Von Wolf Stegemann
Als industrielle Revolution wird die Phase des Durchbruchs der Industrialisierung in Deutschland bezeichnet, deren Beginn von Historikern auf die Zeit zwischen 1815 und 1835 datiert wird. Eines der Kennzeichen der Industrialisierung war ihr regionaler Charakter (Traditionen, Verkehrslage, Rohstoffvorkommen). Die Industrialisierung brachte den für die Handwerker- und Handelsstadt Dorsten notwendigen Aufschwung. Arbeitsplätze und Zuwanderer kamen mit der Maschinenspinnerei, einer Weberei und später einer Eisengießerei. Erste städtische Gaswerke versorgten die Bürger mit Energie. Mit der Abteufung der Schächte Baldur I und II in Holsterhausen und Fürst Leopold in Hervest erreichte der Bergbau die Stadtregion. Dorstens neuere Geschichte ähnelt der des Ruhrgebiets. Mit dem Bau des Wesel-Datteln-Kanals (Lippeseiten-Kanal) erholte sich Dorstens Wirtschaft. Zwar wurde die Zeche Baldur in Holsterhausen stillgelegt, doch baute das Bergwerk Fürst Leopold noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts Kohle ab, dann wurde auch diese Zeche geschlossen. – Zur Industrialisierung in Dorsten gehören u. a. die Niederlassung der „Nebensparkasse des Kreises Recklinghausen in Dorsten“ 1855, die Einrichtung der Gasbeleuchtung 1866, die Ansiedlungen der Unternehmen Dorstener Maschinenfabrik 1873, der Kokosweberei 1887 (DeKoWe), der Bleicherei Robert Paton 1890, Errichtung der Zechen 1897 und 1911 und anderer Industrieunternehmen. In loser Folge berichten wir über die Geschichte der Industrialisierung der Stadt Dorsten und der ehemaligen Bergbaugemeinden.
Traditionsreiches Unternehmen hat bessere Zeiten gesehen
Die 1873 von den Dorstenern Rive, von Raesfeld, Eveld, Rensing und Jungeblodt als Maschinen- und Ersatzteillieferant für die Zechen mit einem Kapital von 354.000 Mark gegründete Eisengießerei und Maschinenfabrik, die unter dem Begriff „Dorstener“ sich weltweit einen Namen gemacht hatte, gehörte einst zu den führenden Unternehmen des speziellen Schwermaschinenbaus und war in mehr als 100 Ländern präsent. Es wurden zunächst Produkte wie Fallstempelpressen für die Kalksand-, Ziegel-, Chemie- und Futtermittelindustrie hergestellt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts lieferte die „Dorstener“ 295 Steinpressen nach China, Amerika, Sibirien, Belgien, Italien, Norwegen, Österreich, in den Nahen Osten und in die Schweiz.
Einrichtung wird nach Hervest-Dorsten überführt
1908 wurde der Sitz des Unternehmens von Dorsten nach Hervest-Dorsten verlegt und in den Jahren 1920 bis 1922 das Kapital auf 2,4 Millionen Mark erhöht. In der Hauptversammlung vom 7. Januar 1925 fand eine Umstellung des Aktienkapitals von 2,4 Millionen Mark auf 600.000 Reichsmark statt. 1929 wurde für den Vertrieb von Zahnrädern die Derendorfer Zahnräderfabrik H. Geiger GmbH mit dem Sitz in Düsseldorf gegründet (Kapital 26.000 RM), wo bisher dieselbe Firma als offene Handelsgesellschaft bestanden und die in Derendorf gelegene Fabrik betrieben hatte. Gelände und Gebäude dieses Unternehmens wurden an die Reichsbahn verkauft, die Einrichtungen zu einem wesentlichen Teil von der neuen Gesellschaft erworben und nach Hervest-Dorsten übergeführt.
Während der NS-Zeit
Darüber ist wenig bekannt. Vermutlich wurden die Produkte der Maschinenfabrik auf Kriegsproduktion umgestellt. Nach mehreren Verlustjahren fand 1937/38 erstmals wieder eine Dividendenzahlung statt. Am Ende des Geschäftsjahres 1936/37 wurde aus Zweckmäßigkeitsgründen die Weiterführung der GmbH aufgegeben. Die Anlagen der Maschinenfabrik bestanden 1938 aus der Eisengießerei, Maschinenfabrik, Zahnräderfabrik und einer Lehrwerkstätte. 1938 wurde als Tochtergesellschaft die Düsseldorfer Zahnräderfabrik H. Geiger GmbH (Vertriebsgesellschaft) genannt. 1940 fand eine Kapitalerhöhung um 300.000 RM auf 900.000 RM zwecks Werkserweiterung in Aktien zu 300 RM statt. Die neuen Aktien, auf Namen lautend, wurden im Verhältnis 1:2 den Aktionären zu 106 Prozent angeboten. Am 19. Dezember 1943 fand die vorerst letzte ordentliche Hauptversammlung statt.
