Kommentar zu einer Berichtsvorlage von Helmut Frenzel
6. März 2015. – Die nächste Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses findet am Mittwoch der nächsten Woche statt. Auf der Tagesordnung steht unter anderem der Punkt „Schuldenportfoliomanagement – Bericht über die Entwicklung der Transaktionen“. Dazu hat die Verwaltung eine 14-seitige Berichtsvorlage für die Ausschussmitglieder erarbeitet. Sie ist von Bürgermeister Tobias Stockhoff unterzeichnet. In die Ereignisse, um die es geht, ist er als früheres Mitglied des Haupt- und Finanzausschusses auch persönlich involviert.
Unter dem trockenen Begriff „Schuldenportfolio“ wird sich kaum jemand etwas vorstellen können. Doch das darunter behandelte Thema ist von großer Tragweite. Es geht um die Schulden der Stadt und deren Entwicklung seit 2009. Ein großer Teil der Berichtsvorlage ist den Kassenkrediten in Schweizer Franken gewidmet. Anlass sind die erneuten hohen Verluste, die der Stadt durch den unerwarteten Kurseinbruch des Euro gegenüber dem Schweizer Franken zu Beginn dieses Jahres drohen. Die Vorlage ist überwiegend eine Rechtfertigungsschrift, sie soll belegen, dass die Verwaltung jederzeit verantwortungsvoll gehandelt hat und die eingetretenen Verluste von ihr nicht zu verantworten sind.
Zum ersten Mal überhaupt gibt die Verwaltung einen zusammenhängenden Überblick über die Entwicklung der Kreditbestände in Schweizer Franken (CHF), über die bis Ende 2014 eingetretenen Währungsverluste (Wertberichtigungen) und den Anstieg der CHF-Kreditbestände umgerechnet in Euro zum Kurs am Stichtag 31.12. des jeweiligen Jahres (siehe nachstehende Tabelle). Das ist immerhin ein Fortschritt.
Fehlendes Risikobewusstsein: neue Kredite in Schweizer Franken
Die Spalte „Bestand CHF“ zeigt die Sorglosigkeit der Verwaltung in Bezug auf das Währungsrisiko. Trotz des dramatischen Kursverfalls des Euro gegenüber dem Schweizer Franken nahm die Stadt in 2010 Kredite in Höhe von 15 Millionen Schweizer Franken zusätzlich auf. Auch in 2011, nachdem man im Vorjahr einen Währungsverlust von sage und schreibe 13,6 Millionen Euro hinnehmen musste, erhöhte die Stadt die CHF-Kredite noch einmal um 13 Millionen. Der Bürgermeister schreibt, die Stadt habe niemals beabsichtigt, auf den Kurs zu spekulieren. Für eine Spekulation auf einen Währungskurs sei unabdingbar, dass er stärkeren Schwankungen unterliege. Spätestens seit Anfang 2010 unterlag der CHF-Kurs stärkeren Schwankungen! Oder wie soll man es verstehen, wenn der Kurs des Euro gegenüber dem Schweizer Franken binnen Jahresfrist um 12 Prozent sinkt? War es unter diesen Umständen verantwortbar, den Bestand an CHF-Krediten noch einmal um 28 Millionen Schweizer Franken zu erhöhen? Zur Überprüfung seiner Meinung mag der Bürgermeister sich die Kursentwicklung im Juli/August 2011 anschauen. Da ist der Eurokurs gegenüber dem Franken schon einmal innerhalb weniger Tage von 1,23 auf 1,03 eingebrochen.
Spekulation zu Lasten der Bürger – ja oder nein?
Die Kreditaufnahmen in 2010 und 2011 waren spekulativ. Nachdem der Kurs des Euro gegenüber dem Schweizer Franken so stark gefallen war, haben die Entscheidungsträger ohne Zweifel darauf gesetzt, dass es eine Gegenbewegung im Kursverlauf geben wird und der Wert des Euro wieder auf die frühere Höhe steigt. Anders war die Kreditaufnahme gar nicht zu rechtfertigen. So hätte bei den neu aufgenommenen Krediten sogar ein Währungsgewinn eingefahren werden können. Unter diesen Umständen einen Fremdwährungskredit aufzunehmen ist nichts anderes als Spekulation! Unter dem Einfluss der Eurokrise haben sich diese Erwartungen allerdings zerschlagen. Wenn der Bürgermeister die Transaktionen in 2010 und 2011 verteidigt mit der Begründung, sie seien keine Spekulation gewesen, dann liegt er damit falsch, denn die Fakten sprechen dagegen.
