Von Helmut Frenzel und Wolf Stegemann
2013 schrieb das Magazin „Focus“, dass die deutschen Städte „Schrumpfgemeinden“ seien. Von der Richtigkeit dieser Aussage zeugen nicht nur statistische Zahlen, sondern auch die Stadtbilder, die von Trostlosigkeit der Einkaufsstraßen zeugen. Immer mehr Geschäfte, Arztpraxen, sogar Häuser werden leer gezogen, sind schlecht zu vermieten, weil es offensichtlich immer weniger nachhaltige Mieter für Fachgeschäfte und zu hohe Mieten gibt. Experten geben da gleich drei Gründe an: erstens entstünden Leerstände überwiegend in den Nebenstraßen, weniger in den „brummenden“ Einkaufsstraßen der Innenstädte. Allerdings entstehen sie in Dorsten sogar in den „brummenden“ Einkaufsstraßen, um beim Begriff des „Focus“ zu bleiben. Zweitens würde die Demografie sich auch durch Leerstände bemerkbar machen und drittens fehle es an Kaufkraft, bedingt durch rückläufige Bevölkerungszahlen, gerade im Ruhrgebiet, und auch durch die immer weiter steigenden Steuern und Abgaben an Städte und Staat, die das Portemonnaie und somit die bereits erwähnte Kaufkraft schmälern.
Ein wichtiger und dennoch häufig wenig beachteter Grund, warum man eine Stadt liebens- oder lebenswert findet, liegt in einer funktionierenden symbiotischen Beziehung zwischen Stadtbewohnern und ihren Innenstadtstraßen mit den Handelsgeschäften auf Erdgeschossebene links und rechts der Straßen. In Dorsten (und in anderen Städten) funktioniert die Symbiose schon lange nicht mehr. Die Straßen verkümmern, einmal von den Angeboten her und zum andern – und aktuell – durch Leerstände.
Eine gastronomische Zentrierung in den Einkaufsstraßen, wie sie beispielsweise auf dem Marktplatz stattfindet, ist zu einseitig. Denn auch gastronomische Betriebe in der Innenstadt erzeugen Leerstände. Zu viele Döner-, Ramsch- und Handy-Läden sind nicht gut für das Image der Stadt. Schöne Bilder, wo Sonnenschirme im Schatten des gigantischen Mercaden-Klotzes mit Café-Tischchen aufgebaut sind (wohlgemerkt nicht auf der Kanalseite), wie unlängst von der Stadt veröffentlicht, berühren das Thema Leerstände überhaupt nicht. Und wer glaubt, der Mercaden-Klotz würde die Geschäftswelt der Innenstadt beleben, dessen Meinung „möge Gott erhören“.
Leerstände fressen sich immer tiefer in das Stadtbild hinein
Zurück auf das Pflaster der Dorstener Innenstadt. Bei seinem Auftritt zum Jahresempfang der SPD hatte der Projektentwickler des „Mercaden“ nichts Neues zu berichten. Alles im Plan. Wie viele Tonnen Stahl pro Woche auf der Baustelle verarbeitet werden und wie viel ein Spannbetonbinder wiegt, das interessiert wohl die meisten Dorstener nicht so sehr. Aber dann ließ doch diese Bemerkung aufhorchen: In der Innenstadt von Dorsten stünden, auch wenn es wirtschaftlich schwierige Zeiten seien, die Zeichen ganz gut („Dorstener Zeitung“ vom 23. Februar 2015). Die Zeichen stehen gut? Wie das?
Schaut man sich um, dann sieht man, dass die Leerstände im Dorstener Einzelhandel sich immer weiter ausbreiten. Am härtesten trifft es die Altstadt. Auf der Essener Straße (Bild oben) und der Lippestraße stehen aktuell elf Ladenlokale leer. Kürzlich geräumt wurden zwei weitere Lokale, von denen man noch nicht weiß, ob sie wieder vermietet sind oder ob sie den Leerstand auf Dauer erhöhen. Beunruhigen muss, dass die Leerstände nicht mehr nur die obere Lippestraße betreffen, sondern auf den Abschnitt zwischen Bauhausstiege /Klosterstraße und Markt übergreifen. Auch außerhalb des Zentrums zeigen sich leere Geschäftsräume, so zum Beispiel am Ostwall. An der Marler Straße steht die riesige Halle von ehemals „ProMarkt“ seit Monaten leer.
