Was ist Kultur? Darüber ließe sich viel schreiben, darüber haben sich Generationen von Philosophen, Dichtern, Musikern, Schriftstellern, Kulturamtsleitern und Kulturmanagern Gedanken gemacht und dicke Bücher geschrieben. Das soll nicht das Thema dieser hier wiedergegebenen Aussagen über Kultur und Dorsten sein, die zusammenzustellen mühsam war und ist, denn viele Veröffentlichungen, in denen über das Thema zitierbar geschrieben wurde, gibt es nicht.
Woher kommt das Wort Kultur, das begrifflich über allem schwebt: über dem Essen und Trinken genauso wie über ordentlichem Benehmen und guter Aussprache, das jeder für sich in Anspruch nehmen kann, auch „wenn er keine Kultur hat“. Denn nur der ist kultiviert, „der gesittet und hochgebildet“ daherkommt und sie „pflegt“, sagt der Duden. Doch was steckt hinter solchen leichtfertig ausgesprochenen Redewendungen? Der Duden gibt etymologisch Auskunft. Das Wort Kultur ist seit dem 17. Jahrhundert belegt und stammt vom lateinischen „cultura“ ab. Es bedeutet „Landbau; Pflege (des Körpers und Geistes)“. Das entlehnte Substantiv wurde von Anfang an im Sinne von „Felderbau, Bodenbewirtschaftung“ einerseits (Bodenkultur) und „Pflege der geistigen Güter“ andererseits verwendet. Aus dieser Deutung ist die allgemeine Stellung des Begriffs Kultur als die der Gesamtheit aller geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen (einer Gemeinschaft, einer Kommune, eines Volkes) erwachsen, was zahlreiche Zusammensetzungen belegen, zum Beispiel Kulturgeschichte (18. Jh.), Kulturpolitik, Kulturfilm (20. Jh.). So wurde auch die Stadt Dorsten mit Kultur in Zusammenhang gebracht, wie die hier zitierten Textpassagen belegen:
1930: Kein Nachweis. Mit dem Erziehungswesen fließt ein kultureller Strom zusammen, der die verschiedensten Wissensgebiete befruchtet. Zu Vorträgen und Ausstellungen gesellen sich Theater- und Musikveranstaltungen. Das Laienspiel besitzt in Dorsten eine sonnige Pflegestätte. Von auswärtigen Bühnen wird die Stadt als aufnahmefähiger Theaterboden seit Jahren ernstlich mit Gastspielen umworben … Es liegt eine gewissen Tragik darin, dass sich, all diese kulturellen Begegnungen der Kulturarbeit mit ihren Auswirkungen auf den heimatlichen Volkscharakter, seelische Gesundheit usw. nicht gerade buchmäßig nachweisen lassen. Die kulturellen Werte speichern sich in der Stille auf, nicht nur durch persönliches Hinzutun. Dorsten, die alte Kulturstadt an der Lippe, darf auf diesen Kräftevorrat stolz sein!
- Dr. Erich Kretzer, „Dorsten, das Kulturzentrum an der Lippe“ in „Dorstener Volkszeitung“ Dorsten am 23. März 1930
1982: Einsilbig und zäh. Im Vergleich zu anderen Revierstädten, in denen kulturelles Leben vielfältig pulsiert, zeigt sich Dorsten eher spröde, einsilbig und zäh. Kulturleben wird hier importiert; zum Export reicht’s trotz Bemühungen im Zusammenwirken von Kunstverein, Künstlertreff, Kulturamt, Volkshochschule und Privatinitiativen halt (noch) nicht. Hoch einzuschätzen sind indes die Bestrebungen des etwa 250 Mitglieder starken Kunstvereins, Dorstener Künstler zu fördern, sich um Arrivierte ebenso zu kümmern wie um Newcomer, Talenten den Weg zu ebnen…
- Wolf Stegemann „Zum Beispiel Dorsten – Kultur vor Ort“ in Westfalen-Spiegel Nr. 8/1982
1982: Bestandsaufnahme. Dorsten – eine Mittelstadt am Rande des Ruhrgebiets, auf der Schwelle zum Münsterland. Eine Stadt, die folglich vom Bergbau, von der Industrie ebenso geprägt ist, wie von Ackerbau und Viehzucht. Eine Stadt zwischen zwei Welten und mit zwei Welten, eine Stadt, in der sich die Bevölkerung immer schon konfrontiert sah mit geografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontrasten. Während sich die einen der Landwirtschaft widmeten und „Plattdütsch küerten“, fuhren die anderen in die Grube und „quatschten“ im schönsten Ruhrpottdialekt.
