25. März 2016. – Es ist nun drei Jahre her, da starb unser Freund Magnus Kremser völlig unerwartet auf dem Operationstisch. Die Nachricht an jenem 30. März 2013, es war ein Ostertag, erschreckte. Erschreckte auch deshalb, weil wir es als Selbstverständlichkeit ansahen, dass es ihn, den 55-Jährigen gab. Und jetzt war diese Selbstverständlichkeit zerbrochen. Es gibt immer wieder Anlässe, an ihn zu denken. Jeder für sich, wie sich irgendwann in einem Gespräch über ihn herausstellte. Magnus Kremser kannten viele. In Rhade genauso wie in Lembeck, in Wulfen und in der Altstadt, in der SPD und in vielen Organisationen und Vereinen. Dies und unsere gemeinsamen Erlebnisse, das Zusammensitzen an lauen Sommerabenden mit gutem Essen und Trinken, wenn Magnus zur Gitarre sang, sind Grund für uns, über ihn öffentlich reden. Und die engagierten Diskussionen, die wir führten, denn mit seinen Argumenten und Ansichten schwamm er oft gegen den Strom. Das war spannend.
Soldat, Großkunden-Berater, Goethe-Fan und Seemann
Wir, das war vor 15 Jahren der „Goethe-Stammtisch“ mit samstäglichen Treffen am Markt und Veranstaltungen im Alten Rathaus. Im Jahr 2000 brachten wir am Marktbrunnen eine Goethe-Tafel an. Zur Gruppe gehörten die Ehepaare Frenzel und Mai, Margret Scheich, Ratsmitglied Petra Somberg-Romanski, Wolf Stegemann, Günter Vonhoff, Altbürgermeister Karl-Christian Zahn und eben Magnus Kremser, manchmal auch der Verleger Franz-Josef Kuhn aus Essen. Die Reihen haben sich inzwischen gelichtet, den Stammtisch gibt es nicht mehr. – Magnus, Soldat gewesen, auch in der Flugabfertigung gearbeitet, dann gelernter Kaufmann, kannten wir als einen immer beschäftigten Mann. Viele Jahre war er für Büro-Drucker-Hersteller unterwegs und beriet Großkunden. Dabei fand er immer wieder Zeit, seine Leidenschaft als „Seemann“ auszuleben, wenn er für seine Kunden Yachten überführte oder einfach nur dabei war.
Ein begeisteter Sammler von kleinen, großen und ganz großen Stofftieren
Er war belesen und vielseitig interessiert: an der Tagespolitik, der Lokalpolitik, an Sozialem. Magnus war sehr sozial eingestellt und in vielen Projekten ehrenamtlich tätig: im Heimatverein Lembeck und als Museumswart, im Männerkreis der evangelischen Kirchengemeinde Wulfen, in der Barkenberger Arbeitslosenhilfe, er unterstützte den Streetworker Pater Pauly und weitere Initiativen. Dennoch hatte er Zeit für sich und uns. Magnus kochte gut und mit Begeisterung. So manches Mal hat er uns etwas Wunderbares mit vielen Gängen gekocht, wie köstliche Ziege oder Kaninchen in Cidre. Und er achtete höchst aufmerksam darauf, dass wir anschließend seine tollen japanischen Messer oder Pfannen nicht mit Spüli spülten. Wir taten es dennoch, hatten Spaß dabei, und Magnus ließ uns von da an nicht mehr in seine Küche. Petra Somberg erinnert sich gerne an seine Begrüßungs- und Abschiedsumarmungen: „Keiner konnte so schön weich und fließend einhüllend umarmen wie Magnus!“ Dabei blieb die so beschriebene Umarmung stets angemessen. Sie erinnert sich auch noch schmunzelnd an ein weiteres Hobby, wenn sie sagt: „Er war der einzige Mann, den ich kannte, der eine Stofftiersammlung hatte, unter anderem einen Esel mit einem menschlichen Gebiss. Das hatte er seinem Zahnarzt abgeschwatzt.“
