Verkauf von „Street- & Sportswear“ – aber nicht an jedermann, sondern „for real people“. Über Werbe-Anglizismen und denglische Sprüche in Dorstener Schaufenstern

Lippestraße; Fotos (8): Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann

„Ein höheres Ziel des Kampfes gibt es nicht als: deutsches Wesen nach außen und innen zu entfalten. Wir wollen, nachdem wir Jahrhunderte hindurch dem Fremden nachgelaufen sind oder uns gespalten und untereinander bekämpft haben, wieder ein Herrenvolk, wieder unsere eigene Art gewiß und froh werden. Wir wollen mit einem Wort wieder Deutsche sein, ganz Deutsche und nur Deutsche. Dazu dienen nach außen Granaten und nach innen unsere wunderschöne deutsche Muttersprache.“

Dr. Rudolf Hermann Buttmann in „Die Sprache, ein Kampfmittel unserer Zeit. Jahrbuch der deutschen Sprache“, 1941

Am Samstag: „Tag der deutschen Sprache“

11. September 2015. – Diese auch sprachdiktatorischen Zeiten sind vorüber und über 80 Jahre auch, als dieser genauso unsinnige wie aggressive Satz eines Sprachforschers geschrieben wurde. Vorüber ist allerdings nicht die Sprachforschung, Sprachdeutung und die Bündelung so vieler Meinungen, Ansichten und Kommentare, wie die deutsche Sprache anzuhören und zu schreiben und gegen ausländische Einflüsse abzudämmen ist. Neu hingegen ist der „Tag der deutschen Sprache“, der seit 2001 jährlich am zweiten Septembersamstag stattfindet. Initiiert wurde dieser Tag durch den Verein Deutsche Sprache e. V., um „ein Sprachbewusstsein zu schaffen und zu festigen, das den unkritischen Gebrauch von Fremdwörtern, insbesondere die Sucht, überflüssige englische Ausdrücke zu benutzen, den Englisch- und Denglischwahn, einzudämmen oder zu verhindern“. Zudem soll mit dem Aktionstag bei den Bürgern Deutschlands der „Sinn für die Schönheit und Ausdruckskraft der deutschen Sprache“ geweckt werden. Weiterhin soll der Tag den Willen verstärken, „gutes und verständliches Deutsch in Wort und Schrift zu gebrauchen“. Es soll bewirkt werden, „dass wir unsere eigene Sprache schätzen, nur dann wird sie im Ausland ernst genommen“. Darüber hinaus erinnert der Tag an „die Gleichwertigkeit aller Sprachen“ und soll „einmal im Jahr zum Nachdenken sowie zum persönlichen und öffentlichen Meinungsaustausch über die deutsche Sprache anregen“.  Dieser Tag ist jetzt – es ist der Samstag, 12. September.

Sprache ist in ständiger Bewegung – und muss es sein

Reisebüro Lippestraße

Legionen von Professoren, Lehrern und Laien befassen sich mit der Sprache. Sie streiten und kommentieren an Universitäten, Schulen und in eigens gegründeten Vereinen, legen fest und verwerfen, regeln über den „Duden“ und in den Kultusministerkonferenzen, was en vogue ist, fördern oder stoppen die Bewegung der Sprache. Manche, so scheint es, vergessen bei ihren Eindämmungsversuchen von Wörtern und Begriffen aus fremden Sprachen in den deutschen Sprachraum, dass auch Sprachen zusammenwachsen können wie beispielsweise Länder in einem Europa durch den Wegfall von Grenzen. So, wie sich Menschen im Alltag und bei besonderen Anlässen bewegen, beeinflusst von äußeren Einwirkungen oder inneren Befindlichkeiten, so bewegt sich die Sprache. Sie ist nicht weiter als ein Verständigungsmittel – umgangssprachlich im Alltag, stilistisch fein in der Literatur und plakativ in der Werbung.

