Redaktionelle Vorbemerkung. Um es vorweg klarzustellen: Diese Geschichte hat nichts mit den anderen, von uns mehrmals berichteten Kreditgeschäften in Schweizer Franken zu tun. Wir haben die Details des hier geschilderten neuen Verlusts der Stadt aus den Berichtsvorlagen der Verwaltung für den Rat erst regelrecht entschlüsseln müssen. Wir sind uns bewusst, dass ein solches Thema Lesern, die mit der Materie ansonsten nicht viel zu tun haben – das sind die meisten von uns –, nicht leicht zu vermitteln ist. Umso mehr haben wir uns bemüht, den Fall so verständlich wie möglich darzustellen, ohne den Pfad des Belegbaren zu verlassen.
Von Helmut Frenzel
13. November 2015. – In der Sitzung des Rates am 16. September 2015 stand unter Punkt 7 die Genehmigung von überplanmäßigen Aufwendungen im Haushaltsjahr 2013 auf der Tagesordnung. Es handelte sich um einen verhältnismäßig hohen Gesamtbetrag von 4,3 Millionen Euro. Der dickste Brocken darunter betraf laut Beschlussvorlage Nr. 207/15 die „Wertberichtigungen Liquiditätskredite“ mit 2.133.991,19 Euro. Wertberichtigung heißt nichts anderes als Währungsverlust. Nicht alle Ratsmitglieder lesen die Vorlagen der Verwaltung und diejenigen, die sie gelesen hatten, mochten den Posten den Kassenkrediten in Schweizer Franken zuordnen, zumal die Beschlussvorlage explizit einen Bezug zum Wechselkurs EUR/CHF herstellte. Die Währungsverluste summieren sich bekanntlich bis Ende 2014 auf 18,6 Millionen Euro. Es ist klar, dass da im Zuge der Aufstellung der Jahresabschlüsse immer wieder das Thema Wertberichtigung auf die Tagesordnung kommt. Routine also? Die Nachgenehmigung des Währungsverlustes in 2013 hätte ein Fortschritt in Sachen Transparenz sein können. Für die Jahresabschlüsse in den vorangegangenen Jahren hatte die Verwaltung das nämlich versäumt. Bei näherem Hinsehen erweist sich die Angelegenheit allerdings als ein neuer Versuch der Verschleierung einer wichtigen Angelegenheit.
Harmloser Auftakt
Die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes geriet in der Ratssitzung etwas kurz. Man stand unter Zeitdruck. Zuvor hatte der Kämmerer Große-Ruiken den Haushaltsentwurf für 2016 eingebracht und erläutert und der Bürgermeister seine Haushaltsrede gehalten. Jetzt mussten noch weitere 14 Tagesordnungspunkte abgehandelt werden, da konnte man sich nicht mit jedem Punkt ausführlich befassen. Der Ratsvorsitzende und Bürgermeister Tobias Stockhoff fragte die Ratsmitglieder, ob es Erläuterungsbedarf oder Anmerkungen zur Beschlussvorlage gebe. Das war nicht der Fall. So konnte man auf die Aufzählung der einzelnen Positionen und der Beträge verzichten und sofort zur Abstimmung übergehen: Wer ist dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Einstimmig angenommen.
Damit war der Währungsverlust von 2,1 Millionen Euro in 2013 nachträglich formal genehmigt. Der Verlust ist in der Beschlussvorlage beziffert und im Beschlussprotokoll als einstimmig genehmigt dokumentiert und damit öffentlich gemacht. Dass kaum jemand etwas wirklich mitbekommen hat, ändert nichts an der Feststellung, dass die Sache im Rat pflichtgemäß abgehandelt wurde. In der örtlichen Tageszeitung fand sich nichts dazu.
Wertberichtigung in einem Jahr ohne Währungsverlust?