Frische Fische auf dem Teller haben es ihm angetan
Wir besuchten Kunstausstellungen und machten Tagesausflüge in irgendwelche Museen zwischen Wesel und Düsseldorf oder nur Stadtbummel in Köln oder Amsterdam. Gern fuhr er auch an die Nordsee, wo er auf dem Wege dorthin ein Fischlokal kannte, in dem man gut Muscheln essen konnte. Da fuhren wir des Öfteren hin. Und wen trafen wir dort gleich zweimal in Motorradmontur? Bernhard Krass, den früheren Bürgermeister von Schermbeck, der dort auch gerne Muscheln aß. Fischessen möglichst nah am Wasser hatte es ihm angetan. In Hamburg machten wir Hafenrundfahrten, in Scheveningen aßen wir an der Strandpromenade Fisch, in Rees am Rhein ebenso wie in Xanten. Er aß aber auch Fisch in Haltern am See. Vor einem Fischgeschäft in der Nähe des Marktplatzes. Kremser lebte aber auch vom Fleisch und kreierte ein Rezept, dass er online bei den „Chefköchen“ veröffentlichte: Für kühle und kalte Tage gegartes Bauchfleisch mit einer Steckrübe, Pfeffer, halbfeste Kartoffeln und einem Lorbeerblatt.
Auch dem Schreiben von Gedichten galt seine Leidenschaft
Ja, die Lorbeerblätter. Die hätte er als Literat gerne auf dem Kopf gehabt. Vielleicht hätte es geklappt, denn er arbeitete bis zu seinem Tod recht intensiv an seinen Manuskripten und hätte seinen Segeltörn ums Kap Hoorn, mit der er sich 2001 einen Traum erfüllte, gerne als Buch gesehen. Das schaffte er nicht mehr. Von dieser Reise wusste er viel zu erzählen – und erst recht zu schreiben. Doch da haperte es bei ihm ein wenig. Magnus Kremser wäre nicht Magnus Kremser, wenn er auf Beratung, um die er nachgefragt hatte, auch gehört hätte. Aber so war er. Er war ein ebenso liebenswerter wie beratungsresistenter Mensch.
Arbeitslosen den Weg in die Selbstständigkeit geebnet
Nachdem er sich als Unternehmensberater selbständig gemacht hatte, wussten seine Freundlichkeit auch die zu schätzen, denen er als Geburtshelfer für eine Existenzgründung zur Seite stand, oder die Kleinunternehmer, die er beriet. Das war mitunter sehr mühevoll für ihn. Doch es gelang ihm immer wieder, arbeitslosen Menschen den Weg in die Selbstständigkeit zu ebnen. Dazu hatte er ein Büro an der Borkener Straße in Holsterhausen zwischen Burger King und Injoy. Die „Dorstener Zeitung“ schrieb:
„Der eine wartet mit seinem VIP-Taxi vor dem Vier-Sterne-Hotel auf Musikgruppen oder Geschäftsleute. Nicht lange, sein Edel-Karossen-Service ist stark gefragt. Der andere erbaut erfolgreich Messestände. Ein Dritter verdient gutes Geld mit chinesischer Medizin und auch die Mietköchin und die Fußpflegerin stehen geschäftlich auf sicheren Füßen. Das sind nur einige Beispiele von Leuten, denen Kremser geholfen hat, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Von seinen 85 Beratungen der letzten drei Jahre haben rund 35 % zu einem nachhaltigen Erfolg geführt, freut sich der 52-Jährige, das ist eine außerordentlich gute Quote, wie die Bundesanstalt für Arbeit bestätigt.“
Der „Dorsten-Blues“, eine Liebeserklärung an Dorsten
