Als auf Einladung der Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ 1983 der Landesrabbiner von Westfalen, Emil Davidovic, in Lembeck war, um zusammen mit Dorstener Bürgern die Ehrentafel am jüdischen Friedhof einzuweihen, sagte beim anschließenden Kaffeetrinken in einem Lokal der damalige stellvertretende Dorstener Bürgermeister Bernhard Loick, zuvor jahrelang Bürgermeister von Lembeck, eine Geschichte aus seinen Kindertagen, welcher der Landesrabbiner konsterniert zuhörte: Wenn jüdische Viehhändler auf den elterlichen Bauernhof kamen, so Loick, durften sie nur auf einem bestimmten dafür vorgesehenen Stuhl sitzen. Hatten sie das Haus verlassen, wurde der Stuhl unter Murmeln von christlichen Gebeten mit Weihwasser besprüht und man schlug hinter dem hinausgegangen Juden das Kreuz, um Familie und Vieh vom Teufel zu befreien.
Aberglaube ist der Glaube an das Wirken magischer Kräfte, der auf vorwissenschaftlichen Erkenntnissen und vergangene Religionsformen beruht: Zauberbräuche, Wahrsagerei (Horoskop), Gespensterglaube u. a. Der Duden erklärt das Wort Aberglauben so: „In religiöser Scheu und in magischem Denken wurzelnder Glaube, Irrglaube.“ Die Zusammensetzung, so der Duden weiter, enthalte als ersten Bestandteil das unter „aber“ behandelte Wort im Sinn von „verkehrt“.
Die Psychologie sieht im Aberglauben Erfüllungsformen von Angst und Glücksverlangen, so der Brockhaus. Im heutigen Alltag hat sich vor allem der Aberglaube, der mit Glück und Unglück zu tun hat, mannigfach erhalten: Glück bringt das vierblättrige Kleeblatt, das Hufeisen, das Glücksschein und der Schornsteinfeger; Pech dagegen die Zahl 13. In manchen Hotels und Krankenhäusern gibt es kein Zimmer mit dieser Zahl, am 13. wird nicht operiert und manche Flugzeuge weisen die Sitzplatznummer 13 nicht auf. Pech bringt auch die schwarze Katze, die im Wege sitzt oder sie „über den Weg“ läuft. Die Liste ließe sich fortsetzen. Dass Grenzen zwischen Glauben und Aberglauben fließend sind, bezeugt auch der Exorzismus (das Teufelaustreiben) heute noch in der katholischen Kirche.
Das „wilde Heer“ braust durch die Lüfte
Wo geglaubt wird, rankt auch der Geister- und Zauberglauben. Immer wieder haben gelehrte und ungelehrte Männer nach Spuren des alten Götterglaubens gesucht. Unabhängig von den heutigen Namen der Wochentage, die germanischen Ursprungs sind und auf den Götterglauben hinweisen, glaubte man, am Donnerstag in Verkleidungen die germanischen Götter Wodan und Donar zu sehen. Im christlichen Zeitalter hat es bis in die jüngsten Tage Wodan zu nachhaltigen Erinnerungs-Ehren gebracht: Wenn es stark stürmt, dann ist dies die Verkörperung des mit unheimlicher Musik daherbrausenden wilden Jägers. Besonders an hohen Feiertagen jagt er mit seiner Meute durch die Lüfte.
Er führt neben de Namen „das wilde Heer“ und „die wilde Jagd“ noch eine erstaunliche Fülle anderer Bezeichnungen. Im Münsterländischen: Hochjäger, Böden- und Buddenjäger, Joljäger. Das sind die Seelen der Selbstmörder, die durch die Lüfte ziehen müssen, bis zu der Zeit, wo sie eines natürlichen Todes gestorben wären. In Heiden und in Raesfeld gibt es die „Bernkes Jagd“, vermutlich in Erinnerung an den Bischof Bernhard von Galen (1606 bis 1678). In Ostendorf an der Lippe redet man von der „Giskejagd“, in Lembeck von der „Engelsken-Jagd“. Durch die Luft zieht auch der feurige Drache seine leuchtende Bahn. An Brunnen, Bächen und Quellen sind weiße Frauen sichtbar, einzeln, in Paaren oder zu dreien. Die „witten juffern“ begleiten den Wanderer, tanzen mit ihm, sehnen sich nach Erlösung und klagen bitterlich, wenn sie misslingt.
