Von Wolf Stegemann
Vor rund 100 Jahren begann die Geschichte der Grubenwehren. Die Männer, die damals zur Rettung ihrer Kumpel einfuhren, taten dies freiwillig. Erst später etablierten sich die Grubenwehren und wurden fester Bestandteil der Zechen.
Es gab einen Tag im Leben des Brunnenbauers Willibald Winke, da war er gerade 23 Jahre alt, den er in seinem Leben nie vergaß. An jenem Tag, einem Freitag – es war der 21. Mai 1963 – saß er über vier Stunden lang verschüttet im Lehm eines 155 Meter tiefen Brunnens auf dem Gelände der Firma Findus in Klein Reken. Fast genau so lange dauerte die dramatische Rettungsaktion der Grubenwehr der Zeche Fürst Leopold. Rund 100 Menschen, die rund um den Schacht um das Leben Willibald Winkes gebangt hatten, atmeten erleichtert auf, als die Grubenwehrleute von Fürst Leopold den Verunglückten, der am ganzen Körper zitterte, auf die Trage legten.
12.45 Uhr: Am Brunnenrand ausgerutscht
Was war geschehen an jenem Freitag, den 21. Mai 1963 um 12.45 Uhr auf dem Betriebsgelände der Firma Findus in Klein Reken? Der dort von dem Brunnenbau-Unternehmen Bernhard Vormann aus Münster niedergebrachte Brunnen war fast fertig. Beim Ausfüllen des letzten Schachtabschnitts rutschte Willibald Winke vom Rand ab und stürzte Erdmassen nach sich ziehend etwa zehn Meter tief. Seine beiden Arbeitskollegen konnten sich im letzten Moment noch in Sicherheit bringen. Nur eine Hand ragte aus dem lehmigen Loch, das dem Brunnenbauer um ein Haar zum Grab geworden wäre.
Dann lief die Rettungsmaschinerie wie am Schnürchen. Zuerst war die Rekener Feuerwehr an der Unglücksstelle. Der Brandmeister schaufelte zuerst Winkes Kopf frei und setzte dem Eingeklemmten ein Atemgerät auf. Inzwischen wurde die Grubenwehr der Dorstener Zeche alarmiert. Diese Männer leisteten dann im wahrsten Sinne des Wortes Maßarbeit. Sobald feststand, dass der Verschüttete keine ernsthaften Verletzungen abbekommen hatte, ging man auf Nummer sicher. Der Schacht wurde nach den bewährten Regeln abgesichert. Die Geduld der Wartenden – auch Pfarrer Heeke war erschienen – wurde auf harte Proben gestellt.
Willibald Winkes Retter nannten ihn immer nur kurz Willi, der eine Beruhigungsspritze brauchte. Der Arzt mache sie zurecht, aber ein Steiger musste die Spritze ansetzen. Rund um den Schacht unterhielt man sich im Flüsterton. Nur die Kommandos der Männer von der Grubenwehr durchbrachen regelmäßig das Schweigen. Betriebsführer Hofer hatte seinen Befehlsstand auf einem quer zum Schacht liegenden Bretterpodium. Die Fahrsteiger Kollecker und Schiller wechselten sich bei der Schachtarbeit untertage ab.
17 Uhr: Der Verschüttete war geborgen
Als feststand, dass Willibald Winke in Hockestellung eingeklemmt war, und an ihm Seile zum Hochziehen befestigt waren, glaubte man schnell am Ziel zu sein, als der Befehl „Ziehen“ kam. Da reichten selbst sechs Man an der Leine nicht aus. Nichts bewegte sich. Wieder gingen die Eimer nach unten, wieder wurden Zentimeter um Zentimeter Lehm entfernt und Willibald Winke wieder ein Stück mehr freigelegt. Kurz nach 17 Uhr stand fest: Er ist frei! Wenige Minuten später hing der 23-Jährige im Gurt und wurde behutsam auf die Trage gelegt. Die Heizung des Krankenwagens war schon eine Stunde vorher angedreht worden.
Ein Bravo der Grubenwehr!
Der völlig Erschöpfte hatte nicht einmal mehr die Kraft zu einem Lächeln, zu dem ihn die Kumpels ermuntern wollten. „Wenn ihr mich rausholt, machen wir kräftig einen drauf“, hatte der Verschüttete eine halbe Stunde vorher versprochen.
„Ein Bravo der Grubenwehr! Sie leistete ganze Arbeit! Wie Unternehmer Vormann mitteilte, war auch der Vater des Geretteten in seiner Firma als Brunnenbaumeister beschäftigt. Winke jun., unverheiratet und ein fleißiger junger Mann, soll demnächst zum Meister befördert werden, was er nach diesem Schock doppelt verdient haben dürfte.“
Schuld trifft niemanden, Davon überzeugte sich auch die Staatsanwaltschaft. Willibald Winke hatte offenbar beim Auffüllen ein zu großes Tempo vorgelegt, zumal die Arbeiten an dem Brunnen am Tag des Unglücks abgeschlossen werden sollten.
Einsätze u. a. auch in Speckung und Lengede
Die Dorstener Grubenwehr war auch bei weiteren spektakulären Unglücken jener Zeit im Einsatz: Über 20 Stunden war 1948 der damals 62 Jahre alte Aloys Kuckuck in einem lehmig-feuchten Brunnenschacht in Lembeck-Specking verschüttet, bevor er von Spezialisten der herbeigerufenen Rettungskolonne der Zeche „Fürst Leopold“ gerettet werden konnte. Der Verschüttete kam ohne wesentliche Verletzungen davon. Kuckuck arbeitete in einer Tiefe von 25 Metern, als plötzlich die oberen Brunnenwände einbrachen und ihn verschütteten. Anderthalb Meter dick war die Gesteinsschicht über dem Kopf des Verschütteten. Nach langen Bemühen der Ortsfeuerwehr und der Rettungskolonne der Zeche konnte der 62-Jährige in den Morgenstunden des anderen Tages geborgen werden.
Beim Wassereinbruch auf der Erzgrube Mathilde in Lengede im Jahre 1963 stand die Grubenwehr Fürst Leopold/Baldur in Alarmbereitschaft. Der damalige Oberführer der Grubenwehr Arthur Schiller war als Ratgeber vor Ort.