von Helmut Frenzel
18. Januar 2013. – Der Stadt Dorsten ist durch Bearbeitungsrückstände im Jugendamt bekanntlich ein hoher finanzieller Schaden entstanden, der anfangs mit maximal 870.000 Euro beziffert wurde. Dabei geht es um verjährte Erstattungsansprüche im Bereich der Jugendhilfe gegenüber anderen Gemeinden. Auch wenn es gelingen sollte, den Schaden durch Verhandlungen zu reduzieren, beschädigt die Angelegenheit das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit der Stadtverwaltung doch nachhaltig. In dieser Woche befasste sich der Rechnungsprüfungsausschuss des Rates mit der Sache. Die Ursachen sollten aufgeklärt und Verantwortlichkeiten festgestellt werden – auch um verlorenes Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Aber dieser Versuch ging gründlich daneben.
Ende September legte der Erste Beigeordnete Baumeister dem Haupt- und Finanzausschuss einen Bericht zu einem möglichen Vermögensschaden der Stadt von 870.000 Euro vor. Darin heißt es, im Rahmen einer Krankheitsvertretung sei einer Mitarbeiterin im Januar 2012 aufgefallen, dass bei der Bearbeitung von Kostenerstattungs- und Heranziehungsfällen im Bereich der wirtschaftlichen Jugendhilfe Rückstände bestanden. „Vorgänge waren teilweise nicht bearbeitet oder nicht auffindbar, Fallabgaben oder –übernahmen waren nicht abschließend und Kostenerstattungen von anderen Städte aufgrund von Zuständigkeitswechseln teilweise nicht bearbeitet worden“, heißt es wörtlich in dem Bericht. Insgesamt handelte es sich um 71 Fälle, in 25 Fällen war die Verjährung eingetreten.
Rechnungsprüfungsamt arbeitet seit Bekanntwerden des Schadens an der Aufklärung
In dem Bericht wird mehr beiläufig auf die krankheitsbedingte Abwesenheit der zuständigen Mitarbeiterin und auf häufige Zuständigkeitswechsel hingewiesen. Personalknappheit habe die Sache begünstigt. Der Leiter des Rechnungsprüfungsamtes, das seit Bekanntwerden die Vorfälle untersucht, stellt in der Sitzung fest, „dass Fehler gemacht worden seien“, jedoch ohne darauf näher einzugehen. Er verweist auf die laufende Prüfung und stellt einen abschließenden Bericht an den Rechnungsprüfungsausschuss bis Ende 2012 in Aussicht. Ein formeller Prüfungsauftrag mit klar definierten Inhalten wird dem Rechnungsprüfungsamt laut Sitzungsprotokoll nicht erteilt.
Am Dienstag dieser Woche trat nun der Rechnungsprüfungsausschuss zusammen. Einziger Punkt der Tagesordnung war der Schadensfall im Jugendamt. Die zur Sitzung erstellten Vorlagen erfüllten jedoch nicht die Erwartungen – weder der Öffentlichkeit noch der Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses.
Die für den öffentlichen Teil der Sitzung bestimmte Vorlage enthält auf den ersten Blick nichts Neues; sie ist in einer Sprache verfasst, die nur eine Schlussfolgerung zulässt: es soll nichts gesagt werden. Auf den zweiten Blick stellt man aber fest, dass die Vorlage kaum misszuverstehende Aussagen enthält, die man sich allerdings aus dem Text zusammenklauben und in eine verständliche Sprache übersetzen muss. Denn ausgerechnet diejenigen Teile des Berichts, die die wirklich wichtigen Feststellungen enthalten, sind in einer karnevalesken Sprache geschrieben, die für den schnellen Leser die Ernsthaftigkeit des Inhalts verdecken.
Ursache des Schadens ist das Versagen der zuständigen Führungsebenen
Wer diese Hürde überwindet, wird die entscheidenden Passagen etwa so lesen:
Die Prüfung seitens des Rechnungsprüfungsamtes war Anfang Dezember 2012 abgeschlossen. Sie erlaubt eine hinreichend sichere Zuordnung der Entstehung der Arbeitsrückstände und Beurteilung der Verantwortlichkeiten. Im Vordergrund stand dabei, individuelle Fehlerrisiken zu mindern. Aber ein noch so gut strukturiertes internes Kontrollsystem kann die Entstehung von Fehlern nicht ausschließen. Hier ist auch Führung gefragt. Die Führungskräfte verfügen über ausreichend Handlungsspielraum, um die geordnete Erledigung der Aufgaben an einem Arbeitsplatz sicherzustellen. Dazu gehört, dass sie die Ihnen zur Verfügung stehenden Informationen wahrnehmen, gewichten und Maßnahmen zur Schadenabwehr einleiten. Problemerkennung und Veranlassung der erforderlichen Gegenmaßnahmen gehören zusammen.