1943: Organe und Kapital
Vorstand: Dipl.-Ing. Ernst Junker (Dorsten); Aufsichtsratsvorsitzender: Bergwerksdirektor Bergassessor Ad. Jungeblodt (Wesel), stellvertretender Aufsichtsrat: Bergwerksdirektor Bergassessor Stein (Recklinghausen); Bankier Bernard Randebrock (Naumburg an der Saale), Gustav Hilgenberg (Essen); Abschlussprüfer für das Geschäftsjahr 1942/43: Dipl.-Kaufmann Dr. Schumacher (Münster).
In der Hauptversammlung hatte jeder Aktieninhaber pro 300 RM-Aktie 1 Stimme. Von dem Jahresreingewinn waren zunächst mindestens fünf Prozent der gesetzlichen Rücklage zuzuführen. Nach Zuweisung an die Rücklage waren entsprechende Beträge für etwa notwendige besondere Abschreibungen und Rücklagen abzusetzen. Hiernach waren vier Prozent Dividende an die Aktionäre zu verteilen. Von dem verbleibenden Rest erhielt der Aufsichtsrat eine Vergütung vom Reingewinn. Der dann noch verbleibende Rest stand zur Verfügung der Hauptversammlung.
Fabrikationsprogramm bietet eine breite Palette
Gegenstand des Unternehmens war jetzt die Fabrikation von Maschinen und Gussstücken aller Art. Produziert wurden Präzisions-Zahnräder und Getriebe, Trockenpress-Ziegeleieinrichtungen für Tonschiefer, Kalksand, Schlacken, feuerfeste Materialien usw. Brikettierungsmaschinen für Zementrohmehl, Gichtstaub, Rückstände in Metallhütten und chemische Fabriken, Förderseilscheiben, hochwertiger Maschinenguss (Quelle: Handbuch Akt.-Ges. 1943/879).
Stewing hielt mehr als 50 Prozent des Stammkapitals
Bei Kriegsende völlig zerstört, wurde das Werk als ein für die Zeche wirtschaftlich wichtiger Betrieb in anderthalbjähriger Bauzeit wieder errichtet. Die Bilanzsumme wurde bei der Währungsreform 1948 1:1 umgestellt. Zu diesem Zeitpunkt hielt Bernard Randebrock aus Wuppertal rund 25 Prozent des gezeichneten Kapitals. 1957 beschloss die Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung auf zwei Millionen DM, 1961 wurde es auf drei Millionen erhöht. 1961 verstarb Bernard Randebrock, seine Erben übernahmen eine 32-prozentige Beteiligung, deren Hälfte im selben Jahr an Hans-Jürgen Langen aus Pullingen ging. Die Dorstener Unternehmerfamilie Stewing tauchte erstmals 1967 in der Aktiengesellschaft mit einem Anteil von 0,03 Prozent auf.
In der Hauptversammlung 1971 kam es zum Eklat, als der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Randebrock nicht mehr gewählt wurde, sondern Hans-Jürgen Langen, der im Laufe des Jahres die verbliebene Randebrocksche Beteiligung übernahm. Der Dorstener Quarzsand- und Kiesunternehmer Erich Müller hielt eine 25-prozentige Sperrminorität. Zwei Jahre später wurde der Dorstener Albert Stewing einstimmig zum Aufsichtsratsmitglied gewählt; er hielt inzwischen mehr als 50 Prozent des Aktienkapitals (Eigen- und Fremdbesitz).
