Kriege II: Dorsten war wegen der strategischen Lage in viele Kampfhandlungen verstrickt. Die Leidtragenden waren immer die Bewohner – 18. bis 20. Jahrhundert

Österreichischer Erbfolgekrieg: Votivbild der Geiersberg-Wallfahrt in Österreich: Trencks Panduren führen 1741 ehrbare Stadträte als Geiseln ab

Von Wolf Stegemann

Vorbemerkung: Heute, am 8. Mai 2015, jährt sich zum 70. Male das Kriegsende des Zweiten Weltkriegs. Es war der GRausamste Krieg der Neuzeit. Die Deutschen überzogen sechs Jahre lang Europa mit Krieg, Mord und Vernichtung, hinter dessen Fronten sie in Konzentrationslagern udn Vernichtungslagern Millionen Millionen Menschen ermordeten und eine industrielle Vernichtungssystematik sechs Millionen jüdischen Menschen ermordeten, darunter Kinder und Greise.
Im letzten Jahr jährte sich zum hundertsten Mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. Print- und Funkmedien hatten dieses Thema aufgegriffen, Kunst- und Foto-Ausstellungen wurden eingerichtet, Vorträge gehalten und neue Bücher veröffentlicht. Historiker sagen, dass der Erste Weltkrieg das grausame Fanal für den weitaus grausameren Zweiten Weltkrieg war. Alle Kriege sind tödlich und unnötig, ob sie in Afrika oder am Hindukusch geführt werden, auf dem Balkan oder sonst wo in der Welt.

Dorsten war wegen seiner Grenzlage und dem strategisch wichtigen Übergang über die Lippe auf eigenem Gebiet in viele Kriege und kriegerische Unruhen, Kampfhandlungen, Durchzüge und Einquartierungen verstrickt. Viermal wurde in diesen Zeiten die Lippebrücke von ab- und durchziehenden Truppen zerstört. Die Städter und die Bauern der Dörfer rundum mussten immer wieder Quartiere, Roggen für Brot, Hafer und Heu für die Pferde, Wagen, Zug- und Schlachtvieh, Leinen zur Bekleidung, Holz zur Feuerung und zum Festungsbau stellen und Geld zur Löhnung der fremden Soldaten zahlen. – Im letzten Jahr brachten wir den 1. Teil dieses Überblicks über Kriege, die an Dorsten nicht spurlos vorübergingen. Dies ist der 2. und letzte Teil.

Spanischer Erbfolgekrieg (1701 bis 1714)

Der „Spanische Erbfolgekrieg“ war ein Kabinettskrieg, der um das Erbe des letzten spanischen Habsburgers, König Karl II. von Spanien, geführt wurde. Eine Allianz um die österreichischen Habsburger und Großbritannien kämpfte gegen eine von Frankreich angeführte Kriegskoalition. Letztlich gelang es Frankreich, mit Philipp V. die bis heute amtierende Dynastie der Bourbonen auf den spanischen Thron zu bringen. Fast alle an dem Krieg beteiligten Mächte hatten am Ende des Krieges zumindest Teilerfolge erzielt.

Königliches Feuerwerk auf der Themse zum Friedensschluss von Aachen 1748

Österreichischer Erbfolgekrieg (1740 bis 1748)

Der „Österreichische Erbfolgekrieg“ brach nach der Thronbesteigung Maria Theresias aus, als mehrere deutsche und europäische Fürsten gegen die als schwach empfundene Tochter Kaiser Karl VI. Ansprüche auf die österreichischen Erblande erhoben: Karl Albrecht von Bayern, seit 1722 verheiratet mit Maria Amalie von Österreich (1701 bis 1756), der jüngsten Tochter (von Karls Bruder) Kaiser Joseph I.; Philipp V. von Spanien als Erbe der spanischen Linie der Habsburger; Friedrich August von Sachsen als Ehemann von Maria Josepha von Österreich (1699 bis 1757), der ältesten Tochter Kaiser Joseph I. – Friedrich II. von Preußen nutzte diese Ansprüche und verlangte für seine Anerkennung der Pragmatischen Sanktion die Provinz Schlesien und besetzte diese am 16. Dezember 1740 (Schlesische Kriege). Mit dieser Invasion löste er den Österreichischen Erbfolgekrieg aus, der am 18. Oktober 1748 mit einem Friedenschluss in Aachen endete. Dieser Frieden stellte den Vorkriegszustand weitgehend wieder her, sprach allerdings Friedrich II. Schlesien zu und erkannte Maria Theresias Thronerbschaften an.