Das ist deutlich. Die Ursache für den entstandenen Schaden liegt demnach darin, dass die Führungskräfte von den Problemen im Jugendamt zwar wussten, aber nicht darauf reagiert haben. Wer mit „Führungskräften“ (im Bericht des Rechnungsprüfungsamtes „Leitungsebene/n“ genannt) gemeint ist, erschließt sich, wenn man erfährt, dass zu Beginn der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses die Jugendamtsleiterin, der Jugenddezernent und der Bürgermeister die Sitzung verlassen haben, weil sie dem Verdacht zuvorkommen wollten, die Beratungen zu beeinflussen. „Da es um ihre Verantwortungsbereiche geht, halten sich Lambert Lütkenhorst, Gerhard Baumeister und Agnes Kuhlmann bewusst aus den Untersuchungen heraus, damit gar nicht erst der Eindruck entstehen kann, sie versuchten eine Mitschuld zu vertuschen.“ (Dorstener Zeitung vom 17. Jan. 2013).
Man versteht nun den Eiertanz, den das Rechnungsprüfungsamt um seinen Prüfungsbericht veranstaltet hat. Der Bericht wurde aufgeteilt in eine für die Öffentlichkeit und eine weitere für den Rechnungsprüfungsausschuss bestimmte Vorlage. Als Grund für diese Maßnahme wird die Wahrung schutzwürdiger Interessen städtischer Mitarbeiter genannt. Wer soll das sein? Die Bürger interessieren sich nicht für die Namen von nachgeordneten Mitarbeitern, – die kann man anonymisieren. Worum geht es dann?
Verwaltungsinterne Aufklärung ist wegen der Involvierung der Stadtspitze nicht zumutbar
Die Irritationen um die beiden Berichte des Rechnungsprüfungsamtes weisen auf ein ganz anderes Problem. Die Politiker haben die Prüfer des Rechnungsprüfungsamtes in eine unzumutbare Lage gebracht. Offenbar tragen Führungskräfte bis hinein in die Stadtspitze die Hauptverantwortung für den finanziellen Schaden. Ihrer Aufgabe können die Prüfer nur nachkommen, indem sie dieses Versagen an den betroffenen Personen festmachen und dokumentieren. Aber die Prüfer sind auch Mitarbeiter der Verwaltung. Sie wollen dort auch noch arbeiten, wenn der aktuelle Fall schon lange zu den Akten gelegt ist. Und sie wollen auch irgendwann einmal befördert werden. Deswegen wird kein Prüfer sich danach drängen, als Denunziant und Nestbeschmutzer dazustehen. Daran kann auch die besondere Stellung nichts ändern, die die Gemeindeordnung dem Rechnungsprüfungsamt zubilligt. Zu groß wird die Sorge sein, dass ein ehrliches Urteil sich für die Prüfer nachteilig auswirken könnte. Das dürfte auch die gewundene Darstellung des Führungsversagens in der öffentlichen Vorlage erklären.
Um ein solches Dilemma erst gar nicht entstehen zu lassen, hätte die Untersuchung der Vorgänge und die Beurteilung der Verantwortlichkeiten von Anfang an einer externen Person übertragen werden müssen, beispielsweise einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer, der vom Rechnungsprüfungsausschuss des Rates bestellt wird und nur an diesen berichtet. Auch jetzt wäre noch Zeit, das nachzuholen.
Rechnungsprüfungsausschuss greift das Thema Führungsversagen nicht auf und spielt auf Zeit
Wie reagiert der Rechnungsprüfungsausschuss? Die Mitglieder fanden die beiden Berichte des Rechnungsprüfungsamtes zu dürftig. Das Thema Führungsversagen wurde nicht aufgegriffen. Der Ausschuss erteilte dem Rechnungsprüfungsamt jetzt den „sehr klaren Auftrag“, alle 25 Einzelfälle bis Ende März aufzuklären (WAZ vom 17. Januar 2013). Das sei wichtig für die Frage, ob die Vermögensschadenversicherung der Stadt für einzelne Schäden aufkommt. Dem kann man nur zustimmen. Aber das ist nicht das, was die Bürger interessiert. Der Ausschuss will dann auch der Frage nachgehen, ob möglicherweise strukturelle Mängel in der Verwaltung mitursächlich für den Schaden waren und welchen Anteil Mitarbeiter und Rathausspitze zu verantworten haben.
Folgt man der für die Öffentlichkeit bestimmten Vorlage des Rechnungsprüfungsamtes, so sind die Ursachen aber weitgehend geklärt. Zurückgehaltene Details könnte der Ausschuss bei den Prüfern abfragen. Warum soll jetzt also neu geprüft werden? Der Ausschussvorsitzende spricht davon, die erste Sitzung des Ausschusses sei „eher ein Auftakt“. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Ausschuss auf Zeit spielt und darauf setzt, dass die Ergebnisse der Prüfung im nächsten Bericht im Sinne der Stadtspitze weichgespült werden. Es wäre nicht überraschend, wenn am Ende der Aufklärungsarbeit die Verantwortung der Führungsspitze weggebügelt ist und hinter dem Wust an Details verschwindet.