Damit könnte man die Angelegenheit bewenden lassen. Aber da war doch noch was. Der aufmerksame Besucher der Ratssitzung erinnert sich dunkel daran, dass in 2013 bei den Krediten, die die Stadt in Schweizer Franken aufgenommen hat, gar keine Wertberichtigung erforderlich war. Er forscht nach und tatsächlich: 2013 war das einzige Jahr seit 2009, in dem kein Währungsverlust verbucht werden musste. Und jetzt diese Nachgenehmigung einer Wertberichtigung von zwei Millionen Euro! Merkwürdig. Vielleicht ein Irrtum. Die Leute in der Verwaltung sind überlastet, da passiert so etwas schon mal. Nachdem aber in den folgenden Tagen keine Richtigstellung erfolgt, gewinnt der Gedanke die Oberhand: da stimmt etwas nicht. Also schreibt er die Pressestelle der Stadt an und bittet um Aufklärung. Einige Wochen später dann die Antwort:
„Die Wertberichtigung betrifft einen strukturierten Liquiditätskredit in Euro aus dem Jahre 2005, der an die Wechselkursentwicklung Euro/CHF gekoppelt ist.“
Das war eine Überraschung: Es ging also gar nicht um einen der CHF-Kredite, die in den letzten Monaten im Fokus standen und über die in DORSTEN-transparent mehrmals geschrieben wurde. Es handelte es sich um einen Euro-Kredit. Damit war auch sofort klar, dass die Wertberichtigung von 2,1 Millionen Euro, um die es in 2013 geht, nicht in den Währungsverlusten von 18,6 Millionen Euro bei den Schweizer Franken-Krediten enthalten ist. Es musste sich also um eine weitere, eine neue Wertberichtigung handeln – zusätzlich zu den bisher bekannten Wertberichtigungen.
Aufklärung in Raten
Der aufmerksame Besucher, im Zweifel, ob er selbst etwas missverstanden hat, hakt bei der Pressestelle nach und bekommt ein paar Tage später zur Antwort,
„ … dass es sich bei dem fraglichen Fall um die Wertberichtigung eines Euro-Kredites handelt, der bei Eintritt bestimmter Bedingungen in Schweizer Franken zu konvertieren ist. Eine bestimmte Wechselkursentwicklung des CHF ist dabei nur eine dieser Bedingungen. […] Die Entwicklung des CHF-Kurses in 2013 spielt deshalb keine Rolle, weil es sich nicht um einen CHF-Kredit, sondern um einen Euro-Kredit handelt.“
Rätselhaft. Es geht um einen Euro-Kredit, von dem der unbefangene Bürger annimmt, dass er auch in Euro zurückzuzahlen ist, der aber unter bestimmten Bedingungen in Schweizer Franken zu konvertieren ist? Bedeutet konvertieren: in Schweizer Franken zurückzahlen oder bedeutet es: bei Fälligkeit in Schweizer Franken prolongieren? Und weiter: Die Beschlussvorlage zur Ratssitzung hatte doch ausdrücklich Bezug genommen auf den Wechselkurs EUR/CHF zum 31. Dezember 2013. Nun heißt es, der CHF-Kurs spiele keine Rolle, weil es ja um einen Euro-Kredit gehe. Wenn der Euro-Kredit aber in Euro zurückzuzahlen ist, kann es keinen Währungsverlust geben: warum dann eine Wertberichtigung von 2,1 Millionen Euro? Alles sehr widersprüchlich. Außerdem: wie hoch ist überhaupt der Kreditbetrag, um den es geht?