Friedrich II., Porträt von J. G. Ziesensis 1763

Siebenjähriger Krieg (1756 bis 1763)

Im „Siebenjährigen Krieg“ (auch Dritter Schlesischer Krieg) kämpften mit Preußen und Großbritannien/Kurhannover einerseits sowie Österreich, Frankreich und Russland andererseits alle europäischen Großmächte ihrer Zeit. An den Auseinandersetzungen waren weitere mittlere und kleine Staaten beteiligt. Der Krieg wurde in Mitteleuropa, Nordamerika, Indien und in der Karibik sowie auf den Weltmeeren ausgefochten. Für Großbritannien und Frankreich ging es hierbei auch um die Herrschaft in Nordamerika und Indien.
Ab Mai 1757 quartieren sich französische Truppen in Dorsten ein. Der Schriftführer der  Dorstener Bruderschaft Beatae Mariae Virginis beschreibt in sein Protokollbuch authentisch die Vorkommnisse jener Jahre in Dorsten: Die Bruderschaft hatte in diesem Jahr keine Versammlung abgehalten,

„weilen in diesem Jahre der Krieg angefangen und auf Ostertag französische Trouppen, von Wesel und Duisburg kommende, hier eingetroffen, welchen die gantze Armee unter den Befehlen des Maréchals Comté d’Etré gefolget ist.“

Und 1758 steht in dem Buch:

„Obbemeldeter General der französischen Arme der Maréchal Comté d’Etré ist am 1. August auf Mariae Himmelfahrtstag von der Armee aus Hannover hier zurück angekommen, und ist ihm im Commando der obersten Befehlshabersstelle aufgefolget der Maréchal Duc de Richelieu; dieser ist aber hier nicht passiert, sondern von Wesel über Burbaum die Reise nach Hannover zur Armee angetretten.

Bey Anfang des Jahres 1758 hat die französischen Trouppen viele Bagage nach und nach von der Armee zurückgeschicket, haben auch selbsten angefangen zu retiriren und die gantze Armee sich zurückgezogen, welche gröstentheils hier passiert und seind am 20. März auf einmal 16 französische Battailons in hiesige Stadt einquartiret worden, es haben aber die Trouppen so viel eingebüßet, daß sie nicht halb complet mehr waren. Den 31. März marschirten die letzten Trouppen ab und steckten die Lippbrücke hinter sich in Brandt und nahmen ihre Retirade ferner nach Wesel.

Den 2. April kamen schon die Vortruppen von den Alliirten des Mittags, bestehend aus Preußischen Husaren, denen am 3. April Commandos von Hannoverischen und Hessischen Trouppen folgten, denen auch endlich die gantze alliirte Armee folgte, bey Xanten und Mehr den Rhein hinunter in der Gegend von Elten über den Rhein setzten und endlich bey Creyfeldt, ein Stadt in der Grafschaft Meurs, eine Stunde jenseit dem Churkölnischen Städtchen Ordingen, gelegen, eine Bateille denen Franzosen lieferten, wobey erstere obsiegten, die Franzosen bis Colen retirirten. Die Französische Armee kame aber im August Mohnat wider zurück über den Rhein und marschirte weiter, ein Corps Dragoner campirte aber hier vor der Stadt unter den Befehlen des Duc de Chevreux 7 gantze Wochen bis um Mohnat October. Im gesagten August-Mohnat, wie die französische Armee im Vorrücken begriffen war, ist das Wasser in der Lippen so hoch angeloffen, daß es hinten nach den Münsterschen hätte über die Lippbrücke gegangen.“

Maria Theresia, Gemälde von M. van Meytens um 1759

Von April bis Juni 1758 waren Truppen der Verbündeten in Dorsten einquartiert. Im August 1758 kamen Franzosen, im Januar 1759 Hannoveraner, welche die Schanzwälle zerstörten. Aus der Herrlichkeit Lembeck nahmen sie fast alle Pferde mit, so dass es im Herbst 1759 nur noch 25 Pferde gab, von denen fünf die Räude hatten und somit für Spanndienste und Feldbestellung unbrauchbar waren. Die Franzosen lagerten auf ihrem Vormarsch gegen Osten im Juni 1759 zwischen Dorsten und Schermbeck, vor allem in Holsterhausen und in der Bauerschaft Buschhausen. Der Pfarrer von Altschermbeck schrieb in seine Chronik, dass Soldaten alle Fensterrahmen und Dachsparren beim Kochen verfeuerten. Auch der Rückmarsch der Franzosen erfolgte über Holsterhausen nach Westen hin. Der Preuße Bülow überrumpelte mit seinen Soldaten eine in Dorsten zurückgebliebene Abteilung der Franzosen und nahm 80 Mann gefangen. Im Oktober 1761 zog der Prinz von Braunschweig durch Dorsten und  Holsterhausen nach Wesel. Auch er ließ eine Besatzung in der Stadt zurück, die die Lippebrücke zerstörte. Ende August kam es zum offenen Kampf mit den Franzosen, wobei Dorsten bombardiert und geplündert wurde. Anfang September 1761 zogen die Verbündeten ab. Ende Oktober marschierte Prinz Soubise mit seinen Truppen über die wieder errichtete Brücke nach Essen. In diesen Tagen hielten sich die Bauern der Umgebung mit ihrem verbliebenen Vieh in den Wäldern verborgen. Der Schaden, den der Siebenjährige Krieg in der Herrlichkeit Lembeck verursachte, belief sich auf 47.256 Taler.

