Von Helmut Frenzel
8. April 2016. – Vor einigen Wochen erschien in den „Ruhr-Nachrichten“ ein ausführlicher Bericht über die großen Verluste, die die nordrhein-westfälischen Kommunen bei Schweizer Franken-Krediten infolge des Kursanstiegs des Franken erlitten haben. Anlass war der erneute Kurssprung des Schweizer Franken Anfang 2015, der sich nun in den Jahresrechnungen der Kommunen widerspiegelt. Auch Dorsten gehört bekanntlich dazu. Die bisher aufgelaufenen Verluste der Stadt werden mit 42 Millionen Euro beziffert. Diese Zahl ging im Getöse um die Eröffnung des neuen Einkaufszentrums Mercaden unter, die am selben Tag stattfand. Die Reaktionen im öffentlichen Raum waren gleich null.
Der Gleichmut, mit dem die Dorstener Bürger – nicht nur in diesem Fall – die Nachricht von den exorbitant hohen Verlusten aufnehmen, ist bemerkenswert. Als vor einiger Zeit bekannt wurde, dass der Stadt durch Versäumnisse der Verwaltung im Bereich des Jugendamtes ein Verlust von bis zu 870.000 Euro droht, war Krise angesagt. Wie konnte das passieren? Das muss aufgeklärt werden! Eine Revision durch den Rechnungsprüfungsausschuss muss her. Wer ist verantwortlich? Welche Konsequenzen müssen gezogen werden? Der Fall wirbelte mächtig Staub auf. Der Rat befasste sich damit und die Dorstener Zeitung berichtete mehrmals darüber. Oder die Wichernschule. Ihr Fortbestehen hätte jährlich 156.000 Euro gekostet – ein im Vergleich lächerlich geringer Betrag. Doch das ging gar nicht, die Haushaltssanierung stand auf dem Spiel. Die Sache kochte hoch und brachte schließlich eine Bürgerbefragung hervor. Und nun? 42 Millionen verloren und – Friedhofsruhe!
Sind die Spekulationsverluste das Ergebnis höherer Gewalt?
Das ist keine Überraschung. Bürgermeister, Stadtkämmerer und Rat haben erfolgreich dafür gesorgt, die Spekulationsverluste aus der öffentlichen Wahrnehmung heraus zu halten. Das gilt insbesondere für den astronomischen Verlust von 13,4 Millionen Euro in 2010. Kaum jemand bekam das mit. Das Ausmaß der Spekulationsverluste wurde erst öffentlich, als im Januar 2015 ein nochmaliger Kurssprung des Schweizer Franken der Stadt einen neuen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe bescherte. Die Verwaltung wies sogleich jegliche Verantwortung von sich. Das war so nicht vorhersehbar. Die Geschäfte wurden doch in guter Absicht abgeschlossen, man hat die Stadt in ihrer schwierigen finanziellen Lage entlasten wollen. Niemand konnte damit rechnen, dass mit Krediten in Schweizer Franken jemals Währungsverluste entstehen. Schon gar nicht hatte man die Absicht zu spekulieren. Und vor allem: die Verluste sind gar nicht echt, es sind nur Buchverluste. Bald wird der Frankenkurs wieder auf das alte Niveau zurückkehren und alles wird gut. So lange wartet man halt. So oder so ähnlich lauteten die Parolen, mit denen die handelnden Personen jede Verantwortung von sich wiesen. Die Welle der Verluste war ein Naturereignis, wie ein Tsunami. Wo soll es da eine Schuld geben?
