Von Wolf Stegemann
Wer heute bei Sonnenschein auf dem Marktplatz sitzt, sich bedienen lässt, der ist mittendrin in einer Open-air-Begegnungsstätte. Und das ist gut so. Das war bei Errichtung der Fußgängerzone 1978 auch so gewollt. Nicht gewollt war allerdings eine Verödung der anderen Teile der Fußgängerzone. Doch so ist es gekommen. In vielen Städten wird darüber nachgedacht, Fußgängerzonen, die überall gleich aussehen, in Teilen wieder zurückzunehmen, um der Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken. Mit der Fußgängerzone machten es sich die Dorstener nicht leicht. Denn eigentlich wollte sie keiner. Hier die Geschichte.
Schon in den 1960er-Jahren trieb der Gedanke, in Dorstens Innenstadt eine Fußgängerzone einzurichten, Politik und Verwaltung um. 1962 wurden einige Straßen der Innenstadt zu Einbahnstraßen erklärt, um den innerstädtischen Verkehr flüssiger zu machen. Pläne wurden gezeichnet, veröffentlicht, darüber diskutiert, in Schubladen versenkt, wieder hervorgeholt und wieder weggelegt. Jeder wollte den Verkehr aus der Innenstadt haben, aber keiner so richtig. Stadtdirektor Dr. Zahn schrieb 1972 im Mitteilungsblatt „Re-inform“ der Kreis-CDU über die Dorstener Planung: „Von einer Fußgängerzone für die Innenstadt darf nicht immer nur geredet werden, sie muss jetzt realisiert werden.“ Daher lud die CDU 1975 zu einer Bürgerversammlung in die Wirtschaft Maas-Timpert an der Bochumer Straße ein. Dort ging es hoch her, denn die Altdorstener Bürgerschaft war mit dem Ausbau der wichtigen Geschäftsstraßen zu einer Fußgängerzone nicht einverstanden. Wütend attackierten sie den damaligen Beigeordneten Hans Möller, der die Planungen vorstellte. Er konterte in Richtung Geschäftsleute: „Wir haben uns zu Individualisten entwickelt und den Gemeinblick häufig verloren!“ Als Möller argumentierte, dass durch Wegfall des Verkehrs die Gewerbeflächen mehr genutzt werden konnten, sah er sich mit der Frage konfrontiert, wer denn der Stadt das Recht gebe, „über fremder Leute Eigentum zu verfügen.“ Die Vorbereitungen dauerten noch weitere drei Jahre.
Die Hauptgeschäftsstraßen im Stadtkern auf einen Rutsch sperren
Der designierte Stadtdirektor Dr. Zahn hatte sich bereits bei seinem ersten Besuch in Dorsten für die Idee einer Fußgängerzone begeistert. Auch Beigeordneter Möller drängte auf eine baldige Umsetzung der Pläne. Er plädierte dafür, dass man den Marktplatz und die drei Geschäftstraßen (Lippestraße, Essener Straße und Recklinghäuser Straße) schon vorher „in einem Rutsch“ sperren und zur Fußgängerzone umbauen sollte.
Früher fuhren durch die Recklinghäuser, Essener und Lippestraße sowie über den Marktplatz Autos und auch LKW. Die Straßen waren eng und es gab so manchen Stau. Daher sperrte die Stadt noch vor der Errichtung der fußläufigen Zonen die Straßen an bestimmten Tagen für den Verkehr. Um das Projekt Fußgängerzone voranzutreiben und endlich gegenüber den sperrigen Kaufleuten ein Signal zu setzen, schlug Zahn 1972 vor, nach der Katharinenkirmes die Innenstadt einfach gesperrt zu lassen. Daraus wurde allerdings nichts. Erst 1978 konnten die genannten Straßen und der Marktplatz als Fußgängerzone eingeweiht und der Verkehr mit einem Leitsystem durch Nebenstraßen um den Stadtkern gelenkt werden. Der Rat der Stadt schränkte auf Initiative der SPD den Verkehr Anfang der 1990er-Jahre und im Jahr 2000 nochmals ein.
Der Sprecher der Dorstener Kaufmannschaft lehnte 1978 die Ansiedlung eines Verbrauchermarktes am Lippetor mit der Begründung ab, aus der Fußgängerzone dürfe keine Konsumstraße gemacht werden, vielmehr müsse sie Einkaufs- und gleichzeitig Begegnungs- und Freizeitstätte sein. Fachgeschäfte seien erstrebenswert, Boutiquen, Spezialitätenrestaurants mit internationaler Küche, eine Diskothek, eine Tanzschule und ein Kino wünschenswert, um das Image zu verbessern und dazu beizutragen, dass hier noch abends Betrieb herrsche. Das war bereits 1978. Die Wünsche der Kaufmannschaft blieben allerdings ungehört. Seit Jahren wird Kritik geäußert, dass die Fußgängerzone außerhalb der Einkaufszeiten menschenleer geworden sei, da es nicht gelungen sei, die Innenstadt zu beleben.