Worum es wirklich geht
Der aufmerksame Besucher der Ratssitzung denkt: die Information im Rat über diesen Kredit war wohl doch irgendwie unvollständig oder wenigstens missverständlich. Also bittet er die Pressestelle um weitere Erklärungen. Die Antwort enthält nichts Neues, gibt aber den Hinweis, dass die Angelegenheit Anfang 2015 im Haupt- und Finanzausschuss (HFA) unter dem Tagesordnungspunkt „Schuldenportfoliomanagement“ behandelt wurde. Also nimmt er sich die entsprechende Berichtsvorlage zur Sitzung des HFA am 11. März 2015 vor und findet auf Seite 12 die folgende Darstellung:
„4. Entwicklung der Derivate
Hier wurden bereits in 2008 alle Aktivitäten eingestellt. Aus dieser Zeit stammen noch folgende nicht abgewickelte Verpflichtungen:
Aus 2005 stammt ein strukturierter Kassenkredit in Höhe von 7,1 Mio. €, der an den Wechselkurs €/CHF gekoppelt ist. […] Sofern der Wechselkurs zum Fälligkeitstermin in 2016 unterhalb des Schwellenwertes von 1,44 liegt, kann die Bank die Konvertierung in Euro verlangen. Dies hat sie bereits angekündigt. […]“
Damit war die Katze aus dem Sack: es geht um ein Derivat, Inbegriff der Spekulation und eine heiße Kartoffel, die niemand aus Rat und Verwaltung anfassen möchte, denn damit hat die Stadt schon ausreichend schlechte Erfahrungen gemacht. Immerhin ist die Höhe des Kredits nun bekannt: 7,1 Millionen Euro. Soviel zur Erhellung der Angelegenheit. Aber dann wieder Rätselhaftes: der Kreditgeber, heißt es weiter, könne, wenn zum Fälligkeitstermin der CHF-Kurs unter 1,44 liegt – womit zu rechnen ist – die Konvertierung in Euro verlangen. In der Mitteilung der Pressestelle hatte es noch geheißen, der Kredit sei unter bestimmten Bedingungen in Schweizer Franken zu konvertieren. Sehr verwirrend. Also weitersuchen. In der Vorlage, wird unter anderem Bezug genommen auf die Beschlussvorlage zur Sitzung des HFA am 23. Februar 2012, unterzeichnet vom damaligen Bürgermeister Lambert Lütkenhorst. Dort gibt es endlich mehr Information. Im Abschnitt Schuldenmanagement mit Liquiditätskrediten heißt es:
„ Entwicklung der eigenständig abgeschlossenen Derivate
[…] Der strukturierte Kassenkredit (Euro-Swissy) in Höhe von 7,1 Mio. € gewährt einen Zinsvorteil, der an die Wechselkursentwicklung Euro/CHF gekoppelt ist. Der Wechselkurs musste zum Fälligkeitstermin am 04.04.2012 über 1,44 liegen.
Im Juni 2011 wurde mit dem Gläubiger über eine vorzeitige Umschuldung des Kredites verhandelt. Die Entwicklung des Schweizer Franken ließ befürchten, dass die vereinbarte Wechselkursgrenze von 1,44 unterschritten wird und damit der Zinsvorteil verloren geht. Hinzu kam, dass aufgrund der zu dem Zeitpunkt bereits vorgenommenen und noch erwarteten Leitzinserhöhungen die Zinsen steigen und das derzeit noch niedrige Niveau im Februar 2012 nicht mehr erreichbar sein könnte.