Dabei stellt sich die nahe liegende Frage: Ist es denkbar, dass durch Transaktionen der Verwaltung ein Vermögensschaden in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe verursacht wird, ohne dass es Verstöße der handelnden Personen gegen Amtspflichten oder die Grundsätze „ordentlicher Geschäftsführung“ gegeben hat oder gar der Straftatbestand der Untreue im Spiel ist? Wohl kaum. In dem Bericht der „Ruhr-Nachrichten“ ist die Rede von spekulativen Kreditgeschäften, vom Wechselkursrisiko, das immer bestanden habe, von spekulativen Zinswetten, und von Millionenbeträgen, die verspielt worden seien, und davon, dass die Kommunen sich verzockt hätten. Das alles im Einklang mit den geltenden Regeln? In einer Gemeinde wären demnach hohe Verluste bei Spekulationsgeschäften möglich, ohne dass die Akteure gegen ihnen obliegende Pflichten verstoßen oder sich der Untreue schuldig gemacht hätten? Das kann nicht sein.
Kreditgeschäfte in fremder Währung sind ihrem Wesen nach spekulativ
Umso erstaunlicher ist, mit welcher Hartnäckigkeit und Unverfrorenheit Bürgermeister und Kämmerer – die früheren ebenso wie die heutigen – darauf beharren, die Verwaltung sei nicht verantwortlich für die Verluste. Von Beginn an haben sie die Meinungshoheit hinsichtlich der Bewertung der Verluste übernommen und seither erfolgreich verteidigt. Dass das gelang hat Gründe.
Da ist zunächst die Behauptung, man habe nie die Absicht gehabt, mit der Aufnahme von Krediten in Schweizer Franken zu spekulieren. Währungsgeschäfte sind aber ihrem Wesen nach spekulativ, darüber besteht in der Fachwelt Einigkeit. Diesen Einwand spielte die Verwaltung mit dem Hinweis herunter, der Franken schwanke innerhalb einer schmalen Bandbreite von maximal sechs Prozent. Da sei das Risiko gering und von Spekulation könne keine Rede sein. Und doch war es Spekulation: Die Verwaltung spekulierte darauf, dass die Kursschwankungen sich in dem bisherigen Korridor fortsetzen. Sie blendete aus, dass die moderaten Kursbewegungen der Vergangenheit überhaupt keine Garantie waren, dass es dabei für alle Zukunft bleibt. Als nach 2008 der Franken-Kurs in die Höhe schoss, ließ die Verwaltung das Argument der geringen Schwankungsbreite fallen. Mögliche Ersparnisse durch die niedrigeren Schweizer Kreditzinsen traten in den Hintergrund und die Aussicht auf Kursgewinne rückte in den Vordergrund: Der hohe Frankenkurs wurde als Einladung wahrgenommen, jetzt erst recht Kredite aufzunehmen, denn wenn sich der Frankenkurs demnächst wieder abschwächt, wird man umso höhere Gewinne einfahren und so die erlittenen Währungsverluste mindern können.In einer Berichtsvorlage rechnete der Kämmerer Wolfgang Quallo den Mitgliedern des Haupt- und Finanzausschusses vor, wie hoch der Gewinn bei einem Kreditvolumen von 10 Millionen Schweizer Franken (CHF) sein könnte: bei einem Ankauf zu 1,25 CHF zu 1 EUR und einem Verkauf zu 1,45 winkt ein Gewinn von 1,1 Millionen Euro. Wer will da noch widerstehen! Es kann gar nicht schief gehen. Es war der ultimative, der todsichere Tipp, der schon so viele Glücksspieler ins Elend stürzte. Der plötzliche Kursanstieg des Franken ist ein Betriebsunfall, in Kürze wird der Kurs wieder auf das frühere Niveau zurückkehren, daran gibt es keinen Zweifel. Unter dieser Prämisse wurden in 2010 und 2011 noch Franken-Kredite in Höhe von 28 Millionen aufgenommen. Das war pure Spekulation. Und es kam ganz anders. Bei dem heutigen Kurs von etwa 1,10 liegen auch diese beiden Kredite mit 5 Millionen Euro im Minus. Über die letzte Erhöhung der Franken-Kredite in 2011 wurde der Haupt- und Finanzausschuss nicht explizit unterrichtet.
