von Helmut Frenzel
26. September 2014. – Vor wenigen Tagen wurde in Recklinghausen das neue Shopping Center „Palais Vest“ eröffnet. Wie zu erwarten, herrschte bei den Besuchern der ersten Tage Begeisterung. Sie freuen sich über die vielen neuen Geschäfte, die nun auch in ihrer Stadt vertreten sind. Sie vergleichen es mit anderen Einkaufscentern in der Umgebung, die sie kennen, und da kommt das „Palais Vest“ offenbar gut weg. In die allgemeine Euphorie mischen sich allerdings auch nachdenkliche Töne.
Kaufkraft aus den Nachbarstädten holen
So schreibt die WAZ in einem Beitrag zur Eröffnung: „Nun hat auch Recklinghausen eine Einkaufsgalerie. Es ist Sinnbild auch für den Konkurrenzkampf um Käufer in den Städten im Revier. Seit 2008 hat das Ruhrgebiet allein an Einkaufsgalerien 350.000 Quadratmeter Einkaufsfläche hinzugewonnen. Zu viel? „Mit dem heutigen Tag beginnt für unsere Altstadt eine neue Zeitrechnung“, sagt Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) in einer Videobotschaft aus dem Urlaub. Er hoffe, das Palais Vest werde „Kaufkraft binden und gewinnen“. Im Klartext: aus den Nachbarstädten holen. Das Problem daran ist: Die haben genau denselben Plan. Alle. In wenigen Wochen eröffnet in Hagen die ähnlich große „Rathaus-Galerie“ mit dem erklärten Ziel: Erweiterung des Einzugsgebiets. Handel ist Wandel, schon klar; was das Palais mit der Recklinghäuser Altstadt macht, wird sich zeigen. Manche Geschäfte sind aus der Fußgängerzone in die Galerie gezogen und hinterlassen erstmal hässlichen Leerstand“ (Der Westen vom 16. September 2014).
Damit wird ein Problem angesprochen, über das man nicht gerne redet: dem Zuwachs an Verkaufsfläche steht kein entsprechender Zuwachs an Kaufkraft gegenüber. Die Folge ist ein Verdrängungswettbewerb, der sich bei neuen Shopping Centern nicht nur gegen andere Center im Einzugsgebiet richtet, sondern auch und vor allem gegen den innerstädtischen Einzelhandel. In diesem Kampf haben die Einzelhändler nicht die besten Karten. Die Shopping Center werden professionell gemanagt, sie haben einheitliche Öffnungszeiten und sie betreiben gemeinsame Werbung. Zwischen zwei und vier Euro pro Quadratmeter und Monat zahlen die Shops alleine für Werbung.
In die Altstadt kommt Bewegung – immer mehr Leerstände
Was das bedeutet, kann man jetzt in Recklinghausen sehen. Die Recklinghäuser Zeitung beschrieb die Lage kürzlich so: „In die Altstadt kommt Bewegung: Wenn das ,Palais Vest‘ eröffnet wird, werden etliche Unternehmen die Läden, die sie während der Bauphase genutzt haben, aufgeben – zahlreiche Leerstände drohen.“ Im einzelnen werden zehn Geschäfte genannt, die aus der Altstadt in das neue Center umziehen und so den schon vorhandenen Leerstand vergrößern. Die Stadt Recklinghausen unterhält schon seit vielen Jahren ein Leerstandsmanagement. Es wurde ein Leerstandskataster aufgebaut, das dazu dient, Mietinteressenten möglichst passgenau geeignete Ladenlokale nachzuweisen (Recklinghäuser Zeitung vom 5. September 2014).