Magnus nahm sich auch Zeit für eine weitere aktive Leidenschaft, die Musik. Er liebte den Blues und textete mit dem „Dorsten Blues“ eine Liebeserklärung an „unsere kleine Hansestadt an der Lippe“. Die Noten schrieb Musik-Partner Rolf Olland. Es war ein rhythmischer Song mit einer eingängigen Melodie. Die Life-Uraufführung war eine Veranstaltung der Frauenkulturtage 2012. Magnus freute sich und meinte schelmisch, dass Kultur ganz ohne Männer doch nicht gehe. Seinen Dorsten Blues widmete er allen Heimkehreren in die Stadt und denen, die noch heimkehren werden:
1) Hab viel Andres gesehn, war auch schon mal am Pol
traf immer ganz viele Menschen, fühlte mich oft auch wohl
doch war es nie Heimat, will zurück und ich tu´s
denke ich dann an Dorsten, krieg ich den Dorsten Blues
2) Unsere Stadt an der Lippe, unser Bad im Kanal
unser Markt ohne Bäume, Feten im Kneipensaal
schmusend saßen wir als Pärchen, dunkel war´s Hedoli
so vieles ist heut nicht mehr, doch Erinn´rung stirbt nie
3) Unser Feldmark und Hervest, Holsterhausen und Hardt
alle Dörfer und Altstadt, tief im Herzen verwahrt
Lippetal stand für Kirmes, und jetzt ist´s wieder so
Durch den Pott bis zum Nordrand, nee, watt binnich gezz froh
Refrain: Mir fehlt mein Dorsten, will (zurück) in meine Stadt
will nicht mehr in die Ferne, hab das Fremde so satt
ich will dahin, wo ich spielte als Kind
ich will nach Dorsten, wo die Kumpels noch sind
Sein großer Traum: Einmal mit dem Boot um Kap Hoorn gesegelt
Das Schreiben war für ihn Passion. Er schrieb haufenweise Leserbriefe an Zeitungen, mischte sich mit Kommentare in dies und jenes ein, schrieb Gedichte und Kurzprosa, mochte keine Kritik, schrieb als zeitweiser Pressesprecher der SPD Stellungnahmen – und über seine großen Segelreisen, ob ins Eis oder in die Sonne zum Kap Hoorn. Hier ein Auszug, in dem er den Moment beschreibt, als er am Kap die beiden Ozeane in einem Blick hatte, was ihn sichtlich bewegte:
„Wir standen vor einer blauen, leicht zerfleddert aussehenden Wellblechhütte. An der Frontseite, welche man nach dem Aufstieg als erstes sieht, ein weißes Schild mit den Worten ,CAPE HORN’, und drumherum auf das blaue Wellblech gemalt ein Leuchtturm, ein Albatros und ein Pinguin und die Begrüßungsworte in schwarzen Buchstaben „Bienvenidos Isla Cabo de Hornos“. Direkt darunter standen die blauen Abfalltonnen. Eine seltene Symbiose. Man darf bestimmte Dinge halt nicht so eng sehen und irgendwie mussten diese Tonnen ja auch runtergeschafft werden zum Abtransport mit den Marineschiffen. Und das ging halt nur über diese eine Treppe. Auf jeden Fall war das der Ort für unsere Begrüßungsphotos. Es war der 26. November 2001. Wir standen auf dem Plateau der Isla Hornos und schauten von dieser Seite nur auf den Atlantik. Beide Ozeane gleichzeitig sahen wir dann auf der Höhe des Leuchtturmes. Und jetzt wollten wir endlich auch das Kap von oben sehen. Um dahin zugelangen, hat die chilenische Marine flache Holzstege über das Plateau gebaut um die Pflanzen zu schonen. Über diese Stege liefen wir zuerst zu der kleinen Hausansammlung. Auf dem Kap gibt es ein Wohnhaus, die Generatorstation in einem Nachbargebäude, einen Souvenirshop, ein Vorratshaus, einen niedrigen Leuchtturm und eine Kapelle. Das Wohnhaus natürlich wieder mit einem blauen Dach (siehe Beschreibung Pto. Williams), Der Anbau war in rot-orange gedeckt und der Rest in Blechnaturfarbe. Vor den Gebäuden stand noch ein Flaggenmast, an dem an diesem Tag allerdings keine Flagge wehte.“