Albert Stewing gab dem Unternehmen ein privates Darlehn
Ein Jahr später meldete die Maschinenfabrik erstmals seit Kriegsende einen Verlust. Gegen Albert Stewing regten sich Proteste . Eine 1974 vorgesehene Kapitalerhöhung um 1,5 Millionen DM (genehmigtes Kapital) blockierte Aktionär Müller (Quarzwerke) mit seiner Sperr-Minorität. Daraufhin gab Albert Stewing der Aktiengesellschaft ein privates Darlehn in Höhe der vorgesehenen und nicht genehmigten Kapitalerhöhung. Die genauen Bedingungen des Darlehnsvertrags wurden geheim gehalten und haben bis in die 1990er Jahre hinein wiederholt die Hauptversammlungen der Gesellschaft beschäftigt. 1982 wurde bekannt, dass Stewing für das Darlehn einen Zinssatz von 14 Prozent erhalten hatte.
In den Hauptversammlungen ging es hoch her
1976 wurde der Firmenname in „Dorstener Maschinenfabrik Aktiengesellschaft“ geändert. Vier Jahre später verstarb Erich Müller. Seine Erben verkauften die rund 26-prozentige Beteiligung an die Flender-Werke in Bocholt. 1983 wurde ein Betrugsfall aufgedeckt. Das Vorstandsmitglied Joachim H. aus Ratingen hatte über einen Zeitraum von fünf Jahren private Kosten über Firmenkonten abgerechnet und sich selbst eine „Provisionszahlung“ in Höhe von 1,3 Millionen DM bewilligt. In der Hauptversammlung 1984 ging es erneut hoch her, weil der Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzende Albert Stewing nicht entlastet wurde. 1985 gelang es Stewing, die Flender’sche Beteiligung zu übernehmen. Er hielt daraufhin direkt und indirekt 97 Prozent des Aktienkapitals. 1993 gehörten 25 Prozent Gertrud Stewing, Ehefrau von Albert Stewing, 73 Prozent der „Albert Stewing Beteiligungsgesellschaft & Co Kommanditgesellschaft“ (ASB). 1994 wurde der Anteil der freien Aktionäre mit noch 1,3 Prozent angegeben. Die ASB übereignete ihr Aktienpaket einem Bankenpool als Sicherheit für Darlehn an die Stewing-Gruppe, machte aber zur Bedingung, dass der Erlös aus einer eventuellen Verwertung des Aktienpakets der Dorstener Maschinenfabrik zur Abdeckung der Darlehn an die Stewing-Gruppe zustand. 1997 wurde über das Privatvermögen des Albert Stewing und die meisten Unternehmen der Stewing-Gruppe das Konkursverfahren eröffnet.
Wirtschaftskrimi
Die Dorstener Maschinenfabrik war zunächst nicht betroffen, musste jedoch Darlehnsforderungen an verbundene Unternehmen (des Großaktionärs Stewing) in Höhe von 13 Millionen DM wertberichtigen. 1999 legt Stewing sein Aufsichtsratsmandat nieder. Die Banken verwerteten das Stewing’sche Aktienpaket nicht, da der Erlös der Dorstener Maschinenfabrik zustand und diese sich weigerte, auf ihre Rechte zu verzichten.
Seit dem Jahr 2000 eine funktionslose Aktiengesellschaft
Der vorerst letzte Geschäftsbericht der Dorstener Maschinenfabrik Aktiengesellschaft von 1999 (für das Geschäftsjahr 1998) endet mit einer Bilanzsumme von 62.966.166,02 DM und einem Bilanzverlust von 62.815.39,24 Deutsche Mark. Übrig blieben gerade noch 150,78 DM. Von den Forderungsausfällen aufgrund des Stewing-Konkurses hatte sich das Unternehmen nicht mehr erholt. Im Jahre 2000 wurde über das Vermögen der Dorstener Maschinenfabrik das Insolvenzverfahren eröffnet. Seitdem existiert die Dorstener Maschinenfabrik als funktionslose, börsennotierte Aktiengesellschaft fort. Der Mantel wird an der Düsseldorfer Börse immerhin mit mehr als zwei Millionen Euro bewertet. Gertrud Stewing ist nach wie vor mit 25 Prozent beteiligt, gut 72 Prozent des Nennkapitals liegen beim Bankenpool.
Hinter der Zukunft der Dorstener Maschinenfabrik, seit 2001 Teil der Zollern-Gruppe, steht weiterhin ein Fragezeichen. Noch immer ist nicht klar, welchen Einfluss der Tod des Milliardärs Adolf Merckle hat, der zu 50 Prozent an der Zollern-Gruppe beteiligt ist und der erhebliche Finanzprobleme hinterlassen hat.