So war es einmal, so ist es noch heute, wenn sich auch die Grenzen verwischt haben. Wie auch immer: Dass sich im Zuge solcher Gegebenheiten ein ganz besonderes, vielschichtiges Kulturgut herausgebildet hat, liegt auf der Hand. Und vielleicht, ja vielleicht ist gerade das wiederum ein Grund dafür, dass in Dorsten das kulturelle Leben sich so vielfältig präsentiert, obschon auch hier wie anderswo der Rotstift so manchen kulturellen Traum zunichte macht. Den „Löwenanteil“ in Sachen Kultur teilen sich in Dorsten das Kulturamt und die Volkshochschule (…). Bereichert wurden diese Angebote, seit sich vor einigen Jahren Kulturbeflissene zusammentaten, um den „Dorstener Kunstverein“ zu gründen. Seine Aufgabe ist die Förderung ansässiger Talente, die hauptsächlich im Rahmen von Ausstellungen er Öffentlichkeit vorgestellt werden. (…) Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang die Musikschule sowie das, wenn auch kleine, so doch äußerst reizvolle Heimatmuseum der Stadt Dorsten. Eine Vielzahl von kulturellen Gruppierungen in mehr oder weniger privater Initiative, wie beispielsweise Orchester, Rockformationen und Laienspielgruppen, runden das Bild ab, aus denen sich der Dorstener Künstlertreff neben dem „Wulfener Aktivkreis“ deutlich abzeichnet. Nicht etwa, was die Qualität oder das Engagement der Beteiligten beträfe, als vielmehr in Anbetracht der Organisation, des Selbstverständnisses.
- Elke Janzen „Kunstszene“ in „Dorstener Künstlertreff“, Dorsten 1982
1983: Nichts zu verlieren. Frage also: welchen Stellenwert besitzt Dorsten als „Kunst-Stadt“ im Revier? Fühlt es sich an den Rand gedrängt oder ist es nicht mal mehr am Rand? Kann es ein Zentrum des Lippe-Raumes für die Sparte „Kunst“ sein oder werden? Oder nimmt Dorsten gar nicht die Möglichkeit wahr, die Kunst und Künstler bieten? … Also doch nur Dornröschen-Dasein. Viele Fragen also – und die Antworten? … Blicken wir zunächst zurück: Dorstens kulturelle Bedeutung war gleich null, auch wenn viele meinen, die Stadt hätte irgendwann mal was mit Kunst und Kultur zu tun gehabt. Auch lassen sich keine Namen von künstlerischem Klang ausfindig machen, sieht man von dem frühen Bildhauer Julius Strack, geboren 1790, und dem 1813 in Dorsten geborenen Kupferstecher und späteren Nestor der Düsseldorfer Kupferstecherschule, Adam Goswin Glaser, ab. … Dorsten hat keine Villa Hügel, kein Folkwang-Museum, kein Museum am Ostwall, kein Lehmbruck-Museum, aber einen Kunstverein, der sich bemüht, Brachland zu beackern. … In Sachen Kunst hat Dorsten nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.
- Wolf Stegemann „Dornröschen-Dasein der Kunst oder Perspektiven?“ in Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck, Dorsten 1983
1985: Dezentralisierung. Neben der mehr inhaltlichen Differenzierung der Kulturlandschaft in ein Vereins- und Gruppenleben gibt es bekanntlich auch die Frage nach der örtlichen Gliederung. Das Thema wird unter der Bezeichnung „Dezentralisierung“ erörtert. Der Standpunkt Dorstener Kulturpolitik liegt fest. Wer das feinmaschige Kulturgeflecht begrüßt, das die vielen Vereine und Gruppen bilden, sagt auch Ja zur Dezentralisierung. Sie ist die logische Folge der inhaltlichen Auffächerung. Das zeigt die Richtung an, auf die es ankommt.
