Von Wolf Stegemann
Am 15. Juni wird in Stichwahlen nicht nur Dorstens Bürgermeister für die nächsten sechs Jahre gewählt, sondern auch Bürgermeister anderer Städte in naher und ferner Nachbarschaft wie Dortmund, Velbert, Gladbeck, Essen, Düsseldorf, Bielefeld und anderen Städten. Auch müssen sich die Kandidaten für die Landratswahl im Kreis Recklinghausen einer Stichwahl stellen.
Dass Wahlen immer an einen Sonntag stattfinden, hat nichts mit einer Gleichschaltung von Wahl- und Kirchgang zu tun – so mag es früher einmal gewesen sein –, sondern mit dem § 46 des Kommunalwahlgesetzes in NRW: „Wahltag ist ein Sonntag“. Da heißt es auch, dass der Bürgermeister oder Landrat nur dann gewählt ist, wenn er mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat. Weder das Ergebnis von Tobias Stockhoff mit 49,6 Prozent noch von Michael Baune (35,6 Prozent) entsprach dieser Gesetzesvorschrift, die des Weiteren sagt, dass eine Stichwahl 14 Tage nach der Wahl stattzufinden hat. Wegen der Pfingstfeiertage verlängerte die Aufsichtsbehörde diese Frist. Für die Stichwahl gilt dasselbe Wählerverzeichnis wie bei der vorangegangenen Wahl. Wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt, ist Bürgermeister. Sollten Stockhoff und Baune am Sonntag die gleiche Stimmenanzahl haben, was Theorie sein dürfte und in der Praxis unwahrscheinlich, dann bestimmt das Los, wer Bürgermeister der Stadt Dorsten wird.
Sollte einer der Kandidaten zwischen der Wahl und der Stichwahl sterben, was Gott verhüten möge, oder er verliert die Wählbarkeit, weil er beispielsweise in eine andere Stadt zieht, dann muss die gesamte Wahl mit allen Kandidaten wiederholt werden. Da könnten die Parteien auch neue Wahlvorschläge einbringen.
Bürgermeister-Kandidaten müssen fachlich nicht qualifiziert sein
Übrigens ist grundsätzlich jeder Deutsche zum Bürgermeister wählbar, aber auch die in Deutschland lebenden Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, wenn sie am Wahltag mindestens 23 Jahre alt sind. Die Bewerber müssen die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes eintreten werden. Eine besondere fachliche oder berufliche Qualifikation der Bewerber um das Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters schreibt das Gesetz nicht vor. Ein Bürgermeisterkandidat kann gleichzeitig auch für den Rat kandidieren. Wird er in beide Funktionen gewählt, muss er sich entscheiden: Rat oder Bürgermeister. Dazu gibt es Aussagen in der Gemeindeordnung (GO):
Weil Ratsmitglieder im Gegensatz zur Verwaltung „ehrenamtlich“ tätig sind, wird der Rat als Bestandteil der Verwaltung auch als „ehrenamtliche Verwaltung“ bezeichnet. Damit wird er abgegrenzt von der „hauptamtlichen Verwaltung“, die dem Bürger durch das Handeln ihrer hauptberuflich Beschäftigten gegenübertritt. Die hauptamtliche Verwaltung wird vom Bürgermeister organisatorisch, fachlich und dienstrechtlich geleitet, aber ebenso der Rat, die „ehrenamtliche Verwaltung“.
Der direkt gewählte Bürgermeister wird in eigener Wahl – nicht als Ratsmitglied – in den Rat gewählt. Gleichwohl schreibt die Gemeindeordnung (GO) allerdings vor: „Den Vorsitz im Rat führt der Bürgermeister.“ Hierdurch wird deutlich gemacht, dass der Rat Bestandteil der Verwaltung ist. Denn der Bürgermeister wirkt über seine Funktion als Ratsvorsitzender hinaus „wie ein Ratsmitglied“ mit, so formulierte es die Gemeindeordnung 1994. Das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 9. Oktober 2007 bestimmt ihn zum „Mitglied kraft Gesetzes“ (§ 40 Abs. 2 GO). In der Regel stimmt er über Beschlüsse des Rates mit ab. Die Gemeindeordnung schreibt vor, wann der Bürgermeister nicht mit abstimmen darf. – Siehe auch den Artikel: „Der Bürgermeister – wie er im Rathaus funktioniert …“ in Dorsten-transparent.