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25- jähriges Firmenjubiläum im Jahre 1899 – Zeitungsbericht
Jubiläum in Dorsten. Ein Vierteljahrhundert war zu Anfang dieses Jahres verflossen, seit nach der Eröffnung der Eisenbahn Wesel-Haltern am Köln-Mindener Bahnhof die Dorstener Eisengießerei und Maschinenfabrik gegründet wurde und Herr Director Schuhmacher die Leitung des neuen Werkes übernahm. Dieses Doppelfest glaubten die Angestellten und Arbeiter des Werkes nicht vorübergehen lassen zu sollen, ohne es in angemessener, würdiger Weise zu feiern. Schon von langer Hand waren die Vorbereitungen getroffen und man durfte ein gutes Gelingen erwarten. Doch hätte beinahe das Wetter die Vorbereitungen, soweit sie das äußere Fest betrafen, zu Nichte gemacht. Nach 4 Uhr aber klärte sich das Wetter und so konnte die Feier um 5 Uhr programmmäßig beginnen.
Ein Fackelzug der Arbeiter bewegte sich unter Vorantritt einer Kapelle zur Wohnung des Directors Schumacher. Der Platz vor dem Hause war durch electrische Lampen erleuchtet. Nach dem Vortrage einiger, für die Feier besonders gedichteter Lieder durch den Gesangchor der Arbeiter unter Leitung des Herrn Lehrers Bronstert und einiger Musikstücke feierte Herr Obermeister Herpers die Verdienste des Directors und brachte ihm ein Hoch, in das die Arbeiter unter dem Donner der Böller begeistert einstimmten. Der Herr Direktor dankte und dann zog der Zug der Stadt zu, um im festlich geschmückten Koop’schen Saale weiter zu feiern.
Es fielen im Saale besonders die beiden Wandgemälde ins Auge. Auf dem einen winkt Director Schumacher die 1000. Presse heran. Ein Zwerg drückt darüber seine Freude aus, ein anderer schiebt jauchzend die Presse fort. Das andere Bild zeigte die Eisengießerei am Abend in vollem Betriebe. Die erhöhte Bühne war der Platz für den Jubilar und seine Familie, den Aufsichtsrath und die Ehrengäste. Bald entwickelte sich bei gutem Essen und vorzüglichem Trank, bei Rede, Lied und Musik eine sehr animirte Stimmung. Das Mitglied des Aufsichtsrathes, Herr Hilgenberg-Essen brachte das Kaiserhoch aus. Der Vorsitzende des Aufsichtsrathes, Herr Director Randebrock aus Recklinghausen, mit dem verstorbenen Generaldirektor Rive Gründer der Fabrik, feierte den Director Schumacher, der trotz heftiger Stürme und flauer Zeit die Fabrik zu einem geachteten Werke machte. Redner schloß mit einem Hoch auf den Director.
Dieser lenkte das Verdienst von sich ab, schrieb es vielmehr dem Aufsichtsrathe zu, dass das Werk florire. Herr Director Randebrock machte sodann noch die freudige Mittheilung, daß das Werk auch aus Anlass des Festes seiner Arbeiter gedacht habe. Als Unterstützungsfond für in Noth gerathene Arbeiter sind 10.000 Mark bewilligt. Jeder Arbeiter erhielt als Geschenk ein Sparkassenbuch. In dasselbe waren Beträge eingetragen zwischen 25-200 Mark, je nach der Länge der Zeit, die der Arbeiter auf dem Werke zugebracht. Auch die Invaliden waren eingeladen und erhielten ihr Sparkassenbuch. Die Stunden verflogen nur zu rasch. Das in jeder Hinsicht großartig verlaufene Fest wird lange in aller Erinnerung bleiben.
„Thonindustrie-Zeitung“ 1899, Seite 59
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Quellen: Nach Steven Milverton (Header-Bild). – Weitere Quellen im Text angegeben
Und am 31. 10. 2015 schließt die ehemalige Eisengießerei nun endgültig Ihre Tore… Nach mehr als 140 Jahren Produktion bleiben die Hallen leer. Sehr schade, dass sich auch 16 Jahre nach der Eröffnung des damaligen Insolvevsverfahrens keine wirtschaftliche Stabilität eingestellt hat. Wer für diesen Umstand verantwortlich gemacht werden kann, wird wohl nie aufgeklärt. Fest steht, ein Standort mit einer großen Tradition der einige Innovationen zu bieten hatte, verschwindet auf Nimmerwiedersehen! Ich werde meine persönliche Zeit dort in guter Erinnerung behalten.