Der Sorglosigkeit im Hinblick auf die Risiken ist es zu verdanken, dass Dorsten mit Krediten von 124,7 Millionen CHF unter den Gemeinden im Kreis Recklinghausen absolut und relativ die höchsten Bestände an Krediten in Schweizer Franken hält (Stichtag 31.12.2013). Waren die Verwaltungen der anderen Städte nur dumm und haben die verlockenden Zinsvorteile leichtfertig verschenkt oder waren sie nicht eher nur vorsichtig und deswegen zurückhaltend? In Dorsten jedenfalls wurde annähernd die Hälfte der Kassenkredite durch Kredite in CHF finanziert. Entsprechend groß sind die Risiken.
Verwaltung verkennt die Veränderung der Lage durch die Eurokrise
Unterdessen werden die Dorstener Verantwortlichen, dazu gehören auch die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses, im Schulterschluss mit dem Bürgermeister nicht müde, die großartigen Zinsersparnisse und Währungsgewinne als Rechtfertigung anzupreisen. Das städtische Engagement in CHF habe den städtischen Haushalt seit 2001 liquiditätswirksam mit 11,8 Millionen Euro entlastet, heißt es in der Vorlage des Bürgermeisters. Ob man diese Zahl ungeprüft glauben darf, sei dahin gestellt. Unabhängig davon zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass der Zeitraum, in dem die Stadt CHF-Kredite in Anspruch genommen hat, sich in zwei Abschnitte teilt. Mit Beginn der Eurokrise war eine komplett neue Lage entststanden: die Risiken nahmen zu. Das sollte doch den Entscheidungsträgern aufgefallen sein. Nach einem Erlass der Landesregierung muss die Hälfte der Zinsersparnisse bei Fremdwährungskrediten zur Risikovorsorge bilanziell zurückgestellt werden. In der Ausschussvorlage heißt es dazu, die Stadt habe aus den seit 2009 erzielten Zinsvorteilen 0,9 Millionen Euro zurückgestellt. Das muss man wohl so lesen, dass die Zinsvorteile seit 2009 sich auf das Doppelte, nämlich auf 1,8 Millionen Euro belaufen. 1,8 Millionen Euro Zinsersparnis in sechs Jahren?! Nimmt man die Angaben in der Vorlage wörtlich, so bedeutet das: von den 11,8 Millionen Euro, die den Haushalt entlastet haben sollen, entfallen 10 Millionen auf die Zeit bis einschließlich 2008 und 1,8 Millionen auf die Zeit seit 2009. Diesen 1,8 Millionen Euro Ersparnis stehen Währungsverluste im selben Zeitraum von 18,6 Millionen Euro gegenüber! Das Zehnfache! Ein Desaster. Das krasse Missverhältnis spielt der Bürgermeister herunter, indem er die Ersparnisse von vor 2009 gegen die Währungsverluste seit 2009 rechnet. Aber ist das legitim?
Null-Zins-Politik in Euroland: Was wird aus dem Zinsvorteil?