Aber auch damit lassen sich die leeren Ladenlokale nicht innerhalb kurzer Zeit wieder bevölkern. Es dürfte im Gegenteil Jahre dauern, bis sich die Altstadt von dem jetzigen Schlag wieder erholt. Mit dem Projekt „Künstler gestalten Räume“ versucht die Verwaltung das Problem zu überspielen. „Statt bei ihren Streifzügen durch die City an trostlosen Schaufenstern vorbei zu flanieren, können die Einkaufsbummler an drei Wochenenden an ausgewählten Standorten jede Menge Kunst entdecken. Außerhalb der Publikumstage werden die Schaufenster mit einem sogenannten „Window-Dressing“ ganzwöchig zur Ausstellungsfläche. Mit dem ambitionierten Großprojekt reagiert die Stadt zeitnah auf die im Zuge der „Palais Vest“-Eröffnung entstandenen Leerstände“ (Recklinghäuser Zeitung vom 20. September 2014)
Mercaden Böblingen: Kampf um die Shopper-Gunst
Interessant ist auch ein Blick nach Böblingen. Dort eröffnet am 2. Oktober das neu erbaute „Mercaden Böblingen“ mit einer Verkaufsfläche von 24.400 Quadratmetern. In der Nachbarstadt Sindelfingen, von Böblingen nur durch eine Autobahn getrennt, gibt es das seit langem bestehende Einkaufszentrum Breuningerland. Unter dem Titel „ Kampf um die Shopper-Gunst“ befasste sich schon vor einigen Monaten die Stuttgarter Zeitung mit dem Fall. „Werden die Mieter ausreichen, damit sich das Mercaden im harten Wettbewerb durchsetzt? Schließlich gibt es in der Nachbarstadt Sindelfingen mit dem Breuningerland ein etabliertes Einkaufszentrum. Bei der Zahl der Geschäfte und der Verkaufsfläche sind die beiden Zentren vergleichbar. Doch das Breuningerland hat Einkaufsmagnete, die man im Umkreis nicht findet.“ Ungeachtet dessen sei der Betreiber des „Mercaden Böblingen“ optimistisch. Eine Studie der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) besage, dass das Mercaden 15 Prozent der Kunden des Breuningerlandes abwerben könnte (Stuttgarter Zeitung vom 30. Juni 2014).
90.000 Quadratmeter mehr Verkaufsfläche
Das ist nicht alles. Am 23. September eröffnete im nahen Stuttgart mit dem „Gerber“ ein neues Einkaufszentrum mit 25.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und 86 Geschäften. Am 9. Oktober steht, ebenfalls in Stuttgart, die Eröffnung des „Milaneo“ bevor mit 43.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und 200 Shops. In Erwartung eines sich verschärfenden Wettbewerbs stellte der Betreiber des Breuningerlandes 2012 einen Antrag auf Erweiterung der Verkaufsfläche um 10.000 Quadratmeter. Der Gemeinderat Sindelfingen genehmigte den Antrag, woraufhin die örtlichen Einzelhändler Widerspruch einlegten und das Vorhaben vom Regierungspräsidium Stuttgart gestoppt wurde. Damit gab der Betreiber des Breuningerlandes sich aber nicht zufrieden und klagt nun gegen die Stadt Sindelfingen (Stuttgarter Zeitung vom 30. Juni 2014).
Der Wahnsinn hat Methode. Auch wenn die Klage scheitern sollte: die Verkaufsfläche im Raum Stuttgart/Böblingen wird durch die drei neuen Einkaufszentren um mehr als 90.000 Quadratmeter erweitert. In wenigen Jahren wird man sehen, wie sich das auf die Einzelhandelslandschaft in der Region auswirkt und insbesondere wie sich der traditionelle innerstädtische Einzelhandel behauptet.
Dorsten macht mit beim Center-Monopoly
Man beginnt die Logik zu begreifen, die die Entwicklung der Shopping Center antreibt. Wenn in der Nachbarstadt ein Einkaufscenter eröffnet wird, das es auf die Kaufkraft am eigenen Ort abgesehen hat, baut man als Verteidigungsmaßnahme auch ein Einkaufscenter. Die Spirale dreht sich von alleine. Jedes neue Center ist die Vorlage für die Entscheidung zum Bau des nächsten. Die Finanzierung dafür stellen Investoren bereit, die händeringend nach Anlagen für ihr Kapital suchen. Wie lange das gut geht, wird sich zeigen.