Denen, die an der Sprache starr festhalten wollen, sei mit Galileo Galileis fälschlich zugeeignetem Ausspruch „Tamensi movetur!“ (Und sie bewegt sich doch!) widersprochen. Eine reine und frei von Einsprengseln fremder Sprachen und Dialekte deutsche Sprache gibt es nicht. Das hat es nie gegeben und wird es auch nicht geben. Unsere deutsche Sprache ist beispielsweise voll von französischen, arabischen und englischen Herkunftswörtern, die zum festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden sind.

Werbe-Anglizismen in den Schaufenstern der Dorstener Läden 

Lippestraße

Heute fördert die schnelle Verbindung und weit verbreitete Vernetzung durch das Internet die Beeinflussung der Sprache von außen. In der bereits erwähnten Werbung führt sie heute ein intensives Eigenleben auf Plakaten und Werbeständern, in Flyer und Stopper, Displays und Rollups, in Schaufenstern sowie in der Rundfunk- und Fernsehwerbung. Werbeagenturen haben einen großen Einfluss auf die Verständigungswelt der Sprache. Geht man durch die drei Geschäftsstraßen der Innenstadt von Dorsten (Essener, Recklinghäuser und Lippestraße) und achtet darauf, was die Geschäfte in Plakaten mit handgeschriebenen Informationen, in vorgefertigtem Werbematerial und in Namensbezeichnungen ihrer Läden anpreisen, der mag sich bestätigt fühlen, dass die mit Anglizismen und denglischen Wörtern stark durchsetzte Werbesprache mit der üblichen Verständigungssprache eigentlich nichts zu tun hat. Es wäre gut, wenn das so wäre. Doch es ist nicht so. Selbst das große, im wahrsten Wortsinn überragende Bau- und Verkaufsunterhaltungsprojekt am Lippetor wird „Mercaden“ und nicht mehr, wie der Vorgänger Lippetor-Einkaufszentrum heißen. Geht man dann kopfschüttelnd über die auswüchsigen Benennungen nach Hause, setzt sich vor den Fernseher, dann hört man in den Werbe-Blöcken das, was man in den Schaufenster soeben gesehen und gelesen hat. Beispielsweise lässt der Parfüm-Hersteller Calvin Klein eine Duftwasser-Reklame in ganzen Sätzen nur in englischer Sprache lasziv ins deutsche Wohnzimmer flimmern. Das kommt an, in beiderlei Bedeutung des Wortes. Und Hugo Boss hat wohl dieselbe Werbeagentur. Er macht es mit seinem eigenen Parfüm Calvin Klein nach.

Recklinghäuser Straße

Umfrage nach Anglizismen brachte skurrile Ergebnisse

„Das ist Werbung, die keiner kapiert“ meint der „Express“ in Köln: „Werbetexter lieben englische Sprüche – und die Kunden verstehen nix.“ Eine aktuelle Studie der Kölner Agentur Endmark über englische Slogans brachte skurrile Ergebnisse: Dem Werbespruch von Jaguar „Life by Gorgeous“ (in etwa: „Leben auf Prächtig“) konnten gerade acht Prozent der Befragten richtig übersetzen. Einige Befragte glaubten sogar, es heiße „Leben in Georgien“.