Währungsverluste für nicht echt erklärt – doch der Bürger zahlt längst dafür
Dann weiter. Wer sich allen Beschwichtigungen zum Trotz um die Franken-Geschäfte sorgte, dem wurde entgegen gehalten: Die Währungsverluste sind nicht echt. Gemeint war damit wohl und so sollten es die Bürger verstehen: Es gibt sie eigentlich nicht. Daran stimmt, dass die Kredite zu dem verlustträchtigen Frankenkurs nicht zurückgezahlt und die Verluste bisher nicht in bar realisiert wurden, nicht liquiditätswirksam sind. Es ändert aber nichts daran, dass nach den geltenden Bilanzierungsregeln die Währungsverluste gebucht werden müssen, und so ist es auch seitens der Verwaltung ausnahmslos gehandhabt worden. In der Konsequenz haben die Währungsverluste nicht nur zum Verzehr des Eigenkapitals der Stadt beigetragen, sondern längst sind sie in den Haushaltssanierungsprozess eingeflossen und längst zahlen die Bürger dafür. Aber den Bürgern ist das nicht bewusst, sie halten – wie übrigens auch viele Ratsmitglieder – die Währungsverluste noch immer für nicht echt, obwohl sie längst dafür in Haftung genommen werden.
Systematische Verschleierung gegenüber der Öffentlichkeit
Mit diesen beiden Argumenten wurden die Wenigen ruhig gestellt, die überhaupt etwas mitbekamen. Dass es so Wenige waren, hat damit zu tun, dass Verwaltung und Rat alles unterließen, was zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Unruhe hätte führen können. Das war kein Versehen, sondern System. Die Informationen über die Währungsverluste blieben auf den kleinen Zirkel der Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses beschränkt. Die in der Gemeindeordnung vorgeschriebene Unterrichtung des Rates über eine „wichtige Angelegenheit“ unterblieb. In keiner der Haushaltsreden zur Einbringung und Verabschiedung der jährlichen Haushalte wurde je ein Wort darüber verloren. In den Präsentationen für den Rat und auch in Veranstaltungen für die Allgemeinheit wurden die um die Währungsverluste gestiegenen Kreditverbindlichkeiten konsequent verschwiegen. Anders als es die Gemeindeordnung vorschreibt, wurden die Spekulationsverluste vom Rat nicht nachträglich genehmigt. Doch für einen Außenstehender gab es keinen Anlass, die angebotenen Zahlen anzuzweifeln. Die Vertuschung flog erst auf, als mit mehrjähriger Verspätung die Jahresabschlüsse 2009 und insbesondere 2010 im Rat vorgelegt wurden. Da fiel schnell auf, dass die Kreditverbindlichkeiten infolge der Aufwertung des Franken sehr viel höher lagen als zuvor in den Präsentationen des Kämmerers ausgewiesen, und wer nach den Ursachen suchte, stolperte alsbald über die riesigen Währungsverluste. Aber das war im vierten Jahr nach dem desaströsen Verlust von 2010, da war das schon irgendwie Schnee von gestern. Dass die Jahresabschlüsse mit so großer Verspätung fertig gestellt wurden, rechtfertigte die Verwaltung stets damit, man habe kein mit dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement erfahrenes Personal gefunden, und auch damit, die Stadt habe in ihrer Finanznot kein Geld für neues Personal ausgeben wollen. Mit Blick auf die brisanten Enthüllungen, die die Jahresabschlüsse offenbarten, ist man geneigt, an einen ganz anderen Grund für die Verzögerung zu denken: Die verspätet vorgelegten Jahresabschlüsse kamen der Verwaltung äußerst gelegen.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Bürger nicht aufbegehren. Sie vertrauen noch immer den politischen Akteuren und diese verteidigen weiter ihre Meinungshoheit in der Sache, die da lautet: Uns trifft keine Schuld.
