Von Wolf Stegemann
Im letzten Jahr erschien ein privat herausgegebenes Buch von Hans Krampen aus Bad Pyrmont, das er über seinen Vater, den Pfarrer Karl Krampen in Wichlinghausen, geschrieben hat und es seinen Kindern widmete. Im Krieg war der 1901 geborene Theologe als einfacher Soldat in Dorsten stationiert und hatte hier die Bekanntschaft mit etlichen Einwohnern gemacht, darunter Pfarrer Ernst Glauert von der Altstadtgemeinde und in Holsterhausen mit Pfarrer Ernst Krüsmann und anderen von der Martin-Luther-Gemeinde. In seinen Briefen aus dem Krieg zeichnet Karl Krampen, der am 21. April 1945 in Württemberg fiel, ein interessantes Bild der Kirchenverhältnisse in Dorsten und Holsterhausen.
Karl Krampen war Kompanieschreiber. Kriegspfarrer wollte das Mitglied der Bekennenden Kirche nach einer langen Bedenkzeit nicht sein. Seine Einheit wurde am 5. Juli 1941 von Horstmar nach Dorsten verlegt. Die Schreibstube war in einer nicht näher bezeichneten Wirtschaft untergebracht. Er selbst wohnte „bei älteren katholischen Leuten, ganz nett, sauber und freundlich, etwas eng“. Sein Dorstener Soldatenleben, das bis Ende 1942 andauerte, bezeichnete er als „ruhig und klar überschaubar“. Mehrmals durfte er von Dorsten in seine Heimatgemeinde Wichlinghausen fahren und dort Gottesdienst halten. Auch in Dorsten hatte er die Möglichkeit zu predigen. Dabei lernte er Pfarrer Ernst Glauert kennen, der den Deutschen Christen, eine von nationalsozialistischen Pfarrern gebildete Reichskirche angehörte. Die Verbindung zu ihm bezeichnet Krampen als nicht „erfreulich“.
Er schildert den „rappelvollen“ Totensonntagsgottesdienst Pfarrer Glauerts in der Dorstener Johanneskirche und bezeichnet die Predigt als „kraftlos und unevangelisch“. Nach der Gefallenenehrung mit dem Heldenlied „Ich hatt’ einen Kameraden“ ging Pfarrer und Soldat Karl Krampe „nicht nur leer nachhause, wie üblich, sondern auch sehr betrübt“.
Karl Krampen schreibt auch in einem Brief, dass es in der Dorstener Wirtschaft, wo er seine Kompanieschreibstube hatte, eine Diskussion mit seinem Kompaniechef über Euthanasie gegeben habe. Während sein Chef wissen wollte, wie er, Krampen, als Pfarrer darüber denke, und das Gespräch einigermaßen im freundlichen Ton verlaufen sei, war die Einmischung des Gastwirts anders: „Dann kam aber der Wirt dazu, da wurde es giftig – echt nationalsozialistisch. Er ist der Meinung, dass allmählich, aber sicher das Christentum ausgerottet werden müsse.“
Zugang fand er zur „Kinderheimat“ der Michowitzer Schwestern. Das Kinderheim existierte fast bis zur Gegenwart als „Heimat für Heimatlose“ der Diakonie am Westwall. Dort hielt der Soldat und Pfarrer im Krieg Bibelstunden und Kindergottesdienste. Die „Kinderheimat“ wurde für Karl Krampen in Dorsten zur zweiten Heimat. Krampens Frau Mathilde hielt die Verbindung zum Kinderheim bis zu ihrem Tod aufrecht.
Er lernte auch die Familie Bruckhoff kennen, die ihm die Dorstener Kirchenverhältnisse schilderte und ihn dem Holsterhausener Pfarrer Ernst Krüsmann empfahl. Karl Krampen nahm Kontakt mit seinem Holsterhausener Amtsbruder auf. Aus dieser Zeit sind auch im Nachlass des Pfarrers Krampen etliche Predigten erhalten, die er in der Martin-Luther-Kirche hielt (erhalten im Kirchenarchiv).
Nach Abzug seiner Einheit an die Ostfront begann seine eigentliche „Leidenszeit“, schreibt sein Sohn Hans Krampen. „Aus den zahlreich erhaltenen Briefen jener Zeit spricht eine grenzenlose Einsamkeit durch das Getrenntsein nicht nur von der Familie, sondern vor allem auch von der Gemeinde und dem ihm so wichtigen Predigeramt. Nur ein immer wieder sich an Gottes Wort aufrichtender tiefer Glaube, so wie er ja auch aus den Predigten spricht, hat ihm bis zu seinem Tode kurz vor Kriegsende Kraft gegeben.“
Heimat für Heimatlose
Das Dorstener Kinder- und Jugendheim der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort wurde 1926 als Waisenhaus gegründet. In diesem Jahr erhielt die Diakonisse Eva von Thiele-Winckler für ihr Sozialwerk Heimat für Heimatlose von einer Frau Fricke ein Haus in Dorsten zum Geschenk und richtete dort, wie schon in verschiedenen anderen Städten Deutschlands, ein Waisenhaus ein. 68 Jahre lang bot das Haus durch alle Notzeiten hindurch Kindern (auch Sozialwaisen) Geborgenheit und Hilfe. Geleitet wurde die Einrichtung von 1938 bis 1970 von Schwester Luise Rauscher, die dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Grundlage der Diakonissen war ein unerschütterliches Gottvertrauen. Bei der Bombardierung der Stadt 1945 kamen kein einzige Kind und keine Schwester zu Schaden. Lediglich das Haus wurde total zerstört. „Nichts hatten wir mehr, nur einen Trümmerhaufen und einen lebenden Gott!“. 1949 konnte das Gebäude am Westwall 49 wieder eingeweiht und 1957 für 140.000 DM um 50 Plätze erweitert werden. Kinder, die bis dahin in der Turnhalle schlafen mussten, konnten so wieder im Haus untergebracht werden. In der Folgezeit wuchs die Einrichtung baulich und vor allem durch eine neue Entwicklung der Pädagogik, die von den Betreuern aufgenommen wurde. Jahrelang leitete Adolf Sawitzky die Einrichtung. 1985 bildete die sozialpädagogische Einrichtung mit ihren 40 stationär lebenden und 16 stundenweise betreuten Jugendlichen im Stadtgebiet kleine Wohngruppen, um einer möglichen Stigmatisierung, die mit „Heim“ verbunden ist, entgegenzuwirken. Die Mannschaft des Minensuchtbootes „Atlantis“ sowie die Schauspielerin Inge Meysel hatten eine Art Patenschaft übernommen und besuchten die Kinder regelmäßig. Seit 1994 ist die feste Einrichtung am Westwall aufgelöst und mit einem anderen Wohnkonzept an der Straße „An der Molkerei“ untergebracht. Danach nutzte die Stadt das Gebäude als Asylbewerberwohnheim, stand dann leer und wurde Im Oktober 2013 in Zuge der Neuplanung für den Mercaden-Neubau abgerissen.
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