- Dr. Karl-Christian Zahn, Stadtdirektor, Auszug aus der Begrüßungsrede der Kultur-Anhörung in Schloss Lembeck im März 1985
1985: Kultur-„Hearing“ im Schloss. Kultur in Dorsten – gibt es sie überhaupt? Wenn ja, wer hat sie? Wo und wie ist sie bemerkbar? Um zu diesen Fragen Antworten zu erhalten, lud die Kulturverwaltung und der Kulturausschuss im März 1985 sechs Kultur-Experten in den ehrwürdigen Schlaunschen Festsaal von Schloss Lembeck ein, ein kunstvoll kultureller Ort also, dem manchem Beteiligten kalt über den Rücken laufen ließ – aber nur wegen der tiefen Raumtemperatur.
Wer die im Vorfeld dieses seither wahrscheinlich einmaligen Kultur-Hearings von den politischen Parteien im Kulturausschuss der Stadt signalisierten kulturpolitischen Auseinandersetzungen erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Denn die eingeladenen Experten sagten nichts Neues. Fünf von ihnen kannten die Dorstener Kulturszene überhaupt nicht. Was am Ende blieb, waren überall nachlesbare Denkansätze über Kultur und Eiseskälte in den Gliedern.
Die Kulturspitze der Stadt war vollzählig vertreten, auch der Stadtdirektor und der Bürgermeister waren da, die Zuhörerstühle voll belegt und die früheren Schlossherren blickten in Öl streng und mit Neugierde auf die Versammelten. Schließlich stand Hochpolitisches auf der Tagesordnung: Erörterung über Rahmenbedingungen und Inhalte mittelstädtischer Kulturarbeit in Dorsten. Bis auf den Vorsitzenden des Kunstvereins, Peter Broich, waren die anderen Experten aus Nachbarstädten: Dr. Rüth, Dr. Becker, Jörg Loskill, Klaus Crummenerl und Prof. Günter. Sie sollten den Dorstenern sagen, was eine Stadt wie Dorsten tun müsse, um kulturell aufzufallen. Doch gleich zu Beginn sagte der kulturpolitische Sprecher der CDU-Kulturfraktion, Gerd Schute, den angereisten Experten, dass er die SPD-Kulturfraktion heftig kritisieren müsse, weil sie diese Veranstaltung zu schlecht vorbereitet habe. Denn die Kulturangebote der Stadt seien für eine Grundsatzdiskussion nicht analysiert worden.
Hingegen lobte der Sprecher der SPD, Horst Köhler, die Kulturverwaltung wegen ihrer guten Arbeit und kritisierte aber die Presse, die nicht genügend Hinweise auf Theatervorstellungen brächte. Dann kamen die Experten zu Wort: Dr. Rüth, Museumsleiter in Marl, regte an, mehr Bildende Kunst zu zeigen, Peter Broich, Dorsten, stellte fest, dass „eine ganze Menge Kultur“ angeboten werde, doch gebe es ein fehlendes Kulturbewusstsein in der Bevölkerung.
Professor Roland Günter, Kultursoziologe in Oberhausen, schlug vor, die Stadtverwaltung solle durch Kultur mehr Lebensqualität in der Stadt schaffen. Jörg Loskill, Kulturredakteur in Gelsenkirchen, meinte provozierend, die Dorstener seien „Kulturschmarotzer“, denn sie nähmen die Kulturangebote der Nachbarstädte in Anspruch. Klaus Crummenerl vom NRW-Kultursekretariat in Gütersloh stellte fest, dass Dorsten mit 2,8 Prozent seines Etats für Kultur zu wenig ausgebe. Der Bocholter Stadtrat Dr. Becker referierte allgemein über Kultur. – Dr. Dieter Nellen (SPD), der damals als Kulturausschussvorsitzender dieses „Experten-Hearing“ mit dem Hintergedanken anregte, die Stadt werde für einen eigenen „Kultur-Experten“ eine Stelle schaffen, mag danach Goethe in den Sinn gekommen sein, der Dr. Faust sagen lässt: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“
- Nach „Experten sagen nichts Neues zum Thema Kultur“ in „Ruhr-Nachrichten“ vom 15. März 1985
1993: Engagement der Politik. Die Stadt Dorsten hat die Chance, gemeinsam mit bürgerschaftlichem Engagement einen kulturellen Mittelpunkt in der Region zu schaffen, der überregional einmalig ist und somit auch überregionalen Zuspruch erhalten wird. Voraussetzung dazu ist allerdings auch das Engagement von Verwaltung und Politik und der Mut beider, auch in Zeiten den knappen und werdenden öffentlichen Geldes sich zu einem Kultur-Projekt zu bekennen und es nach besten Kräften zu fördern. Die Stadt Dorsten hat kulturelle Ressourcen, die zwar in Dorsten selbst bekannt sind, aber nicht so ausgeschöpft werden, dass die Stadt damit regional und überregional Interesse erweckt, sieht man von dem Mitte des letzten Jahres eröffneten Jüdischen Museums Westfalen ab, das diesen Zweck auf das Beste erfüllt….