Lippestraße

Von Georgien zurück in das Alltagsleben vor den Schaufenstern in Dorsten. Hier wird der Interessent, will er sich informieren, wohin die nächste Urlaubsreise gehen könnte, mit „Discover your smile“, in Telefon-Läden „2Yourfone für Dich und alle“, „The Phone House“ und ähnlich sich nennenden Läden wird der Stadtbummler zu „Mehr Speed“ und „Surfen bis zu MBit/s“ aufgefordert. Damit kann er „erleben, was verbindet“ und kann sich Gedanken über die großen Lettern im Schaufenster machen, die da heißen: „Super-Sommer-Sale“. Und dann findet er an einer Eingangstür eines „Business Store“, in dem es Handys gibt, den Hinweis, dass er hier den „Ready-Check“ machen, das „Bestnetz-Kombi“ erwerben kann und wird auf eine Veranstaltung in Schermbeck hingewiesen, die musikalisch „Back 2the Roots“ führt. Und gegenüber gibt es die „Timezone“, die „Street- & Sportswear“ verkaufen, aber nicht an jedermann, sondern nur „for real people“. Und wer arbeitslos ist oder eine neue Arbeitsstelle sucht, der findet als Kunde (irgendwann wird er „User“ heißen) den Eingang in der Lippestraße zum „Jobpoint“, nicht ohne vorher sich in einem Modegeschäft die „New Elegance“ zu bewundern. Gegenüber steht über das breite Schaufenster eines Damen-Textilwaren-Geschäfts der flotte Spruch: „Like your style“ und darunter den Hinweis „shoes & more“. Wer durch die Recklinghäuser Straße geht und selbst nur oberflächlich Ausschau hält, der findet den Verkauf von „Tickets“ in einer Buchhandlung (eigentlich ein schon recht eingebürgerter Anglizismus), geht vorbei am „Servicecenter“ der Stadt und am Ende der Straße noch einmal mit einen „Sale“-Schild in kräftigem Rot und großen Lettern aufmerksam. Will er der Stadtbummler seine Haare schneiden lassen, dann ist das auf Neudeutsch „a hair effekt“ oder speziell einmal im Monat eine „Hair&Cockail-Night“, allerdings nur bis 23 Uhr.

Heute joggen wir, walken und trinken Coffee to go, Oder wir machen ein Meeting in einer Location, um nach dem Joggen einen „Latte Macchiato“ zu trinken. Stünde dieser in Deutsch auf der Getränkekarte, müsste es „Gefleckte Milch“ heißen. Cool ist, wer Anglizismen nutzt. Denn: „Wir sind doch nicht blöd!“

93 Prozent der Dorstener waren gegen das Werbekauderwelsch

Lippestraße

Das Thema Werbesprache scheint den Menschen auf den Nägeln zu brennen und die Antwort fiel sehr klar und eindeutig aus. 91 Prozent der Beteiligten stimmten gegen das Werbekauderwelsch und für klare Begriffe in deutscher Sprache. Die Weseler wählten durchaus fleißig und ließen sich von den 30 angebotenen Fotoalternativen nicht abschrecken. Das war harte Arbeit, wenn man wirklich alle würdigen wollte. Trotzdem fiel alle drei Minuten eine Stimme in die Wahlurne. Das Weseler Wahlergebnis reiht sich nahtlos ein in Umfragen, die der Verein in Oberhausen (93 %), Dorsten (90 %) und Bottrop (92 %) bereits früher durchgeführt hatte. Anfangs waren dem Verein diese „sozialistischen“ Ergebnisse etwas unangenehm. So bemühte er sich, durch Vorab-Information Bürger aller Meinungsrichtungen an die Wahlurne zu bringen. Da muss es sich schon um eine steinharte, stabile Volksmeinung handeln, wenn sich das immer wiederholt. Man könnte sich daran gewöhnen, meint der Dorstener Dr. Hans-Joachim Thelen, Vorsitzender des Vereins in der Region nördlicher Niederrhein, wenn auf der anderen Seite nicht dieses arrogante oder ignorante Verhalten der Werbemacher wäre. Die scheinen sich einen Dreck um die Meinung Ihrer Kunden zu scheren, solange die ihnen brav ihr Geld abliefern.

Entwicklung der Anglizismen im Deutschen

Im Duden-Herkunftswörterbuch sind alle Entlehnungen erfasst. Das Wörterbuch enthält 16.781 datierbare Stichwörter, darunter 5.244 Entlehnungen aus anderen Sprachen. Darunter sind 519 datierbare Anglizismen. Man sieht, dass diese Entlehnungen aus dem Englischen erst recht spät einsetzen und dann aber eine erhebliche Dynamik entwickeln. Im 20. Jahrhundert erreichen die Anglizismen 3,1 Prozent des gesamten erhobenen Wortschatzes beziehungsweise 9,9 Prozent der Entlehnungen.