Stichwahl wurde vorübergehend gesetzlich abgeschafft
Stichwahlen gibt es vielerorts in der Welt. Vor kurzem fanden Stichwahlen für die Präsidentschaft in Afghanistan statt, in Haiti, in Israel, in Kolumbien und anderswo. In Nordrhein-Westfalen hat die Stichwahl eine eigene politische Geschichte, bei der sich die CDU/FDP-Regierung nicht gerade mit demokratischem Ruhm bekleckert hat. Denn sie schaffte die Stichwahl bei den Bürgermeister- und Landratswahlen einfach ab und änderten den § 46 c Abs. 2 Satz 2 des Kommunalwahlgesetzes (KWahlG NRW) im Oktober 2007.
Angeblich machten die CDU- und FDP-Politiker dies aus Gründen der Vereinfachung verwaltungstechnischer Umsetzung und somit einer Ausgaben-Ersparnis im Zuge einer umfassenden Gemeindereform, mit der die Stellung des Bürgermeisters in den Gemeinden gestärkt wurde. Kritiker warfen den regierungstragenden Parteien im Düsseldorfer Landtag allerdings vor, dass sie in puncto Stichwahl dies aus parteipolitischem Eigennutz getan hätten, um ihre Kandidaten schneller als gewählt hinstellen zu können, und um dadurch Wahlkampfkosten und -arbeit einzusparen. Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen mochte sich einer eingereichten Klage gegen die Abschaffung der Stichwahl 2009 nicht anschließen und wies eine Klage ab. Dennoch führte die rot-grüne Landesregierung im Mai 2011 per Gesetz das Wahl-Procedere mit Stichwahl wieder ein (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW, Ausg. 2011 Nr. 10 vom 10. Mai.2011, Seite 237 bis 246).
Ausreichende demokratische Legitimation ist wichtig
Damit schaffte Landesregierung den unhaltbaren Zustand ab, dass Bürgermeister bzw. Landräte mit einer Schmalspurlegitimation ihr Amt ausübten. Es ist gut und richtig, wenn der Kandidat durch die Stichwahl am Sonntag eine ausreichende demokratische Legitimation bekommt, das Amt auszuüben.
Ok, das hat meine Neugier geweckt. Hier das Ergebnis für 2014:
Es gab 41 Stichwahlen in den Städten, kreisfreien Städten und Kreisen. In 33 Fällen hat sich nichts verändert, der bisher führende Kandidat hat die Stichwahl gewonnen. In den anderen 8 Fällen ist es anders ausgegangen:
Wesseling: gewonnen nach Rückstand 44,4 % zu 46,0 %
Kürten: gewonnen nach Rückstand 20,9 % zu 30,6 %
Wachtberg: gewonnen nach Rückstand 34,7 % zu 42,1 %
Waltrop: gewonnen nach Rückstand 39,7 % zu 40,7 %
Kirchhundem: gewonnen nach Rückstand 35,0 % zu 42,2 %
Düsseldorf: gewonnen nach Rückstand 37,9 % zu 46,1 %
Mönchengladbach: gewonnen nach Rückstand 39,1 % zu 40,6 %
Kreis Siegen-Wittgenstein: gewonnen nach Rückstand 35,8 % zu 43,3 %
Das das Ruder bei einem sehr knappen Vorergebnis mal umschlägt, hatte ich so erwartet, nicht aber, wenn teilweise der Unterschied bis zu 10 Prozentpunkte ausgemacht hat. Aber ist das nun eine größere demokratische Legitimation? Vermutlich müsste man diese Ergebnisse noch mit der Wahlbeteiligung gewichten. Um dann unter Umständen zum Ergebnis zu kommen, dass die Legitimation vorher doch größer wahr?
Ich frage mich gerade, warum eine fehlende Stichwahl ein “unhaltbarer Zustand” ist oder die “CDU/FDP-Regierung nicht gerade mit demokratischem Ruhm bekleckert hat”. Es gibt genug Demokratien, denen es an einer Stichwahl fehlt. Sind diese deswegen weniger demokratisch? Oder kommt diese Meinung gerade deshalb, weil der persönliche Kandidat damit eine zweite Chance erhält? Immerhin ist die Stichwahl meines Wissens nicht in allen Bundesländern etabliert. Warum denn nicht? Vielleicht weil es eben doch kein Gradmesser für die Qualität von Demokratie ist?
Interessant wäre doch mal eine Untersuchung, in wie vielen Stichwahlen ein anderer Kandidat gewählt worden ist, als derjenige, der vorher schon die Stimmenmehrheit hatte. Ohne es zu wissen, würde ich vermuten, dass das so gut wie nie der Fall war. Aber mit so einer Untersuchung könnte man immerhin den Beweis antreten…