Die Frage führt auf die Zinsentwicklung. Der ursprüngliche Grund für die Aufnahme von CHF-Krediten war der Zinsvorteil. Kredite in Schweizer Franken wiesen lange Zeit einen niedrigeren Zinssatz auf als Kredite in Euro. Unter dem Eindruck von Finanz- und Eurokrise und durch die Verteuerung der Zinszahlungen für die Kredite in CHF infolge der Euro-Abwertung schrumpfte dieser Zinsvorteil zusehends. Inzwischen ist er offenbar gar nicht mehr vorhanden, sondern hat sich ins Gegenteil, in einen Zinsnachteil gewandelt. Dazu schreibt der Bürgermeister in seiner Vorlage: „Der Zinsmehraufwand in CHF wird durch Zinseinsparungen bei den Euro-Krediten nicht nur kompensiert, sondern ins Gegenteil verkehrt.“ Ist das ein Eingeständnis, dass die CHF-Kredite inzwischen höher zu verzinsen sind als Eurokredite, die seit einiger Zeit zu null Zinsen zu haben sind? Die Zinsmehraufwendungen für CHF-Kredite dann aber gegen die Einsparungen durch Null-Zins-Kredite in Euro aufzurechnen und daraus noch einen Vorteil zu machen, ist abenteuerlich und abwegig. Jeder weiß, dass die Niedrigzins-Politik im Euroraum den hoch verschuldeten staatlichen Ebenen helfen soll, ihre Haushalte zu stabilisieren. Dieser gewollte Vorteil wird bei Akteuren, die sich in Schweizer Franken verschuldet haben, ganz oder teilweise aufgezehrt – so auch bei der Stadt Dorsten. Unter diesen Bedingungen CHF-Kredite bedienen zu müssen ist ein erheblicher Nachteil. Eigentlich müsste die Stadt jetzt aus den Krediten in Schweizer Franken aussteigen. Doch das geht nicht. Die Verwaltung hat sich darauf festgelegt, die CHF-Kredite erst abzulösen, wenn der Einstandskurs durch Wiederaufwertung des Euro erreicht ist. Davon ist man aktuell weiter denn je entfernt. Das wird zwangsläufig zum Dilemma, wenn der frühere Zinsvorteil ins Gegenteil kippt.
Nach erneuter Frankenaufwertung: Währungsverluste von 3o Millionen Euro
Bisher war nur von der Entwicklung bis 2014 die Rede. Der Januar 2015 brachte aber einen weiteren dramatischen Einschnitt. Der Kurs des Euro gegenüber dem Schweizer Franken stürzte an einem einzigen Tag um 20 Prozent ab. Inzwischen scheint er sich bei 1,07 CHF zu 1 Euro zu stabilisieren, was immer noch einem Rückgang von 12 Prozent entspricht. Bezogen auf den Bestand an CHF-Krediten von 124,7 Millionen Euro bedeutet das einen weiteren Währungsverlust von 12 Millionen Euro. Wenn es bei diesem Kurs bleibt, dann wird die Stadt ihr Sparprogramm mit Hilfe der CHF-Kredite mit Währungsverlusten von insgesamt 30 Millionen Euro bezahlen.
Währungsverluste belasten den städtischen Haushalt
Damit sind wir bei den eingetretenen Verlusten. In seiner Ausschussvorlage schreibt der Bürgermeister: „Mit Ausnahme der ggf. vorzunehmenden Wertberichtigungen hat der Kurs des CHF zunächst keine Auswirkungen auf die Ergebnisrechnung“. Wer lässt den Bürgermeister einen so falschen, von jeglicher Sachkenntnis ungetrübten Satz unterschreiben? Oder: warum unterschreibt der Bürgermeister Vorlagen, wenn er keine eigenen Kenntnisse zur Beurteilung des Sachverhalts mitbringt? Für diejenigen, die nicht jeden Tag mit Bilanzen zu tun haben, sei hier klar gestellt: die Wertberichtigungen in der obigen Tabelle bezeichnen die Erhöhung der Rückzahlungsverpflichtungen bezüglich der CHF-Kredite infolge der verschlechterten Währungsrelation. Das ist nur eine Seite der Medaille, die andere Seite ist: in gleicher Höhe entsteht ein Verlust, der in der Ergebnisrechnung verbucht wird. Genauso ist das in den bisher vorliegenden Jahresabschlüssen geschehen und so wird es bei den noch ausstehenden Jahresabschlüssen geschehen.
Der Jahresabschluss 2010 weist einen Verlust von 40 Millionen Euro aus. 13,6 Millionen Euro davon sind auf den Währungsverlust in diesem Jahr zurückzuführen. Dass das in der Öffentlichkeit nicht weiter aufgefallen ist hat einen Grund: der Haushaltsplan für dieses Jahr sah einen Fehlbetrag von 38 Millionen Euro vor. Durch massive Umschichtungen in der Ergebnisrechnung wurden Spielräume freigeschaufelt, die für die Verbuchung der Währungsverluste genutzt wurden. Das Ergebnis 2010 laut Jahresabschluss endet mit einem Verlust von 40 Millionen Euro. Die Erhöhung gegenüber dem Plan um 2 Millionen hat niemanden im Rat zu einer Frage veranlasst. Der Jahresabschluss 2010 wurde am 3. Juli 2014 unter Punkt 40 (!) der Tagesordnung ohne Prüfung und Erörterung vom neugewählten Rat zur Kenntnis genommen und zu den Akten gelegt. Von dem gewaltigen Währungsverlust erfuhr die Öffentlichkeit nichts.