Zahllos ist das Heer der geisterhaften Gestalten, die in Wald und Feld, Wiese und Heide, Gassen und Häusern in menschlicher oder tierischer Gestalt umgehen und die Menschen ängstigen. Im Münsterland wandert an stürmischen Abenden der Heidemann in einem weiten, grauen Mantel über die Heide. Begegnet ihm ein Mädchen, küsst er es, so ist es am andern Morgen tot. Durch das Münsterland spuken noch Feuergeschichten, auch Feuerwehrmänner, Hasen, Esel, Katzen und sichtverhangene Kutschen. Eines der häufigsten Gespenstertiere ist der Hund, der sich auf die Menschen hockt. „Aufhocken“ wird das genannt.
Zur Geschichte des Werwolfs in Westfalen
In vielen Gegenden Westfalens hielt sich der Glaube an den Werwolf noch eine lange Zeit, zum Teil bis ins 20. Jahrhundert. Der Werwolf heißt in Westfalen gewöhnlich Werwolf, in manchen Gegenden Barwulf, Bärwolf, Bannwolf, Börenwolf, Kwawolf (kwa, kwad = böse). Man kann zwei oft ineinander übergehende Auffassungen der Werwolfsgestalt unterscheiden. Nach der einen ist er ein noch lebender Mensch, der sich in einen Wolf verwandeln kann und als solcher Menschen und Tiere frisst. Nach der anderen ist er ein zottiges schwarzes Ungeheuer, das nachts auf bestimmten Wegen, auch in den Gassen alter Städte, herumläuft und den Menschen Angst macht. In ihm sieht man einen zur Strafe seiner Missetaten verwandelten Sünder. „Du sühst ut as so’n Warwulf“ riefen die Mütter ihren Kindern zu, wenn sie nicht ordentlich gewaschen und gekämmt waren.
Das quälende, atembeklemmende „Aufhocken“ des Werwolfs und anderer Alpwesen ist gefürchtet. Oft ist es der Teufel oder ein böser Mann oder eine Hexe, die auf der Brust eines Menschen „reiten“, der ihnen etwa eine Bitte abgeschlagen hatte. Den Hexen und dem Teufel wird überhaupt alle Bosheit und Niedertracht zugestanden. Der Glaube an Hexen ist noch tief im Westfälischen verwurzelt wie beispielsweise die Überzeugung, dass Hexen das Vieh im Stall des Bauern schädigen und den Familienmitgliedern etwas antun. Hexen, so glaubte man, treten in Scharen auf. Daher gibt es noch viele Orte, die einen „Hexenplatz“ im Volksmund kennen. oder – wie in der Nähe von Dorsten – es die „Hexenbuchen“ gibt, Bäume, die wie tanzende Hexen gewachsen sind. In der Nähe von Schloss Lembeck befindet sich der „Hexenkolk“, eine Wasserstelle, an der man der Hexerei verdächtige Frauen prüfte. Im Vorkriegs-Dorsten gab es am Ostwall noch ein Hexentürmchen aus der Zeit der Hexenprozesse. In den Turm wurden vermutlich diese Frauen eingesperrt. In der historischen Erinnerung erhalten geblieben sind die Hexenprozesse und Verbrennungen.
Der Teufel schleppte Steine nach Heiden
Der Teufel spielt im westfälischen Volksglauben dieselbe Rolle wie anderswo auch. Bei Heiden gibt es die Teufelssteine (Düwelsteene), die vom Teufel dorthin gebracht wurden. Sie sind allerdings ein jungsteinzeitliches Ganggrab (Hünengrab) mit eiszeitlichen Findlingen. Der Legende nach erhielten die Steine ihren Namen nach einer Begegnung des Teufels mit einem in Heiden ansässigen Schusterjungen. Der Teufel, der auf dem Weg nach Aachen war, um den dortigen Dom zu zerstören, trug auf dem Rücken einen großen Sack mit den heute in Heiden liegenden Steinen. Der Schusterjunge hatte zwölf Paar zerschlissene Schuhe bei sich. Der Teufel fragte ihn, wie weit es noch bis Aachen sei. Der Schusterjunge, der die Steine gesehen hatte, erkannte den Teufel an seinem Pferdefuß und erahnte böse Absichten. Deshalb habe er dem Teufel die Schuhe gezeigt und erklärt, dass er selbst gerade aus Aachen komme und auf dem Weg nach Heiden all die Schuhe zerschlissen habe, weil es soweit entfernt sei. Der Teufel sei daraufhin so entmutigt gewesen, dass er die Steine auf den Boden geworfen und von dannen gezogen sei.