Schlacht von Waterloo 1815, Gemälde von William Sattler

Koalitionskriege gegen Frankreich 1792 und 1815 (Napoleonische Kriege)

Als „Koalitionskriege“ (unter Ausschluss des ersten Koalitionskriegs auch „Napoleonische Kriege“ genannt) werden die von 1792 bis 1815 dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und seinen europäischen Gegnern bezeichnet. Sie standen in der Kontinuität der Konflikte, die durch die Französische Revolution hervorgerufen worden waren, und beendeten die Zeit der Kabinettskriege. Wechselnde Bündnisse („Koalitionen“) europäischer Mächte führten auf verschiedenen Schauplätzen mehrere, teils ineinander übergehende Kriege gegen die Französische Republik beziehungsweise das französische Kaiserreich Napoleon Bonapartes und dessen Verbündete. Die Kriege lassen sich begrifflich in folgender Weise einteilen: die Revolutionskriege (1792 bis 1802) – 1. und 2. Koalition; die napoleonischen Kriege (1800 bis 1814/15) – 2. bis 6. Koalition sowie die Kämpfe auf dem iberischen Kriegsschauplatz und das Nachspiel von 1815; der Russlandfeldzug (1812) und die Befreiungskriege (1813 bis 1814) – 6. Koalition; die Kriegsereignisse der „Hundert Tage“ nach Napoleons Rückkehr aus der Verbannung (1815).

Kosaken 1813; Kosaken waren einen Winter lang in Dorsten einquartiert

Zuerst 1792, dann vom 6. Oktober bis 9. November 1794 hielt sich der vor den Franzosen geflüchtete Kurfürst von Köln, Max Franz, auf seinem Weg nach Münster in Dorsten auf. Im Oktober kamen österreichische Truppen ins Quartier nach Dorsten und verantworteten die Notzeit des „Kaiserlichen Winters“. 1799 waren auch preußische Truppen in der Stadt. Im Oktober 1806 zog die französische Nordarmee durch die Herrlichkeit gegen Preußen. Von 1810 bis 1813 wurde die Napoleonstraße quer durch das Territorium gebaut. 1812 nahmen 34 Männer aus der Herrlichkeit am Russlandfeldzug Napoleons teil, von denen ein Jahr später neun wieder nach Hause kamen. Am 6. November 1813 nahmen rund 500 französische Soldaten der in Russland geschlagenen Großen Armee in Dorsten Quartier, zerstörten die Brücke und zogen nach Wesel. In den folgenden Tagen fluteten immer mehr Soldaten durch Dorsten, quartierten sich ein und bauten die Brücke wieder auf. Am 1. Januar 1814 erreichte die 50 Kosaken starke Vorhut der Russen unter Oberst Fürst Narischkin (manchmal fälschlicherweise auch Narikin geschrieben) Dorsten, der die nach der Völkerschlacht bei Leipzig nach Frankreich zurückströmenden Franzosen verfolgte. Die Nahrungsmittel waren inzwischen so knapp geworden, dass die Dorstener Bürger froh waren, als die Kosaken am 4. März 1815 wieder abzogen. Dieser Winter ging als „Russischer Winter“ oder „Kosakenwinter“ in die Dorstener Geschichte ein. Anschließend kamen Preußen nach Dorsten, die bis zum 2. Mai blieben. Am 19. Mai räumten die Franzosen Wesel. Dorsten und die Herrlichkeit wurden preußisch. Im Freiheitskrieg 1815 fielen Johann Heinrich Huerland und Franz Breson sowie Hermann Ostkirchen und Albert Elvermann (beide Lembeck), Bernhard Fust (Hervest) und Bernhard Gertz (Wulfen).