Der Ortsteil Hervest ist ähnlich stark betroffen. An der Landwehr stehen 4, Im Harsewinkel 6 Geschäftslokale leer. Die Problematik in Wulfen-Barkenberg ist bekannt: die frühere Markthalle mit ihren etwa 30 Ladenlokalen ist bis auf ein Geschäft komplett geräumt. In Alt-Wulfen steht der Brauturm leer und in der Umgebung finden sich mehrere freie Geschäftsräume. Rhade und Lembeck sind von dieser Entwicklung allem Anschein nicht betroffen, auch Holsterhausen nicht. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Das ist die Lage im Februar 2015, ein Jahr vor der geplanten Eröffnung des Mercaden mit seinen 12.500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Dann soll die Lage besser werden? Ist das die Botschaft von Herrn Krämer? Selbst das Verträglichkeitsgutachten der GMA, von dem man sicher weiß, dass es die Auswirkungen auf den alt eingesessenen Einzelhandel geschönt darstellt, ist da anderer Meinung. Die Gutachter erwarten, dass das neue Einkaufscenter 15 Millionen Euro Umsatz aus dem innerstädtischen Einzelhandel und weitere 10 Millionen aus dem übrigen Stadtgebiet abzieht. Was das bei weiter sinkender Kaufkraft mit der Stadt macht, dazu mag sich jeder seine eigene Meinung bilden.
Lippestraße: monströse Verödung durch Leerstände
Hervest-Dorsten: Harsewinkel – kurze Straße mit etlichen Leerständen
Neue Mitte in Wulfen: Brauturm mit Schließungen und Leerständen
Barkenberg: Leerstände und Verödung des Marktes sind einsame Spitze
Zum Schluss sei ein kleiner Rückblick erlaubt. Als 1978 die Fußgängerzone in Dorsten eingerichtet wurde, an deren Ende dann das Lippetor-Center entstand, das inzwischen abgerissen wurde, um dem Mercaden Platz zu machen, lehnte der Sprecher der Dorstener Kaufmannschaft die Ansiedlung eines Verbrauchermarktes am Lippetor mit der Begründung ab, aus der Fußgängerzone dürfe keine Konsumstraße gemacht werden, vielmehr müsse sie Einkaufs- und gleichzeitig Begegnungs- und Freizeitstätte sein. Das Lippetor-Center kam dennoch. Weitere Forderungen der Kaufmannschaft: Fachgeschäfte seien erstrebenswert, Boutiquen, Spezialitätenrestaurants mit internationaler Küche, eine Diskothek, eine Tanzschule und ein Kino wünschenswert, um das Image zu verbessern und dazu beizutragen, dass hier noch abends Betrieb herrsche. Das war 1978.
Der beste Vorschlag, Freiricht! Als Rhader Ureinwohner leide ich schon lange unter der “Zwangsverdorstenerung”. Die beide Gemeinden sollten sich unbedingt zusammentun, um sich zusammenzuschließen und gemeinsam in den Kreis Borken abwandern. Danke für die guten Gedanken.
In Lembeck und Rhade sieht es doch auch nicht besser aus.
Erfolgreiche Lembecker Unternehmen (wie Bellendorf) weichen mit Filialeröffnungen zunehmend in den Borkender Raum aus, und auch in Lembeck gibt es Leerstand.
Im alten Rhader Ortskern um den Kirchplatz befindet sich kein einziges Geschäft mehr, stattdessen wurde der Einzelhandel auf die grüne Wiese ausgelagert (alles schön autogerecht; wie bei den Dorstener Mercaden scheinen die Stadtplaner noch in den 70er/80er-Jahren zu leben). Im Prinzip gibt es keinen funktionierenden öffentlichen Raum mehr in Rhade, nur hier und da zwei drei Kneipen, Apotheke, Altenheime etc. – und das Ganze verstreut auf einer Achse von drei (sic!) Kilometern! Welch’ ein Versagen der Stadtplaner!
Ich frage mich schon länger, warum Lembeck und Rhade nicht eine eigene Gemeinde bilden. Immerhin haben die beiden “Ortsteile” gemeinsam weit über 10.000 Einwohner und eine gemeinsame Geschichte, die münsterländischer (und nicht kurkölnischer) Prägung ist. Immerhin hätte eine solche Gemeinde eine gewisse Haushaltsautonomie und müsste ihr Geld nicht von den ebenfalls unfähigen Kämmerern der Stadt Dorsten verzocken lassen. Schauen wir uns doch um: Raesfeld ist schuldenfrei, Reken ist schuldenfrei, auch Heiden geht es gut (zumindest wollen dort noch junge Menschen leben). Lembeck und Rhade sind zwar schön mit dem Auto zu befahren, aber verweilen und sich engagieren will sich dort doch niemand mehr. Im Prinzip das Gleiche bei den anderen “Schlafstädten” Wulfen und Deuten. Das öffentliche Leben ist auch dort gestorben. – Danke, liebe Stadt Dorsten.
Sieht es nicht in allen Städten und Gemeinden ringsum so aus? Trostlos anzusehen, stimmt. Der Kauf per Internet schafft es, die Städte veröden zu lassen. Da ist der mündige Verbraucher gefragt.
Wäre es nicht höchste Zeit für ein Interview mit dem WinDor-Chef? Welche Pläne, Visionen hat dieser hochdotierte Leiter der wohl wichtigsten städtischen Institution? Einst in den Sattel gehoben von Lambert Lütkenhorst. Diese Totenstadt wiederzubeleben, dazu braucht es Können. Aber da gibt es ja mehr als genug Spezialisten in der Dorstener Stadtverwaltung. Wann macht der Letzte das Licht aus?