Streit um die Pflasterung des Marktplatzes
Beim Umbau der Innenstadt zur Fußgängerzone war die Pflasterung des Marktplatzes ein Thema, das Rat, Verwaltung und Bürger besonders beschäftigte. Um zu sparen, machte die Verwaltung davon Gebrauch, von einer anderen Kommune deren ausrangierte, unansehnliche und zum Teil zerstörte Pflasterung abzuholen, die ansonsten zur Mülldeponie gebracht worden wäre, weil die andere Kommune diese vorgefertigte Platzbepflasterung als unbrauchbar ansah. Die alten Ziegel und zum Teil Betonsteine waren in großen Platten zusammengefügt, die von einer Eisenumrandung zusammengehalten wurden. Für die Stadt Dorsten gut genug, meinte die Verwaltung, und bepflasterte mit „dem alten ausrangierten Zeug“ den Marktplatz, der heute noch in diesem Zustand ist. Karl Jesper, damals Pfarrer von S. Agatha, hat 1978 den Bau der Fußgängerzone zum Thema seiner karnevalistischen Büttenrede gemacht:
Ihr sollt es wissen, wie es war, / bei uns in Dorsten im letzten Jahr. / In Dorstens Rat war man sich einig, / auch wenn der Weg dazu recht steinig.
Man hatte einen tollen Plan, / der Rat der Stadt und Dr. Zahn. / Der Bürger braucht ja Ruhe – wir geben zum Lohne / In Dorstens Altstadt eine Fußgängerzone.
Der Marktplatz sollte gut gelingen, / noch manchem heute die Ohren klingen. / Gelegt im großen Raster / sollt’ ein besonders schönes Pflaster.
Dazu einen Brunnen hoch auf Stufen, / wie einst die großen Meister schufen. / Schön sollt’ er werden, rund und oho, / so richtig ein neues Gemeindeklo.
Doch als man die Pläne hat fertig gestellt, / da merkte man, das kostet Geld. / Woher aber nehmen die vielen Moneten? / Der Bürger wird einfach zur Kasse gebeten.
Denn Christian Zahn spielt auf der Leier: / In Dorsten herrscht der Pleitegeier. / Und hat auch die Kasse ein großes Loch, / ein Natursteinpflaster, das bekommen wir doch.
Bald hat man’s aus dem Rathaus vernommen, / die Steine sind auswärts umsonst zu bekommen. / Dort sind die Straßen so verschlissen, / drum hat man das Pflaster herausgerissen.
Kurzen Prozess hat man dort gemacht / Und alle Steine zur Müllkippe gebracht. / In Dorsten jedoch war man froh, / man handelte und machte es so:
Bevor man die Steine begutachtet hat, / da waren sie auch schon zum Marktplatz gebracht. / Sie wurden geholt mit sehr großem Wagen, / nach der Qualität, da dürft ihr nicht fragen.
Sie sind so eckig, so trist und so grau, / und manchmal spitz und oben recht ungenau. / Im Rathaus, da saßen die Neunmalklugen / Und planten ein Pflaster mit recht breiten Fugen.
Die Haare, die könnt man sich täglich raufen, / wie soll man auf solchem Pflaster nur laufen? / Die Füße, die schmerzen bei jedem Schritt, / die Steine sind hart, sie sind aus Granit.
Der Marktplatz in Dorsten mit Berg und Tal, / das Laufen darauf ist schon ‘ne Qual. / Die Steine drücken sich durch die Sohlen, / das Pflaster soll der Teufel holen!
Nicht der komplette Marktplatz wurde Mitte der 70er neu gepflastert, sondern nur die ehemaligen Bürgersteige vor den Geschäftsfronten (das Foto vom Marktplatz zeigt die alte Pflasterung). Die Eigentümer durften sich freundlicherweise an den Kosten beteiligen. Die Ausführung war jedoch mehr mangelhaft – noch Monate nach den Bauarbeiten beschwerten sich Bürger – insbesondere Damen – über ruinierte Absätze und die Fugen mussten mehrfach mit Bitumen aufgefüllt bzw. nachgebessert werden. Warnungen und Kritik gab es zuhauf. Kritikern der Maßnahme wurde von Bürgermeiser Lampen beschieden: “… das Pflaster bleibt drin…!” Tja – dabei bliebt es dann auch.
P. S. Die erwähnten eisenumfassten Platten, die den Marktplatz abdecken, sind weit früher (m. E. Anfang/Mitte der 60er) eingebaut worden. Das “alte Zeugs” erfüllt seinen Zweck bis heute anstandslos.