Mit hochriskanten Swap-Geschäften Verluste in die Zukunft verlagert
Bisher war nur von den Verlusten bei den Schweizer Franken-Krediten die Rede. Aber da sind noch die Derivate. Wir beschränken uns im Folgenden auf jene Swaps, die die Stadt bis heute in den Büchern führt. Swaps sind finanztechnische Konstrukte, bei denen Geldsummen zu unterschiedlichen Zinssätzen oder in unterschiedlichen Währungen getauscht werden, manchmal beides zugleich. Am Ende der Laufzeit müssen die Beträge in der jeweiligen Währung zurückgetauscht werden. Es sind Konstrukte, für die einem Normalbürger jegliches Verständnis fehlt. Wenn Währungskredite den Fall des „gewöhnlichen“ Glücksspiels repräsentieren, dann sind Swap-Geschäfte der Gefahrenklasse mit dramatisch erhöhten Risiken zuzuordnen. Dorsten ist mit zwei Transaktionen dabei. Die eine ist ein Währungsswap („Euro-Swissy“) und steht im Zusammenhang mit einem Kredit über 7,1 Millionen Euro. Die andere, ein „kündbarer Forward Zahler-Swap“, ist die Inkarnation eines von jeglichen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Überlegungen losgelösten Spekulationsgeschäfts. Es handelt sich um einen Zinsswap ohne Bezug zu einem Kredit, das bestätigte die Verwaltung auf eine entsprechende Anfrage. Das Volumen der getauschten Geldbeträge beträgt 25 Millionen Euro. Die Laufzeit beginnt 2033 und endet 2053. Obwohl das Geschäft, vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gerechnet, erst nach 20 Jahren beginnt, sind von Beginn an Verluste eingetreten. Trotz mehrfacher Rückfragen an die Verwaltung bleibt zweifelhaft, ob die Bedingungen beider Geschäfte vollständig offen gelegt wurden. Ein solches Risiko-Geschäft abzuschließen, das nicht nur weit über die Amtszeit sondern auch weit über die Lebenserwartung der Akteure hinaus reicht, ist nicht verantwortbar und definitiv unmoralisch. Und das nur, um die schon eingetretenen Verluste nicht eingestehen zu müssen. Die Realisierung absehbarer Verluste wurde einfach in eine ferne Zukunft verschoben.
Beiden Swap-Geschäften ist gemeinsam, dass sie abgeschlossen wurden, um zwei Vorgänger-Swaps abzulösen, die bei der bevorstehenden Fälligkeit jeweils einen liquiditätswirksamen Verlust in Millionenhöhe bewirkt hätten. Dies wäre ein schwerer Schlag gegen das Mantra von den nicht echten Spekulationsverlusten gewesen und sollte deswegen wohl verhindert werden. Die Wahrheit ist allerdings, dass mit den Folgegeschäften die Verluste bei beiden Swaps sich inzwischen verdoppelt bis verdreifacht haben. Der „Euro-Swissy“ dürfte Ende 2015 mit drei Millionen Euro im Minus liegen. Für den „Zahler-Swap“ betrugen die Rückstellungen (gleichbedeutend mit Verlusten) Ende 2013 zwei Millionen Euro. Neuere Zahlen wird man in der Haupt- und Finanzausschusssitzung in zwei Wochen erfahren.
Nachgenehmigung vom Rat regelrecht erschlichen
Hinsichtlich der Kenntnis der Bürger um diese Geschäfte gilt, was schon zu den Währungskrediten gesagt wurde. Die näheren Einzelheiten der Swap-Geschäfte und die Verluste wurden nach allen Regeln der Kunst vertuscht. Das geht so weit, dass Bürgermeister Tobias Stockhoff sich die Nachgenehmigung des Währungsverlustes bei dem „Euro-Swissy“ für den Jahresabschluss 2013 vom Rat regelrecht erschlichen hat. Der Hergang wurde in einem Artikel in DORSTEN-transparent ausführlich dargestellt und ist bisher unwidersprochen (Aufgedeckt: Spekulatives Zinsgeschäft der Stadt verursacht neuen Millionenverlust…). Dass es überhaupt – erstmalig – zur Nachgenehmigung eines Spekulationsverlustes kam, ist nur einer Intervention des Verfassers dieses Artikels zu verdanken.