Mit dem Mikrofon, der Gitarre und dem Verstärker unterwegs
Bis zuletzt arbeitete Magnus für den Hertener Bürgerfunk. Dort interviewte er Menschen, die zu Themen des Alltags oder aber zu anderen etwas zu sagen hatten. Über die berichtete er dann über den Sender. Beispielsweie interviewte er Ruth Pettenpohl von der Verbraucherberatung zum Thema, worauf man beim Kauf von Staubsaugern achten sollte. Wie gesagt: Die Interessen von Magnus Kremser waren eben vielfältig. Als er beruflich nicht mehr so engespannt war und später mehr Zeit hatte, widmete er sich wieder verstärkt der aktiven Musik. Magnus trat als Straßenmusikant auf, spielte Gitarre und sang mal da mal dort. Meist im Marler Stern, wo man seine Stimme schon erkannte, bevor man ihn sah. Auch über diese Erlebnisse schrieb er (Auszug):
„Ich bin des Öfteren hier und man kennt mich. Häufig werde ich schon gegrüßt wenn ich mit meinen Sachen ankomme. Ich spiele hier in unregelmäßigen Abständen seit über zwei Jahren. Manchmal bin ich gern hier und manchmal stimmt es vorne und hinten nicht. Häufig sind es Kinder, die manchmal ihre gute Erziehung vergessen. Da fliegen schon mal Hydro-Kultur-Steine vom oberen Gang auf mich herunter … oder man versuchte, Geld aus dem vor mir stehenden Korb zu entwenden.“
Und an anderer Stelle heißt es:
„Wenn es mir nicht so gut geht und ich mich über irgendwas geärgert habe, genügt so ein kleiner Jungmädchenflirt, um mich wieder aufzumuntern. Aber auch jeder andere Flirt erfüllt dieselbe Wirkung. Und es geht wirklich durch alle Altersgruppen. Es ist erstaunlich und schön. Überhaupt ist es schön, so oft angelächelt zu werden.“
Ein Nachruf auf einen Unbekannten, der seiner sein könnte
In Wulfen Barkenberg beteiligte er sich 2012 an dem Bürgerprojekt Gedenksteine. Bürger und Bürgerinnen, darunter Magnus, fertigten unter fachmännischer Anleitung jeweils einen der im Rondell am Handwerkshof aufgestellten Steine. Die letzte Tagesfahrt, die er im Kreis seiner Freunde unternahm, ging an die holländische Nordsee. Da fühlte er sich wohl. Ins Wasser ging er nicht, aber leidenschaftlich auf das Wasser. Nur nach seinem Tod ging er ins Wasser. Er wünschte sich eine Seebestattung in der Nordsee. Seine Geschwister erfüllten ihm diesen letzten Wunsch nachdem in der Wulfener Kirche alle seine Bekannten und Freunde zum Abschied zusammengekommen waren. Es waren viele. Irgendwann schrieb Magnus einen Nachruf in Form eines Gesprächs. Wem diese Zeilen galten, ist nicht bekannt. Doch sie passen auf ihn selbst. Er schrieb (Auszug):
„Du bist in irgendeinem Himmel. Irgendwo bist Du auf jeden Fall. Denn hier bist Du nicht mehr. Wir sind jetzt ohne Dich und wir müssen damit leben, dass Du nicht mehr bist. Aber später, – später werden wir wieder alle zusammen sein. Irgendwann, irgendwo, irgendwie. Mach´s gut da oben oder auch unten oder wo auch immer. Und halt uns einen Platz frei. Wir kommen auf jeden Fall.“
Dieses Porträt wird dem liebenswerten Menschen gerecht. Er war nicht wie alle; er war ein besonderer Mann.
Danke für die feinen Worte für einen feinen Menschen.