Kommentar von Helmut Frenzel
8. Februar 2013. – Dorsten befindet sich in einer sehr schwierigen Lage. Die Stadt muss nicht nur ein riesiges Haushaltsloch schließen, sie muss unter dem Diktat einer gesetzlichen Schuldenbremse noch dazu den gewaltigen Schuldenberg abtragen, der über anderthalb Jahrzehnte aufgehäuft wurde – das alles bei schrumpfender Bevölkerung und real sinkender Finanzkraft. Stand die Anhäufung von Überziehungskrediten von mehr als 180 Millionen Euro eigentlich im Einklang mit dem Wählerwillen? Hätten die Bürger, die eine andere Politik wünschten, Einfluss nehmen können, um diese Entwicklung zu verhindern? Das führt zu der Frage, welche Möglichkeiten die Bürger überhaupt haben, auf die Kommunalpolitik einzuwirken.
Demokratie lebt vom Wettbewerb unterschiedlicher Ideen und von der Auseinandersetzung darüber. Auf der Grundlage ihrer Parteiprogramme streiten die Politiker bei den kleinen und großen Fragen der Politik um die bessere Lösung. Das geschieht in den Parlamenten und im öffentlichen Raum. So profilieren sich die Parteien gegenüber dem Wahlvolk. Der Bürger erkennt, wo die Unterschiede liegen, und er kann auf dem Wahlzettel derjenigen Partei seine Stimme geben, deren Programm seinen Vorstellungen am nächsten kommt. Sofern er nicht Mitglied einer Partei ist oder anderweitig politisch aktiv wird, ist das seine einzige Möglichkeit, auf die Politik Einfluss zu nehmen. So funktioniert unsere Parteiendemokratie und so kennt man es aus Bundes- und Landespolitik.
Parteien hatten kein Mandat der Wähler für ihre Schuldenpolitik
Von solcher Art Parteiendemokratie ist die Kommunalpolitik in Dorsten Lichtjahre entfernt. Auseinandersetzungen im Rat und in der Öffentlichkeit über zentrale kommunalpolitische Themen sind praktisch nicht existent. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist die Schuldenpolitik. Die Abstimmungen über die städtischen Haushalte waren in der Vergangenheit immer zugleich auch Abstimmungen über die Schuldenpolitik der Stadt. Kontroverse Diskussionen darüber, ob diese verantwortbar war, hat es nicht gegeben. Man war sich einig: die defizitären Haushalte wurden seit Jahren mit Mehrheiten von 90 Prozent und mehr verabschiedet. Noch Mitte 2011 genehmigte der Rat einen städtischen Haushalt mit dem unglaublichen Fehlbetrag von 32 Millionen Euro und die entsprechende Erhöhung der Überziehungskredite – mit den Stimmen fast aller Ratsmitglieder.
Hatten die Ratsparteien ein Mandat der Bürger für ihre finanzpolitischen Entscheidungen? Was sagen ihre kommunalpolitischen Programme zur Haushaltspolitik? Ein Blick auf die Internetseiten der Parteien führt zu einem ernüchternden Ergebnis: Keine der Ratsparteien hat so etwas wie ein politisches Programm für die laufende Amtsperiode, das Auskunft darüber gibt, welche konkreten Prioritäten gesetzt, wie bei Knappheit der Mittel Zielkonflikte gelöst werden sollen und an welchen übergeordneten Leitlinien politische Entscheidungen sich orientieren sollen. Demzufolge fehlt auch jeder Bezug zur Haushaltspolitik der Stadt. Eine Ausnahme ist die CDU, die mit einem CDU-Bürgermeister ‚Regierungspartei‘ ist. Auf ihrer Internet-Seite ist ihr „Kommunalpolitisches Aktionsprogramm 2009 – 2014“ veröffentlicht. Es enthält einen Wunschkatalog von 150 Punkten, der als Handlungsgrundlage für die praktische Politik kaum zu gebrauchen ist. Immerhin enthält das Programm eine Aussage zu den städtischen Finanzen, die da lautet: „Für eine solide und vorausschauende Haushaltspolitik“. Das hat die CDU-Ratsfraktion indes nicht daran gehindert, Jahr für Jahr den unsäglichen Schuldenhaushalten der Stadt zuzustimmen, die das Gegenteil von solider und vorausschauender Haushaltspolitik waren.