Ausstieg wäre möglich gewesen – Verwaltung entschied sich anders
Die beiden Derivate zeigen: Es war die freie Entscheidung der Verwaltung, die Alt-Geschäfte durch neue Derivate mit höheren Risiken abzulösen. Die Verwaltung hätte die Verträge auslaufen lassen und die zum Ende der regulären Laufzeit anfallenden Verluste begleichen können. Für die Stadt wäre das die kostengünstigere Lösung gewesen. Denn dass der Vertragspartner, mutmaßlich die WestLB, nicht auf die Gewinne aus den Alt-Geschäften verzichten würde, sondern sie sich in den Nachfolgeverträgen mit einer zusätzlichen Risikoprämie zurückholen und sichern würde, muss jedem klar gewesen sein. So ist es keine Überraschung, dass die neuen Derivat-Geschäfte von Beginn an im Minus waren. Entsprachen diese Entscheidungen dem Gebot einer „ordentlichen Geschäftsführung“? Darf die Führung einer Stadt solche Risiken eingehen, für die am Ende die Bürger haften müssen? Vor allem aber der „Zahler-Swap“: Ohne Bezug zu einem Kredit geht es um Spekulation pur. Hier drängt sich der Verdacht der Untreue geradezu auf. Auch bei den Schweizer Franken-Krediten gab es die Option, die Verluste zu begrenzen. Die Kreditaufnahmen in 2010 und 2011 von 28 Millionen Franken waren eindeutig von der Spekulation auf Kursgewinne getrieben. Die Zinsersparnis spielte keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Waren die Entscheidungen der Verwaltung in einer instabil gewordenen Finanzwelt noch verantwortbar – insbesondere unter dem Eindruck der hohen Beträge, die schon verloren waren?
Wie Verschuldung und Wiederwahl zusammenhängen
Im Rückblick zeigt sich dieses Bild: Die Strukturkrise, die durch die Schließung der Zeche Fürst Leopold in 2001 ausgelöst wurde, führte zu einer zunehmenden Verschlechterung der Haushaltslage. Anstatt darauf mit Strukturreformen, Einnahmeerhöhungen und Sparmaßnahmen zu antworten, entschied sich der damalige Bürgermeister Lambert Lütkenhorst für den Schuldenkurs. Ein harter Sanierungskurs wäre möglicherweise auf die Ablehnung der Bürger gestoßen und hätte so die Chancen der Wiederwahl geschmälert. Also Weitermachen und die Haushaltslöcher mit Schulden finanzieren. „Mit Schulden hat noch niemand eine Wahl verloren“, war die Maxime von Lambert Lütkenhorst (Zitat aus der Rede von Lambert Lütkenhorst zur Einbringung des Haushalts 2012 am 25. Januar 2012). Eine Schuldenexplosion, wie Dorsten sie gesehen hat, wäre unter regulären Umständen früh an den rasant steigenden Zinszahlungen gescheitert. Aber da gab es einen Ausweg: Kredite in Schweizer Franken waren deutlich kostengünstiger als Euro-Kredite. Es war die griechische Lösung. Durch Beitritt zum Euro bekam die griechische Regierung Zugang zu zinsgünstigen Krediten. Diese ermöglichten es, die Verschuldung fortzusetzen und dringend notwendige Reformen zu vermeiden. Wohin das im Falle Griechenlands führte, ist allgemein bekannt. In Falle von Dorsten waren es die günstigeren Zinsen bei Schweizer Franken-Krediten, die den Weg in die ungebremste Verschuldung ebneten – um den Preis des Währungsrisikos. Für Bürgermeister Lambert Lütkenhorst ging die Rechnung auf: Er wurde zweimal wiedergewählt.