- Wolf Stegemann in „Kulturplatz Dorsten“, Denkschrift über den Bau einer Kunsthallezur Präsentation von Werken von Tisa von der Schulenburg und der Sammlung Glasmalerei, Dorsten 1993
2002: Keine homogene Stadt. Man könnte mehr, wenn man sich anstrengte, wenn man aus der kulturellen Lethargie erwachte. Denn wie sieht in Dorsten das Kulturangebot, das übrigens nur selten von Kulturpolitikern besucht wird, aus? Aus Konsumentensicht mag man zunächst zufrieden sein. (….) Doch von der freien Szene, von den Initiativen hört man derzeit wenig. Liegt es daran, dass Dorsten zu wenig Engagierte hat? Oder daran, dass die Kulturverwaltung Aktionen und Vorschläge zu wenig fördert, sich zu wenig als Moderator für die Kulturinitiativen begreift? … Denn es gibt sie doch noch, die Menschen, die künstlerisch aktiv sind, die sich kulturell engagieren. Kunstverein oder Brahms-Chor, Goethe-Stammtisch oder Virtuell-Visuell, um nur einige zu nennen. Sie haben in den vergangenen Jahren das Leben in Dorsten mit ihren Aktionen bereichert. Verhaftet im Lokalen, aber den Blick über den Tellerrand hinausgerichtet: Beispiele produktiver „Provinzkultur“ im Positiven. …. Vieles ist in Dorsten bereits angestoßen worden und ebenso Vieles ist versandet. … Ein Unding, dass die Werke der Dorstener Vorzeigekünstlerin noch immer keine ständige Heimstatt gefunden haben …
Woran liegt es, dass Kultur es so schwer hat in Dorsten? Vielleicht daran, dass Dorsten eine heterogene Stadt ist, zerfallen in sehr unterschiedliche Strukturen … Vielleicht reicht es ja, auf die vielen Heimatvereine, Chöre, Laientheatergruppen und Hobbykünstler hinzuweisen und ansonsten das Jüdische Museum Westfalen in die Waagschale zu werfen, wenn es darum geht, einen Beitrag für die Kulturszene Ruhrgebiet geleistet zu haben. Die Kulturinteressenten können ja immer noch nach Recklinghausen oder Bochum, Essen oder Duisburg fahren: Kultur ist für Dorsten nie länger als eine halbe Stunde Autofahrt entfernt.
- Michael Klein „Kulturszene in Dorsten“ in „25 Jahre Dorstener Kunstverein 1977 – 2002“ Dorsten 2002
Bitte!
Wer in Veröffentlichungen ähnliche Text-Stellen über Kultur in Dorsten allgemein findet, möge diese uns bitte zusenden oder uns einen Hinweis geben.
Verlangt Dorsten nichts ab! Eine öde Stadt, nichtssagend, uninteressant, langweilig. Kultur? Kennt man hier nur als Kulturtasche – Seife, Zahnbürste, Rasierpinsel. Alle Versuche, etwas auf die Beine zu stellen, werden übers Geld geregelt. Und Geld ist ja bekanntlich nie vorhanden – Ideen sowieso nicht. Die Kreativen verlassen fluchtartig diese lieblose Stadt. Folgen wir ihnen!