Kritik und Kontroversen

Recklinghäuser Straße

Eine repräsentative Umfrage über die Verständlichkeit von zwölf gebräuchlichen englischen Werbeslogans für deutsche Kunden ergab im Jahr 2003, dass einige der Slogans von weniger als 10 Prozent der Befragten verstanden wurden. Acht der zwölf untersuchten Unternehmen hätten ihre Werbeslogans seitdem geändert. 2008 störten sich in einer Umfrage der Gesellschaft der deutschen Sprache 39 Prozent der Befragten an Lehnwörten aus dem Englischen. Die Ablehnung war in den Bevölkerungsgruppen am größten, die Englisch weder sprechen noch verstehen konnten (58 Prozent Ablehnung bei der Gruppe der über 59-Jährigen, 46 Prozent Ablehnung bei ostdeutschen Umfrageteilnehmern).

Im Dezember 2014 forderte der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, neben Deutsch die englische Sprache als Verwaltungs- und später als Amtssprache in Deutschland zuzulassen, um die Bedingungen für qualifizierte Zuwanderer zu verbessern, den Fachkräftemangel abzuwenden und Investitionen zu erleichtern. Einer repräsentativen Umfrage zufolge würden es 59 Prozent der Deutschen begrüßen, wenn die englische Sprache in der gesamten EU den Status einer Amtssprache erlangen würde.

Anglisierung kommuniziert „ich bin gebildet und international“

Lippestraße

Viele Unternehmen setzen Anglizismen in Stellenangeboten bzw. -beschreibungen ein. Kritiker vermuten, dass weniger attraktive Stellen dadurch aufgewertet werden sollen. Häufig verwendete Begriffe sind Area Manager (weniger als der klassische Abteilungsleiter), Facility Manager (Hausmeister), Key Account Manager (Betreuer wichtiger Kunden) oder Case Manager (ein Fallbearbeiter). Um diese Entwicklung zu karikieren, wird gelegentlich der Toilettenmann/die Toilettenfrau WC Manager/in genannt.

Aufregung über Anglizismen ist „komisch“

Der Germanist Karl-Heinz Göttert nannte die Aufregung über Anglizismen „komisch“, denn sie machten nur wenig mehr als über drei Prozent des deutschen Wörterschatzes aus. Da gab und gibt es ganz andere Fremdwortschwemmen. Das Englische selbst hat im Mittelalter ein Drittel aus dem Französischen entlehnt. Und die japanische Sprache hat aus dem Chinesischen 50 Prozent übernommen. Dazu Karl-Heinz Göttert: Sie seien „ein Beweis dafür, dass Nehmersprachen kreativ und nicht knechtisch mit dem Einfluss der Gebersprachen umgehen“. Er wandte sich gegen eine „Leitkultur Sprache“ und kritisierte den Eifer der Sprachreinigung mit den Worten:

„Schon Jakob Grimm hat sich deshalb gegen den ärgerlichen Purismus gewendet. Es wäre besser, der Verein Deutsche Sprache würde sich auf die Grimm’sche Tradition besinnen, statt einen Grimm-Preis für Verdienste beim Anglizismen-Kampf zu vergeben.“

In die Geschichte ins 16. Jahrhundert zurückgehend, sagte weniger unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten als unter praktischen Kaiser Karl V., ein Sprach-Europäer:

„Zum Befehlen oder Gebieten brauche ich gerne die deutsche, im Frauenzimmer gerne die französische, im Rat die italienische Sprache.“

Mit seinen Augen gesehen, würde es der deutschen Sprache nicht schaden, wenn sie sich weiterhin mit anderen Sprachen vermischte!

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Quellen: Dr. Hans-Joachim Thelen, Regionalvorsitzender VDS-Region nördl. Niederrhein, Bericht an an Redaktion Weseler Zeitung. – Wikipedia (Anglizismus, Denglisch, Aufruf 2015). – Wolf Stegemann in „Sprachgrenzen” (Vortrag, 1999).

 

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