Der Rat der Stadt schaffte einen Rahmen zur Aufnahme von Frankenkrediten bis zur Höhe von 50 Prozent der kurzfristigen Kredite. Aber das war zweifellos keine Lizenz für Risikogeschäfte und auch keine Vorweg-Genehmigung künftiger Verluste. Die Finanzentscheidungen innerhalb des beschlossenen Rahmens lagen in der alleinigen Verantwortung der Verwaltung unter Beachtung der Amtspflichten und der Grundsätze einer „ordentliche Geschäftsführung“, die das Eingehen nicht verantwortbarer Risiken ausschließen. Bis 2008 funktionierte das „Geschäftsmodell“ mit den Franken-Krediten ganz gut und mit den Derivaten leidlich.
Die Finanzkrise setzte dem ein Ende. Das Geschäftsmodell funktionierte nicht mehr. Nachdem die ersten Verluste eingefahren waren, darunter insbesondere der Verlust des Jahres 2010 mit 13,4 Millionen Euro, wurde es immer schwerer auszusteigen. Aber war es in der dramatisch veränderten Lage der Finanzmärkte verantwortbar, das Volumen der Franken-Kredite noch zu erhöhen? Jetzt wurden die fragwürdigen Transaktionen nicht mehr gemacht, um Zinsen zu sparen, sondern in dem unerschütterlichen Glauben, dass der Schweizer Franken alsbald fallen und die dann erzielbaren Gewinne die Akteure auf Seiten der Stadt aus ihrer selbst verschuldeten und höchst ungemütlichen Lage heraus bringen werden. Und es wurden Swap-Geschäfte neu abgeschlossen mit dem alleinigen Ziel, die drohenden Verluste der Vorgängergeschäfte nicht in bar ausgleichen zu müssen und etwaige Verluste in die Zukunft zu verlagern. Dieser Ansatz ist, wie sich herausgestellt hat, gründlich schief gegangen – zu Lasten der Bürger. Die unmittelbar Verantwortlichen sind hingegen ungeschoren davon gekommen. Bisher hat es jedenfalls keine Konsequenzen gegeben. Wo in der privaten Wirtschaft die Verantwortlichen längst ihre Ämter verloren hätten, bekleiden die an den riskanten Entscheidungen beteiligten Personen in Rat und Verwaltung ihre Ämter weiter oder erfreuen sich ihrer ungeschmälerten Pension. Das ist schwer zu ertragen.
Rat zeigt kein Interesse an Aufklärung der Vorgänge
Die Vorgänge sind komplex, es gibt viele Aspekte und viele Details, es gibt Für und Wider. Die bisherige Beschreibung ist keineswegs erschöpfend. Noch sind nicht alle Umstände um die besonders dubiosen Swap-Geschäfte bekannt. Gab es ein Fehlverhalten der Verantwortlichen? Bei dem Ausmaß der eingetretenen Verluste muss diese Frage gestellt und beantwortet werden. Anderswo würde man einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung einsetzen. Dies könnte nur der Rat tun, aber der hat bisher keine Bereitschaft zur Aufklärung gezeigt. Warum auch? Wenn es ein Fehlverhalten gab, dann stellte sich ja auch die Frage, ob der Rat seiner Kontrollpflicht gegenüber der Verwaltung nachgekommen ist, wie es die Gemeindeordnung verlangt. Wie ein Mühlstein hängt dem Rat zudem am Hals, dass er die Spekulationsgeschäfte mitgetragen oder doch geduldet hat, jedenfalls nicht eingeschritten ist, als die Risiken unübersehbar wurden. Der als Schulterschluss der Ratsfraktionen gefeierte Konformismus hat der Stadt schweren Schaden zugefügt. Eine Opposition in der Sache hätte eine ernsthafte Auseinandersetzung erzwungen, aber die gab es nicht. An den Schaltstellen im Rat sitzen heute weiter dieselben Personen, die seit 2009 dem Treiben der Verwaltung zugeschaut haben. Der heutige Bürgermeister Tobias Stockhoff war in der fraglichen Zeit Mitglied des Haupt- und Finanzausschusses und gehörte damit zu dem kleinen Zirkel von Personen, die überhaupt etwas von den Verlusten erfuhren. Woher soll da der Wille zur Aufklärung kommen? Und überhaupt, jetzt schmutzige Wäsche waschen – das wirft doch nur ein schlechtes Licht auf Dorsten, wer will das denn? Nein, der Rat wird nichts zur Aufklärung der Vorgänge tun. Und der Bürger, der die Rechnung bezahlt, hat nach der Gemeindeordnung kein Recht, am Rat vorbei eine unabhängige Untersuchung zu erzwingen.
