Von Helmut Frenzel
4. Oktober 2013. – Wenn es die Ruine am Lippetor nicht gegeben hätte, wäre wahrscheinlich kein Mensch auf die Idee gekommen, Dorsten mit einem überdimensionierten Einkaufscenter zu beglücken. Aber da die Ruine nun mal vorhanden und für jedermann ein Ärgernis war, musste eine Nutzung gesucht werden und die fand man im Neubau eines Einkaufscenters. Den Bedarf für die zusätzliche Verkaufsfläche ließ der Projektentwickler sich in einem Gutachten bescheinigen. Mit dieser Art Stadtentwicklung ist Dorsten nicht allein. Ein ganz ähnlicher Fall trug sich in Koblenz zu. Auch dort gab es ein großes Grundstück mit einem verlassenen Gebäude. Und auch dort bestand die Lösung des Problems in der Bebauung mit einem Einkaufscenter, für das die Koblenzer Bevölkerung keinen Bedarf sah. Wie in Dorsten wünschten sich viele Koblenzer eine andere Nutzung des exponierten Standorts. Aber anders als in Dorsten, wo die Gegner nicht die Kraft hatten, sich zu organisieren, kam es in Koblenz zu einer heftigen Auseinandersetzung über das Projekt. Geändert hat das nichts. Am Ende setzte sich das Kartell der Befürworter durch und das Center wurde gebaut – so wie es in Dorsten geschehen wird. Die Parallelen in den beiden Fällen sind erstaunlich.
Ende September blickte das „Forum Mittelrhein” in Koblenz auf sein einjähriges Bestehen zurück. Vor einem Jahr war das neue Einkaufscenter mit 80 Geschäften auf einer Verkaufsfläche von 20.000 Quadratmetern und einem Parkhaus mit 750 Stellplätzen eröffnet worden. „Und, wie läuft es?“, wollte die Rheinzeitung wissen und gab auch gleich die Antwort:
„Es ist Montag, 13 Uhr. Im Forum Mittelrhein ist es recht leer. Es ist Dienstag, 11 Uhr. Im Forum Mittelrhein ist es recht leer. Es ist Mittwoch, 16 Uhr. Im Forum Mittelrhein …”
Mitarbeiter der Einzelhandelsgeschäfte berichten, an Wochenenden und bei schlechtem Wetter sei deutlich mehr los. Es läuft nicht so, wie die Inhaber der Shops es erwartet hatten. Nun hoffen die Enttäuschten auf das Weihnachtsgeschäft.
Im Allgemeinen hört oder liest man immer nur von den großartigen Erfolgen neuer Einkaufscenter, die überall wie Pilze aus dem Boden schießen. Das macht den Fall des Forum Mittelrhein so interessant. Denn Städte, Projektentwickler und Gutachter vermeiden Vorher-/Nachher-Betrachtungen bei diesen Projekten, da kommen solche ungefilterten Erfahrungen wie in Koblenz gerade recht. Das Forum Mittelrhein liegt mitten in der Stadt, auf dem Zentralplatz. Emotionale Kontroversen machten das Großprojekt zum umstrittensten Bauvorhaben, das es jemals in Koblenz gegeben habe, schrieb die Rheinzeitung. Jahrelang kämpften die Gegner des Projekts gegen das neue Center. Im Mai 2009 stimmte die Mehrheit des Stadtrats für die Realisierung.
Immer wieder dieselben Argumente, ganz gleich, welche Stadt
Die Argumente waren dieselben, die auch in anderen Städten bei solchen Vorhaben immer wieder aufgetischt werden: die Stadt muss sich im Wettbewerb mit Nachbarstädten neu aufstellen, das neue Center zieht zusätzliche Kaufkraft aus dem Umland an, die Innenstadt wird belebt, es entstehen zu Hunderten zusätzliche Arbeitsplätze, der Kämmerer darf sich auf zusätzliche Steuereinnahmen freuen, von 800.000 Euro jährlich war die Rede. Vor allem aber sollte der Neubau ein lange schwelendes Problem lösen: Ähnlich wie in Dorsten gab es nämlich auf dem Zentralplatz eine Bauruine, ein ehemaliges Kaufhaus, das seit Mitte der 1990er Jahre leer stand, ein Schandfleck für die Koblenzer Innenstadt. Durch die geplante Bebauung sollte ungenutztes Entwicklungspotential mobilisiert werden, ein „Leuchtturmprojekt“ der Innenstadt zu einem dringend notwendigen „modernen Gesicht“ verhelfen.
Auch die Gegenargumente der Skeptiker waren nicht neu. Sie befürchteten, die Innenstadt könnte ausbluten. Ihr stärkstes Argument war, dass es mit dem Löhr-Center schon ein seit 1984 bestehendes Einkaufscenter mit einer Verkaufsfläche von 32.000 Quadratmetern gab, das sehr gut funktioniert und in der Bevölkerung voll akzeptiert ist. Für ein weiteres Einkaufszentrum bestehe kein Bedarf. Viele Bürger, aber auch viele Politiker waren besorgt, dass das Center eine Bedrohung für den innerstädtischen Einzelhandel darstellt. Das sahen auch die vorliegenden Einzelhandelsgutachten so. Außerdem seien die Folgekosten für das Projekt zu hoch. Dabei spielte eine Rolle, dass zeitgleich mit dem Forum Mittelrhein ein Kulturgebäude, das “Forum Confluentes”, auf dem Zentralplatz errichtet werden sollte. Die Kosten dafür würden die Stadt auf Jahrzehnte hinaus belasten.