Frühes Fotos aus den dt.-dän. Krieg von 1864: Soldaten an den Düppelner Schanzen

Dänische Kriege 1848 und 1864

Während im so genannten ersten Dänischen Krieg im Jahre 1848/49 die Landwehr aus der Herrlichkeit Lembeck mit einem Bataillon unter dem Kommando von Obrist-Leutnant von Langen teilgenommen hatte, waren hiesige Landwehreinheiten am zweiten Dänischen Krieg 1864 nicht beteiligt, aber reguläre Linieneinheiten. Bei der Niederwerfung des ersten Aufstandes in den Herzogtümern Schleswig und Holstein kamen zwei Soldaten aus der Herrlichkeit ums Leben: Budde aus Erle und Bernhard Heyming aus Wulfen. Allerdings fielen 1864 bei der regulären preußischen Armee Kleine Sander aus Wessendorf. Verwundet und verstümmelt wurden Heinrich Bruns aus Wulfen und der Soldat Flunkert aus Wessendorf.

1866 Krieg gegen Österreich

Im Jahr 1865 nahm der preußische König Wilhelm I. in Münster die Huldigung der Provinz entgegen. Der König ließ in seiner Rede durchblicken, dass die Westfalen, die sich im Kriege vielfach als „treue und mannhafte Krieger“ bewährt hätten, diese Tugenden auch bei künftigen Kriegen beweisen werden. Sie brauchten auf den nächsten Krieg nicht lange zu warten. Ein Jahr später brach der Österreichische Krieg aus, an dem sich die Landwehr wie auch Linientruppen aus Westfalen beteiligten. In diesem Krieg starb der Gardist Schulze Loh genannt Reinken aus dem Emmelkamp in Lablat (Mähren) an der Cholera.

Das 1896 errichtete "Germania"-Denkmal in Dorsten geht auf den Krieg gegen Frankreich 1870/71 zurück

1870/71 Deutsch-Französischer Krieg

Truppen aus Westfalen, darunter Dorstener und Soldaten aus der Herrlichkeit wurden im Juli 1870 mobilisiert und über Köln nach Saarbrücken in Marsch gesetzt. In diesem Krieg, der zur Gründung des deutschen Kaiserreichs unter Vorherrschaft von Preußen führte (bis 1919), fielen der Gefreite Henr. Püttmann aus Lembeck (1. Kompanie Hannoverschen Füsilier-Regiments Nr. 73), der Füsilier Bernhard Schlecking aus Rhade (11. Niederrheinisches Füsilier-Regiment Nr. 39), der Grenadier Max Kockswerth aus Lasthausen (2. Komp, 2. Garde-Grenadier-Regiment Kaiser Franz), Landwehrmann Bernhard Kruse aus Rhade (5. Westfälisches Infanterie-Regiment Nr. 53), Hermann Ducker aus Erle (10. Komp., 8 Westfälisches Infanterie-Regiment Nr. 57), Jochen Ludwig Feller aus Hervest, Friederich Vadder aus Wulfen (12. Komp., 3. Garde-Regiment zu Fuß), Wehrmann Johann Josef Henrich Soggeberg gen. Schülting aus Wulfen (Ersatz-Bataillon),  Musketier Johann Heinrich Ketteler aus  Lembeck (5. Komp., 1. Westfälisches Infanterie-Regiment Nr. 13), Eduard Brunn aus Wulfen (einjährig Freiwilliger, 1. Komp., 13. Infanterie-Regiment). Aus Dorsten starben: Hermann Ritgen, Richard Jungeblodt, August Enning, Hermann Feldemacher, Josef Feller, Theodor Hoffterheide, Josef Nover und J. W. Otte

Dorstener Postkarte aus dem Ersten Weltkrieg

Erster und Zweiter Weltkrieg

Auch der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) fand nicht auf Dorstener Boden statt. Im Ersten Weltkrieg blieben 352 Dorstener auf den Schlachtfeldern und im Zweiten Weltkrieg aus dem Amtsbereich Hervest-Dorsten über 2.000. In dieser Zahl sind die Vermissten enthalten. Die Spartakisten-Unruhen (1919), der Aufstand der Roten Ruhrarmee sowie die belgische Besetzung (1923 bis 1925) der Stadt einschließlich Holsterhausen und Hervest waren Folgen des Ersten Weltkriegs und des Friedensvertrags von Versailles. Im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) musste die Bevölkerung unter den Bombardierungen leiden. Bei der großen Bombardierung am 22. März 1945 wurde die Innenstadt dem Erdboden gleichgemacht. Am 28. März besetzten amerikanische Truppen die Stadt, nach dem Krieg etablierte sich die englische Besatzungsmacht in Dorsten.

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Entnommen dem demnächst erscheinenden „Dorsten-Lexikon“
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