Das letzte Mittel zur Aufklärung: Wann kommt der Staatsanwalt
Für eine unabhängige Aufklärung bleibt nur eine Stelle: die Staatsanwaltschaft. Sie muss sich der Sache annehmen. Die zivilrechtliche Seite der Spekulationsgeschäfte ist in mehreren Gerichtsverfahren bis hin zum Bundesgerichtshof umfassend durchleuchtet worden. Nicht jedoch, soweit bekannt, die strafrechtliche Seite. Ohnehin ist diese in jedem Einzelfall gesondert zu untersuchen. Fakt ist: Es ist der Stadt Dorsten ein gewaltiger Vermögensschaden durch Handlungen der Verwaltung entstanden. Es gibt ausreichend Hinweise, die einen Anfangsverdacht der Untreue begründen. Selbst wenn am Ende eines etwaigen Ermittlungsverfahrens das Ergebnis stehen sollte, dass es kein Fehlverhalten gab, ist eine unabhängige Aufklärung unbedingt erforderlich – für die politische Hygiene und als Signal an die Kommunalpolitiker: auch für sie gilt, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie sich etwas zuschulden kommen lassen.
Dass viele klamme Kommunen ähnliche Spekulationsgeschäfte gemacht haben, legalisiert Fehlverhalten nicht – frei nach dem Motto: das haben doch viele andere Kommunen auch so gemacht. Bei den Steuerhinterziehern, das waren mutmaßlich viele Tausend, war das auch kein Grund für die Staatsanwaltschaften wegzuschauen.
Solange die Verantwortlichen für die Verluste nicht haften, machen sie lustig weiter. Zocken ohne die Konsequenzen zu tragen macht doch Spaß. Bereits vor ca. 3 Jahren habe ich den damaligen Bürgermeister auf die Spekulationsverluste angesprochen, er redete aber alles klein. Es wär doch wenigstens eine Entschuldigung an die Dorstener Bürger fällig, da diese die Verluste durch höhere Steuern bezahlten müßen.
Ein komplizierter Sachverhalt wurde verständlich beschrieben.
Sich als Bürger damit zu beschäftigen, gehört sicherlich im eigenen Interesse (Steuerzahler) zur Pflichtaufgabe.
Sich als Kommunalpartei, egal welche Farbe sie trägt, damit kritisch/selbstkritisch auseinanderzusetzen, würde ich auch als Pflichtaufgabe bezeichnen.
Ich denke, dass das Sprichwort von den “langsam mahlenden Mühlen” an dieser Stelle passend sein kann.
Das ist doch ein Fall für “Mario Barth deckt auf”.
Als ich Anfang 2015 allein durch ein paar Eckdaten errechnet habe, wie viel Verlust über Nacht entstanden ist ohne wirklich tief in der Materie zu stecken, hatte ich mich mit der Bitte um Recherche an die Dorstener Zeitung gewandt, darauf erfolgte ein Interview mit der Stadtverwaltung. Danach hiess es dann in der Zeitung, niemand habe sich verzockt und es wurde heruntergespielt. Jetzt wird aber genau das in den Ruhr Nachrichten (=Dorstener Zeitung) geschrieben, lustig und schon komisch, dass es überhaupt keine Konsequenzen hat, ausser dass die Bürger die Verluste mit höheren Gebühren bezahlen müssen.