BIZ – „Bürgerinitiative Zentralplatz“ gegen das Einkaufscenter
Die Gegner wünschten eine andere Nutzung. Der geplanten Bebauung des Zentralplatzes setzten sie das Projekt „grüne Mitte“ mit einer Markthalle, Wohnbebauung und Begrünung der verbleibenden Flächen entgegen. 2007 bildete sich die „Bürgerinitiative Zentralplatz“, die mit allen Mitteln versuchte, das Einkaufscenter zu verhindern. Die Kampflinie von Befürwortern und Gegnern des Forum-Projekts lief quer durch die Parteien. Dem Beirat der Bürgerinitiative gehörten der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion und Mitglieder der FDP-Ratsfraktion und der Ratsfraktion Die Grünen an. Die Bürgerinitiative sammelte 20.000 Unterschriften gegen den Bau des Einkaufscenters. Außerdem initiierte sie eine telefonische Befragung von 500 Koblenzer Bürgern ab 16 Jahren. Danach lehnten über 70 Prozent der Befragten den Bau eines Einkaufscenters auf dem Zentralplatz ab.
Über die Bebauungspläne wurde ebenfalls heftig gestritten. Noch 2010 rügte das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan, woraufhin die Geschossflächenzahl des Einkaufscenters reduziert werden musste.
Weihnachtsgeschäft soll nun die Wende bringen
Aber alles half nichts, das Forum Mittelrhein wurde gebaut und im September 2012 eröffnet. Zum ersten Geburtstag zogen der Centerbetreiber und der Oberbürgermeister zufrieden Bilanz. Die moderne Shopping Mall habe sich zu einem besonderen Anziehungspunkt und Impulsgeber in der neuen Mitte von Koblenz entwickelt, schreibt der Centerbetreiber ECE. Die Center-Managerin assistiert: Das Forum Mittelrhein habe sich bei den Besuchern von Anfang an als Erfolg erwiesen. Der Oberbürgermeister lobt sich: die Entscheidung für das Forum sei richtig gewesen sei. Die Kassandrarufe der Kritiker hätten sich nicht erfüllt. „Der Handel in der Koblenzer Innenstadt floriert und man wird sagen dürfen, dass er insgesamt durch das gestiegene Angebot profitiert hat“, wird er in der Rheinzeitung zitiert. Diese Äußerungen bewegen sich im Ungefähren und kontrastieren deutlich mit den Einschätzungen der Shop-Betreiber, die darauf hoffen, das das Weihnachtsgeschäft noch die Wende im laufenden Geschäftsjahr bringt.
Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen. Das benachbarte Kulturgebäude, das die Stadtbibliothek, das Mittelrhein-Museum und eine Ausstellung zum oberen Mittelrheintal beherbergt und zeitgleich mit dem Einkaufscenter fertig werden sollte, wurde mit Verspätung erst vor wenigen Monaten eröffnet. Die Center-Managerin beobachtet seither eine erhöhte Kundenfrequenz. Außerdem ist sie vollauf damit beschäftigt, durch Werbung und Aktionen „Frequenz ins Center zu holen“. Investor und Center-Management werden so lange powern und das Center-Konzept nachjustieren, bis es erfolgreich funktioniert, daran besteht kein Zweifel. In welche Richtung das geht, wird klar, wenn man weiß, dass ECE nicht nur das Forum Mittelrhein betreibt sondern auch das Löhr-Center. Der Betreiber hat kein Interesse daran, den Erfolg des neuen Centers mit Umsatzrückgängen im Löhr-Center zu erkaufen. Sie werden überwiegend die Einzelhändler in der Altstadt treffen. Über die dafür nötige Angebotsmacht verfügt ECE mit einer Verkaufsfläche von zusammen 52.000 Quadratmetern allemal.
Deshalb heißt es nichts, wenn die Auswirkungen auf den alteingesessenen Einzelhandel in der Innenstadt sich bislang in Grenzen halten. Einen Zusammenhang zwischen Leerständen und dem neuen Forum streiten die Stadtoberen ohnehin ab. Erst wenn die Kundenströme sich endgültig neu sortiert haben, wird man sehen, ob die Entscheidung für ein Einkaufscenter, das die Koblenzer nicht wollten, der Stadt wirklich nützt. Ob das dann aber überhaupt jemand wissen will, darf bezweifelt werden.
BIZ – zur Bürgerinitiative Zukunft für Koblenz entwickelt
Aus der Bürgerinitiative Zentralplatz ist übrigens die „BIZ – Bürgerinitiative Zukunft für Koblenz“ hervorgegangen. Sie wurde zur Kommunalwahl 2009 als Wählergruppe zugelassen und erhielt auf Anhieb 10 Prozent der Wählerstimmen. Gleichauf mit den Grünen ist sie nun drittstärkste Fraktion im Koblenzer Stadtrat.