Kämmerer verschweigt in der Öffentlichkeit die Währungsverluste
Ein letzter Punkt verdient noch Beachtung. Der Bürgermeister schreibt in seiner Vorlage, dass die Fremdwährungskredite mit ihrem jeweiligen Kurswert zum 31.12. eines Jahres in der Bilanz abgebildet werden. In den inzwischen vorliegenden Jahresabschlüssen 2009, 2010 und 2011 ist das so. Diese liegen aber erst seit Juni 2014 vor. In allen seinen Präsentationen, auch in den Haushaltsplänen bis einschließlich 2015, hat der Kämmerer die Kassenkredite ohne die Wertberichtigungen dargestellt, zu niedrig also. Dadurch konnte niemand aufmerksam werden auf die schon vor Jahren eingetretenen Währungsverluste. Das hat sich erst mit dem erneuten Kurseinbruch des Euro am 15. Januar dieses Jahres und den dadurch im Raum stehenden erneuten Währungsverlusten geändert. Ob das mit der Pflicht des Kämmerers zur wahrheitsgemäßen Information der Öffentlichkeit vereinbar ist, mag jeder mit Blick auf seinen eigenen Kenntnisstand beurteilen. Auch der Bürgermeister hat in seiner Ausschussvorlage darauf verzichtet, die richtige Höhe der Kassenkredite unter Einbeziehung der Wertberichtigungen zu zeigen. Die vorstehende Tabelle stellt die beiden Zahlenreihen gegenüber.
Abgesang: Rat und Verwaltung trifft selbstverständlich keine Schuld
Zum Schluss noch ein Zitat aus der Berichtsvorlage des Bürgermeisters: „Bei der Bewertung muss auch berücksichtigt werden, in welcher finanziellen Situation die Stadt seit 2001 war. Die Kassenkredite stiegen sprunghaft an und die Zinslast drohte den Haushalt zu sprengen. Da Haushaltssanierungsmaßnahmen in der drastischen Form, wie sie heute praktiziert werden müssen, damals undenkbar und damit politisch nicht umsetzbar waren und zudem der Kommunalaufsicht das rechtliche Instrumentarium fehlte, solche Maßnahmen durchzusetzen, lag es nahe, andere Wege zu finden [Kursivschrift vom Verfasser eingefügt].“ … und den bequemen Weg in die Verschuldung zu gehen, möchte man ergänzen. Das beschreibt nichts weniger als eine Kapitulation von Stadtspitze und Rat vor den sich auftürmenden Haushaltsproblemen und eine politische Bankrotterklärung der Schulterschluss-Connection, die der Alt- und Ehrenbürgermeister Lambert Lütkenhorst so perfekt organisiert hatte.
Jetzt geht es den Verantwortlichen in Verwaltung und Rat erkennbar nur noch darum, ihre Haut zu retten und nicht für Fehler zur Rechenschaft gezogen zu werden. Alles war richtig, so der Tenor. Für die unvermeidlichen Kollateralschäden in Millionenhöhe müssen halt die Bürger haften. So ist das eben.
Aber die Geschichte ist keineswegs zu Ende. Die CHF-Kredite sind allesamt noch da. Zwei davon werden in 2015 fällig, einer davon mit 15 Millionen CHF im Mai dieses Jahres. Abhängig von der Kursrelation und der Zinsdifferenz zwischen CHF- und Eurokrediten könnte das noch spannend werden. Das Thema Fremdwährungskredite wird die Dorstener noch lange beschäftigen.
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NRW Staedte sollen nicht mehr bei Zins-Wetten Zocken
“Das Innenministerium rät ihnen nun, Schadenersatzansprüche zu prüfen”
http://www.rp-online.de/nrw/landespolitik/nrw-staedte-sollen-nicht-mehr-bei-zinswetten-zocken-aid-1.5004289
P.S. Ach ja stimmt, sie haben sich ja nicht verzockt stand in der Dorstener Zeitung und gerade deshalb werden sie wahrscheinlich keinen Schadenersatz fordern, weil es ja ein eigenes Schuldeingeständnis wär, geht ja auch nur um zig Millionen Euro die die Dorstener Bürger jetzt mehr aufbringen müssen