. Das ist zu plump und aufdringlich.
Mir tun die dort arbeitenden Menschen leid, die Stunde um Stunde auf die Kunden warten.