Der Kredit wurde mit einer fünfjährigen Laufzeit zu einem Zinssatz von 2,75 % und unveränderter Wechselkursschwelle verlängert. Der Zinssatz lag knapp unter dem Marktniveau (2,754 %). Eine weitere nennenswerte Zinsersparnis gibt es dadurch nicht, wohl aber eine Zinssicherung für 5 Jahre zu einem attraktiven Zins. Ein Kursrisiko besteht weiterhin nicht, da 2016 die Möglichkeit einer Verlängerung besteht, sofern der Wechselkurs unter 1,44 liegt.“
Euro-Swissy – ein spekulatives Zinsderivat
Damit wird immer deutlicher, worum es eigentlich geht: Ein toxischer Kredit, ein Spekulationsgeschäft reinsten Wassers unter der verharmlosenden Bezeichnung Euro-Swissy mit einem Kreditvolumen von 7,1 Millionen Euro. In der Fachwelt sind solcherart Derivat-Kredite als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bekannt. Um Verlusten zuvorzukommen, wird der Kredit 2011 vorzeitig um fünf Jahre verlängert mit einem Festzinssatz von 2,75 Prozent. Bei Fälligkeit sollte ein Zinsvorteil erzielt werden, wenn der Kurs über 1,44 liegt. Das schließt ein, dass ein Zinsnachteil entsteht, wenn der Kurs unter 1,44 liegt. Letzteres ist für den Zeitpunkt der Fälligkeit Anfang 2016 mit Sicherheit zu erwarten. Wie der Zinsnachteil ermittelt wird, muss hier offen bleiben. Aber soviel kann man schon jetzt feststellen: der Zins für Kassenkredite in Euro liegt seit längerem unter 2,75 Prozent, zuletzt sogar nahe Null. Das bedeutet, dass der Euro-Swissy derzeit Zinsmehraufwendungen von etwa 200.000 Euro jährlich verursacht.
Aber das sind peanuts. Im Rat ging es um einen Verlust von 2,1 Millionen Euro, ein Verlust von 30 Prozent der Kreditsumme. Wieso aber Wertberichtigung? Eine Wertberichtigung bezieht sich auf den Kreditbetrag und bedeutet eine Erhöhung der Rückzahlungsverpflichtung. Es geht aber doch um Zinsspekulation. Wenn am Ende die Zinsbelastung viel höher ausfällt, dann erhöht sich nicht die Rückzahlungsverpflichtung für den Kredit, sondern es erhöhen sich die Zinsaufwendungen, für die eine Rückstellung zu bilden wäre. Der aufmerksame Bürger, der von solchen abstrusen Kreditgeschäften noch nie etwas gehört hat, ist irritiert.
Es ist Zeit für die ganze Wahrheit
In der Ratssitzung am 16. September 2015 hat der Bürgermeister die Ratsmitglieder einen Verlust von 2,1 Millionen Euro unter der Überschrift „Wertberichtigungen Liquiditätskredite“ nachgenehmigen lassen. Auf den ersten Blick ist an dieser Benennung nichts falsch. Aber hat der Bürgermeister deswegen die Wahrheit gesagt? Was er bot, war nicht einmal die halbe Wahrheit. Das Weglassen wichtiger Fakten kann auch eine Lüge sein. Ist er dem Informationsrecht der Ratsmitglieder und der Öffentlichkeit nachgekommen?
Der aufmerksame Bürger, der scheibchenweise den Sachverhalt aufgeklärt hat, blickt unterdessen weiter voraus. Wenn nichts weiter geschieht, wird die Verwaltung den Euro-Swissy Anfang 2016 zurückzahlen und den Verlust von 2 Millionen stillschweigend realisieren. Das wird aber kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit erregen, denn der Verlust ist im Jahresabschluss 2013 ja schon gebucht und deswegen fällt im Haushaltsjahr 2016 dafür voraussichtlich kein Verlust mehr an. Und wenn dann der aufmerksame Bürger trotzdem aufbegehrt und den Verlust beanstandet, wird Bürgermeister Tobias Stockhoff ihm entgegenhalten: Was willst du denn? Das ist doch alles schon besprochen. Den Verlust hat das Plenum des Rates in öffentlicher Sitzung genehmigt. Er steht in der Beschlussvorlage und im Sitzungsprotokoll und diese Dokumente kann jeder einsehen. Alles ist bekannt, nichts wurde vertuscht. Wie, bitte schön, soll man denn noch mehr Transparenz herstellen? Es wäre nicht der erste Fall dieser Art.
Der Bürgermeister sollte seinen Umgang mit dem Thema Transparenz überdenken. Der Steuerbürger, der am Ende die Zeche bezahlt, hat einen Anspruch darauf, die ganze Wahrheit zu erfahren. Wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, wird auch hier die Frage nach Verantwortung und Haftung zu stellen sein.