Von Wolf Stegemann
Der 1859 in Sümmern bei Iserlohn geborene Friedrich Wilhelm Ax war Hauptlehrer und von 1879 bis 1920 Schulleiter in Altendorf-Ulfkotte, wo er ein hoch angesehener Mann war, Mitglied der Gemeindevertretung und ein großer Naturfreund. Bienen und Schweinen galt seine große Leidenschaft. Das Volksschulwesen lag im 18. Jahrhundert im Argen. Der Unterricht fiel in den Sommermonaten aus, weil die Kinder das Vieh hüten und bei der Feldarbeit aushelfen mussten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbesserte sich das Unterrichtswesen. Es gab damals im Vest Recklinghausen 48 Volksschulklassen in 34 Orten, wobei in herzoglich-arenbergischer Zeit 20 neue Schulhäuser gebaut wurden, darunter vermutlich auch das von Altendorf.
Da die Bezahlung des „Scholmester“ nicht nur in Geld erfolgte, stand dem Altendorfer Lehrer der „Schulkamp“ zur Verfügung, der von der Schule bis zur heutigen evangelischen Kirche reichte. Dort konnte Lehrer Ax Kartoffeln, Gemüse und Obst anbauen. Der Platz reichte auch, um eine Kuh und ein Schwein zu halten. Als Entlohnung bekam Ax eine Mark pro Kind und Monat. Sein 2008 verstorbener Enkelsohn Wilhelm Ax, Rechtsanwalt, erinnerte sich noch 1989: „Mein Vater musste nach Marl zum Amt, um sein Geld abzuholen.“ Fußmärsche waren da keine Seltenheit.
Neben der Schule gehörte den Schweinen seine Leidenschaft
Die große Leidenschaft von Friedrich Ax mussten die Bienen und Schweine mit dem Bau einer eigenen Kirche in Altendorf teilen, den Friedrich Ax und sein Sohn immer wieder ins Gedächtnis von Pfarrer und Bischof riefen, auch wenn es manchmal recht unbequem war und auch beim erstmaligen Besuch des Münsterschen Bischofs Johannes am 20. April 1921 in Altendorf zur Sprache kam. Vorausgegangen war ein Streit zwischen Altendorfern und Pfarrer Heming von St. Agatha, weil der Pfarrer den Altendorfern die Kirche verweigerte. Daher übergingen sie ihn und richteten eine Eingabe direkt an den Bischof, der das anonym eingereichte „Volksbegehren“ ad referendum Pfarrer Heming zuschickte. Heming argumentierte gegen den Kirchbau und traf sich mit den Altendorfern in der Wirtschaft, wo er ihnen die Leviten las und dabei herausfand, dass ausgerechnet der Sohn des im Ruhestand befindlichen Lehrers Friedrich Ax angeblich ohne Wissen der Bauern die Eingabe an den Bischof geschickt hatte. Der Sohn Bernhard Ax war Steiger bei der Zeche. Pfarrer Heming schrieb in seine Chronik: „Nun kam es zu einer erregten Aussprache zwischen Steiger Ax und mir. Zuletzt aber hatte ich die Bauern auf meiner Seite. Es wurde ein Bauverein gegründet.“
Dies war die Veranlassung, dass ein Jahr später der Bischof nach Altendorf kam. Nachmittags um vier Uhr fuhren der Bischof mit Pfarrer Heming und Begleitung von Dorsten nach Altendorf. Pfarrer Heming, der nie etwas vergaß, was ihn empörte, erzählte schon am Vormittag, dass in Altendorf ein Lehrer i. R. Ax den Bischof empfangen werde. Hemings Chronik:
„Bischof Johannes wurde erregt und sagte: ,Dann gehe ich nicht dorthin.’ Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass es wohl nicht anders ginge, weil alles zum Empfange bereit sei. … Die ganze Bevölkerung von Altendorf stand an der Schule und in ihrer Mitte Lehrer Ax, dekoriert mit verschiedenen Orden. Er begrüßte den Herrn Bischof mit folgenden Worten: ,Hochwürdiger Herr Bischof! Der heutige Tag ist für uns ein großer denkwürdiger Tag. Noch niemals ist es vorgekommen, dass ein Bischof unsere Landgemeinde besuchte. Das ist für uns eine große Ehre. Hochwürdigster Herr Bischof, Sie sind an einem Orte, wo das große Wort des Propheten Malachias noch nicht in Erfüllung gegangen ist: ,An allen Orten wird meinem Namen ein Speiseopfer dargebracht werden’.“
Mit diesen Worten leitete Friedrich Ax seine Forderung nach einer eigenen Kirche für Altendorf ein, und lockte den Bischof damit, dem neuen Gotteshaus seinen Namen zu geben: Johanneskirche. Der Bischof hörte sich alles geduldig an und sagte kurz und bündig: „Hoffentlich erlebe ich das noch!“ Dann drehte er dem Lehrer den Rücken zu.