Die Bürger haben ein Wahlrecht – aber eine Wahl haben sie nicht
Das Schuldenthema steht hier stellvertretend für andere Politikfelder. Mangels programmatischer Festlegungen sind die Parteien in Bezug auf ihre konkreten kommunalpolitischen Ziele nicht unterscheidbar. Die Bürger haben ein Wahlrecht. Siekönnen auf dem Wahlzettel ein Kreuz machen, aber eine Wahl haben sie deswegen nicht. Der Wähler stattet mit seiner Stimme die Ratsmitglieder mit einer Blankovollmacht für fünf Jahre aus. Da die Parteien sich programmatisch nicht festgelegt haben, sind sie vollständig frei in ihren politischen Entscheidungen. Also entscheiden sie fallweise und nach tagespolitischer Opportunität – Kommunalpolitik nach Gutsherrenart. Ob die Bürger zur Wahl gehen oder zu Hause bleiben, ob sie diese oder jene Partei wählen – es ist einfach egal. Die Abwesenheit von politischen Alternativen nimmt den Bürgern ihr Recht auf politische Teilhabe. Dorsten ist, was die Parteiendemokratie angeht, eine Wüste.
So erklären sich wohl auch die Mehrheiten bei wichtigen Ratsbeschlüssen. Wer zu einer Ratsvorlage der Verwaltung nein sagen will, muss Argumente dafür haben. Wer einen Schuldenhaushalt ablehnt, muss sagen, bei welchen Ausgaben er sparen und wo er die Einnahmen erhöhen will. Das ist ohne eine programmatische Grundlage kaum denkbar. Die Abwesenheit von Parteiprogrammen macht den Rat der Stadt zum Handlanger von Bürgermeister und Verwaltung.
Schulterschluss über alles. Ist Opposition undemokratisch?
Wenn in Russland oder in China das Parlament Beschlüsse fasst mit Mehrheiten von nahezu hundert Prozent, dann rümpft in Deutschland jeder die Nase und betrachtet das als Beweis dafür, dass diese Länder eben nicht wirklich demokratisch sind. In der Dorstener Kommunalpolitik werden solche Abstimmungsergebnisse von den Beteiligten als „Schulterschluss“ gefeiert. Der „Schulterschluss“ wird als hoher Wert ausgegeben und als Zeichen dafür, dass alle Parteien Verantwortung übernehmen. In seiner Rede zur Einbringung des Haushalts 2012 in den Rat hat der Bürgermeister seine Auffassung dazu so beschrieben: „Es kann nicht sein, dass die Einen Verantwortung übernehmen und die Anderen sie ablehnen. Zukunft kann man nur mit breiten Mehrheiten ermöglichen.“ Wenn Ratspolitiker nein zu einer Vorlage sagen, übernehmen sie also keine Verantwortung? Opposition ist unverantwortlich? Das ist eine mehr als fragwürdige Auffassung von Demokratie, die in Dorsten aber offenbar viele Anhänger hat. Was ist in Dorsten so anders als in der Bundes- oder Landespolitik, wo auch mit knappsten Mehrheiten wichtige Entscheidungen getroffen werden? Wozu wird ein kommunales Parlament überhaupt noch gebraucht, wenn sich alle einig sind – da kann man sich doch gleich die Kosten von einer halben Million Euro jährlich sparen?
Es kann kein Zweifel bestehen, dass eine Ablehnung der Schuldenhaushalte durch eine starke Ratsminderheit eine öffentliche Diskussion darüber ausgelöst hätte, ob die vom Bürgermeister verfolgte Politik auf Pump vertretbar war und ob es Alternativen zur Verringerung der Haushaltsdefizite gab. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre schon viel früher eine Wende in der Haushalts- und Schuldenpolitik herbeigeführt worden. Gerade im Falle der Schuldenhaushalte hätte als Begründung für ein Nein schon der Hinweis genügt, dass Schuldenmachen unsozial ist und die Lasten auf künftige Generationen verlagert. Aber das Rückgrat, nein zu sagen, hat keine der etablierten Ratsparteien gehabt.
Die Bürger haben resigniert. Werden die Parteien die Kraft finden und endlich die Aufgabe erfüllen, die ihnen in einer Parteiendemokratie zukommt?