Während Hexen und Teufel noch eine starke Vorstellungskraft auslösen, sind zwei dämonische Wesen aus dem Aberglauben verschwunden: die Riesen und Zwerge, wenn sie auch durch die Märchen weiter in Erinnerung bleiben. Riesen wie Zwerge wurden als gutmütig angesehen. Zwerge wurden als unterirdische Wesen („Unnereskes“) gesehen, die in den Häusern der Menschen oder draußen in Höhlen, Erd- oder Felslöchern wohnen. Prof. Paul Sartori schrieb in seinem Buch „Westfälische Volkskunde“:
„So hat eine lebhafte Einbildungskraft den heidnischen Glauben an eine Menge dämonischer Wesen ausgestaltet und, so gut es geht, mit den christlichen Anschauungen in Einklang zu bringen gewusst.“
Auch Kleintiere geistern durch den Aberglauben
Einige harmlose Vertreter der Kleintierwelt müssen heute noch unter den Vorurteilen leiden, die ihnen aus dämonischer Welt zugesprochen wurden, wie die Kröte. Ihr Thron sind die Pilze. Man darf sie nicht mit bloßen Händen anfassen, ihr Hauch ist giftig und verursacht böse Geschwüre. Vom Kuckuck glaubt man, dass er nach sieben Jahren ein Habicht werde. Wer aber seinen Ruf im Frühjahr zuerst hörte und anmeldete, bekam ein Ei geschenkt. Wenn das Käuzchen nachts ruft, stirbt ein Verwandter. Schwalben gehörten zu den heiligen Vögeln. Ihnen wurden die Scheunentore und die Haustüre geöffnet, damit sie in alle Ecken gucken konnten, ab die Hauswirtschaft und die Vorräte in Ordnung sind. Fliegt die Schwalbe weg und kehrt nicht wieder zurück, so wird das Haus abbrennen und jemand darin sterben.
Die Eiche war der am meisten verehrte Baum
Schöne alte oder auffallend gewachsene Bäume beförderten den Volksglauben. Das Heidnische in der Natur setzte sich oft im Christentum fort. Im Alten Testament fand der „Baum des Lebens“ Aufnahme und im Christentum der Paradiesbaum. So wurden die germanischen heiligen Bäume oft auch das Ziel der verehrenden christlichen Wallfahrt. Vor allem der Eiche (Sinnbild von Freiheit und Kraft) und der Linde (Dorflinde) haftet etwas Heiliges und Ehrwürdiges an. Die Eiche gehörte dem Donarkult und war bei den Germanen der am meisten verehrte Baum. Daher wurde (und wird) auch heute noch selten eine Eiche gefällt. Ein einzelner Baum war so wertvoll, dass, wenn er als Schiffsbauholz nach Holland verkauft wurde, man dafür eine ganze Mitgift bekommen konnte. Vor allem im ländlichen Brauchtum wurden bis in das letzte Jahrhundert hinein bei der Geburt eines Kindes Gaben und Kleiderfetzen an Zweige gehängt; Kleider und Kleiderfetzen stellten die Verbindung her zwischen einem Neugeborenen und einem bei seiner Geburt gepflanzten Baum, dessen Gedeihen sich auf das Kind auswirken sollte. In der NS-Zeit ließ in Hervest ein Lehrer seine Kinder nicht in der Kirche taufen, sondern unter Eichen „ins Leben“ aufnehmen. In Erle steht die „Femeiche“, mit 1.600 Jahren eines der ältesten Bäume Deutschland, unter dem früher Gericht gehalten wurde, in Lembeck ist die „Spöckenbuche“ bekannt und in der Hohen Mark tanzen die „Hexenbuchen“.
Das wilde Heer
Am dunklen Himmel zieht ein Heer
Von Toten und Dämonen
Durch Blitz und Donner stürmen sie
Gleich schicksalsschweren Wogen
Krieger die sich dem Wotan geweiht
Bei Vollmond im Baume hingen
Sie haben die Weisheit der Runen geschaut
Die sie wieder ins Leben bringen
Lärm und Geheul die Kunde bringt
Von Angst und schrecklich Treiben
Wer seiner Strafe bis jetzt entging
Hat nun dafür zu leiden
Schwerter rasseln Schilde blitzen
Wilde Fratzen peingeplagt
Es braust durch die dunkle Nacht
Wotans wilde Jagd
Der Ernte letztes Bündel Stroh
Für Wotans Pferd laßt liegen
Dann wird Euch Fruchtbarkeit geschenkt
Den Hunger zu besiegen
Der Wind heult durch die Wälder laut
Hört Ihr sein grausig Klagen
Vielleicht sind’s auch der Toten Seeln
Euch Lebenden zu mahnen
Manfried Trelleborg
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Text entnommen dem bis Ende des Jahres erscheinenden „Dorsten-Lexikon“