Als Friedrich Ax noch im Schuldienst war, fiel eines Tages den Schülern während des Unterrichts auf, dass ihr Lehrer geistig abwesend zu sein schien. Es klopfte, und er wurde herausgerufen. Später fanden sie ihn im Schweinestall, wo er hinter einer Sau hockte und sehnlichst auf die Köddekes (Ferkel) wartete.
In der Schule von Ax wurden drei Feiertage groß gefeiert: Kaisers Geburtstag, die Sedanfeier und „Lährer Nemensdag“. Bei den Vorbereitungen zu einer solchen Feier ging’s im Klassenraum drunter und drüber, und natürlich wurde die Gelegenheit genutzt, den Stock aus dem Lehrerpult verschwinden zu lassen. Aber die Freude war nicht von langer Dauer. Wenn Lehrer Ax „annern morgens mett en stief Been no de Schole kam, dann wussen wie, hei hätt en nien Eikenstock ut de Hegge in de Buxenpiepe un de Amnestie was vöbie“.
Bernhard Ax drohte mit der NSDAP und setzte dadurch den Kirchbau durch
Man nennt sie die Männer der ersten Stunde und zollt damit ihrer Arbeit und Aufopferung in schwerer Zeit Respekt. Unter ihnen nimmt der Altendorfer Bernhard Ax einen besonderen Rang ein. Nicht nur auf Grund seiner gesellschaftspolitischen Arbeit, sondern auch durch seine menschliche Haltung.
Während des Zweiten Weltkriegs plante und leitete Bernhard Ax, Sohn des Altendorfer Dorfschullehrers Friedrich Ax, den damals spektakulären Ausbau der 5. Sohle der Zeche Scholven/Zweckel für die Gewinnung von Hydrierkohle. Gleichzeitung leitete er das Grubenrettungswesen der Hibernia AG, wofür ihm die Silberne Grubenrettungsmedaille überreicht wurde. Nach dem Krieg gehörte Ax zu dem kleinen Kreis von Experten, die das Gesetz über den Bergmannversorgungsschein vorbereiteten. Nach Einrichtung einer nach diesem Gesetz errichteten Zentralstelle in Gelsenkirchen-Buer wurde Bernhard Ax bis zu seiner Pensionierung deren Leiter.
Als nach dem Krieg in den intakt gebliebenen Schachtanlagen wieder Kohle gefördert werden sollte, gehörte Ax zu den bewährten Praktikern, die 1946 als Gedinginspektoren im Bereich des Landesarbeitsministerium eingesetzt wurden. Auch gehörte er der Parlamentarischen Grubensicherungskommission an, die tödlich verlaufene Unfälle zu untersuchen hatten. Sein politisches Interesse galt immer seinem Geburtsort Altendorf-Ulfkotte. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er dort den Kriegerverein und war maßgeblich am Bau des Krieger-Ehrenmals beteiligt. Den Altendorfer Schützen gehörte er schon damals an; nach dem Zweiten Weltkrieg war er deren Vorsitzender und von 1956 bis 1958 Schützenkönig. Ax, 1946 Gründungsmitglied des Ortsvereins der CDU, verhinderte als ehrenamtlicher Gemeindedirektor in den 1950er-Jahren den Bau von Hochhäusern in Altendorf-Ulfkotte.
Über Bernhard Ax erzählt man sich auch eine Schmunzelgeschichte: Bis Mitte der 1930er-Jahre war er Schriftführer des Kirchbauvereins. Pfarrer Heming von St. Agatha sah das gar nicht gerne, denn er wollte seine Altendorfer Kirchenschäfchen bei St. Agatha halten. Die Altendorfer Bürger zeigten sich erbost über die „schlechte Behandlung“, die sie in Agatha erfuhren. Ihnen wurden dort die unbequemen Bänke zugewiesen. Daher wollten sie endlich eine eigene Kirche haben. Pfarrer Heming torpedierte dies, wo er nur konnte. Ax platzte der Kragen, als Ludwig Heming sogar die bereits angesammelte große Bau-Summe für Agatha anforderte. In einer Versammlung verkündete Bernhard Ax, dass er das Geld lieber der NSDAP-Ortsgruppe stiften würde, statt es nach Agatha zu geben. Aus Furcht wurde keine Gegenstimme laut. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter, Bauer Wilhelm Schulte-Hemming, war ebenfalls Mitglied im Kirchbau-Verein. Sogar Pfarrer Heming blieb in dieser Sitzung still, wie er seiner Chronik anvertraute. So rettete Bernhard Ax das Geld für den Kirchbau, der 1937 begonnen werden konnte. – Menschen, die den „alten Ax“ als Weggefährten oder Nachbarn kannten, bescheinigten ihm, nie ein Mann der langen Reden, sondern der kurzen Argumentation gewesen zu sein, die er mit Humor zu würzen verstand.
Heimat ohne Heimattümelei. Danke für İhre brillant geschriebenen Berichte! Danke für diese Seite. Das musste mal gesagt werden.