Die Ratsparteien können nicht für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Kommunalpolitik die Zustimmung der Wählerschaft hat, nicht in der Vergangenheit und nicht jetzt. Das gilt auch für das aktuelle Haushaltssanierungskonzept. Wieder ist es mehr oder weniger widerspruchslos verabschiedet worden – von denselben Akteuren, die anderthalb Jahrzehnte lang die Schuldenpolitik mit denselben Mehrheiten unterstützt hatten. Die Grundsteuer B hat ein Niveau erreicht, das 75 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt. Dass schnell gehandelt werden musste und deswegen die Grundsteuer so stark erhöht wurde, ist zu verstehen. Aber glauben die Politiker wirklich, dass sie diese Höhe bis 2020 durchhalten können, wie es im Haushaltssanierungskonzept steht? Wo ist die Partei, die das erkennt und zum Programm erhebt, die Grundsteuer innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wieder zu senken? Kein Plan ist alternativlos, auch nicht das Haushaltssanierungskonzept. Das ist nur ein Beispiel.
Die Quittung für ihre Schwäche haben die Parteien längst erhalten. Bei der Bundestagswahl 2009 lag die Wahlbeteiligung in Dorsten bei 73 Prozent, bei der Kommunalwahl im selben Jahr bei nur 53 Prozent. In Bezug auf ihr kommunales Umfeld haben viele Bürger resigniert. Warum sollten sie zur Wahl gehen? Ändern werden sie mit ihrer Wahlentscheidung nichts, solange die Parteien sich nicht aufraffen und den Bürgern sagen, für welche Politik sie ihre Stimme haben wollen, und endlich öffentlich über ihre unterschiedlichen Politikvorstellungen streiten, damit die Bürger die Unterschiede erkennen.
Misstrauensvotum durch die Bürger. Hm Hm. Dazu bräuchte man das Rezept, wie man in Deutschland größere Menschenmengen dazu bewegen kann etwas zu tun. S 21 war ja schon mal ein Hoffnungsschimmer. Aber ansonsten wüsste ich nur – ganz krass gesagt – eine Möglichkeit. Und die lautet “Fußball-Live-Übertragung und Freibier”.
Selbst alle fünf Jahre kann man feststellen, in wie weit Bürger in die Materie eingestiegen sind, nämlich bis auf ein paar wenige gar nicht.
Ich meine, Dorsten ist nicht ganz allein schuld an der Finanzmisere. Da hat der Bund auch ganz schön mitgedreht.
Aber im Themenzusammenhang: Warum bekommt das städt. Tierheim eine Aufstockung von 50 auf 80 Teuro, und für den ehrenamtlich geführten Abenteuerspielplatz als Anlaufstelle für ziemlich viele Kinder aus ärmeren Familien hat man noch nicht einmal mehr jährlich 3.000 Euro über. Zumindest wurde es angedroht und seit dem antworten die Stadt und die Fraktionen weder auf direkte Anfragen, auch nicht auf Fragen des Rundfunks und auch nicht auf direkte Anschreiben an das Bürgermeisterbüro.
Lustigerweise kam das Anschreiben an die FDP-Fraktion zurück mit dem Vermerk “Empfänger unbekannt” Wohl schon ein Vorgriff auf die nächsten Wahlen.
Ich denke, grundsätzlich ist es so, dass unsere Politiker, ganz gleich ob auf kommunaler oder anderer Ebene, in erster Linie darauf bedacht sind, ihr Amt zu behalten. So vertrödeln Sie viel Zeit mit der Erhaltung Ihres Amtes. Der Bürger ist nur der Spielball für eine diktatorische Demokratie.
Unsere Politiker müssen wieder lernen, dass Sie alles tun müssen, zum Wohle des Bürgers. Ihre eigenen Interessen haben hinten anzustehen.
Wenn wir Bürger feststellen, dass diese Menschen nicht die Richtigen sind, ist es zwingend notwendig, sie aus dem Amt zu entfernen. Notfalls mit einem Misstrauensvotum, sofort und nicht irgendwann. Eine lebendige Demokratie ist nur möglich mit mündigen Bürgern. Wenn es den mündigen Bürger aber nicht mehr geben sollte, wird der unmündige Bürger zum Spielball der Politik und einfach TOTREGIERT.
Bodo Potthoff
PS: Denk mal drüber nach, sechs Minuten schafst DU schon.